Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch des Geschädigten auf Ersatz der Reparaturkosten, wenn der Geschädigte das Unfallfahrzeug tatsächlich reparieren läßt, es unmittelbar danach jedoch verkauft
Leitsatz (amtlich)
Lässt der Geschädigte das Fahrzeug reparieren, kann er grundsätzlich Ersatz der Reparaturkosten verlangen, wenn diese den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen.
Normenkette
BGB § 249
Verfahrensgang
LG Dresden (Urteil vom 07.03.2006; Aktenzeichen 13 S 532/04) |
AG Dresden (Entscheidung vom 19.08.2004; Aktenzeichen 102 C 4312/04) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 13. Zivilkammer des LG Dresden vom 7.3.2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Der Kläger begehrt Ersatz seines restlichen Sachschadens aus einem Verkehrsunfall vom 16.12.2003, für den die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Unfallgegners in vollem Umfang einzustehen hat.
[2] Mit Gutachten vom 16.12.2003 hat ein Kfz-Sachverständiger für das klägerische Fahrzeug einen Wiederbeschaffungswert von 10.650 EUR und einen Restwert von 3.000 EUR angegeben. Für eine Reparatur prognostizierte er Kosten i.H.v. 8.879,15 EUR brutto mit einer verbleibenden Wertminderung von 500 EUR.
[3] Der Kläger beauftragte am 18.12.2003 eine Fachwerkstatt mit der Durchführung der Reparatur. Am 9.1.2004 holte er das fachgerecht instand gesetzte Fahrzeug ab. Am 12.1.2004 berechnete die Fachwerkstatt ihre Arbeiten mit 9.262,45 EUR brutto. Am 13.1.2004 veräußerte der Kläger das Fahrzeug an den Reparaturbetrieb und kaufte bei diesem einen anderen Wagen. Die Entscheidung für den Erwerb eines Neufahrzeugs hatte er während der Reparatur getroffen.
[4] Der Kläger begehrt von der Beklagten Ersatz der tatsächlich angefallenen Reparaturkosten sowie den merkantilen Minderwert. Die Beklagte hat lediglich den Wiederbeschaffungsaufwand i.H.v. 7.650 EUR ausgeglichen.
[5] Das AG hat die auf den Differenzbetrag i.H.v. 2.112,45 EUR gerichtete Klage abgewiesen; die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
I.
[6] Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der Schadensersatzanspruch des Klägers auf die Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs beschränkt, weil er den beschädigten Pkw nach der Reparatur nicht weiter genutzt hat. Wegen des Wirtschaftlichkeitsgebots und des Bereicherungsverbots könne der Geschädigte zum Ausgleich seines Fahrzeugschadens die Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts ohne Abzug des Restwerts nur verlangen, wenn er das Fahrzeug tatsächlich reparieren lasse und weiterhin benutze. In diesem Fall stelle nämlich der Restwert lediglich einen hypothetischen Rechnungsposten dar, den der Geschädigte nicht realisiere und der sich daher in der Schadensbilanz nicht niederschlagen dürfe.
[7] Im vorliegenden Fall könne der Kläger jedoch seinen Zahlungsanspruch nicht mit einem bestehenden Integritätsinteresse begründen. Insoweit sei zwischen den Parteien streitig, ob es für das Integritätsinteresse allein auf den Willen des Geschädigten bei Erteilung des Reparaturauftrags oder auch auf sein späteres Verhalten ankomme. Nach der Rechtsprechung komme es nicht auf den Nutzungswillen des Geschädigten bei Erteilung des Reparaturauftrags, sondern auf die tatsächliche Nutzung nach der durchgeführten Reparatur an. Da der Kläger das Fahrzeug nach der Reparatur nicht mehr genutzt habe, habe er sein Integritätsinteresse nicht ausreichend dargetan.
II.
[8] Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
[9] 1. Das Berufungsgericht geht im Ansatz zutreffend davon aus, dass nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Senatsurteile BGH, Urt. v. 29.4.2003 - VI ZR 393/02, BGHZ 154, 395, 397 ff. = BGHReport 2003, 792 = MDR 2003, 1048; BGH, Urt. v. 15.2.2005 - VI ZR 70/04, BGHZ 162, 161, 164 f. = BGHReport 2005, 698 = MDR 2005, 748; BGH, Urt. v. 7.6.2005 - VI ZR 192/04, BGHZ 163, 180, 184 = BGHReport 2005, 1305 = MDR 2005, 1223 jeweils m.w.N.) dem Unfallgeschädigten für die Berechnung eines Kfz-Schadens im Allgemeinen zwei Wege der Naturalrestitution zur Verfügung stehen: die Reparatur des Unfallfahrzeugs oder die Anschaffung eines "gleichwertigen" Ersatzfahrzeugs. Verfehlt ist jedoch seine Auffassung, der Kläger könne nicht Ersatz der Reparaturkosten verlangen, weil er das Fahrzeug nach der Reparatur nicht weiter benutzt und deshalb kein Integritätsinteresse zum Ausdruck gebracht habe. Darauf kommt es bei der vorliegenden Fallgestaltung nicht an. Nach der Rechtsprechung des Senats kann der Geschädigte, der das Fahrzeug tatsächlich reparieren lässt, grundsätzlich Ersatz der Reparaturkosten verlangen, wenn diese den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen. Das Vorliegen eines Integritätsinteresses kann insoweit nur dann eine Rolle spielen, wenn es um die Frage geht, ob der Geschädigte unter dem Aspekt des Wirtschaftlichkeitsgebots sein Fahrzeug überhaupt reparieren darf, wenn nämlich die Reparaturkosten diesen Wert übersteigen (sog. 30 % Grenze, vgl. Senatsurteile BGH v. 15.10.1991 - VI ZR 314/90, BGHZ 115, 364, 371 f. = MDR 1992, 131; BGH, Urt. v. 29.4.2003 - VI ZR 393/02, BGHZ 154, 395, 399 f. = BGHReport 2003, 792 = MDR 2003, 1048; BGH, Urt. v. 15.2.2005 - VI ZR 70/04, BGHZ 162, 161, 163 ff. = BGHReport 2005, 698 = MDR 2005, 748; BGH, Urt. v. 15.2.2005 - VI ZR 172/04, BGHZ 162, 170, 172 ff. = BGHReport 2005, 700 m. Anm. Krischer). Das ist hier ersichtlich nicht der Fall.
[10] 2. Verfehlt ist auch der Abzug des Restwerts, mit dem das Berufungsgericht den Anspruch des Geschädigten auf den Wiederbeschaffungsaufwand begrenzen will. Das könnte nur dann richtig sein, wenn der Geschädigte anstelle der Reparatur eine Ersatzbeschaffung gewählt hätte und den Schaden auf der Grundlage fiktiver Reparaturkosten abrechnen würde (vgl. Senatsurteil BGH, Urt. v. 15.2.2005 - VI ZR 172/04, BGHZ 162, 170, 174 = BGHReport 2005, 700 m. Anm. Krischer). Vorliegend hat der Kläger jedoch das Fahrzeug tatsächlich reparieren lassen und kann deshalb Ersatz der hierdurch konkret entstandenen Reparaturkosten verlangen, die den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen. Hat sich also der Geschädigte für eine Reparatur entschieden und diese tatsächlich durchführen lassen, spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob und wann er danach ein anderes Fahrzeug erwirbt. Ein solcher Vorgang stellt sich aus rechtlicher Sicht nicht als "Ersatzbeschaffung" anstelle einer Reparatur dar, die ja im Streitfall bereits tatsächlich erfolgt war. Soweit das Berufungsgericht aus früheren Senatsurteilen etwas anderes ableiten will, übersieht es, dass es sich dabei um Fälle der fiktiven Schadensabrechnung gehandelt hat (vgl. Senatsurteile BGH, Urt. v. 29.4.2003 - VI ZR 393/02, BGHZ 154, 395 ff. = BGHReport 2003, 792 = MDR 2003, 1048; BGH, Urt. v. 15.2.2005 - VI ZR 70/04, BGHZ 162, 161, 162 ff. = BGHReport 2005, 698 = MDR 2005, 748; BGH, Urt. v. 15.2.2005 - VI ZR 172/04, BGHZ 162, 170 ff. = BGHReport 2005, 700 m. Anm. Krischer; v. 23.5.2006 - VI ZR 192/05, BGHReport 2006, 1089 m. Anm. Krischer = VersR 2006, 989 f.).
III.
[11] Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um den Parteien Gelegenheit zu geben, ergänzend zur Schadenshöhe vorzutragen.
Fundstellen
Haufe-Index 1681121 |
BB 2007, 238 |
NJW 2007, 588 |
BGHR 2007, 247 |
EBE/BGH 2007 |
JurBüro 2007, 276 |
DAR 2007, 201 |
MDR 2007, 517 |
NZV 2007, 180 |
VRS 2007, 161 |
VersR 2007, 372 |
ZfS 2007, 328 |
KfZ-SV 2007, 24 |
NJW-Spezial 2007, 112 |
SVR 2007, 145 |
VRA 2007, 58 |
VRR 2007, 64 |
ZGS 2007, 83 |
r+s 2007, 122 |