Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerbsausfallschaden
Leitsatz (amtlich)
- Verletztengeld nach §§ 560, 561 RVO umfaßt auch die vom Träger der gesetzlichen Unfallversicherung an den Rentenversicherungsträger nach §§ 1385b Abs. 1, 1397 RVO (heute: § 28g SGB IV) für den Verletzten an die Rentenversicherung abzuführenden Versicherungsbeiträge. Auch insoweit besteht sachliche Kongruenz zwischen dem Anspruch auf Verletztengeld und dem Anspruch auf Ersatz des Erwerbsausfallschadens.
- Der Schädiger hat dem Verletzten auch die unfallbedingte Belastung mit dem Versichertenbeitrag zur Rentenversicherung nach § 1385b Abs. 1 RVO als Folgeschaden zu ersetzen.
- Der Anspruchsübergang nach § 116 Abs. 1 SGB X auf den Unfallversicherungsträger wegen Zahlung des Verletztengeldes wird vom Anspruchsübergang nach § 119 SGB X auf den Rentenversicherungsträger wegen des Beitragsschadens nicht berührt.
- Der Rückerstattungsanspruch nach § 1385b Abs. 3 RVO wegen aus dem Verletztengeld abgeführter Versicherungsbeiträge steht dem Versicherten, nicht dem Unfallversicherungsträger zu.
Normenkette
BGB §§ 842-843; RVO §§ 560-561, 1385b, 1397; SGB IV § 28g; SGB X § 116 Abs. 1, § 119; StVG § 11
Tatbestand
O. ist bei einem Verkehrsunfall, der für ihn ein Arbeitsunfall war und für den die beklagte Haftpflichtversicherung einstehen muß, verletzt worden.
O. stand gegenüber der klagenden Berufsgenossenschaft (im folgenden: UVT) für die Zeit vom 7. März 1985 bis 25. August 1985 Verletztengeld gemäß §§ 560, 561 RVO in Höhe von 14 278,30 DM zu. 12 925,95 DM zahlte die Klägerin an O. aus, 1 352,35 DM entrichtete sie für O. als Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung gemäß §§ 1385 b Abs. 1, 1397 Abs. 1 Satz 1 RVO in der damals geltenden Fassung (heute: § 1385 b Abs. 1 RVO i. V. m. § 28 g SGB IV). Streitig zwischen den Parteien ist allein, ob die Klägerin auch wegen der von ihr an die gesetzliche Rentenversicherung abgeführten 1 352,35 DM bei der Beklagten Rückgriff in den Anspruch des O. auf Ersatz seines Verdienstausfalls nehmen kann. Die Klägerin ist der Ansicht, daß der auf sie gemäß § 116 Abs. 1 SGB X übergegangene Anspruch auch insoweit die von ihr erbrachte Leistung erfaßt.
Das Landgericht hat der auf Zahlung von 1 352,35 DM gerichteten Klage stattgegeben. Die Sprungrevision der Beklagten hatte keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe
I.
Das Landgericht hat einen Rechtsübergang auf die Klägerin gemäß § 116 Abs. 1 SGB X auch wegen der von ihr für O. an die gesetzliche Rentenversicherung gezahlten 1 352,95 DM bejaht. Es hat hierzu im einzelnen ausgeführt: Dieser Betrag sei Teil des Verletztengeldes und mit dem Anspruch des O. auf Ersatz des unfallbedingten Erwerbsausfallschadens sachlich und zeitlich kongruent. Zwar sei dieser Teil des Verletztengeldes nicht durch Barzahlung, sondern über die in §§ 1385 b Abs. 1 S. 3, 1397 Abs. 1 S. 1 RVO vorgeschriebene Abführung als Rentenversicherungsbeitrag an den Rentenversicherungsträger (im folgenden: RVT) erbracht worden. Mit dem ihr deswegen gegen O. zustehenden Erstattungsanspruch habe die Klägerin gegen seinen Anspruch auf Verletztengeld aufgerechnet. Dadurch habe sich jedoch die Rechtsnatur des durch Aufrechnung erfüllten Anspruchs des Versicherten auf Zahlung von Verletztengeld als Leistung der Klägerin nicht geändert.
II.
1.
Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, daß das nach §§ 560, 561 RVO gewährte Verletztengeld wegen seiner Lohnersatzfunktion mit dem Anspruch auf Ersatz des Erwerbsschadens nach §§ 842, 843 BGB, § 11 StVG kongruent ist und deshalb einen Übergang des Ersatzanspruchs auf den UVT nach § 116 Abs. 1 SGB X auslöst (vgl. Senatsurteil vom 4. Dezember 1984 - VI ZR 117/83 = VersR 1985, 356). Der Erwerbsschaden des Versicherten O. übersteigt vorliegend auch unstreitig das von der Klägerin geschuldete Verletztengeld.
2.
Entgegen der Ansicht der Revision entfällt die sachliche Kongruenz nicht insoweit, als der Versichertenbeitrag zur Rentenversicherung nach §§ 1385 b Abs. 1, 1397 Abs. 1 Satz 1 RVO von der Klägerin an den RVT aus dem Verletztengeld im sogenannten Abzugsverfahren zu entrichten ist.
a)
Allerdings entspricht es der in ständiger Rechtsprechung geäußerten Auffassung des Senats, daß die Beiträge, die der UVT als andere Hälfte gemäß § 1385 b Abs. 1 Satz 2 RVO zu der Rentenversicherung der Verletzten als eigenen Trägerbeitrag (aus Eigenmitteln) zu erbringen hat, mit dem Erwerbsausfallschaden des Verletzten nicht kongruent sind. Die Trägerbeiträge des UVT dienen ausschließlich der Finanzierung der Ausfallzeiten, sie verbessern die versicherungsrechtliche Position des Unfallgeschädigten nicht. Sie gleichen deshalb den zu ersetzenden Erwerbsschaden des Verletzten auch nicht wenigstens teilweise aus (vgl. Senatsurteile vom 18. Februar 1986 - VI ZR 55/85 = VersR 1986, 485, 486, vom 15. April 1986 BGHZ 97, 330, 339 = VersR 1986, 592, 594 und vom 17. März 1987 - VI ZR 297/85 = VersR 1987, 598 599).
b)
Auch die Versichertenbeiträge nach § 1385 b Abs. 1 RVO verbessern die versicherungsrechtliche Position des Verletzten nicht; anders als z. B. die Pflichtversicherungsbeiträge nach § 1385 RVO sind sie bloße Finanzierungsleistungen zur Entlastung des RVT. Das berührt indes die Kongruenz des Verletztengeldes, aus dem diese "Beiträge" von der Klägerin für den Versicherten einbehalten und unmittelbar an den RVT abgeführt werden, mit dem Anspruch auf Ersatz des Erwerbsschadens ebensowenig wie das Verletztengeld seine Lohnersatzfunktion durch diese Verwendung verletzt. Nicht etwa wird der Anspruch auf das Verletztengeld durch diese Zweckwidmung zu einem Anspruch des Verletzten gegen den UVT auf Finanzierung seiner Ausfallzeit in der Rentenversicherung umgestaltet. Schon aus dem Gesetz folgt, daß an den RVT nach §§ 1385 b Abs. 1, 1397 Abs. 1 Satz 1 RVO für den Versicherten entrichtete Beiträge aus dem Verletztengeld stammen (vgl. Begründung zum RegE BT-Drucks. 10/335 vom 2. September 1983, S. 59). Nach den gesetzgeberischen Vorstellungen schließt der Anspruch auf das Verletztengeld den Betrag, der als Versichertenbeitrag für den RVT einbehalten wird, ein. Nur hat der Versicherte einen Teil des Verletztengeldes für den Versichertenbeitrag nach § 1385 b Abs. 1 RVO zu verwenden, die technische Durchführung wird zur Ersparnis von Verwaltungsaufwand von dem UVT dem Versicherten abgenommen. Bereits in seinem Urteil vom 31. Januar 1989 - VI ZR 199/88 = VersR 1989, 604 hat der Senat ausgeführt, daß der in § 393 a RVO i. d. F. vor Änderung durch das Gesetz vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477), jetzt § 255 Abs. 1 SGB V, vorgesehene Einbehalt der Versichertenbeiträge zur Krankenversicherung der Rentner eine rein abwicklungstechnische Regelung enthalte und nichts daran ändere, daß die vom Träger der gesetzlichen Unfallversicherung aus der Witwen- und Waisenrente erbrachten Zahlungen auch in Höhe des Versichertenbeitrags an die Hinterbliebenen geleistet werden und die Zahlung dieses Versichertenbeitrags gegenüber dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung als Leistung der Hinterbliebenen anzusehen sei. Gleiches gilt für den Abzug des Versicherungsbeitrags bei Gewährung von Verletztengeld nach §§ 1385 b Abs. 1, 1397 Abs. 1 Satz 1 RVO.
Ob die in § 1397 Abs. 1 RVO enthaltene Regelung über die Einziehung und Abführung des Versichertenbeitrags, wie das Landgericht es gesehen hat, als Aufrechnungsvorgang zu betrachten oder ob der RVT in Höhe des Versichertenbeitrags als gesetzliche Zahlstelle für die Erfüllung des Anspruchs auf Gewährung von Verletztengeld anzusehen ist, kann dabei dahingestellt bleiben. Entscheidend ist, daß der UVT, auch soweit daraus der Versichertenbeitrag nach § 1385 b Abs. 1 RVO zu bezahlen ist, gegenüber dem Versicherten Verletztengeld zu leisten hat, das dadurch seine Lohnersatzfunktion nicht verliert. Damit besteht auch insoweit sachliche Kongruenz zwischen dem Anspruch auf Verletztengeld und dem Anspruch auf Ersatz des Erwerbsausfallschadens. Folglich geht der Erwerbsschadensersatzanspruch gemäß § 116 Abs. 1 SGB X auf den UVT über (vgl. Küppersbusch VersR 1985, 16, 17; derselbe in Wussow/Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschäden 4. Aufl. Rdn. 498 f. i. V. m. Rdn. 164; Hartung VersR 1988, 364, 366; von Einem VersR 1986, 24; a. A. Kreie in Eckelmann/Nehls, Schadensersatz bei Verletzung und Tötung, 1987, S. 212).
Zu Unrecht wendet die Revision ein, im Falle des Erfolges der Klage müsse der Schädiger bzw. sein Haftpflichtversicherer den Versichertenbeitrag des Verletzten doppelt zahlen. Im Streitfall geht es nur um den Ersatzanspruch für den Verdienstausfall des Verletzten und darum, ob dieser in Höhe des an den RVT abzuführenden Teils des Verletztengeldes dem UVT oder dem Verletzten zusteht. Eine zusätzliche Belastung für den Schädiger bzw. die beklagte Haftpflichtversicherung ist damit nicht verbunden. Richtig ist allerdings, daß der Schädiger bzw. sein Haftpflichtversicherer - freilich unabhängig davon, wie die Frage nach der Aktivlegitimation zu beantworten ist - zusätzlich zu dem Erwerbsschaden als weiteren Folgeschaden auch für die unfallbedingte Belastung des Verletzten mit den Versichertenbeiträgen nach § 1385 b Abs. 1 RVO einzustehen hat, wenn und soweit der Schädiger nicht i. S. von § 119 SGB X Pflichtversicherungsbeiträge in der Rentenversicherung zu ersetzen hat und eine Belastung des Verletzten und des UVT mit den Finanzierungsbeiträgen nach § 1385 b Abs. 1 RVO aus diesem Grunde letztlich entfällt (§ 1385 b Abs. 3 RVO). Aktivlegitimiert für den Anspruch auf Ersatz dieses zusätzlichen Schadens ist der Verletzte, aus dessen Vermögen der Versichertenbeitrag nach § 1385 b Abs. 1 RVO gezahlt wird, wenn der UVT für ihn aus dem Verletztengeld diesen Beitrag an den RVT abführt. Insoweit wirkt sich in der Tat der Umstand, daß heute der Bezieher von Verletztengeld zur Rentenversicherung beitragspflichtig ist, zu Lasten des Schädigers bzw. seines Haftpflichtversicherers aus. Eine Doppelbeanspruchung ist damit aber nicht verbunden.
3.
Dem Forderungsübergang nach § 116 Abs. 1 SGB X steht auch nicht § 119 SGB X entgegen.
a)
Ist der Schädiger bzw. sein Haftpflichtversicherer nach dem Haftungsrecht zum Ersatz des Ausfalls von Pflichtversicherungsbeiträgen in der Rentenversicherung des Verletzten während seiner Erwerbsunfähigkeit verpflichtet, dann geht dieser Ersatzanspruch nach § 119 SGB X auf den RVT über. In diesem Fall hat der RVT nach § 1385 b Abs. 3 RVO die Finanzierungsbeiträge nach § 1385 b Abs. 1 RVO, die der Versicherte und der UVT zur Finanzierung der Ausfallzeit in der Rentenversicherung je zur Hälfte aufzubringen haben, zu erstatten. Soweit es um die aus dem Verletztengeld abzuführenden Beitragshälften des Versicherten geht, steht wie gesagt, der Rückerstattungsanspruch nach § 1385 b Abs. 3 RVO diesem und nicht dem UVT zu; denn der Beitrag ist insoweit nicht aus den Mitteln des UVT, sondern aus dem Vermögen des Verletzten gezahlt worden. Da insoweit für den Verletzten eine Belastung mit dem Beitrag nach § 1385 b Abs. 1 RVO letztlich entfällt, schuldet ihm der Schädiger insoweit keinen zusätzlichen Ersatz; insoweit hat er den Verletzten durch Zahlung der Pflichtversicherungsbeiträge an den RVT nach Maßgabe von § 119 SGB X schadlos zu stellen.
Auch in diesem Fall bleibt aber der Anspruchsübergang auf den UVT wegen des Verletztengeldes unberührt. Dieser betrifft, wie gesagt, den Ersatzanspruch wegen des Verdienstausfalls, nicht den nach § 119 SGB X auf den RVT übergehenden Ersatzanspruch wegen des Beitragsschadens, den der Schädiger bzw. sein Haftpflichtversicherer zusätzlich zu dem Erwerbsschaden zu ersetzen hat. Die von der Revision behauptete Konkurrenz zwischen § 116 und § 119 SGB X findet nicht statt.
b)
Vorliegend indes scheidet ein Anspruchsübergang auf den RVT nach § 119 SGB X schon deswegen aus, weil der Geschädigte - wie unstreitig - bereits eine unfallfeste Position besitzt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsurteil vom 30. Juni 1987 - VI ZR 42/86 = VersR 1987, 1049 m. w. Nachw.) entsteht in diesen Fällen ein Anspruch auf Ersatz der ausgefallenen Pflichtversicherungsbeiträge nicht.
Fundstellen
BGHZ, 291 |
BB 1990, 1422 |
NJW 1990, 1045 |