Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Anfechtbarkeit eines gerichtlichen Vergleiches wegen Drohung seitens eines Mitgliedes des Gerichtes.
Normenkette
BGB § 123
Verfahrensgang
OLG Köln (Urteil vom 12.05.1964) |
LG Köln (Urteil vom 07.11.1963) |
Tenor
I. Auf die Rechtsmittel des Beklagten werden das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 12. Mai 1964 und das Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts in Köln vom 7. November 1963 aufgehoben.
II. Es wird festgestellt, daß der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 28. März 1963 nicht beendet ist.
III. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Beide Parteien sind Biergroßhändler; sie vertreten die D. Brauerei, und zwar der Kläger im Bezirk Köln rechtsrheinisch, der Beklagte im Bezirk Köln linksrheinisch. Sie streiten um das vom Beklagten beanspruchte Recht, Flaschenbiere der genannten Brauerei auch an Kunden im rechtsrheinischen Köln zu liefern.
Der Kläger hat mit der Klage beantragt, dem Beklagten diese Lieferung unter Strafandrohung zu verbieten und ihn zur Auskunft über die Lieferungen nach dem 1. Januar 1962 sowie zur Zahlung von 1,– DM für jeden Hektoliter gelieferten Bieres zu verurteilen.
Das Landgericht Köln- Kammer für Handelssachen – bemühte sich, den Rechtsstreit durch einen Prozeßvergleich zu beenden. Es unterbreitenden Parteien im Beweistermin vom 28. Februar 1963 einen Vergleichsvorschlag und bestimmte Termin „zur Protokollierung des Vergleichs oder zur Fortsetzung der mundlichen Verhandlung” auf den 28. März 1963.
Da der Beklagte im Termin vom 28. März 1963 die Annahme des Vergleichsvorschlags ablehnte, zog sich das Gericht zur Beratung zurück. Nach der Rückkehr der Kammer in das Verhandlungszimmer erklärte der Vorsitzende: Das Gericht habe beschlossen, der Klage stattzugeben; ein entsprechendes Urteil solle noch im Termin verkündet werden; bevor dies aber geschehe, rege das Gericht noch einmal den Abschluß des empfohlenen Vergleichs an. Daraufhin schlössen die Parteien – der Beklagte nach seiner Behauptung gegen den Rat seines Prozeßbevollmächtigten – folgenden Vergleich:
- Der Beklagte verpflichtet sich, ab 1. April 1963 keine Flaschenbierlieferungen (D.) an Biergroßhändler oder Bierverleger im rechtsrheinischen Köln vorzunehmen.
- Für die Flaschenbierlieferungen (D.), die er ab 1. April 1963 an Verleger oder Großhändler vornimmt, die bis dahin vom Beklagten beliefert wurden, zahlt der Kläger an den Beklagten 1,– DM pro hl. Diese Zahlungsverpflichtung entfällt ab 1. April 1965 …
Für die Lieferungen des Beklagten an die vorgenannte Kundschaft in der Zeit vom 1. Januar 1962 bis 31. März 1963 zahlt der Beklagte an den Kläger 1,– DM pro hl und erteilt Auskunft über die gemachten Lieferungen.
Damit sind alle gegenseitigen Ansprüche aus dem der Klage zugrunde liegenden Sachverhalt erledigt.
Der Beklagte ist der Auffassung, daß dieser Vergleich wegen Verstoßes gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) unwirksam sei; er hat den Vergleich ferner „aus allen gesetzlich gegebenen Gründen”, insbesondere wegen rechtswidriger Drohung (§ 123 BGB) angefochten; die Drohung erblickt er in dem Verhalten des Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen des Landgerichts.
Der Beklagte hat beantragt,
festzustellen, daß der am 28. März 1963 abgeschlossene Vergleich rechtsunwirksam ist.
Der Kläger hat beantragt,
den Antrag des Beklagten zurückzuweisen.
Das Landgericht hat folgendes Urteil erlassen: „Die Klage wird abgewiesen. Der Rechtsstreit ist durch den Vergleich vom 28.3.1963 erledigt.” Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.
Mit seiner Revision, deren Zurückweisung der Kläger begehrt, verfolgt der Beklagte seinen Antrag weiter.
Entscheidungsgründe
I. 1. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß die Frage, ob ein gerichtlicher Vergleich angefochten werden kann, in Fortsetzung des Rechtsstreits zu entscheiden ist, zu dessen Beendigung der Vergleich geschlossen worden ist (BGHZ 28, 171, 176; 41, 311). Wird in diesem fortgesetzten Verfahren die Unwirksamkeit des Vergleichs festgestellt, so ist damit der Rechtsstreit in den Stand zurückversetzt, in dem er sich vor Abschluß des Vergleichs befand, und ist zur Entscheidung über die ursprünglichen Anträge der Parteien fortzuführen.
Folgerichtig hat daher der Beklagte in dem Schriftsatz vom 8. Mai 1963, mit dem er nach Abschluß des Vergleichs vom 28. März 1963 die Fortsetzung des Rechtsstreits begehrte, nicht nur den Antrag angekündigt, die Unwirksamkeit des Vergleichs festzustellen, sondern auch den weiteren Antrag, den Kläger mit der Klage abzuweisen; er hat allerdings in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht nur den zuerst genannten Antrag gestellt, offenbar deshalb, weil die Parteien zunächst nur die Frage der Wirksamkeit des Vergleichs entschieden wissen wollten. Aus demselben Grunde hat offenbar auch der Kläger nicht den im Schriftsatz vom 15. Mai 1963 angekündigten – richtigen – Antrag gestellt, festzustellen, daß der Rechtsstreit durch den Vergleich erledigt ist, sondern hat in der mündlichen Verhandlung lediglich begehrt, den Antrag des Beklagten zurückzuweisen. Gleichwohl hat das Landgericht – und ihm folgend das Oberlandesgericht – die nach dem Inhalt der Aktennicht beantragte Feststellung getroffen, daß mit dem Vergleich der Rechtsstreit erledigt sei; es hat danach den in der mündlichen Verhandlung gestellten, formell nicht einwandfreien Antrag im Sinne des im Schriftsatz angekündigten Antrages ausgelegt. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden, weil es, wenn sich der Vergleich als rechtsbeständig erwiese, zu der einzig sinngemäßen Erledigung des Rechtsstreits führen würde.
2. Auf die in den Vorinstanzen geäußerte Auffassung, der Vergleich sei wegen Verweigerung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) unwirksam, kommt der Beklagte im Revisionsverfahren nicht mehr zurück. Es kann auch im Ergebnis dahingestellt bleiben, ob dieser Verfassungsgrundsatz, wonach ein Gericht seine Entscheidung nur auf solche Tatsachen und Beweisergebnisse stützen darf, zu denen sich die von der Entscheidung benachteiligte Partei vorher äußern konnte (BVerfGE 1, 418, 429; ständige Rechtsprechung, zuletzt BVerfGE 19, 148), im vorliegenden Fall verletzt worden ist; denn jedenfalls ist der Vergleich durch die vom Beklagten wirksam erklärte Anfechtung beseitigt worden (unten II).
3. Die Wendung im Tatbestand des angefochtenen Urteils, der Beklagte habe, „wie er behauptet, gegen den Rat seines Anwalts” den Vergleich geschlossen, gibt keinen Anlaß zu erörtern, ob der Abschluß eines Prozeßvergleichs dem Anwaltszwang unterliegt und ob der streitige Vergleich etwa mangels Mitwirkung eines Anwalts auf der Seite des Beklagten unwirksam sei; denn der Beklagte hat selbst vorgetragen, daß er seinen Anwalt trotz dessen anders lautenden Ratschlags angewiesen habe, den Vergleich abzuschließen, was alsdann auch geschehen sei. Es ist also auch ohne eindeutige Feststellung des Berufungsgerichts davon auszugehen, daß der Vergleich auf beiden Seiten von Anwälten abgeschlossen worden ist.
II. Zu Recht wendet sich jedoch die Revision gegen die Auffassung des angefochtenen Urteils, der Vergleich sei nicht aufgrund einer rechtswidrigen Drohung des Vorsitzenden abgeschlossen worden.
1. Das Oberlandesgericht hat dazu ausgeführt, die Kammer des Landgerichts habe die Entscheidung beraten und die Verkündung eines der Klage stattgebenden Urteils beschlossen gehabt. Das sei „ein abgeschlossener Vorgang, ein gegebener Tatbestand” gewesen. Wenn der Vorsitzende der Kammer darauf hingewiesen habe, so habe er nicht gedroht, sondern die Verkündung eines der Klage stattgebenden Urteils als die zwangsläufige Folge eines abgeschlossenen Vorgangs in Aussicht gestellt. Darin liege aber nicht die Ankündigung eines künftigen Übels, auf dessen Eintritt der Drohende einwirken zu können behaupte, also keine Drohung im Sinne des § 123 BGB.
2. Diese Darlegungen galten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Der Amtsrichter soll (§ 495 Abs. 2 ZPO), das Landgericht kann (§ 296 ZPO) in jeder Lage des Verfahrens die gütliche Beilegung des Rechtsstreits versuchen. Das kann auch noch zwischen Schlußverhandlung und Urteil geschehen (Baumbach/Lauterbach, ZPO 28. Aufl. § 296 Anm. 2 A); doch muß in diesem Falle – wenn nicht ein Sühneversuch vorher angeordnet war – die mündliche Verhandlung wiedereröffnet werden (§ 156 ZPO). Daraus ergibt sich, daß dann, wenn es nach Wiedereröffnung der Verhandlung nicht zum Abschluß eines Vergleichs kommt, wiederum zum Schluß verhandelt und erneut beraten werden muß, bevor ein Urteil verkündet werden kann.
b) Gegen diese prozessualen Grundsätze hat der Vorsitzende verstoßen, als er dem Beklagten nach Abschluß der Beratung des Gerichts nahelegte, den gerichtlichen Vergleichsvorschlag anzunehmen. Die Parteien gehen unbestritten davon aus, daß der Vorsitzende dabei erklärte, ein der Klage stattgebendes Urteil sei beschlossen und solle noch im Termin verkündet werden; ein Blatt mit der schriftlich niedergelegten Urteilsformel habe der Vorsitzende deutlich sichtbar vor sich liegen gehabt.
Mag auch in der erneuten Empfehlung an die Parteien, den Vergleichsvorschlag doch noch anzunehmen, allenfalls die stillschweigende Wiedereröffnung der Verhandlung zu erblicken sein, so durfte der Vorsitzende keinesfalls den Eindruck erwecken, als ob das Gericht, gleichwohl an das Ergebnis seiner bisherigen Beratung gebunden und er daher berechtigt oder gar verpflichtet sei, ohne weitere Beratung das Urteil zu verkünden. Denn die Verhandlung konnte nicht nur zu dem begrenzten Zweck wieder eröffnet werden, die Parteien ohne weitere Erörterung zur bedingungslosen Annahme oder Ablehnung des Vergleichsvorschlages zu veranlassen; wurde wieder verhandelt, so mußte den Parteien auch Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt erneut darzulegen und damit auf die Meinungsbildung des Gerichts Einfluß zu nehmen; sodann konnte erst nach erneuter Beratung aufgrund desErgebnisses der wieder eröffneten Verhandlung ein Urteil verkündet werden.
Das Gericht soll an sich schon nicht unter allen Umständen und mit allen Mitteln auf einen Vergleich hinwirken; Rosenberg (Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 9. Aufl. § 58 II 6, S. 270) hebt zutreffend hervor, daß sich der Richter, der allzu sehr auf einen Vergleich drängt, dem Verdacht aussetzt, er scheue die Mühen der Findung und Abfassung des Urteils, und daß daher das Gericht bei seinen Vergleichsversuchen Takt und Vorsicht walten lassen müsse. Im vorliegenden Fall hat es der Vorsitzende aber nicht nur, wie das Berufungsgericht meint, am notwendigen Takt fehlen lassen; er hat vielmehr in dem Beklagten den unzutreffenden Eindruck erweckt, als sei das Urteil – das erst mit der Verkündung rechtlich zum Entstehen gebracht wird (§ 310 ZPO) – bereits unabänderlich beschlossen und müsse ohne weitere Beratung verkündet werden, falls der Beklagte den Vergleichsvorschlag nicht annehme. Damit hat er aber gerade nicht dem Beklagten eine objektive, von dem Willen des „Drohenden” unabhängige Zwangslage vor Augen gehalten (vgl. BGHZ 6, 348, 351), sondern er hat ihm ein Verhalten in Aussicht gestellt, das im Widerspruch zu den verfahrensrechtlichen Erfordernissen stand; dieses Verfahren des Vorsitzenden war widerrechtlich.
c) Die Ankündigung eines Urteils zu Ungunsten des Beklagten war in der vorliegenden Form auch dazu bestimmt, den freien Willen des Beklagten zu beeinflussen; denn es handelte sich nicht nur um einen Hinweis auf Möglichkeiten, die sich aus dem Scheitern der Verhandlungen von selbstergaben (vgl. RG SeuffArch 90 Nr. 80). Insofern hebt sich der vorliegende Fall eindeutig von den Fällen ab, in denen das Gericht im Laufe von Vergleichsverhandlungen den Parteien seine nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens gewonnene Rechtsansicht darlegt und ihnen das Risiko vor Augen führt, das ihnen nach seiner Auffassung bei Fortführung des Rechtsstreits droht. Während solche Hinweise des Gerichts berechtigt und in vielen Fällen für die Parteien erwünscht sind, sollte hier der Hinweis des Vorsitzenden auf ein – angeblich – bindendes Beratungsergebnis dazu dienen, den bereits eindeutig geäußerten, auf Ablehnung des Vergleichsvorschlags gerichteten Villen des Beklagten zu beugen, m.a.W. einen Zwang auf seine Entschließung auszuüben. Dabei ist zu berücksichtigen, daß auch jede „Drohung” dem Bedrohten die Wahl läßt, ob er sich fügen will oder nicht (RGSt 64, 16), und daß daher die Grenzlinie zwischen der nicht zu beanstandenden bloßen Warnung und der Drohung dort verläuft, wo die in dem Bedrohten erregte Furcht vor dem Eintritt des angedrohten Übels nach der Absicht des Drohenden so groß ist, daß eine freie Abwägung des zu fassenden Entschlusses nicht mehr zu erwarten ist.
d) Diesem Ergebnis kann nicht mit dem Hinweis begegnet werden, die Entschließungsfreiheit des Beklagten sei deshalb gewahrt geblieben, weil ihm, zumal er von einem Anwalt beraten war, klar gewesen sein müsse, daß er das angekündigte Urteil mit der Berufung anfechten könne, während ein Vergleich ihn endgültig binden würde. Daß der Beklagte solchen Überlegungen nicht mehr zugänglich war, sondern glaubte, sich der Autorität des Gerichts beugen zu müssen, zeigt gerade der Umstand, daßer den Rat seines Anwalts, den Vergleichsvorschlag weiterhin abzulehnen, nicht befolgte; der Druck, dem er sich von seiten des Gerichts ausgesetzt sah, erwies sich vielmehr stärker als die beim Laien nach der Lebenserfahrung vorhandene Neigung, im Rechtsstreit entsprechend der Empfehlung des Anwalts zu verfahren. Unter diesen Umständen kann auch die beim Laien an sich nicht naheliegende Erwartung, ein ungünstiges Urteil in der Rechtsmittelinstanz zu beseitigen, nicht so hoch veranschlagt werden, daß noch von einer freien Willensentschließung des Beklagten ausgegangen werden könnte, Dazu kommt, daß es auf den Beklagten verwirrend wirken mußte, wenn das Gericht ihn einerseits zu erkennen gab, zu welchem Ergebnis es aufgrund seiner rechtlichen Überlegungen gekommen war, und ihm gleichzeitig eine vergleichsweise Regelung aufdrängte, die mit dieser Rechtsüberzeugung nicht in Einklang zu bringen war.
3. Nach allem erweist sich die Anfechtung des Beklagten als berechtigt, da er widerrechtlich durch Drohung zum Abschluß des Vergleichs bestimmt worden ist (§ 123 BGB); daß die Drohung nicht vom Erklärungsempfänger, sondern von einem Dritten – dem Vorsitzenden – ausging, schließt die Anfechtung nicht aus (RG WarnRspr 1937 Nr. 45; BGB-RGRK 11. Aufl. § 123 Anm. 27).
III. Danach waren auf die Rechtsmittel des Beklagten die Urteile des Oberlandesgerichts und des Landgerichts aufzuheben; es war festzustellen, daß der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 28. März 1963 nicht beendet worden ist. Dabei braucht nicht mehr darauf eingegangen zu werden, daß das Landgericht – und ihm folgend das Berufungsgericht – zu Unrecht in der Urteilsformel „die Klage abgewiesen” hat, obwohl es den Vergleich für rechtsbeständig angesehen hat und dementsprechend gerade nicht über den Klageanspruch entscheiden wollte.
Der Rechtsstreit ist nach dieser Entscheidung des Revisionsgerichts in den Stand zurückversetzt, in dem er sich vor, Abschluß des Vergleichs vor dem Landgericht befunden hat; dieses hat ihn nunmehr zur Entscheidung über die ursprünglichen Anträge der Parteien fortzuführen und im Rahmen dieser Entscheidung auch über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu befinden.
Unterschriften
Krüger-Nieland, Jungbluth, Pehle, Mösl, Alff
Fundstellen
Haufe-Index 1502352 |
DRiZ 1966, 379 |
Nachschlagewerk BGH |