Entscheidungsstichwort (Thema)
Pacht einer Jagd durch Jagdberechtigte gemeinsam
Leitsatz (amtlich)
Haben zwei Jagdberechtigte gemeinsam eine Jagd gepachtet und erleidet der eine von ihnen durch das Verschulden des anderen einen von der Berufsgenossenschaft anerkannten Jagdunfall, so kann sich der schuldige Jagdpächter auch gegenüber seinem Mitpächter auf den Haftungsausschluß des § 898 RVO a.F. berufen.
Normenkette
RVO § 898; RVO (a.F.) § 898; RVO § 901
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt (Main) vom 23. Januar 1968 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien waren Pächter einer gemeinsamen Jagd in der Gemarkung Ober-Mörlen. Am 4. November 1962 veranstalteten sie eine Drückjagd. Als der Beklagte nach Beendigung der Jagd, auf dem Wege vom Revier zu den Fahrzeugen sein Gewehr umladen wollte, löste sich ein Schuß und traf den Kläger in den linken Unterschenkel. Die Schußverletzungen waren so schwer, daß eine Amputation erforderlich war. Da das linke Knie des Klägers infolge eines Oberschenkelschußbruchs aus dem ersten Weltkrieg versteift war, wurde das linke Bein oberhalb des Kniees abgetrennt, um so die Voraussetzung für die gute Versorgung mit einer Prothese zu schaffen.
Der Haftpflichtversicherer des Beklagten hat dem Kläger die Arzt- und Krankenhauskosten sowie die Aufwendungen für Prothesen und vermehrte Bedürfnisse ersetzt. Er hat ihm auch Schmerzensgeld gezahlt.
Die Parteien streiten jetzt nur noch darüber, ob und in welcher Höhe der Beklagte den Verdienstausfall des Klägers zu ersetzen hat.
Der Kläger war drei Monate im Krankenhaus und wurde anschließend bis Anfang 1964 weiter ärztlich behandelt. Am 4. Februar 1963 - unmittelbar nach der Entlassung aus dem Krankenhaus - nahm er seine Tätigkeit als Leiter des Wasserwirtschaftsamtes in Friedberg wieder auf. Er versah die Dienstgeschäfte jedoch nur noch bis zum 15. August 1963, weil er den Anforderungen des Außendienstes körperlich nicht mehr gewachsen war. Nachdem er am 11. Dezember 1963 sein 65. Lebensjahr vollendet hatte, wurde er mit Wirkung vom 11. Januar 1964 in den Ruhestand versetzt.
Der Kläger hat vorgetragen: Er wäre ohne den Unfall voll dienstfähig geblieben und hätte seinen Dienst in der Wasserwirtschaftsverwaltung bis zur Vollendung seines 68. Lebensjahres versehen oder als beratender Ingenieur in der Wirtschaft arbeiten können. Das sei ihm nach dem Verlust des linken Beines nicht mehr möglich, weil er sich auf den Baustellen und in unwegsamen Gelände nicht mehr ohne Gefahr bewegen könne.
Mit der Klage hat der Kläger für die Zeit vom 1. Januar 1964 bis 30. Juni 1965 den Unterschied zwischen seiner Pension und dem entsprechenden Gehalt (8.581,30 DM nebst Zinsen) verlangt. Ferner hat er um die Feststellung gebeten, daß der Beklagte verpflichtet sei, ihm ab 1. Juli 1965 auch den weiteren Verdienstausfall zu ersetzen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat zunächst nur geltend gemacht, der Kläger habe seine Pflicht zur Minderung des Schadens verletzt, denn er sei mit einer seinen Bedürfnissen angepaßten Prothese durchaus noch in der Lage gewesen, beruflich tätig zu sein.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.
Der Beklagte hat Berufung eingelegt. Im Verlauf des Berufungsverfahrens haben die Parteien auf Anregung des Gerichts den Jagdunfall der land- und forstwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft für den Regierungsbezirk Darmstadt gemeldet. Die Berufsgenossenschaft hat mit Bescheid vom 28. September 1967 den Unfall des Klägers als Arbeitsunfall anerkannt. Sie zahlt seit dem 1. Juni 1967 an den Kläger wegen Minderung seiner Erwerbsfähigkeit um 40 % eine monatliche Rente von 100 DM. Der Beklagte hat sich nunmehr darauf berufen, daß seine Haftung nach § 898 RVO a.F. ausgeschlossen sei.
Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen.
Mit der zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen, weil es der Ansicht ist, daß dem Beklagten das Haftungsprivileg des § 898 RVO a.F. zugute komme. Dieser Entscheidung ist beizutreten.
I.
1.
Der Unfall hat sich am 4. November 1962, also vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung vom 30. April 1963 (BGBl I 241 ff) ereignet. Das Berufungsgericht hat daher mit Recht die Reichsversicherungsordnung in ihrer alten Passung angewandt.
Nach § 898 RVO a.F. ist der Unternehmer Versicherten nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Schadens, den ein Arbeitsunfall verursacht hat, nur dann verpflichtet, wenn strafgerichtlich festgestellt worden ist, daß er den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat. Diese Bestimmung ist zwar in erster Linie für die gewerbliche Unfallversicherung geschaffen; sie gilt aber nach § 1042 RVO a.F. auch in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung, zu der unter anderem die Jagden gehören (§ 915 Abs. 1 Buchst. b RVO a.F.).
2.
Die Parteien sind sich einig darüber, daß nur ein fahrlässiges Verhalten des Beklagten zu dem Unfall des Klägers geführt haben kann. Da das Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist, fehlt es jedenfalls an einer strafgerichtlichen Feststellung, daß der Beklagte den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat.
3.
Zu den weiteren Voraussetzungen für die Haftungsfreistellung nach § 898 RVO a.F. hat das Berufungsgericht im Anschluß an das Urteil des Bundessozialgerichts BSGE 16, 79 im einzelnen dargelegt, daß und aus welchen Gründen der Beklagte als Unternehmer im Sinne der Reichsversicherungsordnung anzusehen ist und der Kläger zu den in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung versicherten Personen gehört. Dabei verweist es darauf, daß auch die zuständige land- und forstwirtschaftliche Berufsgenossenschaft den Jagdunfall des Klägers als Arbeitsunfall anerkannt und dem Kläger eine Rente zugebilligt hat. Das Berufungsgericht kommt daher zu dem Ergebnis, daß es dem Kläger nach § 898 RVO a.F. verwehrt ist, Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten zu erheben.
Die Revision wendet sich dagegen, daß das Berufungsgericht den Beklagten als Unternehmer und den Kläger als Versicherten angesehen hat, obwohl beide Mitpächter der gemeinsamen Jagd waren und als solche gleichberechtigt nebeneinander erstanden. Dabei übersieht sie ebenso wie das Berufungsgericht, daß dem Gericht eine eigene Prüfung dieser Fragen versagt, daß es vielmehr insoweit an die Entscheidung gebunden ist, die die Berufsgenossenschaft in ihrem Feststellungsbescheid vom 28. September 1967 getroffen hat. Die Rügen der Revision laufen darauf hinaus, daß der Jagdunfall des Klägers nicht als ein nach der Reichsversicherungsordnung zu entschädigender Unfall anzusehen sei. Das aber steht im Widerspruch zu dem das Gegenteil besagenden Bescheid der Berufsgenossenschaft.
Hat ein Gericht darüber zu entscheiden, ob die Haftung nach § 898 RVO a.F. ausgeschlossen ist, so ist es gemäß § 901 RVO a.F. an die Entscheidung gebunden, die in einem Verfahren nach der Reichsversicherungsordnung darüber ergeht, ob ein entschädigungspflichtiger Unfall vorliegt und in welchem Umfang sowie von welchem Versicherungsträger die Entschädigung zu gewähren ist. Diese Bindung des Gerichts erstreckt sich, wenn die Berufsgenossenschaft einen entschädigungspflichtigen Unfall bejaht, in der Regel auch auf die Fragen, wer bei dem Unfall Unternehmer ist und ob der Verletzte zu den versicherten Personen gehört. Diese Fragen sind mit der Entscheidung, ob ein entschädigungspflichtiger Unfall vorliegt, so eng verbunden, daß es gerechtfertigt ist, sie einheitlich zu beantworten. Es wäre unbefriedigend, wenn diese Fragen durch die Gerichte und durch die Instanzen der Unfallversicherung unterschiedlich entschieden würden. Das soll nach dem Sinn und Zweck des § 901 RVO a.F. durch die Bindung der Gerichte an die in einem Verfahren nach der Reichsversicherungsordnung ergangene Entscheidung darüber, ob ein entschädigungspflichtiger Unfall vorliegt, verhindert werden. Diese Entscheidung hat der Gesetzgeber den Sozialversicherungsbehörden vorbehalten. Das ergibt sich auch daraus, daß das Gericht sein Verfahren so lange auszusetzen hat, bis eine Entscheidung in dem Verfahren nach der Reichsversicherungsordnung ergangen ist (§ 901 Abs. 2 RVO a.F.).
Der Bundesgerichtshof hat schon mehrfach entschieden, daß die Gerichte auch an die Entscheidung der Sozialversicherungsbehörde darüber gebunden sind, in welchem Betrieb sich der Unfall ereignet hat und wer danach der verantwortliche Betriebsunternehmer ist (BGHZ 8, 330, 332; 33, 339, 343 und Urteil des BGH vom 5. Januar 1968 - VI ZR 125/66 - VersR 1968, 272). Das Gleiche muß für die Frage gelten, ob der Verletzte zu den versicherten Personen gehört, denn auch sie ist von der Frage, ob ein entschädigungspflichtiger Unfall vorliegt, nicht zu trennen. Die Sozialversicherungsbehörden können die Frage, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, nicht entscheiden, ohne vorher zu klären, ob der Verletzte zu dem Kreis der Versicherten gehört. Daher sind die Gerichte auch insoweit an die Entscheidung der Sozialversicherungsbehörden gebunden (vgl. RGZ 71, 3; LAG Frankfurt NJW 1966, 2330; Dersch/Knoll/Brockhoff/Schieckel/Schroeter/Aye/Göbelmann, Reichsversicherungsordnung § 638 Anm. 4; Seitz, Die Ersatzansprüche der Sozialversicherungsträger nach §§ 640 und 1542 RVO, 2. Aufl. S. 203; Wussow, Unfallhaftpflicht-recht, 10. Aufl. TZ 1542 und Schmalzl, VersR 1968, 768).
Die land- und forstwirtschaftliche Berufsgenossenschaft hat in ihrem Feststellungsbescheid vom 28. September 1967, also in einer nach dem Verfahren der Reichs-Versicherungsordnung ergangenen Entscheidung, den Jagdunfall des Klägers als entschädigungspflichtigen Unfall anerkannt und mit der Zubilligung einer Rente den Kläger als Versicherten behandelt. Da der Kläger nur Versicherter in dem Jagdunternehmen der Parteien sein kann (§§ 915 Abs. 1 Buchst. b, 537 Nr. 8 RVO a.F.), ist damit zugleich entschieden, daß der Beklagte als Unternehmer, zumindest als Mitunternehmer des Betriebes anzusehen ist, in dem sich der Unfall ereignet hat.
4.
Gleichwohl wäre ein Haftungsausschluß nach § 898 RVO a.F. zu verneinen, wenn es dem Sinn und Zweck dieser Bestimmung zuwiderliefe, sie auch auf das Verhältnis zweier Jagdpächter zueinander anzuwenden. Das ist jedoch nicht der Fall.
Die Vorschrift des § 898 RVO a.F. stellt den Unternehmer von der Haftung frei, weil er durch seine Beiträge zur Sozialversicherung für den Unfallschutz der Versicherten gesorgt hat. Dieser Grundgedanke des Gesetzes trifft auch hier zu. Bei Jagden ist ebenso wie in landwirtschaftlichen Betrieben auch der Unternehmer gesetzlich versichert (§§ 537 Nr. 8 und § 915 Abs. 1 Buchst. b) RVO a.F.). Wird der landwirtschaftliche Betrieb von zwei Unternehmern geführt oder handelt es sich um zwei Pächter einer gemeinsamen Jagd, so dienen die Beiträge, die sie beide der Berufsgenossenschaft zu leisten haben, nicht nur dem Unfallschutz ihrer Arbeiter und Angestellten (§ 537 Nr. 1 RVO a.F.), hier ihrer Treiber, Jagdaufseher und dergl. sondern auch ihrem eigenen Schutz vor Unfällen. Dabei wird durch die Beitragslast, die auf den einzelnen Jagdpächter entfällt, nicht nur der eigene, sondern - was hier entscheidend ist - auch der Versicherungsschutz des anderen Mitpächters für den Fall mitfinanziert, daß ein Jagdpächter durch das Verschulden des anderen bei der Jagd zu Schaden kommt. Das rechtfertigt es, den für den Unfall verantwortlichen Jagdpächter auch gegenüber dem verletzten Mitpächter von der Haftung freizustellen (vgl. Wussow, WJ 1958, 204; Gunkol, Die Haftung von Unternehmern und Betriebsangehörigen, 2. Aufl. 1962 S. 17).
Ob der Beklagte den Kläger auch dann auf die Rente der Berufsgenossenschaft verweisen könnte, wenn sich der Unfall nach dem Inkrafttreten des neu gefaßten § 636 Abs. 1 RVO ("den in seinem Unternehmen tätigen Versicherten") ereignet hätte (verneinend Schäfer VersR 1967, 724 und in der 3. Aufl. 1963/69 auch Lauterbach, Unfallversicherung, § 636 RVO Anm. 16), war nicht zu entscheiden, weil auf den Unfall der Klägers, wie oben erwähnt, die Reichsversicherungsordnung in ihrer alten Passung anzuwenden war.
II.
Das Berufungsgericht hat somit im Ergebnis zutreffend angenommen, daß der Beklagte nach § 898 RVO a.F. von der Haftung freigestellt ist.
1.
Dabei spielt es entgegen der Ansicht der Revision keine Rolle, ob zwischen den Parteien als Mitpächtern der gemeinsamen Jagd ein Gesellschaftsverhältnis bestand und der Beklagte deshalb auch nach Vertragsgrundsätzen haften würde, denn der Haftungsausschluß nach § 898 RVO a.F. bezieht sich auf alle Schadensersatzansprüche, gleichgültig auf welchem Haftungsgrund sie beruhen. Ausgeschlossen sind daher auch Schadensersatzansprüche aus Verträgen (Urteil des BGH vom 28. Mai 1965 - VI ZR 22/64 - VersR 1965, 806).
Die Revision kann sich auch nicht mit Erfolg auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16. Juni 1959 (- VI ZR 141/58 - LM Nr. 19 zu § 898 RVO a.F. = VersR 1959, 698) berufen. Nach dieser Entscheidung ist es nicht der Zweck des § 898 RVO a.F. den Unternehmer vor Schadensersatzansprüchen eines Vertragspartners zu bewahren, der als zweiter Schädiger wegen eines Betriebsunfalls haftet und unter dem Gesichtspunkt der Vertragsverletzung den Ersatz seiner Aufwendungen dafür von dem Unternehmer beansprucht. Ein Sachverhalt dieser Art ist in dem jetzt zu entscheidenden Falle nicht gegeben. Vor allem ist nicht ersichtlich, wieso hier eine betriebsfremde Person als zweiter Schädiger in Betracht kommen sollte.
2.
Daß die Parteien eine private Jagdhaftpflichtversicherung abgeschlossen hatten, kann ebenfalls keine andere Entscheidung rechtfertigen. Der Senat hat für Arbeitsunfälle, die durch Kraftfahrzeuge hervorgerufen werden, mehrmals ausgesprochen, daß das Bestehen der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung nichts an dem Haftungsausschluß nach § 898 RVO a.F. ändert (Senatsurteile vom 29. Januar 1963 - VI ZR 67/62 - NJW 1963, 654 = VersR 1963, 243 und vom 4. Dezember 1964 - VI ZR 220/63 - VersR 1965, 291). Das Gleiche muß gelten, wenn eine Jagdhaftpflichtversicherung besteht. Die Revision hat nichts vorgebracht, was es in einem solchen Falle rechtfertigen könnte, sich über den gesetzlich angeordneten Haftungsausschluß hinwegzusetzen.
3.
Schließlich kann entgegen der Meinung der Revision auch keine Rede davon sein, daß § 898 RVO a.F. gegen Art. 14 GG verstoße und deshalb verfassungswidrig sei.
Nach alledem erweist sich die Revision des Klägers als unbegründet.
Unterschriften
Dr. Weber
Dr. Bode
Nüßgens
Bundesrichter Sonnabend ist erkrankt, daher an der Unterschrift verhindert, Dr. Weber
Dunz
Fundstellen