Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Entscheidung vom 27.04.2022; Aktenzeichen 6 U 281/21) |
LG Karlsruhe (Entscheidung vom 06.09.2021; Aktenzeichen 21 O 44/21) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 27. April 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Rz. 2
Der Kläger kaufte am 12. Februar 2020 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz E 250 Bluetec, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Die Abgasrückführung wird temperaturabhängig gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" außerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs reduziert. Das Fahrzeug verfügt über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) sowie über einen SCR-Katalysator zur Abgasnachbehandlung. Die Beklagte bot ein Service-Update als freiwillige Kundendienstmaßname an, das aufgespielt wurde.
Rz. 3
Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte habe das Fahrzeug mit unzulässigen Abschalteinrichtungen in Gestalt des Thermofensters und der KSR sowie mit illegalen Funktionen in Form einer Prüfstandserkennung anhand der Fahrkurve, einer Manipulation der Abgasnachbehandlung und einer Manipulation des On-Board-Diagnose-Systems (OBD-System) versehen. Er hat in erster Linie die Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz sämtlicher aus der Manipulation des Fahrzeugs herrührender Schäden begehrt. Für den Fall der Unzulässigkeit des Feststellungsantrags hat er hilfsweise die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und ihrer Pflicht zum Ersatz weiterer aus dem Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen im Fahrzeug resultierender Schäden sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangt.
Rz. 4
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 5
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
Rz. 6
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Rz. 7
Der in erster Linie verfolgte Feststellungsantrag sei schon mangels der erforderlichen Bestimmtheit als unzulässig abzuweisen. Auch unter Auslegung der Klagebegründung lasse sich nicht feststellen, dass der Kläger mit der nicht weiter eingegrenzten Angabe "Manipulation" im Antrag den Einbau einer oder bestimmter mehrerer seiner Ansicht nach unzulässiger Abschalteinrichtungen meine. Da er als tatsächliche Grundlage für die geltend gemachten Ansprüche auch die behauptete unsachgemäße Programmierung des OBD-Systems heranziehe, das selbst nicht als Abschalteinrichtung im Rechtssinn in Betracht komme, bleibe unklar, was unter dem Begriff der Manipulation zu verstehen sein solle. Es könne dahinstehen, ob der Hauptantrag auch mangels Feststellungsinteresses unzulässig sei, weil die Schadensersatzforderung ohne Weiteres beziffert werden könne.
Rz. 8
Unabhängig von alledem seien sämtliche Klageanträge unbegründet. Das treffe auch auf den Feststellungsantrag zu, wollte man ihn für hinreichend bestimmt halten und sämtliche vom Kläger angeführten Verhaltensweisen in den Blick nehmen. Ein Anspruch aus § 826 BGB sei nicht zu erkennen, weil der Kläger eine sittenwidrige Handlung der Beklagten nicht dargelegt habe. Dabei könne unterstellt werden, dass das Thermofenster und die KSR unzulässige Abschalteinrichtungen darstellten. Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch lasse sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV herleiten, weil die Vorschriften der EG-FGV nicht den Schutz des Interesses des Klägers bezweckten, keinen ungewollten Vertrag abzuschließen.
II.
Rz. 9
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren in entscheidenden Punkten nicht stand.
Rz. 10
1. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung, der in erster Linie geltend gemachte Feststellungsantrag sei unbestimmt und daher unzulässig, jedenfalls aber mangels des vom Kläger geltend gemachten deliktischen Schadensersatzanspruchs unbegründet, kann der Hauptantrag nicht abgewiesen werden.
Rz. 11
a) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht den Feststellungsantrag für unzulässig gehalten, weil er den Bestimmtheitsanforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht genüge.
Rz. 12
aa) Auch bei einer Feststellungsklage muss der Klageantrag im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bestimmt sein, damit über den Umfang der Rechtskraft des Feststellungsausspruchs keine Ungewissheit herrschen kann. Die erforderliche Bestimmtheit verlangt, dass das festzustellende Rechtsverhältnis genau bezeichnet wird. Dazu genügt es, dass der Kläger die rechtsbegründenden Tatsachen näher angibt. Soweit es sich um Schadensersatzansprüche handelt, ist eine bestimmte Bezeichnung des zum Ersatz verpflichtenden Ereignisses erforderlich. Genügt die wörtliche Fassung eines Antrags nicht dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, ist er unter Heranziehung der Klagebegründung auszulegen (BGH, Urteil vom 6. Juli 2021 - VI ZR 40/20, BGHZ 230, 224 Rn. 28; Urteil vom 5. Oktober 2021 - VI ZR 136/20, NJW-RR 2022, 23 Rn. 12; Urteil vom 18. Dezember 2023 - VIa ZR 1083/22, juris Rn. 9; Beschluss vom 1. August 2022 - VIa ZR 110/21, juris Rn. 16).
Rz. 13
bb) Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend ausgegangen. Es hat allerdings zu Unrecht angenommen, der in den Antrag aufgenommene Begriff der Manipulation könne auch unter Heranziehung der Klagebegründung nicht in einem bestimmten Sinn ausgelegt werden. Das Feststellungsbegehren lässt sich anhand des Klagevorbringens dahin deuten, von der Ersatzpflicht der Beklagten sollten Schäden erfasst sein, die daraus resultierten, dass die Beklagte in das Fahrzeug die vom Kläger angeführten, als unzulässige Abschalteinrichtungen angesehenen technischen Einrichtungen eingebaut und das so ausgestattete Fahrzeug in den Verkehr gebracht habe (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juli 2021 - VI ZR 40/20, BGHZ 230, 224 Rn. 30; Urteil vom 5. Oktober 2021 - VI ZR 136/20, NJW-RR 2022, 23 Rn. 13; Urteil vom 18. Dezember 2023 - VIa ZR 1083/22, juris Rn. 9; Beschluss vom 1. August 2022 - VIa ZR 110/21, juris Rn. 17). Der Klageschrift lässt sich entnehmen, dass der Kläger den Begriff der Manipulation mit demjenigen einer dem Kraftfahrt-Bundesamt bewusst verschwiegenen unzulässigen Abschalteinrichtung gleichgesetzt hat. In diesem Zusammenhang hat er verschiedene in seinem Fahrzeug verbaute technische Einrichtungen angeführt. Damit hat er klargestellt, auf welche Funktionen er die Schadensersatzpflicht der Beklagten stützt. Ob diese Funktionen durchweg als Abschalteinrichtungen im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren sind, berührt die Bestimmtheit des Feststellungsbegehrens des Klägers nicht, sondern betrifft seine Begründetheit.
Rz. 14
b) Ebenfalls zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, der in erster Linie verfolgte Feststellungsantrag sei jedenfalls unbegründet. Da es den Antrag mangels Bestimmtheit als unzulässig abgewiesen hat, durfte es ihn nicht mit einer Hilfsbegründung zugleich als unbegründet abweisen. Die Ausführungen zur fehlenden Begründetheit gelten daher als nicht geschrieben (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2021 - VIII ZR 190/19, BGHZ 232, 94 Rn. 34; Urteil vom 28. April 2023 - V ZR 270/21, NJW-RR 2023, 1166 Rn. 15).
Rz. 15
2. Das Berufungsurteil stellt sich als rechtsfehlerhaft auch insoweit dar, als das Berufungsgericht die Hilfsanträge als unbegründet abgewiesen hat. Mit der von ihm gegebenen Begründung, der Feststellungsantrag sei unbestimmt, kann die Unzulässigkeit des Hauptantrags nicht bejaht werden. Dann aber ist die innerprozessuale Bedingung, unter der das Berufungsgericht über die Hilfsanträge entscheiden durfte, nicht eingetreten (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 2009 - III ZR 241/08, juris Rn. 14; Beschluss vom 4. Februar 2021 - I ZR 79/20, ZUM-RD 2021, 466 Rn. 23; Urteil vom 16. Januar 2024 - VIa ZR 1136/22, juris Rn. 8).
III.
Rz. 16
Das angefochtene Urteil ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil es sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Zulässigkeit des Feststellungsantrags kann nicht abschließend mangels des erforderlichen - in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfenden (vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 2024 - VIa ZR 1382/22, juris Rn. 10 mwN) - Feststellungsinteresses des Klägers (§ 256 Abs. 1 ZPO) verneint werden. Nach seinem Vortrag besteht die Möglichkeit, dass derzeit noch nicht bezifferbare Aufwendungen in Form von Transport-, Stand-, An- und Abmeldekosten anfallen werden, die im Rahmen des vom Kläger gewählten sogenannten "großen" Schadensersatzes nach §§ 826, 31 BGB ersatzfähig sein könnten (vgl. BGH, Urteil vom 5. Oktober 2021 - VI ZR 136/20, NJW-RR 2022, 23 Rn. 33; Urteil vom 21. Dezember 2021 - VI ZR 455/20, NJW 2022, 1093 Rn. 15; Urteil vom 16. Januar 2024 - VIa ZR 1382/22, juris Rn. 10).
IV.
Rz. 17
Mangels tragfähiger Feststellungen des Berufungsgerichts kann der Senat nicht in der Sache selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das angefochtene Urteil ergibt keinen Sachverhalt, der eine verwertbare tatsächliche Grundlage für die Entscheidung über die sachliche Berechtigung des vom Kläger geltend gemachten deliktischen Schadensersatzanspruchs böte und nach dem bei einer Zurückverweisung der Sache nur ein Ergebnis möglich erschiene (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2017 - V ZR 19/16, NJW-RR 2018, 719 Rn. 43).
Rz. 18
Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird das Berufungsgericht erneut zu prüfen haben, ob der Antrag auf Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten begründet ist, weil der Kläger aus §§ 826, 31 BGB einen Anspruch auf großen Schadensersatz wegen des sittenwidrigen Einsatzes einer unzulässigen Abschalteinrichtung in seinem Fahrzeug hat (vgl. dazu BGH, Urteil vom 6. November 2023 - VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 10 bis 12 mwN).
Rz. 19
Der Kläger wird Gelegenheit haben, einen nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu ersetzenden Differenzschaden (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20) darzulegen. Dabei wird er zu beachten haben, dass bei der Wahl des Differenzschadens der bisherige Feststellungsantrag keinen Erfolg haben kann (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2023 - VIa ZR 1083/22, juris Rn. 16; Urteil vom 16. Januar 2024 - VIa ZR 1382/22, juris Rn. 16). Sollte der Kläger einen Leistungsantrag auf Ersatz des Differenzschadens stellen, wird das Berufungsgericht nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer |
|
Möhring |
|
Krüger |
|
Wille |
|
Liepin |
|
Fundstellen
Dokument-Index HI16225114 |