Entscheidungsstichwort (Thema)
Mord
Tenor
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 8. Februar 1999 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
2. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das genannte Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieser Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen –
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und ihn im übrigen – vom Vorwurf des Mordes und des versuchten Mordes – freigesprochen. Die gegen die Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg. Die gegen den Freispruch gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin dringen durch.
I.
Zu den beiden Verurteilungsfällen hat das Landgericht festgestellt:
Nachdem die damalige Freundin des Angeklagten, die Zeugin H, im Jahre 1991 Trennungsabsichten geäußert hatte, schlug der Angeklagte die Zeugin nahezu täglich. In diesem Rahmen ereignete sich der ausgeurteilte Fall 1: Eines Tages war die Zeugin mit einer Freundin ausgegangen. Der Angeklagte, wütend hierüber, packte die Zeugin bei ihrer Rückkehr am Kragen, schüttelte sie, drückte sie gegen eine Wand, schlug ihr mit beiden Fäusten ins Gesicht, warf sie gegen einen Schrank und „schubste” sie die Treppe hinunter. Da der Angeklagte die Zeugin auch in der Folgezeit schlug, äußerte diese ihm gegenüber kurze Zeit später erneut Trennungsabsichten. Dies führte zum ausgeurteilen Fall 2: Über die Trennungsabsichten seiner Freundin erbost, holte der Angeklagte seinen Baseballschläger, der sich „normalerweise immer” in seinem Auto befand, und schlug damit mehrfach auf die Zeugin ein.
Die Revision des Angeklagten gegen seine dieserhalb erfolgte Verurteilung versagt. Die erhobene Rüge der Verletzung von Verfahrensrecht ist mangels Begründung unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), die Sachrüge ist unbegründet aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 27. März 2000. Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung kam schon deshalb nicht in Betracht, weil die Strafe durch Anrechnung von Untersuchungshaft als verbüßt gilt (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 56 Rdn. 2).
II.
Ferner wird dem Angeklagten folgendes vorgeworfen:
Am 26. August 1995 soll sich der Angeklagte unter einem Vorwand Zutritt zu der Maisonette-Wohnung des M verschafft haben, wo seine damalige Verlobte, die Nebenklägerin Bam, als Pflegekraft beschäftigt war. Da diese kurze Zeit zuvor das Verlöbnis gelöst und sich vom Angeklagten getrennt haben soll, habe er sie zur Rechenschaft ziehen wollen und deshalb mit einem mitgeführten Knüppel so lange und heftig auf ihren Kopf mit Tötungsvorsatz eingeschlagen, bis sie blutüberströmt und mit massiven Kopfverletzungen am Boden liegen blieb. In dieser Lage soll der Angeklagte die Nebenklägerin in dem Bewußtsein verlassen haben, sie würde an den massiven Kopfverletzungen versterben. Jedoch konnte das Leben der Nebenklägerin durch intensivmedizinische Betreuung und mehrere neurochirurgische Eingriffe gerettet werden. Sogleich nach der Mißhandlung der Nebenklägerin soll der Angeklagte auf den im Obergeschoß im Bett liegenden M, der auf das Geschehen aufmerksam geworden sei, mit dem Knüppel auf den Kopf mit Tötungsvorsatz eingeschlagen haben, um ihn als Tatzeugen auszuschalten. M erlitt eine Zertrümmerung des Schädels und massive Hirngewebsverletzungen, woran er drei Wochen später verstarb.
Dieserhalb hatte das Landgericht den Angeklagten zunächst am 13. Februar 1997 wegen Mordes und versuchten Mordes zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Der Senat hat die Verurteilung wegen eines sachlichrechtlichen Fehlers in der Beweiswürdigung durch Urteil vom 21. Januar 1998 (BGHR StPO § 261 – Überzeugungsbildung 30) aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr von dem Vorwurf in diesem Tatkomplex freigesprochen.
Auch dieser Freispruch kann keinen Bestand haben. Er hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand, so daß es auf die von der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin erhobenen Verfahrensrügen nicht ankommt.
Die Beweiswürdigung wird den Besonderheiten des Falles nicht in vollem Umfang gerecht. Auszugehen ist von folgendem Grundsatz: Liegen mehrere Beweisanzeichen vor, so genügt es nicht, sie jeweils einzeln abzuhandeln; erforderlich ist vielmehr eine Gesamtwürdigung. Auch wenn keine der jeweiligen Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreicht, besteht die Möglichkeit, daß sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln (st. Rspr. des Bundesgerichtshofs; vgl. BGHR StPO § 261 – Beweiswürdigung 2 und Beweiswürdigung, unzureichende 1; BGH NStZ 1983, 133, 134, je m.w.N.).
Der hiesige Fall zeichnet sich dadurch aus, daß die Nebenklägerin das zentrale Beweismittel ist, dessen Gewichtigkeit zunächst mittels weiterer Beweismittel, nämlich der insgesamt fünf gehörten medizinischen bzw. psychologischen Sachverständigen zu bestimmen war und nach dieser Gewichtung in eine Gesamtwürdigung mit allen anderen belastenden und entlastenden Umständen zu stellen war.
Der Tatrichter macht nicht hinreichend deutlich, wie er den ersten der danach gebotenen zwei Schritte vollzogen hat: Die teilweise unterschiedlichen Bewertungen der Erinnerungsfähigkeit und Aussagetüchtigkeit der durch das Tatgeschehen schwer hirnverletzten Nebenklägerin durch die Sachverständigen werden nebeneinandergestellt, ohne daß sie ins Verhältnis zueinander gesetzt würden. Es wird nicht ausreichend erläutert, weshalb der Tatrichter dann maßgeblich demjenigen Sachverständigen folgt, der als einziger die Nebenklägerin nicht untersucht oder behandelt hat. Der Grad, in dem das Landgericht die Zeugentauglichkeit der Nebenklägerin beeinträchtigt sieht, wird jedenfalls – ungeachtet ihrer wechselnden Aussagen – nicht in einer solchen Schärfe bestimmt, daß dadurch eine Gesamtwürdigung im Verbund mit allen übrigen möglicherweise bedeutsamen Umständen sich ausnahmsweise erübrigen würde. Mit dem Zwischenergebnis, „allein aufgrund der Bekundungen der Zeugin Bam konnte sich die Schwurgerichtskammer nicht die für eine Verurteilung erforderliche Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten bilden” (UA S. 42), war der Tatrichter also – trotz der Besonderheiten des Falles – nicht schon der Aufgabe enthoben, die gebotene Gesamtschau vorzunehmen.
In diese Gesamtwürdigung waren auch die mögliche Motivlage des Angeklagten und – nach Maßgabe des ersten in dieser Sache ergangenen Senatsurteils – die auffälligen Verhaltensweisen des Angeklagten einzubeziehen, die in seinen unrichtigen Angaben zu den Punkten „Aufenthalt im Sport-Studio” und „Tätigkeit beim Pizza-Service” sowie in den Vorgängen um den „Timer” der Nebenklägerin liegen.
Unerläßlich war es auch, bei der Beweiswürdigung im Mordkomplex diejenigen Fälle in Betracht zu ziehen, die zur Verurteilung geführt haben. Die Verurteilungsfälle und der Freispruchkomplex weisen deutliche Parallelen auf, so daß es geboten war, die etwaige indizielle Bedeutung dieser Parallelität zu erörtern: Ebenso wie im Verurteilungskomplex festgestellt, geht es im Freispruchkomplex darum, ob der Angeklagte in einer Partnerschaftskrise aus Wut schwere Gewalt gegen seine jeweilige Partnerin anwendete, dabei im Verurteilungskomplex einen Baseballschläger benutzte, der sich „normalerweise immer” in seinem Auto befand (UA S. 64), während auch im Freispruchkomplex ein Baseballschläger als Tatwerkzeug in Betracht kommt (UA S. 32).
Schließlich meint das Landgericht am Ende der Beweiswürdigung, daß „nach dem geschilderten Tatumfeld auch andere Täterkreise in Betracht gezogen werden müssen” (UA S. 63). Da die verbleibende Möglichkeit eines damit angesprochenen Raubmordes an M den Angeklagten eher entlasten würde, andererseits das Bild eines nur vorgetäuschten Raubcharakters des Mordes eher gegen den Angeklagten sprechen könnte, war es geboten, diesem Gesichtspunkt weiter nachzugehen und dabei auch die diesem Zusammenhang zuzuordnenden festgestellten Umstände zu würdigen.
III.
Für die neue Hauptverhandlung merkt der Senat an: Der neue Tatrichter wird, auch insofern sachverständig beraten, unter dem Gesichtspunkt des § 244 Abs. 2 StPO zu entscheiden haben, ob etwa eine Vernehmung der Nebenklägerin in ihrer häuslichen Umgebung statt an Gerichtsstelle wegen der außerordentlichen Besonderheiten des Falles einen zusätzlichen Aufklärungsgewinn verspricht.
Unterschriften
Harms, Häger, Basdorf, Raum, Brause
Fundstellen