Verfahrensgang
LG Neubrandenburg (Urteil vom 13.03.2002) |
Tenor
I. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten R. und F. wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 13. März 2002, soweit es diese Angeklagten betrifft, mit den Feststellungen – ausgenommen denjenigen zum äußeren Sachverhalt – aufgehoben.
Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
II. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das vorbezeichnete Urteil, soweit es den Angeklagten V. betrifft, und die Revision des Angeklagten V. werden verworfen.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dadurch dem Angeklagten V. entstandenen notwendigen Auslagen. Es wird davon abgesehen, diesem Angeklagten Kosten und Auslagen des Revisionsverfahrens aufzuerlegen (§ 109 i.V.m. § 74 JGG).
Tatbestand
Das Landgericht hat die drei Angeklagten jeweils des Mordes und der gefährlichen Körperverletzung für schuldig befunden und den Angeklagten V. zu einer Jugendstrafe von neun Jahren, den Angeklagten R. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren sowie den Angeklagten F. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Staatsanwaltschaft und die drei Angeklagten mit ihren Revisionen. Die Staatsanwaltschaft beanstandet hinsichtlich des Angeklagten V. die Anwendung von Jugendrecht und erstrebt hinsichtlich der Angeklagten R. und F. deren Verurteilung wegen durch positives Tun anstatt durch Unterlassen begangenen Mordes. Die – vom Generalbundesanwalt vertretenen – Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft haben hinsichtlich der Angeklagten R. und F. ebenso wie die sowohl auf Verfahrensbeschwerden als auch auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen dieser Angeklagten jeweils mit der Sachrüge Erfolg. Dagegen haben die den Angeklagten V. betreffende Revision der Staatsanwaltschaft und die allein auf die Sachrüge gestützte Revision dieses Angeklagten keinen Erfolg.
A.
Nach den Feststellungen trafen die drei Angeklagten, in deren Begleitung sich auch der inzwischen verstorbene Andreas Vo. befand, in der Tatnacht am 22. April 2001 gegen 1.45 Uhr an einer Tankstelle in G. auf den 31jährigen algerischen Asylbewerber Mohamed B., mit dem die Angeklagten V. und F. ein Geschäft über ein halbes Kilogramm Haschisch vereinbarten, das im Asylbewerberheim in Z. lagern sollte. Auf der gemeinsamen Fahrt mit B. dorthin im Pkw des Angeklagten F. gewannen die Angeklagten den Eindruck, B. wolle sie nur ins Asylbewerberheim locken und ihnen dort das Kaufgeld abnehmen. Der Angeklagte F. hielt deshalb auf Aufforderung der anderen zunächst in J. an einer einsamen Stelle, wo die anderen B. „eine Lektion verpassen” wollten. B. wurde dort von den anderen geschlagen und getreten, während der Angeklagte F. ihm lediglich einen Stoß mit dem Knie in den Magen versetzte. Als sich B. anschließend entfernte und um Hilfe zu rufen begann, äußerte der Angeklagte V. – möglicherweise schon zu diesem Zeitpunkt zur Tötung entschlossen – B. müsse „ganz weg”, um eine Anzeige wegen der vorangegangenen Körperverletzung zu verhindern, während der Angeklagte F. vergeblich darauf hinzuwirken suchte, B. laufen zu lassen. Sie veranlaßten B., wieder in den Pkw des Angeklagten F. einzusteigen. Auf Vorschlag des Angeklagten R. fuhren sie sodann in den W. Wald, wo B. noch „gequält” werden sollte. Dort angekommen, ging der Angeklagte V. mit einem Fäustel auf B. zu, um ihn zu töten, was der Angeklagte F. allerdings verhindern konnte. Schließlich machte der Angeklagte R. – möglicherweise auch er zu diesem Zeitpunkt schon in der Absicht, B. zu töten, um eine Anzeige wegen der begangenen Körperverletzung zu verhindern – den Vorschlag, B. im Ölhafen von G. ins Wasser zu werfen. Sie fuhren mit B. auch dorthin, sahen sich aber durch ein Fahrzeug des Bundesgrenzschutzes gehindert, ihr Vorhaben dort auszuführen. Stattdessen fuhren sie auf Vorschlag des Angeklagten V. zum K. bei Z., wobei V. während der Fahrt wieder äußerte, daß „der Algerier ganz weg” müsse. An einer Tankstelle in G. – inzwischen war es 3.25 Uhr – hielt der Angeklagte F. an, kaufte dort Alkohol und gab B. eine Flasche Korn in der Erwägung, wenn der Algerier völlig betrunken sei, glaube ihm keiner mehr. Nachdem sie nach der Weiterfahrt, während der B. die Flasche Korn leer trank, am K. bei Z. angelangt waren, zog der Angeklagte F. B. gewaltsam aus dem Fahrzeug. Sodann schlugen Vo., R. und V. den Geschädigten zu Boden. Danach entschlossen sie sich, B. „zum Wasser zu bringen”, und schleiften ihn – nunmehr alle gemeinsam – über eine Strecke von ca. 80 m bis an die Kante eines 10 m hohen Abhangs am Ufer und stießen ihn den Abhang hinunter. Als der Geschädigte auf halber Höhe am Hang liegen blieb, kletterte der Angeklagte F. ihm nach und stieß ihn den Abhang vollends hinunter, so daß er an der Wasserkante liegen blieb. Auf Aufforderung des Angeklagten V. ging B. taumelnd in das Wasser. Während Vo., R. und F. sich schon entfernten, warf V. dem Opfer in direkter Tötungsabsicht einen großen Stein mitten ins Gesicht, worauf B. – was alle Angeklagten sahen – nach vorn und seitlich in das flache Wasser sank. Allein der Kopf des Geschädigten lag außerhalb des Wasserbereiches, der Mund unmittelbar an der Wasserkante. In dieser Lage ließen die Angeklagten das Tatopfer zurück, das der Angeklagte F. – anders als der Angeklagte R. – zunächst für tot hielt. Sie fuhren sodann in Richtung G., bis allenfalls zehn Minuten nach der Tat der Pkw wegen Benzinmangels stehen blieb. Während V. – inzwischen war es kurz vor 6.00 Uhr – Benzin holte, konnte der Angeklagte R. den Angeklagten F. davon überzeugen, daß B. noch lebe und ihm möglicherweise geholfen werden könnte. Beide überlegten, ob man zum K. zurückfahren sollte, um nachzusehen, ob der Geschädigte noch lebe oder ob sie telefonisch Hilfe holen sollten. Letztlich verwarfen sie diese Ideen, um nicht als Täter ermittelt zu werden. Auch „der Angeklagte F. nahm nun bei der Entscheidung, nichts zu tun, den als möglich vorgestellten Tod des Geschädigten billigend in Kauf, damit er oder seine Mittäter nicht als Täter ermittelt werden konnten”. Tatsächlich lebte B. zu diesem Zeitpunkt noch. Sein Tod trat maximal zwei Stunden später durch Unterkühlung und späteres Ertrinken ein, weil er sich wegen der Wirkung der Mißhandlungen und wegen des ihm verabreichten Alkohols geraume Zeit nach der Tat nicht mehr gegen die Wellen wehren konnte. Weiter heißt es in dem angefochtenen Urteil: „Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß, wenn sich R. und F. entschieden hätten, zum K. zurückzufahren und den Geschädigten aus dem Wasser zu ziehen, oder wenn sie Hilfe geholt hätten, das Opfer überlebt hätte”.
Entscheidungsgründe
B.
I. Revisionen der Staatsanwaltschaft
1. Betreffend den Angeklagten V.
Die hinsichtlich des Angeklagten V. auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision hat keinen Erfolg.
Die Begründung, mit der die Jugendkammer auf den Angeklagten V. entgegen dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen D. gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG Jugendstrafrecht angewandt hat, hält im Ergebnis der rechtlichen Prüfung stand. Soweit die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang die Rüge der Verletzung des § 261 StPO erhebt und beanstandet, die Jugendkammer habe sich im Urteil nicht mit den Angaben der in der Hauptverhandlung gehörten Mutter des Angeklagten V. zu dessen persönlicher Entwicklung auseinandergesetzt, ist die Rüge nicht zulässig ausgeführt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO); im übrigen deckt sie auch keinen Verfahrensverstoß auf. Auch sachlich-rechtlich ist die Entscheidung der Jugendkammer nicht zu beanstanden.
Ob ein Heranwachsender bei der Tat im Sinne des § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG noch einem Jugendlichen gleich stand, ist im wesentlichen Tatfrage, wobei dem Jugendrichter ein erheblicher Beurteilungsspielraum eingeräumt ist (vgl. BGHSt 36, 37, 38 m.w.N.; BGH, Urteil vom 5. Dezember 2002 – 3 StR 297/02). Einem Jugendlichen gleichzustellen ist der noch ungefestigte, in der Entwicklung stehende, noch prägbare Heranwachsende, bei dem Entwicklungskräfte noch in größerem Umfang wirksam sind; hat der Täter dagegen bereits die einen jungen Erwachsenen kennzeichnende Ausformung erfahren, dann ist er nicht mehr einem Jugendlichen gleichzustellen und auf ihn ist das allgemeine Strafrecht anzuwenden. Dabei steht die Anwendung von Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht nicht im Verhältnis von Regel und Ausnahme; § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG stellt keine Vermutung für die grundsätzliche Anwendung des einen oder anderen Rechts auf. Nur wenn der Tatrichter nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten Zweifel nicht beheben kann, muß er die Sanktionen dem Jugendstrafrecht entnehmen (BGHSt aaO 40; BGH NJW 2002, 73, 75).
Diese Grundsätze hat das Landgericht nicht verkannt. Allerdings beanstandet die Beschwerdeführerin zu Recht, daß es im Urteil an der grundsätzlich gebotenen Darlegung zu den Ausführungen des Sachverständigen (vgl. BGHR StPO § 261 Sachverständiger 1, 2, 5; BGH NStZ 2000, 550, 551) fehlt, der sich abweichend von der Auffassung der Jugendkammer für die Anwendung von allgemeinem Strafrecht auf den Angeklagten ausgesprochen hat. Darauf beruht das Urteil aber nicht. Denn die Jugendkammer hat sich nicht auf den Hinweis beschränkt, „die Einschätzung ?des Sachverständigen?, daß ein sozial, beruflich und schulisch gescheiterter, knapp [gemeint: knapp über] 18jähriger Mensch, der zudem ein massives, frühzeitig einsetzendes Drogen- und Alkoholproblem hat, gleichwohl die Reife eines Erwachsenen haben soll, (vermöge) die Kammer nicht nachzuvollziehen”. Vielmehr hat der Tatrichter seine Wertung, die persönliche Situation des Angeklagten sei „nicht Ausdruck von erreichter Reife, sondern letztlich von ungehindert wirkenden Entwicklungskräften”, ausführlich unter ins einzelne gehender Darlegung der für die Beurteilung maßgebenden Umstände begründet, der gegenüber durchgreifende Einwendungen auch von der Revision nicht geltend gemacht werden. Hinzukommt, daß eine Prognose völliger Entwicklungsunfähigkeit bereits in der Lebensphase zwischen dem 18. und dem 21. Lebensjahr ohnehin nur ausnahmsweise mit Sicherheit zu stellen sein wird (BGH NJW 2002, 73, 76, Abgrenzung zu BGHSt 22, 41).
2. Betreffend die Angeklagten R. und F.
Das Urteil hält der sachlich-rechtlichen Nachprüfung nicht stand, soweit die Jugendkammer die Angeklagten R. und F. lediglich des Mordes durch Unterlassen für schuldig befunden hat. Die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils begegnet insoweit durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Die Jugendkammer hat eine Beteiligung der Angeklagten R. und F. an der Tötungshandlung durch aktives Tun mit der Begründung verneint, daß erst der Steinwurf das Opfer unfähig gemacht habe, sich der Kälte und dem Wasser zu entziehen, was letztlich zu dessen Tod geführt habe; der Steinwurf sei jedoch als Exzeß des Mitangeklagten V. zu werten, der den Angeklagten R. und F. nicht zugerechnet werden könne. Diese Wertung des Landgerichts wäre nur hinzunehmen, wenn es mit tragfähiger Begründung ausgeschlossen hätte, daß die Angeklagten R. und F. schon zuvor mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt haben, und sich deshalb der Steinwurf des Angeklagten V. als eine wesentliche Abweichung des von ihnen vorgestellten Tatverlaufs darstellte. So verhält es sich hier aber nicht.
Daß der Steinwurf nicht abgesprochen war, genügte für sich nicht. Vielmehr beanstandet die Beschwerdeführerin die Beweiswürdigung zum Tötungsvorsatz zu Recht als widersprüchlich, jedenfalls aber als in den Anforderungen an die Überzeugungsbildung überspannt, und deshalb als rechtsfehlerhaft. Das Landgericht hat einerseits gemeint, den Angeklagten R. und F. den Willen, das Opfer irgendwo laufen zu lassen, nicht widerlegen zu können. Andererseits hat es bei ihnen für ihre Beteiligung am Tatgeschehen vor dem Steinwurf als naheliegend erachtet, daß ihr Handeln von Mordabsicht getragen war; ein anderer Grund, warum die Angeklagten nach der eigentlich nur mit Tötungsabsicht erklärlichen gemeinsamen Entscheidung, B. in das Hafenbecken in G. zu werfen und ihn schließlich in gleicher Absicht an den Abhang zum K. bei Z. zu bringen, sei „nicht ersichtlich”. Zumal nachdem der Angeklagte V. in Tötungsabsicht mit dem Fäustel auf B. einschlagen wollte und zumindest zweimal in der Tatnacht geäußert hatte, der Geschädigte müsse „ganz weg”, der Angeklagte R. vorgeschlagen hatte, ihn ins Wasser zu werfen, und auch Vo. noch auf der Weiterfahrt zum K. ausgerufen hatte: „Ich schlag den tot”, ohne daß sich einer der Angeklagten davon distanziert hatte, erweist sich die Annahme der Jugendkammer, die Angeklagten R. und F. hätten das Opfer „irgendwo laufen lassen” wollen, als bloß abstrakt-theoretische Möglichkeit ohne tatsächliche Anhaltspunkte (vgl. BGHR StPO § 61 Beweiswürdigung 5). Zudem setzt sich das Landgericht nicht damit auseinander, daß die Angeklagten den Geschädigten nicht etwa am Abhang zum K. liegen ließen, sondern ihn den Abhang hinunter stießen und der Angeklagte F. ihn nochmals weiter stieß, als B. „auf halber Höhe” liegen geblieben war. Bei diesem Angeklagten kommt insoweit jedenfalls die Beihilfe zum Mord in Betracht.
Die zum äußeren Sachverhalt getroffenen Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht berührt und können deshalb bestehen bleiben. Im übrigen hat das Urteil, soweit es die Angeklagten R. und F. betrifft, aber insgesamt keinen Bestand. Denn der vom Landgericht als selbständige Handlungen der gefährlichen Körperverletzung gewertete Teil des Tatgeschehens kann zugleich der Beginn der Ausführung eines – wie es die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision verfolgt – durch aktives Tun begangenen Tötungsdelikts sein, dem gegenüber das weitere von diesen Angeklagten durch Unterlassen verwirklichte Geschehen nur ein rechtlich unselbständiger Teil wäre (vgl. Senatsurteil vom 12. Dezember 2002 – 4 StR 297/02).
Soweit die Revision der Staatsanwaltschaft gemäß § 301 StPO auch zu Gunsten der Angeklagten R. und F. wirkt, weil nach den getroffenen Feststellungen bei diesen Angeklagten die Annahme vollendeten Mordes durch Unterlassen nicht begründet ist, ist dies auf die Revision dieser Angeklagten zu berücksichtigen (s.u. II. 2.; vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 9 a.E.).
II. Revisionen der Angeklagten
1. Der Angeklagte V.
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der allgemeinen Sachrüge hat keinen den Angeklagten V. beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Das gilt auch hinsichtlich des Konkurrenzverhältnisses zwischen der gefährlichen Körperverletzung und dem Mord. Zwar trägt allein der Wechsel vom Körperverletzungs- zum Tötungsvorsatz die Annahme von Tatmehrheit (§ 53 StGB) nicht (vgl. Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 211 Rdn. 26 a m.N.). Schon mit Blick auf die Unterbrechung des Geschehens in J., wo sich der Geschädigte, dem bis dahin nur eine „Lektion” erteilt werden sollte, zunächst entfernen konnte, bevor der Angeklagte entschied, daß B. „ganz weg” müsse, hält sich die Wertung des Landgerichts, eine natürliche Handlungseinheit sei nicht anzunehmen, noch im Rahmen des insoweit dem Tatrichter eröffneten Bewertungsspielraums (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 68 f.).
2. Die Angeklagten R. und F.
Die Verfahrensbeschwerden der Angeklagten R. und F. dringen nicht durch. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 9. Dezember 2002.
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen hat für sich genommen auch keinen die Angeklagten beschwerenden sachlich-rechtlichen Rechtsfehler ergeben, soweit das Landgericht diese Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt hat. Dagegen hält das Urteil der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, soweit das Landgericht die beiden Angeklagten jeweils des vollendeten – in Verdeckungsabsicht begangenen – Mordes durch Unterlassen für schuldig befunden hat.
Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, die Angeklagten R. und F. hätten hinsichtlich des Todeseintritts bei B. eine strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht aufgrund ihres Vorverhaltens (Ingerenz) gehabt. Denn nach der Rechtsprechung begründet auch die Beteiligung an für sich gesehen noch nicht lebensgefährlichen Mißhandlungen jedenfalls dann eine Verpflichtung im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB, die anschließende Tötung des Tatopfers durch einen anderen Beteiligten zu verhindern, wenn das vorausgegangene gemeinsame Verhalten eine Gefahrerhöhung für das Opfer dadurch bewirkte, daß der Täter in seinem zu dessen Tod führenden Vorgehen bestärkt wurde (BGHR StGB § 13 Abs. 1 Garantenstellung 7 m.w.N.). Davon ist das Landgericht zu Recht ausgegangen (vgl. BGH NJW 1999, 69, 72, insoweit in BGHSt 44, 196 nicht abgedr.; BGH NStZ 2000, 583; Lackner/Kühl StGB 24. Aufl. § 13 Rdn. 11).
Gleichwohl hat der Schuldspruch keinen Bestand. Denn ausgehend von den vom Landgericht getroffenen Feststellungen, denen zufolge die Angeklagten R. und F. für den Tod des Tatopfers nur deshalb einzustehen haben, weil sie vorsätzlich die ihnen mögliche Einleitung von Rettungsmaßnahmen unterlassen haben, könnte ihnen vollendeter Mord nur dann angelastet werden, wenn ihr pflichtwidriges Unterlassen für den Tod zumindest mitursächlich geworden wäre (vgl. BGH NStZ 2000, 583; BGHR StGB § 13 Abs. 1 Ursächlichkeit 2). Das ist indes nicht belegt. Vielmehr hat das sachverständig beratene Landgericht gerade „nicht sicher” festzustellen vermocht, sondern lediglich mit „großer Wahrscheinlichkeit” angenommen, daß das Tatopfer, hätten die Angeklagten R. und F. Hilfe geholt, noch zu retten gewesen wäre und überlebt hätte. Die bloße, wenn auch große Wahrscheinlichkeit genügt für die für eine vollendete Tat vorausgesetzte Ursächlichkeit des Unterlassens jedoch nicht.
Wegen des inneren Zusammenhangs zwischen Körperverletzungs- und Tötungsgeschehen bedarf die Sache deshalb auch auf die Revisionen der Angeklagten R. und F. insgesamt neuer Prüfung und Entscheidung. Die Feststellungen zum äußeren Sachverhalt bleiben hiervon unberührt. Dies schließt ergänzende Feststellungen durch den neuen Tatrichter, die zu den bisher getroffenen nicht in Widerspruch stehen, nicht aus.
3. Der Senat verweist die Sache im Umfang der Aufhebung gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurück, nachdem sich das weitere Verfahren nur noch gegen die erwachsenen Angeklagten R. und F. richtet (BGHSt 35, 267).
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Solin-Stojanović, Ernemann, Sost-Scheible
Fundstellen
Haufe-Index 2559103 |
NStZ 2004, 294 |