Leitsatz (amtlich)

Der vom Jagdausübungsberechtigten als Unterpächter an der Jagd Beteiligte genießt auch dann das Haftungsprivileg der §§ 636, 637 RVO, wenn seine Beteiligung mit den auf Vorschriften des Jagdrechts beruhenden Bestimmungen des Pachtvertrages nicht vereinbar ist.

 

Normenkette

RVO §§ 636-637

 

Verfahrensgang

OLG Hamm (Urteil vom 29.03.1976)

LG Paderborn (Urteil vom 12.06.1975)

 

Tenor

I. Auf die Rechtsmittel des Beklagten wird das Urteil des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 29. März 1976 aufgehoben und das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 12. Juni 1975 teilweise abgeändert:

Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die gesamten Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Beklagte veranstaltete am 24. November 1973 im Jagdbezirk B. (Kreis H.) eine Treibjagd. An ihr nahmen 20 Schützen und 13 Treiber teil, darunter der Kläger als Treiber und der Beklagte als Schütze. Als der Beklagte auf einen Eichelhäher schoß, traf er versehentlich den Kläger. Dieser erblindete auf dem linken Auge.

Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft hat den Unfall als Arbeitsunfall im Jagdbetrieb des Bruders des Beklagten Dr. Helmut D. (im folgenden Dr. D.), anerkannt.

Es besteht unter den Parteien kein Streit, daß der Beklagte fahrlässig gehandelt hat. Im Rechtsstreit geht es lediglich um die Frage, ob der Beklagte zu dem nach §§ 636, 637 RVO von der Haftung freigestellten Personenkreis gehört. Der Kläger ist der Meinung, dies sei zu verneinen, weil der Beklagte weder Mitunternehmer noch Pächter noch Betriebsangehöriger gewesen sei; er sei bloß ein Jagdgast gewesen. Er hat den Beklagten auf Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie auf Erstattung der Kosten zweier ärztlicher Gutachten in Anspruch genommen; ferner hat er die Feststellung der Ersatzpflicht jeden weiteren Schadens begehrt.

Beide Instanzen haben der Klage im wesentlichen stattgegeben.

Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Klageabweisung weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

1. Das Berufungsgericht vertritt den Standpunkt, die Haftung des Beklagten sei nicht nach §§ 636, 637 RVO ausgeschlossen. Er könne angesichts des Vertrages, aus dem er seine Jagdbefugnis herleite, nicht als Pächter der Jagd angesehen werden. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde;

Pächter des etwa 800 ha großen von der Jagdgenossenschaft B. gepachteten gemeinschaftlichen Jagdbezirks war die aus den drei Mitpächtern Dr. Helmut D., H. und K. bestehende Jagdgemeinschaft „Dr. D.” die den Jagdbezirk in drei Revierteile unter sich aufgeteilt hatten. § 6 des Pachtvertrages lautet u.a.:

Jeder Pächter darf höchstens 3 unentgeltliche Jagderlaubnisscheine ausgeben; hierbei zählt der für einen angestellten Jagdaufseher erteilte Erlaubnisschein nicht mit.

Die Unterverpachtung und Erteilung entgeltlicher Jagderlaubnisscheine ist ausgeschlossen …

Dr. D. hatte im Innenverhältnis seinen Jagdfreund Diekhof in sein Revier aufgenommen und mit ihm folgendes vereinbart:

  1. Im Innenverhältnis sind wir beide gemeinsam aus dem Vertrage zwischen Herrn H., Herrn K. und mir zu gleichen Teilen berechtigt und verpflichtet.
  2. Der auf uns entfallende Revierteil wird von uns gemeinsam bejagt. Der Abschuß wird zwischen uns geteilt, ohne territoriale Beschränkungen.
  3. Der auf uns entfallende Kostenanteil in Höhe von DM 2.875,– nebst Jagdsteuer sowie die auf unseren Revierteil entfallenden Kosten für Wildschaden und Fütterung worden ebenfalls geteilt. Die von uns übernommenen und noch zu errichtenden Reviereinrichtungen gehören beiden gemeinsam.
  4. Dieser Vertrag ist unkündbar, so lange die Jagdpacht läuft. Kein Partner kann seinen Anteil ohne Zustimmung des anderen auf einen Dritten übertragen.

In diesen Vertrag trat der Beklagte am 6. April 1970 anstelle von D. in allseitigem Einverständnis ein.

2. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß die Anerkennung des Unfalls durch die Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft als Arbeitsunfall im „Jagd-Betrieb Dr. D.” – an die das Gericht gebunden ist (§ 638 RVO) – nicht hindert, den Unfall im Sinne des Haftungsausschlusses auch einem weiteren Unternehmer, nämlich dem Beklagten, zuzurechnen (s. BGHZ 24, 247, 252; Senatsurt. v. 11. Juli 1972 – VI ZR 21/71 = VersR 1972, 945). Dieser würde dann von seiner Haftung befreit sein, wenn er als Mitunternehmer (§ 636 RVO) im Jagdbetrieb seines Bruders anzusehen wäre.

Das Berufungsgericht jedoch hält diese Voraussetzung für das Haftungsprivileg eines Mitunternehmers nicht für gegeben. Es führt aus: Der Beklagte erfülle zwar das für die Unternehmereigenschaft wesentliche Erfordernis der Mitbeteiligung am „wirtschaftlichen Wagnis” des Unternehmens; dennoch gehöre er nicht zu dem Kreis der von der Unfallversicherung erfaßten Unternehmer, die sich durch Zahlung der Beiträge zur Berufsgenossenschaft das Haftungsprivileg erkauft hätten. Unternehmer der Jagd in diesem Sinne seien nur die zur Jagdausübung Berechtigten, d.h. bei gemeinschaftlichen Jagdbezirken alle Mitglieder der Jagdgemeinschaft bzw. deren Pächter. Personen, die die Jagd lediglich aufgrund einer vom Jagdausübungsberechtigten (entgeltlich oder unentgeltlich) ausgestellten Jagderlaubnis ausübten, seien dagegen nur – versicherungsfreie – Jagdgäste.

Das Berufungsgericht ist ferner der Meinung, die Haftungsfreistellung des Beklagten ergebe sich auch nicht aus § 637 RVO. Der Beklagte habe den Unfall nicht als ein in „demselben Betrieb wie der Verletzte tätiger Betriebsangehöriger” verursacht. Zumindest habe es sich nicht um die Ausübung einer betrieblichen Tätigkeit gehandelt, da der Beklagte sein eigenes jagdsportliches Interesse verfolgt habe. Darum sei auch eine entsprechende Anwendung der Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung abzulehnen.

II.

Diese Ausführungen werden von der Revision des Beklagten mit Recht angegriffen. Sie werden der Stellung des Beklagten in dem Unfallbetrieb Dr. D. nicht gerecht.

1. Die landwirtschaftliche Unfallversicherung umfaßt auch die Jagdunternehmen und die in ihnen tätigen Versicherten (§ 776 Abs. 1 Nr. 3 RVO). Unternehmer einer Jagd i.S. von § 658 Abs. 2 RVO sind nicht nur Besitzer eines Eigenjagdbezirkes oder gemeinschaftlicher Jagdbezirke, sondern auch die Pächter (BSG 16, 79). Bei einer Jagdpachtgemeinschaft ist jeder Angehörige der Gemeinschaft als Mitpächter (vgl. § 13 a BJG in der zur Unfallzeit geltenden Fassung vom 30. März 1961 – BGBl. I 304) Unternehmer (s. OLG Oldenburg VersR 1967, 900; Lauterbach, Unfallversicherung 3. Aufl. § 658 Rdz. 13). Mitunternehmer waren im Streitfall zweifellos die drei Vertragschließenden des Jagdpachtvertrages: Dr. D., H. und K. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts dürfte aber auch der Beklagte eine solche Stellung als Mitunternehmer i.S. der §§ 658, 636 RVO gehabt haben.

a) Zwar war er gegenüber der Jagdgenossenschaft, der Verpächterin, nicht in Erscheinung getreten. Sein mit Dr. D. intern geschlossener „Beteiligungsvertrag” stellte einen vom Mitpächter Dr. D., dem nach § 6 des Pachtvertrags die Unterverpachtung und Erteilung entgeltlicher Jagderlaubnisscheine untersagt war, vertragswidrig abgeschlossenen Unterpachtvertrag dar (vgl. Mitzschke/Schäfer, BJG 3. Aufl. § 11 Anm. 12). Der Kläger weist auch mit Recht darauf hin, daß gerade auf dem Gebiet der Jagdpacht wegen der hohen Kosten und der strengen Erfordernisse hinsichtlich der Mindestgröße des Reviers (vgl. § 11 Abs. 2 BJG; § 8 Landesjagdgesetz Nordrhein/Westfalen vom 26. Mai 1964, im folgenden LJG) und der vierjährigen Jagdscheininhaberschaft (§ 11 BJG; § 9 LJG) Jagdinteressenten oft sogar versuchen, nicht nur die vertraglichen, sondern auch die gesetzlichen Bestimmungen der Jagdgesetze zu umgehen (s. Schäfer VersR 1967, 724, 727).

b) Hierauf kommt es jedoch für die Frage, ob der Beklagte das Haftungsprivileg nach § 636 RVO genoß, nicht an. Die Unternehmereigenschaft i.S. der Reichsversicherungsordnung (§ 658 RVO) bestimmt sich nicht nach der jeweiligen privatrechtlichen Gestaltung der Rechtsbeziehungen der als Betriebsunternehmer in Betracht kommenden Personen; maßgebend ist allein, für wessen Rechnung wirtschaftlich gesehen das Unternehmen geht, so daß es auf die tatsächlichen und nicht die rechtlichen Verhältnisse ankommt (Lauterbach a.a.O. § 658 Rdn. 7, 10 mit Nachw. aus der Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit). Ob ein Mitunternehmervertrag wirksam oder nichtig ist, ob er, wie hier, einem Hauptpachtvertrag widerspricht, ist unerheblich. So wie verbotswidriges Handeln des verunglückten Arbeiters dessen Versicherungsschutz nicht beseitigt (§ 548 Abs. 3 RVO), so stehen grundsätzlich Verstöße eines Unternehmers gegen etwa für seinen Betrieb geltende öffentlich-rechtliche Bestimmungen seiner Eigenschaft als Unternehmer i.S. des § 658 RVO nicht entgegen, falls er die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt. Nichts anderes gilt für den Mit-Unternehmer einer Jagd. Auch hier ist, wie schon Schindera (SozVers 1968, 235) dargelegt hat, die tatsächliche Natur der zwischen den Beteiligten bestehenden Verhältnisse zu ermitteln. Daher ist selbst bei einem nichtigen Jagdpachtvertrag der unbefugte Unterpächter Unternehmer i.S. der Reichsversicherungsordnung, wenn er faktisch die Rechte und Pflichten wie ein nach privatem und öffentlichem Recht befugter Pächter ausübt (a.A. Boiler VersR 1965, 538, 540 und WzS 1968, 79).

Die Beitragspflicht nach § 723 ff RVO beschränkt sich auch nicht – wie das Berufungsgericht meint – auf die bereits „erfaßten” Unternehmer (§§ 792 ff, 658 ff RVO); vielmehr wird der Beitrag gegebenenfalls nachträglich eingezogen. Die Mitgliedschaft bei der Berufsgenossenschaft beginnt mit den sie begründenden Tatbeständen kraft Gesetzes; hierfür bedarf es nicht der Entrichtung von Beiträgen (s. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung Band II S. 511 b). Mit dem Beginn der Mitgliedschaft kommt dem Unternehmer bereits die Haftungsbeschränkung der §§ 636 ff RVO zugute.

Im Streitfall hatte der Beklagte faktisch die Stellung eines Unternehmers. Der „Beteiligungsvertrag” setzte ihn zur Hälfte in die Rechte und Pflichten seines Bruders ein: Der Revieranteil sollte gemeinsam bejagt werden; der Abschuß wurde geteilt; der auf seinen Bruder entfallende Kostenanteil nebst Jagdsteuer sowie die auf seinen Revierteil entfallenden Kosten für Wildschaden und Fütterung wurden ebenfalls geteilt. Damit gereichte ihm (neben seinem Bruder) das wirtschaftliche Ergebnis des Unternehmens, der Wert oder Unwert der in dem Unternehmen verrichteten Arbeiten unmittelbar zum Vorteil oder Nachteil; er trug das wirtschaftliche Wagnis. Damit waren die Voraussetzungen, von denen § 658 RVO die Eigenschaft eines Unternehmers abhängig macht (vgl. BSG 14, 142, 145 und 17, 273, 275), erfüllt, so daß er als Mitunternehmer das Haftungsprivileg nach § 636 RVO genoß.

2. Doch kommt es hier darauf, ob der Beklagte schon nach § 636 RVO haftfrei ist, nicht entscheidend an, da seine Haftung jedenfalls nach § 637 RVO ausgeschlossen ist.

a) Der Beklagte gehörte demselben Betrieb wie der verletzte Kläger an, da er – wie das Berufungsgericht feststellt – den organisatorischen Ablauf der Jagd geleitet, die Treiber eingeteilt und ihnen Weisungen gegeben hatte. Das Berufungsgericht sieht den Anwendungsbereich der genannten Vorschrift zu eng, wenn es ausführt, der Beklagte habe darum nicht die Stellung eines wie ein Arbeitnehmer in den Betrieb eingegliederten Betriebsangehörigen gehabt, weil er „Betriebsaufseher” gewesen sei. Die dem Betriebsaufseher (wie auch dem Repräsentanten und Arbeitsaufseher) schon nach §§ 898, 899 RVO a.F. zustehende Haftungsfreistellung gilt nach dem durch das UNVG 1963 eingeführten § 637 RVO nunmehr für alle Betriebsangehörigen, sofern diese den Arbeitsanfall eines in demselben Betrieb tätigen Betriebsangehörigen durch eine betriebliche Tätigkeit verursacht haben; die früher geltende Vorschrift des § 899 RVO ist nicht eingeengt, sondern erweitert worden. Der Beklagte hat den Unfall des Klägers auch bei einer betrieblichen Tätigkeit i.S. von § 637 RVO verschuldet. Darum war er haftungsprivilegiert, als er den Kläger bei Ausführung der ihm als Leiter der Treibjagd obliegenden Pflichten verletzte. Zu diesen Pflichten (siehe im einzelnen Nitzschke/Schäfer a.a.O. S. 117, 185; § 3 der Jagdunfallverhütungsvorschriften der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften, abgedruckt ebenda S. 186) gehörte selbstverständlich auch die Anwendung der erforderlichen Sorgfalt bei Gebrauch der Schußwaffe.

b) Anders wäre der Sachverhalt allerdings zu beurteilen, wenn der Beklagte die Stellung eines bloßen „Jagdgastes” innegehabt hätte. Jagdgäste sind Personen, die aufgrund einer vom Jagdausübungsberechtigten (unentgeltlich oder entgeltlich) erteilten Jagderlaubnis die Jagd ausüben. Sie sind versicherungsfrei (§ 542 Nr. 3 RVO), sofern sie nicht ausnahmsweise – was bei der hier gegebenen Sachlage für den Beklagten jedoch nicht in Betracht kommt – nach § 539 Abs. 2 RVO wie ein Versicherter nach dessen Abs. 1 tätig geworden waren. Sie genießen daher keinen Versicherungsschutz, wenn sie bei der Jagdausübung verletzt werden. Andererseits kommt ihnen, worauf es hier allein ankommt, auch nicht der Haftungsausschluß der §§ 636, 637 RVO zugute, wenn sie – wie es hier der Fall war – bei Ausübung der Jagd einen anderen Jagdteilnehmer schuldhaft verletzen.

Der Beklagte war aber nicht bloßer Jagdgast. War er nicht gar (Mit-)Unternehmer des Jagdbetriebes und als solcher Teilnehmer jener Jagd, so war er jedenfalls „Repräsentant” des Unternehmers, d.h. der Jagdgemeinschaft, als welchen ihn das Berufungsgericht treffend bezeichnet. Dann aber kann er nicht ein zu jener Jagd lediglich eingeladener Schütze gewesen sein, der nicht dafür sorgen will, das Jagdrevier zu bestellen, sondern nur seiner privaten Jagdliebhaberei nachgeht.

III.

Der Kläger muß sich somit mit den Leistungen, welche ihm die Berufsgenossenschaft gewährt, zufrieden geben; seine darüber hinausgehenden Ersatzansprüche sind ausgeschlossen. Infolgedessen mußten die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Klage unter Kostenfolge aus § 691 ZPO abgelesen werden.

 

Unterschriften

Dr. Weber, Dunz, Scheffen, Dr. Steffen, Dr. Kullmann

 

Fundstellen

Haufe-Index 1742381

Nachschlagewerk BGH

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