Normenkette
JGG § 32 S. 1, § 105 Abs. 1; StPO § 267 Abs. 5 S. 1, § 338 Abs. 4
Verfahrensgang
LG Dresden (Entscheidung vom 23.12.2021; Aktenzeichen 14 KLs 421 Js 50982/20) |
Tenor
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 23. Dezember 2021 aufgehoben
a) mit den zugehörigen Feststellungen, soweit die Angeklagten freigesprochen worden sind,
b) in den Einzel- und Gesamtstrafaussprüchen mit den Feststellungen zum Wirkstoffgehalt der gehandelten Betäubungsmittel.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieser Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revisionen der Angeklagten gegen das vorbenannte Urteil werden verworfen.
Sie haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.
- Von Rechts wegen -
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat die Angeklagten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen für schuldig befunden. Es hat den Angeklagten A. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten und den Angeklagten H. zu einer solchen von drei Jahren verurteilt sowie eine Einziehungsentscheidung getroffen. Von einem weiteren Tatvorwurf des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hat es die Angeklagten freigesprochen.
Rz. 2
Gegen ihre Verurteilung wenden sich die Angeklagten mit ihren auf die Sachrüge gestützten Rechtsmitteln, der Angeklagte A. macht zudem verfahrensrechtliche Verstöße geltend; die unterbliebene Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt haben sie vom Rechtsmittelangriff ausgenommen. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen der Staatsanwaltschaft richten sich mit der Sachrüge gegen die Teilfreisprüche und die Strafaussprüche.
A.
I.
Rz. 3
Das Landgericht hat zu den zur Verurteilung gelangten Fällen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Rz. 4
1. Die Angeklagten vereinbarten, sich durch den gewinnbringenden Weiterverkauf von Betäubungsmitteln eine Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen. Zu diesem Zweck erwarben sie mit der EncroChat-Technologie verschlüsselte Mobiltelefone, mit denen sie ihre Geschäfte abwickelten. Es kam zu zwei Taten:
Rz. 5
Am 1. April 2020 bestellte der Angeklagte A. bei dem EncroChat-Nutzer „d. “ zehn Kilogramm Marihuana mit einem Mindestwirkstoffgehalt von 1,5 % THC. Dieser bestätigte am Folgetag das Geschäft zu einem Kaufpreis von 47.000 Euro. Am 3. April 2020 erhielt der Angeklagte H. gegen Zahlung von 22.600 Euro die Drogen, am nächsten Tag zahlte der Angeklagte A. an einen Mittelsmann des Verkäufers den Restbetrag von 24.400 Euro. Die Angeklagten veräußerten das Rauschgift zu unbekannt gebliebenen Preisen bis zum 8. April 2020 und teilten sich den Gewinn.
Rz. 6
Am oder kurz vor dem 1. Mai 2020 bestellte der Angeklagte A. erneut bei dem EncroChat-Nutzer „d. “ mindestens sechs Kilogramm Marihuana mit einem Mindestwirkstoffgehalt von 1,5 % THC zum Preis von mindestens 27.650 Euro. Die Drogen wurden am 2. Mai 2020 an den Angeklagten H. geliefert, am gleichen Tag zahlte der Angeklagte A. 27.650 Euro an einen Mittelsmann des Verkäufers. Die Angeklagten veräußerten das Rauschgift bis zum 3. Mai 2020 und teilten sich den Gewinn.
Rz. 7
2. Diese Taten hat das Landgericht jeweils als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gewertet (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 25 Abs. 2, § 53 StGB).
II.
Rz. 8
Nach der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift liegt den Angeklagten eine weitere Tat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Last.
Rz. 9
1. Danach soll der Angeklagte A. am 14. Mai 2020 oder davor beim EncroChat-Nutzer „d. “ für 32.200 Euro sieben Kilogramm Marihuana bestellt haben. Nachdem er am 14. Mai 2020 an einen unbekannten Geldkurier des Verkäufers 20.400 Euro übergeben habe, seien die Drogen vor dem 16. Mai 2020 an den Angeklagten H. geliefert worden; zur Leistung einer Restzahlung sei nichts bekannt geworden. Nachfolgend sollen die Angeklagten von der Gesamtmenge bis zum 21. Mai 2020 einem „D. “ drei Kilogramm für 15.600 Euro und danach den Rest von vier Kilogramm Marihuana an andere Abnehmer veräußert haben. Den Gewinn hätten sich beide geteilt.
Rz. 10
2. Das Landgericht hat die Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, weil sich ein Tatnachweis nicht ohne verbleibende Zweifel führen ließe. Die Chatnachrichten enthielten - anders als in den zur Verurteilung gelangten Fällen - keinen in sich „geschlossenen, widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Tatablauf“; es bleibe „insbesondere die konkrete Bestellhandlung“ offen.
B. Revisionen der Angeklagten
Rz. 11
Die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet.
I.
Rz. 12
Die Verfahrensrügen des Angeklagten A. haben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg.
Rz. 13
Die Rüge nach § 338 Nr. 4 StPO ist jedenfalls unbegründet, weil mit der Strafkammer der zuständige Spruchkörper verhandelt hat. Entgegen der Ansicht der Revision führt die vorangegangene Verurteilung des Angeklagten zu einer Jugendstrafe nicht dazu, dass erneut eine Jugendkammer zur Entscheidung über die hier vor jenem Urteil liegenden Taten berufen ist, die der Angeklagte im Erwachsenenalter begangen haben soll. Insoweit scheidet eine entsprechende Anwendung von § 32 Satz 1 JGG aus (vgl. BGH, Beschluss vom 7. August 2019 - 4 StR 189/19, BGHSt 64, 178, 185 f.; Urteil vom 20. Januar 2016 - 2 StR 378/15, NStZ 2016, 683, 684).
Rz. 14
Soweit der Verteidiger in der Hauptverhandlung zu der Rüge unterlassener Aktenbeiziehung ausgeführt hat, es bedürfe keines weiteren Vortrags zu seinen Bemühungen, den Akteninhalt in Erfahrung zu bringen, erweist sich diese Rechtsauffassung als unzutreffend (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Februar 2010 - 4 StR 599/09, NStZ 2010, 530, 531).
II.
Rz. 15
Die Überprüfung des Urteils auf die jeweils erhobene Sachrüge hat keinen die Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler ergeben.
Rz. 16
Bei der den Angeklagten A. betreffenden Strafzumessung bestand für das Landgericht kein Anlass, einen Härteausgleich zu erörtern. Zwar konnte es die mit Urteil des Landgerichts Dresden vom 15. Oktober 2020 (rechtskräftig seit dem 22. Dezember 2020) verhängte Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden war, nicht nach § 55 StGB einbeziehen. Es droht aber im Hinblick auf die inmitten stehende Verurteilung kein auszugleichender Nachteil infolge eines zu erwartenden Widerrufs der Strafaussetzung (vgl. zu einem solchen Fall BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2019 - 5 StR 610/19 mwN). Denn die verfahrensgegenständlichen Taten hat der Angeklagte A. vor dem Urteil des Landgerichts Dresden begangen, sodass § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 StGB unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt anwendbar ist.
C. Revisionen der Staatsanwaltschaft
Rz. 17
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft haben Erfolg. Die Freisprüche und die Strafaussprüche können keinen Bestand haben.
I.
Rz. 18
Die Freisprüche sind durchgreifend rechtsfehlerhaft. Das Urteil des Landgerichts entspricht nicht den Anforderungen, die gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellen sind.
Rz. 19
Wenn ein Tatgericht einen Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freispricht, muss es regelmäßig in einer geschlossenen Darstellung die als erwiesen angesehenen Tatsachen feststellen, bevor es in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen zusätzlichen Feststellungen nicht getroffen werden können. Denn es ist Aufgabe der Urteilsgründe, dem Revisionsgericht auf diese Weise eine umfassende Nachprüfung der freisprechenden Entscheidung zu ermöglichen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 25. Mai 2022 - 5 StR 344/21; vom 14. April 2021 - 5 StR 102/20; vom 4. Februar 2021 - 4 StR 457/20; vom 27. Februar 2020 - 4 StR 568/19, NStZ 2021, 121, 122).
Rz. 20
Schon diesen Mindestanforderungen wird das Urteil nicht gerecht, weil es keine Darstellung von Feststellungen enthält. Im Anschluss an die Wiederholung des Anklagesatzes folgt die Beweiswürdigung und es bleibt schon offen, welchen Sachverhalt das Landgericht festgestellt hat. Insbesondere verhalten sich die Ausführungen allein zu einem - nach Ansicht der Strafkammer - nicht feststellbaren Ankauf von Drogen. Es fehlt - unter Verletzung der aus § 264 Abs. 1 StPO folgenden Kognitionspflicht - an einer Auseinandersetzung mit dem ebenfalls von der Anklage umfassten Verkauf der Betäubungsmittel. Auf dieser Grundlage ist es dem Senat verwehrt, den Freispruch anhand der Urteilsgründe umfassend rechtlich nachzuprüfen. Eine Fallgestaltung, in der Feststellungen zum eigentlichen Tatgeschehen in Gänze nicht möglich oder im Einzelfall nicht nötig gewesen wären (vgl. BGH, Urteile vom 22. März 2018 - 5 StR 566/17, BGHSt 63, 107, 109; vom 6. April 2005 - 5 StR 441/04; vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2325), liegt nicht vor.
II.
Rz. 21
Die Strafaussprüche halten auch eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabes (vgl. BGH, Urteile vom 2. Juni 2021 - 3 StR 21/21 Rn. 54; vom 27. Januar 2016 - 5 StR 387/15, NStZ-RR 2016, 105, 106) aus mehreren Gründen rechtlicher Überprüfung nicht stand. Im Einzelnen:
Rz. 22
1. Das Landgericht hat zwar rechtsfehlerfrei das Vorliegen minder schwerer Fälle nach § 29a Abs. 2 BtMG abgelehnt und jeweils den Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG zur Anwendung gebracht. Indes hat es zugunsten beider Angeklagten bei der Bestimmung sowohl der Einzel- als auch der Gesamtstrafen zu Unrecht strafmildernd eingestellt, dass die Tathandlungen unter „staatlicher Abhörkontrolle“ durch die französischen Ermittlungsbehörden stattfanden.
Rz. 23
Zwar kann eine engmaschige und lückenlose polizeiliche Überwachung eines Betäubungsmittelgeschäfts ein bestimmender Strafzumessungsgrund zugunsten des Angeklagten sein, dem neben einer Sicherstellung der Drogen eigenes Gewicht zukommt, wenn durch die Überwachungsmaßnahmen eine tatsächliche Gefährdung durch das Rauschgift ausgeschlossen war (BGH, Urteile vom 22. Juni 2022 - 5 StR 9/22; vom 6. Januar 2022 - 5 StR 2/21, NStZ-RR 2022, 140, 141; Beschluss vom 19. August 2020 - 2 StR 257/20, NStZ 2021, 54, 55 mwN). Hier sind die Betäubungsmittel aber in den Verkehr gelangt, sodass sich die Gefahr für das durch die Straftatbestände des BtMG geschützte Rechtsgut realisiert hat. Ein Anspruch des Straftäters darauf, dass die Ermittlungsbehörden rechtzeitig gegen ihn einschreiten, besteht nicht (vgl. BGH, Urteile vom 6. Januar 2022 - 5 StR 2/21 aaO; vom 7. Februar 2022 - 5 StR 542/20, NJW 2022, 1826, 1827 Rn. 118).
Rz. 24
2. Ferner erweist sich die Schätzung zu den Wirkstoffgehalten der gehandelten Drogen als rechtsfehlerhaft. Das Landgericht hat diesen bestimmenden Strafzumessungsgrund mit 1,5 % THC-Gehalt festgestellt, ohne die Grundlage seiner Schätzung mitzuteilen (vgl. zur Methodik Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., Vor §§ 29 ff. Rn. 309 ff.; Patzak/Dahlenburg, NStZ 2022, 146 ff.). Soweit es im Übrigen gemeint hat, es habe keine „Beweise bzw. Indizien [gegeben], die für die Feststellung deren Qualität“ hätten herangezogen werden können, hat es übersehen, dass der Angeklagte A. die Qualität gegenüber dem Lieferanten als „super“ bezeichnete und er diesem im Vorfeld der Tat 2 eine weitere Bestellung mit den Worten ankündigte: „Wenn es ware gibt kannst du mir 15 Kilo schicken? … oder 20 … das Geld ist an eine Tag drinnen, die Leute drehen durch“.
Rz. 25
Der Rechtsfehler hat die Aufhebung der Feststellung des Wirkstoffgehalts zur Folge. Der Schuldspruch bleibt hiervon unbeeinflusst, weil angesichts der Handelsmengen auszuschließen ist, dass das neue Tatgericht keine nicht geringe Menge der jeweils gehandelten Betäubungsmittel feststellen wird.
Rz. 26
3. Zudem hat die Strafkammer im Fall 1 lediglich eine rechnerisch unzutreffende Wirkstoffmenge von 105 Gramm THC berücksichtigt. Diese beträgt bei einer Handelsmenge von 10 kg und dem angenommenen Wirkstoffgehalt 150 Gramm THC; das Landgericht hat seiner Strafbemessung mithin rechtsfehlerhaft lediglich 70 % der von ihm angenommenen Wirkstoffmenge zu Grunde gelegt.
Rz. 27
4. Nach alledem kommt es nicht mehr darauf an, ob ein weiterer Rechtsfehler für sich genommen schon darin liegt, dass die Strafkammer den Zeitraum von eineinhalb Jahren zwischen Tatbegehung und Urteil als „länger zurückliegende Tatzeit“ strafmildernd bewertet hat.
Gericke |
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Mosbacher |
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Köhler |
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von Häfen |
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Werner |
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Fundstellen
Haufe-Index 15319577 |
NStZ-RR 2022, 293 |