Leitsatz (amtlich)

›Unterschreitet ein Architekt in seiner Schlußrechnung die Mindestsätze der HOAI, so entfällt nicht schon deswegen ein etwaiges schutzwürdiges Vertrauen des Auftraggebers in die Richtigkeit der Schlußrechnung.‹

 

Tatbestand

Die Beklagten erwarben im Juli 1988 von der Klägerin ein Baugrundstück in G. -K.. Zu einem nicht näher genannten Zeitpunkt schlossen sie mit ihr mündlich einen Vertrag, wonach die Klägerin sämtliche Architektenleistungen für das Bauvorhaben der Beklagten zum Pauschalhonorar von 17.020 DM erbringen sollte.

Die Klägerin stellte den Beklagten für erbrachte Architektenleistungen am 12. Juni 1989 das vereinbarte Pauschalhonorar unter Berücksichtigung geleisteter Akontozahlungen in Rechnung. Nachdem es zwischen den Parteien über die Zahlung dieser und weiterer Forderungen der Klägerin zu Differenzen gekommen war, ersetzte die Klägerin im Februar 1990 ihre Rechnung vom 12. Juni 1989 durch eine spezifizierte Schlußrechnung über ein Architektenhonorar von insgesamt 26.923,57 DM.

Die Klägerin hat mit der Klage neben anderen Forderungen einen Teilbetrag von 660 DM aus dieser Schlußrechnung geltend gemacht. Das Landgericht hat die Klage insoweit abgewiesen. Auf die Berufung beider Parteien hat das Oberlandesgericht der Klägerin u.a. die 660 DM als Teilbetrag aus der Schlußrechnung vom Februar 1990 zugesprochen und insoweit die Revision zugelassen. Mit ihrer Revision beantragen die Beklagten, die Klage in Höhe dieses Betrages abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg; sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht führt aus, die Pauschalhonorarvereinbarung der Parteien sei nichtig. Die in der HOAI festgesetzten Mindestsätze dürften nur durch schriftliche Vereinbarung und nur in Ausnahmefällen unterschritten werden. Das vereinbarte Pauschalhonorar liege wesentlich unter den Mindestsätzen, ohne daß ein Ausnahmefall gegeben sei.

Die Klägerin sei an ihre das Pauschalhonorar betreffende Rechnung vom 12. Juni 1989 nicht gebunden und könne folglich den hier streitigen Teilbetrag aus ihrer Schlußrechnung vom Februar 1990 geltend machen. Die Bindung des Architekten an seine Schlußrechnung gelte nicht uneingeschränkt; sie erstrecke sich nur auf solche Umstände, die der Architekt bei der Erstellung seiner Honorarberechnung positiv kenne und die für sie maßgebend seien. Die Klägerin habe bei Vertragsschluß unwidersprochen keine Kenntnis davon gehabt, daß das vereinbarte Pauschalhonorar die Mindestsätze unterschritt.

Ein Vertrauensschutz zugunsten der Beklagten greife nicht ein, da die Klägerin lediglich durch einseitige Erklärung auf einen Teil der ihr zustehenden Vergütung, deren Mindesthöhe gesetzlich bestimmt sei, verzichtet habe.

II. Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

1. Zutreffend geht das Berufungsgericht zunächst davon aus, daß die Pauschalhonorarvereinbarung der Parteien nichtig ist und daher die Mindestsätze als vereinbart gelten.

a) Nach § 4 Abs. 4 HOAI gelten die jeweiligen Mindestsätze als vereinbart, sofern nicht bei Auftragserteilung etwas anderes schriftlich vereinbart worden ist. Damit erfaßt diese Bestimmung alle Fälle, in denen die Beteiligten nicht schon bei Vertragsschluß schriftlich eine nach § 4 Abs. 1-3 HOAI zulässige Honorarvereinbarung getroffen haben (Senat, Urteile vom 9. Juli 1987 - VII ZR 282/86 = WM 1987, 1257, 1258 = BauR 1987, 706, 707 = ZfBR 1987, 284, 285 = NJW-RR 1987, 1374; vom 25. September 1986 - VII ZR 324/85 = WM 1986, 1526 = BauR 1987, 112 = ZfBR 1986, 283 = NJW-RR 1987, 13 und vom 6. Mai 1985 - VII ZR 320/84 = WM 1985, 1002, 1003 = BauR 1985, 582, 583 = ZfBR 1985, 222, 227 = NJW-RR 1986, 18).

b) Die Vereinbarung der Parteien über das Pauschalhonorar ist schon mangels Beachtung der erforderlichen Schriftform bei Auftragserteilung unwirksam.

c) Mithin gelten gemäß § 4 Abs. 4 HOAI die Mindestsätze der Honorarzone III als vereinbart. Ob dieses Ergebnis bei einem arglistigen Verhalten eines Auftragnehmers nach § 242 BGB korrigiert werden kann (bejahend: OLG Hamm NJW-RR 1990, 522; OLG Stuttgart BauR 1981, 404; einschränkend: Locher/Koeble/Frik, HOAI 6. Aufl. § 4 Rdn. 10; a.A. Werner, Festschrift für Locher S. 289, 295 ff), braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts war der Geschäftsführerin der Klägerin bei Auftragserteilung ein Unterschreiten der Mindestsätze nicht bewußt. Desgleichen kann offenbleiben, ob einem Auftraggeber wegen unterlassener Aufklärung ein Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluß zustehen kann (bejahend: OLG Oldenburg BauR 1984, 541, 542; Weyer, Festschrift für Korbion S. 481, 491; Konrad BauR 1989, 653, 660 f; einschränkend: Locher/Koeble/Frik aaO. § 4 Rdn. 10 und Hesse/Korbion/Mantscheff/Vygen, HOAI 3. Aufl. § 4 Rdn. 95). Denn ein Schaden der Beklagten ist nicht gegeben. Es ist nicht ersichtlich, daß die Beklagten die Leistungen der Klägerin zum vereinbarten Preis von einem anderen Architekten ohne Verstoß gegen § 4 Abs. 2 HOAI hätten erhalten können.

2. Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht ausgeführt, die Klägerin sei durch die am 12. Juni 1989 erteilte Schlußrechnung nicht ohne weiteres gehindert, ihr Honorar neu zu berechnen.

a) Nach den vom Senat bisher entwickelten Grundsätzen ist ein Architekt nach Treu und Glauben an seine Schlußrechnung, die er in Kenntnis der für die Honorarberechnung maßgeblichen Umstände erteilt hat, grundsätzlich gebunden (st.Rspr.; zuletzt Urteil vom 1. März 1990 - VII ZR 132/89 = WM 1990, 1424 = BauR 1990, 382 = ZfBR 1990, 189 = NJW-RR 1990, 725 m.w.N.). Diese Bindungswirkung hat der Senat auch dann bejaht, wenn die Schlußrechnung aufgrund einer unwirksamen Honorarvereinbarung erstellt war (Urteile vom 1. März 1990 - VII ZR 132/89 aaO. und vom 6. Mai 1985 - VII ZR 320/84 = WM 1985, 1002, 1003 = BauR 1985, 582, 583 = ZfBR 1985, 222, 227 = NJW-RR 1986, 18). Dem sind die Instanzgerichte und ein Teil des Schrifttums gefolgt (vgl. z.B. OLG Köln BauR 1992, 108, 109; OLG Düsseldorf BauR 1982, 597, 600; Locher/Koeble/Frik aaO. § 4 Rdn. 10).

b) Die Rechtsprechung des Senats zur Bindung des Architekten an seine Schlußrechnung ist im Schrifttum in zunehmendem Maße auf Kritik gestoßen. Der Senat hat sich mit den Argumenten in dem gleichzeitig verkündeten Urteil VII ZR 52/91 (zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen) im einzelnen auseinandergesetzt. Danach hält er an seiner bisherigen Rechtsprechung zur Bindung des Architekten an die Schlußrechnung nur mit Einschränkungen fest. Der Senat hat seine Rechtsprechung dahin konkretisiert, daß eine Nachforderung des Architekten nach erteilter Schlußrechnung im Einzelfall gegen Treu und Glauben verstoßen kann. Sofern in der Änderung der Schlußrechnung eine unzulässige Rechtsausübung im Sinne von § 242 BGB liegt, ist der Architekt an seine Schlußrechnung gebunden. Das ergibt sich allerdings noch nicht aus der Schlußrechnung allein, setzt vielmehr eine umfassende Abwägung der beiderseitigen Interessen voraus.

c) Nach diesen Grundsätzen war die Klägerin allein aufgrund ihrer am 12. Juni 1989 erteilten Schlußrechnung nicht ohne weiteres gehindert, ihren Honoraranspruch nach § 4 Abs. 4 HOAI auf der Grundlage der Mindestsätze der Honorarzone III neu zu berechnen.

3. Die von der Revision nicht angegriffenen Erwägungen des Berufungsgerichts, die Beklagten könnten Vertrauensschutz nicht geltend machen, sind indessen rechtsfehlerhaft. Vielmehr kann nach den oben dargelegten Grundsätzen nicht von vornherein ausgeschlossen werden, daß in der Neuberechnung der Klägerin vom Februar 1990 eine unzulässige Rechtsausübung nach § 242 BGB liegt.

a) Die Gründe, aus denen das Berufungsgericht ein schützenswertes Vertrauen der Beklagten aufgrund der Schlußrechnung vom 12. Juni 1989 verneint, tragen diesen Schluß nicht. Im Ansatz zutreffend legt es dem einseitig gebliebenen Verzicht einer Partei auf einen Teil des Honorars unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 4. Dezember 1986 - III ZR 51/85 = NJW 1987, 3203 keine rechtsgeschäftliche Bedeutung bei. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Senats, wonach in Ermangelung besonderer Anhaltspunkte in der erteilten Schlußrechnung kein Verzicht des Architekten auf eine höhere Vergütung liegt (Urteil vom 7. März 1974 - VII ZR 35/73 = BGHZ 62, 208, 211). Allerdings entnimmt das Berufungsgericht zu Unrecht der Entscheidung des III. Zivilsenats - Urteil vom 4. Dezember 1986 - III ZR 51/85 aaO. -, die nachträgliche Erhöhung einer unterhalb der gesetzlichen Gebühren liegenden Rechnung eines Rechtsanwalts stelle grundsätzlich keine unzulässige Rechtsausübung dar. Der III. Zivilsenat führt dort lediglich aus, der Rechtsanwalt habe mit dem späteren Honorarverlangen nicht gegen Treu und Glauben verstoßen, weil die erste Rechnung für den Fall von Einwendungen des Mandanten einen entsprechenden Vorbehalt enthalten habe. So liegt der Fall hier nicht. Die Rechnung vom 12. Juni 1989 enthält keinen vergleichbaren Vorbehalt.

b) Eine etwaige Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Beklagten entfällt nicht schon aus der Erwägung, die Schlußrechnung beruhe auf einer unwirksamen Honorarvereinbarung. Der Architekt ist nämlich nicht gehindert, seiner Schlußrechnung ein die Mindestsätze im Sinne von § 4 Abs. 4 HOAI unterschreitendes Honorar zugrunde zu legen (Senatsurteil vom 6. Mai 1985 - VII ZR 320/84 = WM 1985, 1002, 1003 = BauR 1985, 582, 584 = ZfBR 1985, 222, 227 = NJW-RR 1986, 18; vgl. auch für einen nach Beendigung der Architektentätigkeit geschlossenen Vergleich: Senatsurteil vom 25. September 1986 - VII ZR 324/85 = WM 1986, 1526 = BauR 1987, 112 = ZfBR 1986, 283 = NJW-RR 1987, 13).

c) Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 5. November 1992 - VII ZR 52/91 - ausgeführt, die Annahme, der Architekt verstoße durch die Neuberechnung seines Honorars gegen Treu und Glauben, setze eine umfassende Abwägung der beiderseitigen Interessen voraus. Von seinem Standpunkt aus folgerichtig hat das Berufungsgericht hierzu keine Feststellungen getroffen. Dies wird es nachzuholen haben.

III. Nach alledem ist das angefochtene Urteil aufzuheben. Der Senat kann die Sache nicht selbst entscheiden. Sie ist daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, das - gegebenenfalls nach ergänzendem Vortrag der Parteien - darüber zu befinden haben wird, ob nach Abwägung der beiderseitigen Interessen in der Schlußrechnung vom Februar 1990 eine unzulässige Rechtsausübung der Klägerin nach § 242 BGB zu sehen ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 538004

NJW 1993, 661

BGHR BGB § 242 Rechtsausübung, unzulässige 26

BauR 1993, 239

DRsp I(138)649d

WM 1993, 757

MDR 1993, 238

ZfBR 1993, 68

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