Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit einmaliger Mietzinsvorauszahlung bei nicht nach periodischen Zeitabschnitten bemessener Höhe des Mietzinses
Leitsatz (redaktionell)
Eine gemäß dem Mietvertrag geleistete Vorauszahlung des Mietzinses in einem Einmalbetrag ist dem Erwerber des Mietobjekts gegenüber wirksam, wenn die Höhe des Mietzinses nicht nach wiederkehrenden Zeitabschnitten (etwa Monaten) bemessen ist (Fortführung BGH, 1962-07-11, VIII ZR 98/61, BGHZ 37, 346).
Normenkette
BGB §§ 571, 574
Verfahrensgang
KG Berlin (Urteil vom 19.12.1996; Aktenzeichen 8 U 4978/95) |
LG Berlin (Entscheidung vom 26.06.1995; Aktenzeichen 12 O 100/95) |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 19. Dezember 1996 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Kläger verlangen Nutzungsentschädigung von der in ihrer Eigentumswohnung wohnenden Beklagten.
Mit schriftlichem Vertrag vom 8. März 1985 verpflichtete sich der Rechtsvorgänger der Kläger, W. S., gegenüber der Beklagten, eine näher bezeichnete Eigentumswohnung in der D. straße in B. zu erwerben, um der Beklagten für diese Wohnung ein „… lebenslängliches, … alleiniges …” Wohnungsrecht einzuräumen.
§ 4 der Vereinbarung lautet:
„Der monatliche Mietzins in Höhe von DM 2.800 ist ab Mai 1985, jeweils bis zum 3. d.M. fällig.”
Am 21. März 1985 schlossen W. S. und die Beklagte wegen der vorgenannten Wohnung einen notariell beurkundeten Vertrag, der u. a. bestimmt:
„§ 2
Herr S. räumt Frau K. an der in § 1 bezeichneten Eigentumswohnung nebst Kellerraum ein lebenslängliches, unentgeltliches, in der Ausübung nicht übertragbares, alleiniges, schuldrechtliches Wohnungsrecht ein …
Das Wohngeld einschließlich der zu zahlenden Instandsetzungsrücklage, einschließlich der Kosten der Heizung und Warmwasserbereitung trägt bis zum 31. Dezember 1992 Herr S..
…
Am 1. Januar 1993 hat Frau K. das Wohngeld einschließlich zu zahlender Instandsetzungsrücklagen und die Heizkosten zu bezahlen. …
§ 3
Frau K. zahlt als Entgelt für das in § 2 näher bezeichnete Wohnungsrecht an Herrn S. einen Betrag in Höhe von 250.000 DM (…).
Die Zahlung des Entgelts ist bei Beurkundung des Vertrages zur Zahlung fällig. …”.
Die Beklagte zahlte 250.000 DM und bezog die Wohnung. Bei der Zwangsversteigerung der Wohnung erhielten die Kläger im Januar 1994 den Zuschlag. Noch im selben Monat teilten sie dies der Beklagten mit.
Die Beklagte zahlt monatlich das in § 2 des notariellen Vertrages bezeichnete Wohngeld an die Kläger, weigert sich aber, darüberhinaus ein Entgelt zu entrichten.
Die Kläger sind der Ansicht, die Beklagte schulde wegen ungerechtfertigter Bereicherung für das von ihnen lediglich geduldete Wohnen Nutzungsersatz in Höhe der ortsüblichen Miete, und zwar 2.130 DM monatlich seit Februar 1994 nebst Zinsen. Ein Recht zum Besitz stehe der Beklagten nicht zu. Das mit W. S. vereinbarte schuldrechtliche Wohnungsrecht der Beklagten sei ihnen gegenüber unwirksam. Sollte ein Mietverhältnis zwischen den Parteien bestehen, habe die Beklagte die ortsübliche Miete zu entrichten. Denn auch wenn die an W. S. geleistete Zahlung von 250.000 DM eine Mietvorauszahlung gewesen sei, wirke sie ihnen gegenüber allenfalls für den nach § 574 BGB, § 57 b ZVG bemessenen Zeitraum schuldbefreiend.
In dem Rechtsstreit verlangen die Kläger Nutzungsentgelt für die Zeit von Februar 1994 bis einschließlich August 1994, insgesamt 14.910 DM nebst Zinsen.
Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben; das Kammergericht hat sie in vollem Umfang abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Bei dem notariellen Vertrag vom 21. März 1985 zwischen W. S. und der Beklagten handele es sich, soweit es das der Beklagten eingeräumte „unentgeltliche Wohnrecht” angehe, um einen Mietvertrag. In das Mietverhältnis seien die Kläger durch den Erwerb der Mietwohnung kraft Gesetzes eingetreten. Die von der Beklagten vertragsgemäß an W. S. geleisteten 250.000 DM seien eine Einmalzahlung des – neben dem ab 1. Januar 1993 monatlich zu zahlenden Wohngeld – für die Dauer des Mietverhältnisses insgesamt geschuldeten Mietzinses gewesen. Diese Zahlung müßten die Kläger nach § 571 BGB, § 57 ZVG gegen sich gelten lassen. Die Wirksamkeit dieser Zahlung werde gegenüber den Klägern nicht etwa gemäß § 574 Satz 1 BGB, § 57 b Abs. 1 Satz 1 ZVG auf die Zeit des Kalendermonats begrenzt, in welchem die Beklagte von der Beschlagnahme der Eigentumswohnung erfahren habe. § 574 BGB finde keine Anwendung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei die Vorschrift zwar bei Vorauszahlungen anzuwenden, wenn der Mietzins vertraglich nach periodischen Zeitabständen (z. B. Monaten) bemessen sei. Der von der Beklagten vorausbezahlte Mietzins berechne sich aber nicht nach wiederkehrenden Zeitabschnitten. Deshalb sei für den gegebenen Fall an der Rechtsprechung des Reichsgerichts festzuhalten, wonach der Erwerber eines Mietobjekts die schuldbefreiende Wirkung vertragsgemäßer Vorauszahlungen des Mietzinses nach § 571 BGB hinnehmen müsse.
II. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
1. Zutreffend hat das Kammergericht in der notariellen Vereinbarung vom 21. März 1985 (auch) einen Mietvertrag gesehen.
a) Die von der Revision angegriffene rechtliche Würdigung des Berufungsgerichts steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach ein Mietvertrag anzunehmen ist, wenn sich jemand verpflichtet, den Gebrauch einer Sache gegen Entrichtung eines Entgelts zu gewähren (Senatsurteil vom 4. Mai 1970 – VIII ZR 179/68 = LM BGB § 535 Nr. 45 = MDR 1970, 1004; BGHZ 82, 354, 357; BGHZ 123, 166, 169 f.). Zu Recht hat das Berufungsgericht diese Voraussetzungen bejaht. W. S. verpflichtete sich durch den Vertrag vom 21. März 1985, der Beklagten den Gebrauch der zu erwerbenden Eigentumswohnung (lebenslang) zu gewähren; die Beklagte übernahm es als Gegenleistung, einmalig 250.000 DM zu bezahlen sowie ab 1. Januar 1993 das monatliche Wohngeld einschließlich Instandsetzungsrücklage und Heizkosten zu tragen.
b) Ohne Erfolg verweist die Revision darauf, nach dem Wortlaut des Vertrages sei ein lebenslanges, nicht übertragbares (unentgeltliches), schuldrechtliches Wohnrecht für die Beklagte vereinbart worden, von Miete sei in keiner einzigen Bestimmung die Rede.
Eine Annahme, die Vertragsparteien hätten für die Beklagte ein Dauerwohnrecht nach §§ 31 ff. WEG bestellen wollen, hat das Berufungsgericht rechtsirrtumsfrei mit der Begründung verneint, dieses dingliche Wohnrecht hätte zu seiner Entstehung neben der Einigung der grundbuchrechtlichen Eintragung bedurft, § 873 Abs. 1 BGB. Eine Eintragung ins Grundbuch hätten die Vertragsparteien in ihrer Vereinbarung aber ausdrücklich ausgeschlossen. Die Einräumung eines, wie es im Vertragstext heißt, schuldrechtlichen Wohnrechts stellt sich nicht als Vertrag eigener Art dar. Je nachdem, ob eine entgeltliche oder unentgeltliche Gestaltung vorliegt, ist die Abrede als Leihe oder Miete einzuordnen und nicht, wie die Revision meint, als Schenkung oder Kauf (BGHZ 82, 354, 357). Ein Mietvertrag ist bei einem schuldrechtlichen Wohnrecht gegeben, wenn der Berechtigte hierfür ein Entgelt entrichtet. In einem solchen Fall handelt es sich um eine Gebrauchsüberlassung gegen Entgelt (s.o. unter a)).
Von der Vereinbarung eines Entgelts ist hier auszugehen, obwohl in § 2 des Vertrages das einzuräumende „schuldrechtliche Wohnungsrecht” als unentgeltlich bezeichnet wird. Denn in eben diesem Vertrag hatte sich die Beklagte verpflichtet, für die Einräumung des Wohnungsrechts einen einmaligen Betrag von 250.000 DM zu bezahlen. Die Feststellung des Kammergerichts, die Vertragsparteien hätten ungeachtet des Wortlauts in § 2 des Vertrages die Zahlung des Entgelts gewollt, kann daher nicht beanstandet werden.
c) Gegen diese rechtliche Würdigung spricht nicht der Umstand, daß im Streitfall der Mietzins nicht wiederkehrend für bestimmte Zeitabschnitte (etwa Monate) zu entrichten ist, sondern – abgesehen von dem ab Januar 1993 monatlich fälligen Wohngeld – in der einmaligen Zahlung von 250.000 DM besteht. Das bürgerliche Recht läßt Absprachen über die Entrichtung des Mietzinses zu. Die Regelung in § 551 BGB, wonach der Mietzins grundsätzlich am Ende der Mietzeit bzw. nach dem Ablauf einzelner Zeitabschnitte zu entrichten ist, enthält lediglich das gesetzliche Leitbild; die Vorschriften sind abdingbar (Sternel, Mietrecht, 3. Aufl., Rn. III 113; Palandt/Putzo BGB, 56. Aufl., § 551 Rn. 1). Nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit können die Beteiligten deshalb nicht nur die Vorauszahlung des Mietzinses vereinbaren, sondern auch dessen Entrichtung in einem einmaligen Betrag. Zu Recht hat deshalb das Reichsgericht z. B. einen Mietvertrag bejaht, wenn nach Verkauf eines Grundstücks der Verkäufer gegen eine Ermäßigung des Kaufpreises wohnen bleibt (RG WarnRspr. 1927 Nr. 52, Seite 77 f.). Auch in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird die Zahlung eines Einmalbetrages als Mietzins anerkannt (BGHZ 117, 236, 238; 123, 166, 170; Senatsurteil vom 1. Februar 1989 – VIII ZR 126/88 = NJW-RR 1989, 589 unter II 1 b; BGH, Urteil vom 20. Februar 1992 – III ZR 193/90 = NJW-RR 1992, 780 unter II 3 a; die Entscheidung des V. Zivilsenats vom 26. März 1976 – V ZR 152/74 = NJW 1976, 2264 f., auf die sich die Revision beruft, betraf die Bestellung eines dinglichen Wohnrechts). Dies gilt auch für das Schrifttum (v. Brunn in Bub/Treier, Kap. III Rn. 9; Sternel aaO, Rn. III 13; Staudinger/Emmerich, BGB, 13. Bearb., §§ 535, 536 Rn. 157; MünchKommBGB/Voelskow, 3. Aufl., §§ 535, 536 Rn. 81; Palandt/Putzo aaO § 535 Rn. 29).
2. Die Kläger sind – wie das Kammergericht zutreffend annimmt – als Ersteher der Eigentumswohnung gemäß §§ 57 ZVG, 571 Abs. 1 BGB in das Vertragsverhältnis mit der Beklagten anstelle des Voreigentümers S. eingetreten.
a) Damit haben die Kläger die bestehenden Rechte und Pflichten des bisherigen Vermieters erworben. Der Anspruch auf Zahlung eines Mietzinses konnte, abgesehen vom Anspruch auf Wohngeld, nicht nach § 571 Abs. 1 BGB auf die Kläger übergehen; der Anspruch war bereits aufgrund der im voraus entrichteten Einmalzahlung vor Eigentumsübergang erloschen. Entscheidend kommt es deshalb darauf an, ob §§ 574 Satz 1 BGB, 57 b Abs. 1 ZVG eingreifen, die die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften zwischen den Mietvertragsparteien – einschließlich einer Erfüllung der Mietzinsforderung – zugunsten des Erwerbers zeitlich begrenzen. Sind diese Vorschriften heranzuziehen, so wirkt die Vorausentrichtung des Mietzinses gegenüber den Klägern schuldbefreiend nur, soweit sich die Vorauszahlung nicht auf eine spätere Zeit erstreckt als den Kalendermonat, in dem die Beklagte von der Beschlagnahme zum Zwecke der Zwangsversteigerung erfuhr. Den Klägern stünde dann Mietzins für den nachfolgenden Zeitraum zu.
b) Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, daß das Kammergericht § 574 Satz 1 BGB, § 57 b Abs. 1 ZVG nicht angewandt hat. Der Senat ist mit der Vorinstanz darin einig, daß eine Zahlung des Mietzinses in einem Einmalbetrag, ohne daß seine Bemessung nach periodischen Zeitabschnitten erfolgt ist, dann nicht der Regelung des § 574 Satz 1 BGB unterfällt, wenn die Einmalzahlung im Mietvertrag vereinbart wurde.
aa) Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts genoß der Erwerber grundsätzlich keinen Schutz gegenüber Vorauszahlungen des Mietzinses, die dem Mietvertrag entsprechend geleistet wurden (grundlegend RGZ 94, 279, 281 f.; nachfolgend RGZ 127, 116, 117; 144, 194, 196 f.; Seuff Arch. 79, 41 ff. Nr. 23).
bb) Der Senat ist der Auffassung des Reichsgerichts nicht in vollem Umfang gefolgt. Er hat in seiner Entscheidung vom 11. Juli 1962 (BGHZ 37, 346, 351 f.) die Anwendung des § 574 BGB dann für geboten gehalten, wenn der (vorausgezahlte) Mietzins für die Dauer des Mietverhältnisses oder doch jedenfalls für die Zeit nach dem Eigentumsübergang, nach periodischen Zeitabständen (etwa Monaten) bemessen ist. In einem solchen Fall hat der Senat in der Vereinbarung der Vorauszahlung ein Rechtsgeschäft gemäß § 574 BGB gesehen. Er hat dies aus Sinn und Zweck der §§ 571, 573, 574 BGB gefolgert. Sei das Mietverhältnis so gestaltet, daß der Mietzins nach periodischen, auch noch nach dem Eigentumsübergang laufenden Zeitabschnitten bemessen sei, gehöre zu den in § 571 BGB aufgeführten Rechten, in die der Erwerber eintrete, auch das Recht auf Mietzins für die Dauer des erworbenen Eigentums. Dieses Recht könne durch vorherige Vereinbarungen zwischen dem früheren Vermieter und dem Mieter nur in den in §§ 573, 574 BGB gezogenen engen Grenzen eingeschränkt werden. Ohne Bedeutung sei es deshalb, wann die Mietvertragsparteien den Mietzins bei ihrer Vereinbarung über die Vorauszahlung fällig gestellt hätten. Anderenfalls könnte die Bestimmung des § 574 BGB durch entsprechende Abreden zum Nachteil des Erwerbers umgangen werden.
Diese Rechtsauffassung hat der Senat beibehalten und bei periodischer Bemessung des Mietzinses nur dann § 574 BGB für unanwendbar gehalten, wenn die Mietvorauszahlung zum Auf- oder Ausbau des Mietgrundstücks bestimmt war und auch bestimmungsgemäß eingesetzt wurde (Senatsurteil vom 30. November 1966 – VIII ZR 145/65 = NJW 1967, 555 unter 2 m.w.Nachw.).
c) Im Streitfall war die Vorauszahlung zwar nicht zum Auf- oder Ausbau des Mietgrundstücks bestimmt. Dennoch müssen die Kläger die Leistung der Beklagten in vollem Umfang gegen sich gelten lassen. Wie das Kammergericht in rechtsfehlerfreier tatrichterlicher Auslegung des Mietvertrages vom 21. März 1985 festgestellt hat, handelte es sich bei der Gegenleistung der Beklagten für die Überlassung der Wohnung um die Zahlung eines Einmalbetrages, den die Vertragspartner nicht auf der Grundlage periodischer Zeitabstände bemessen wollten. Die gegenteilige Auffassung der Revision geht fehl.
aa) Aus dem Wortlaut des notariellen Vertrages vom 21. März 1985 ergibt sich kein Anhalt für eine periodische Bemessung des Mietzinses. Die Gegenüberstellung der beiderseitigen Leistungen ergibt nichts anderes: Die Beklagte hatte einen Einmalbetrag für die gesamte Mietdauer zu zahlen; der frühere Vermieter verpflichtete sich demgegenüber, der damals 73-jährigen Beklagten bis zu ihrem Ableben, und damit auf unbestimmte Zeit, den Gebrauch der Mietsache zu überlassen. Hiernach bleibt offen, auf wieviele Monate die Gegenleistung von 250.000 DM zu verteilen ist; erst rückblickend kann mithin beurteilt werden, welcher Anteil rechnerisch auf einen Monat entfällt.
bb) Gegen diese aus Rechtsgründen nicht zu beanstandende Auslegung des Kammergerichts erhebt die Revision keine Einwände. Sie ist aber der Ansicht, der notarielle Vertrag enthalte hinsichtlich der Frage, welcher Betrag auf einen Monat Mietzeit entfallen würde, eine „planwidrige Lücke”, die im Wege ergänzender Vertragsauslegung durch einen Rückgriff auf den Vorvertrag vom 8. März 1985 – dort war eine Monatsmiete von 2.800 DM vereinbart worden – geschlossen werden müsse. Dabei verkennt die Revision, daß sie sich mit ihrer Auffassung im Widerspruch zu der Auslegung des Vertrages durch das Berufungsgericht befindet. Das Kammergericht hat dargelegt, die Beteiligten hätten den privatschriftlichen Vertrag vom 8. März 1985 aufgehoben, um den Interessen vor allem der Beklagten gerecht zu werden, und sie hätten in Abkehr von der dortigen Regelung in der Vereinbarung vom 21. März 1985 bewußt von einer periodischen Bemessung Abstand genommen. Damit hat das Berufungsgericht das Vorhandensein einer Lücke und eines hypothetischen Willens der Vertragspartner ausgeschlossen, die in dem ursprünglichen Vertrag vorgesehene monatliche Bemessung auch dem neuen Vertrag zugrunde zu legen.
Die Auslegung von Verträgen ist Aufgabe des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann lediglich nachprüfen, ob gesetzliche Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt wurden oder wesentlicher Auslegungsstoff außer acht gelassen wurde (vgl. BGH, Urteil vom 14. Oktober 1994 – V ZR 196/93 = NJW 1995, 45 unter II 2 m.w.Nachw.). Einen Fehler bei der Auslegung zeigt die Revision nicht auf; ein solcher ist auch nicht ersichtlich. Im Streitfall kann es durchaus im Interesse beider Beteiligter gewesen sein, der Mieterin auf Lebenszeit und damit für unbestimmte Zeit den Gebrauch der Wohnung zu überlassen. Für die Mieterin sollte die gewählte Konstruktion abschließende Klarheit darüber bringen, welchen finanziellen Aufwand sie für das Wohnen in der Zukunft noch zu leisten hat. Auch aus der Sicht des Vermieters war die Vereinbarung angesichts der Höhe des vereinbarten Betrages und des vorangeschrittenen Lebensalters der Mieterin wirtschaftlich nicht unvernünftig. Die Annahme des Kammergerichts, die Beteiligten hätten mit dem Vertrag eine abschließende und lückenlose Vereinbarung treffen wollen, durch welche die vorangegangene Einigung vom 8. März 1985 ersetzt werden sollte, erweist sich somit revisionsrechlich als nicht angreifbar.
d) Der Senat hält für Fallgestaltungen, in welchen durch Einmalzahlung gemäß Mietvertrag der nicht nach periodischen Zeitabschnitten bemessene Mietzins vorausgezahlt wurde, an der oben unter II 2 b) aa) zitierten Rechtsprechung des Reichsgerichts fest, wonach § 574 BGB nicht angewendet werden kann.
aa) Diese Rechtsprechung steht im Einklang mit dem Sinn des § 571 BGB und der gesetzlichen Systematik. Nach dieser Vorschrift tritt der Erwerber in den zwischen bisherigem Vermieter und Mieter geschlossenen Mietvertrag ein, und zwar mit den Rechten und Pflichten, die dem bisherigen Vermieter zustanden bzw. ihn trafen. Von dieser grundsätzlichen Regelung werden in §§ 573, 574 BGB Ausnahmen getroffen, die allerdings nur greifen, wenn deren Voraussetzungen eindeutig erfüllt sind. Die vorliegend nur in Betracht kommende Vorschrift des § 574 BGB ist erkennbar nur für Verträge geschaffen, in denen der Mietzins nach wiederkehrenden Zeitabschnitten bemessen wurde. Zudem könnte nicht ohne weiteres bestimmt werden, welcher Teil der Vorauszahlung des gesamten Mietzinses auf die „spätere Zeit” im Sinne des § 574 Satz 1 BGB entfiele.
bb) Die Auffassung des Senats, die vom Schrifttum geteilt wird (Wolf/Eckert, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, 7. Aufl., Rn. 1413; Sternel aaO Rn. III 160; Scheuer in: Bub/Treier, aaO, Kap. III Rn. 719; Emmerich/Sonnenschein, Miete, 6. Aufl., §§ 573, 574 Rn. 6; MünchKommBGB/Voelskow aaO § 574 Rn. 2 i.V.m. § 573 Rn. 5; Erman/P. Jendrek, BGB, 9. Aufl., § 574 Rn. 2, i.V.m. § 573 Rn. 2; Derleder in: AK BGB §§ 573-575 Rn. 2; Jauernig/Teichmann, BGB, 7. Aufl., §§ 573, 574, Bem. 3; wohl auch Palandt/Putzo aaO § 574 Rn. 2), wird durch die nicht vollständig auszuräumende Gefahr, die Rechtsfolge des § 574 BGB mit gezielten Abreden zwischen Vermieter und Mieter zum Nachteil des Erwerbers zu unterlaufen, nicht in Frage gestellt. Die Mißbrauchsfälle werden sich schon deshalb in engen Grenzen halten, weil der Senat – in dieser Hinsicht ebenso wie das Reichsgericht (vgl. die Rechtsprechungsnachweise unter II 2 b) aa)) – die Unanwendbarkeit des § 574 BGB auf Fälle beschränkt, in denen die Vorauszahlung bereits im ursprünglichen Mietvertrag vereinbart wurde. Auch wird der Mietzins bei einer Vorauszahlung nur in seltenen Fällen nicht nach wiederkehrenden Zeitabschnitten bemessen sein, weil sonst die wirtschaftlichen Folgen der Vereinbarung nur schwer zu überschauen sind. Zudem hat es der Erwerber regelmäßig in der Hand, sich vor Überraschungen zu schützen. Seine Interessen berücksichtigend, hat der Gesetzgeber für längerfristige Mietverträge die schriftliche Form in § 566 BGB vorgeschrieben. Somit kann der Erwerber vor einem Grundstückskauf vom Verkäufer Einblick in einen vorhandenen Mietvertrag verlangen und sich dadurch vergewissern, welche Rechte bzw. Pflichten er nach § 571 BGB erwerben würde. Nicht anders verhält es sich beim Eigentumsübergang im Rahmen einer Zwangsvollstreckung. Die Akten des Vollstreckungsverfahrens, in die nach § 42 ZVG Interessierte Einsicht nehmen können, werden regelmäßig einen Hinweis auf ein bestehendes Mietverhältnis enthalten.
Unterschriften
Dr. Deppert, Dr. Beyer, Dr. Leimert, Wiechers, Dr. Wolst
Fundstellen
Haufe-Index 538056 |
BGHZ, 106 |
DB 1998, 1611 |
NJW 1998, 595 |
NJW-RR 1998, 1159 |
JR 1998, 324 |
NZM 1998, 105 |
WM 1998, 604 |
ZAP 1998, 59 |
ZMR 1998, 141 |
DNotZ 1998, 802 |
MDR 1998, 209 |
WuM 1998, 104 |
IPuR 1998, 57 |