Leitsatz (amtlich)

Entscheidung im Sinne des § 158 Abs. 2 StGB ist nur eine solche, die den Rechtszug abschließt. Hierunter fällt nicht die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft.

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Entscheidung vom 05.02.1953)

 

Tenor

Das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 5. Februar 1953 wird im Strafausspruch mit den Feststellungen hierzu aufgehoben, und zwar bezüglich der Angeklagten H. auf ihre Revision und bezüglich des Angeklagten P. auf seine und die staatsanwaltschaftliche Revision.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an das Landgericht zurückverwiesen.

Im übrigen werden die Rechtsmittel der beiden Angeklagten verworfen.

Von Rechts wegen

 

Gründe

Die beiden Angeklagten haben in einem geschlechtlichen Verhältnis zusammengelebt. P. war verheiratet, ist aber geschieden. Im Laufe seines Ehescheidungsverfahrens war Ida B., die Vermieterin der Angeklagten H., als Zeugin über die Beziehungen der beiden Angeklagten zueinander vernommen worden. Am 12. November 1951 erstattete P.-Strafanzeige gegen Ida B. wegen Eidesverletzung und behauptete wider besseres Wissen, diese habe in wesentlichen Punkten die Unwahrheit ausgesagt und beschworen. Im Ermittlungsverfahren gegen Ida B. wurden beide Angeklagten eidlich vernommen. P. leugnete eidlich und wahrheitswidrig mehrere Tatsachen, die Ida B. bekundet hatte; vor allem beschwor er, dass er bis zum Vernehmungstage (2. Juli 1952) keinen Geschlechtsverkehr mit Frau H. gehabt und mit ihr keine Zärtlichkeiten ausgetauscht habe. Frau H. die an dem erwähnten ersten Vernehmungstage ihre Aussage verweigert hatte, beschwor am zweiten Tage (3. Juli 1952) ebenfalls die Unwahrheit wesentlicher Angaben der B. und leugnete insbesondere auch eidlich, dass es zum Geschlechtsverkehr zwischen ihr und P. gekommen sei. Am 11. Juli 1952 berichtigte Frau H. schriftlich ihre Aussage dahin, dass sie entgegen ihren Bekundungen den P. nicht auf Grund einer Wohnungs-, sondern einer Heiratsanzeige kennengelernt habe, dass es schon vor dem Mai 1952 zu Geschlechtsverkehr mit ihm gekommen sei und dass P. sie wiederholt geschlagen habe. Am folgenden Tage fand P. eine Abschrift des Schreibens der Angeklagten H. vom 11. Juli; er berichtigte daraufhin am 14. Juli 1952 ebenfalls, und zwar vor dem Ermittlungsrichter, seine Aussage dahin, dass er die H. durch eine Heiratsanzeige kennengelernt und mit ihr schon vor seiner Ehescheidung geschlechtlich verkehrt habe. Noch vor Abgabe der Berichtigungserklärungen der beiden Angeklagten hatte die Staatsanwaltschaft am 10. Juli 1952 das Ermittlungsverfahren gegen Ida B. mangels Nachweises einer strafbaren Handlung eingestellt.

Beide Angeklagten sind wegen Meineids verurteilt worden, P. auch wegen Anstiftung zum Meineid und wissentlich falscher Anschuldigung nach § 164 Abs. 1 und 3 StGB, Zugunsten beider Angeklagten ist das Vorliegen der Voraussetzungen des § 158 StGB angenommen worden. Der Angeklagten H. hat das Landgericht Strafmilderung gewährt nicht dagegen dem Angeklagten P., dem aber mildernde Umstände zugebilligt worden sind. Hinsichtlich der Verurteilung des Po. ist der Verletzten B. Bekanntmachungsbefugnis zugesprochen worden.

Beide Angeklagten und die Staatsanwaltschaft haben Revision eingelegt. Die Staatsanwaltschaft hat das Urteil nur bezüglich des Angeklagten P. angefochten und das Rechtsmittel auf die Straffrage beschränkt. Die beiden Angeklagten haben Verletzung des sachlichen und des Verfahrensrechts gerügt; die Staatsanwaltschaft hat nur die Sachrüge erhoben.

I.

Revision der Angeklagten H.:

1.)

Verfahrensrüge:

Die Beschwerdeführerin beanstandet, dass das Landgericht nicht aufgeklärt hat, ob P. in der Nacht vom 18. zum 19. Februar 1951 sie mit einer Axt bedroht hat, weil sie sich seinem Willen nicht fügen wollte. Es mag dahingestellt bleiben, ob diese Rüge den Anforderungen des § 344 Abs. 2 in Verb. mit § 244 Abs. 2 StPO genügt, obwohl nicht angegeben ist, welches Beweismittel zum Beweise dieser Bedrohung hätte benutzt werden sollen (BGHSt 2, 168). In keinem Fall drängte sich dem Gericht die Notwendigkeit weiterer Aufklärung in dieser Richtung auf, nachdem die wegen Bedrohung ergangenen Akten beigezogen worden waren und der Verteidiger ausdrücklich seine Beweisanträge auch insoweit zurückgenommen hatte.

Das Landgericht hat festgestellt, dass P. die Beschwerdeführerin im Verlaufe des Zusammenlebens öfters geschlagen und auch mit der Axt bedroht hatte, dass er sie aber weder mißhandelt noch ihr gedroht hat, als er sie zur falschen Aussage bestimmte. Demnach konnte es dem Tatrichter nicht darauf ankommen, ob bei früheren Drohungen P. nüchtern oder betrunken gewesen war.

Diese Rüge ist also unbegründet.

2.)

Sachrüge:

a)

Die Revision beanstandet, dass der Angeklagten H. nicht der Schuldausschliessungsgrund des § 52 StGB zugutegehalten worden ist. In tatsächlicher Beziehung ist der Beschwerdeführerin insofern ein Irrtum unterlaufen, als nach der Feststellung des Landgerichts nicht sie selbst, sondern P. bei Streitigkeiten zu Boden gefallen ist. Auch abgesehen hiervon ist diese Rüge unbegründet, denn zur Anwendung des § 52 StGB gehört, dass die Handlung dem Täter durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben abgenötigt, dass also sein Wille durch diese Drohung gebeugt wird (BGHSt 1, 310, 313). Ungenügend ist der bloße Hinweis, der Täter hätte für Leib oder Leben fürchten müssen (BGHSt 3, 271, 275). Dass eine gegenwärtige Gefahr d.h. ein Zustand vorlag, der den Eintritt einer Schädigung höchstwahrscheinlich oder gar sicher erscheinen liess, wenn nicht eine alsbaldige Abwehrmaßnahme ergriffen wurde (RGSt 66, 222, 225), behauptet die Beschwerdeführerin selbst nicht. Die Tatsache, dass sie wenige Tage später die Berichtigung der Aussage wagen zu können glaubte, zeigt gerade, dass sie eine von P. drohende Gefahr nicht ernst nahm.

b)

Das Landgericht hat der Angeklagten ohne Rechtsirrtum die Vergünstigung des § 158 StGB zugebilligt.

Nicht zu beanstanden ist insbesondere, dass die Berichtigung als rechtzeitig angesehen worden ist. Nach der Rechtsprechung darf § 158 StGB, besonders im Hinblick auf seinen gesetzgeberischen Zweck, nicht eng ausgelegt werden. So ist es als unschädlich angesehen worden, wenn die Berichtigung nur aus Furcht vor Entdeckung vorgenommen wurde (RGSt 58, 184; 62, 303). Dementsprechend steht auch nur eine Sachentscheidung im engeren Sinne der Annahme der Rechtzeitigkeit der Berichtigung entgegen. Entscheidung im Sinne des § 158 StGB ist nur eine den Rechtszug abschliessende (Pfundtner-Neubert, Das neue Deutsche Reichsrecht, II c 6 Seite 229, Anm. 5 zu § 158 StGB). Sie braucht nicht rechtskräftig zu sein (OLG Hamm HESt 2, S. 256). Die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft bindet diese Behörde nicht und tritt überhaupt nur unter bestimmten Voraussetzungen in die Aussenwelt; sie ist nicht als Entscheidung im Sinne des § 158 StGB anzusehen.

c)

Das Landgericht hat aber übersehen, dass auch der Milderungsgrund des § 157 StGB (Eidesnotstand) möglicherweise bei der Angeklagten H. vorliegt. Hätte sie nämlich von vornherein wahrheitsgemäss ausgesagt oder wäre sie auch nur bei ihrer Aussageverweigerung geblieben, so hätte sie möglicherweise damit rechnen müssen, dass die Ehe des P. wegen des mit ihr begangenen Ehebruchs geschieden werde und sie sich einer Bestrafung nach § 172 StGB aussetze. Ob die Beschwerdeführerin sich durch diese Befürchtung zur falschen Eidesleistung bestimmen liess, wird in einer neuen Verhandlung zu klären sein. Sollte das Landgericht diese Frage bejahen, so wäre es denkbar, dass beim Vorhandensein beider Milderungsgründe (§§ 157 und 158 StGB) von der Möglichkeit weitergehender Strafmilderung oder sogar der Straffreierklärung Gebrauch gemacht wird.

II.

Revision des Angeklagten P.:

1.)

Verfahrensrüge:

Die Tatsache, dass der Angeklagte bei Streitigkeiten aufgeregt war, weiss im Gesicht wurde und zitterte, drängte nicht zu dem Verdacht, dass er auch in Lebenslagen, bei denen kein Grund zur Aufregung vorlag, vermindert zurechnungsfähig gewesen sei. Die falsch beeidete Aussage war eingehend vorbedacht. Desgleichen entsprang, wie den Feststellungen des Landgerichts zu entnehmen ist, die Anstiftung der Frau H. zum Meineid ruhiger Überlegung. Ebensowenig wie sich dem Verteidiger Anlass bot, ein Sachverständigengutachten über den Geisteszustand des Beschwerdeführers zu beantragen, lag ein Grund für das Gericht vor, in dieser Pachtung Nachforschungen anzustellen.

Da das Urteil auf die Sachrüge im Strafausspruch aufzuheben ist (vgl. unten), wird der Tatrichter ohnehin in der neuen Hauptverhandlung Gelegenheit haben zu prüfen, ob etwa bei dem Angeklagten die Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 StGB vorgelegen haben.

2.)

Sachrüge:

a)

Auch bei diesem Beschwerdeführer ist § 157 StGB durch Nichtanwendung verletzt. Zwar hat das Gericht geprüft, ob P. sich im Eidesnotstand befunden hat, aber nur unter dem Gesichtspunkt, ob er Bestrafung wegen falscher Anschuldigung der Ida B. befürchtet hat. Diese Frage hat das Landgericht verneint. Es hat aber ebenso wie bei der Angeklagten H. übersehen, dass auch P. durch wahrheitsgemässe Aussage möglicherweise die Gefahr der Bestrafung wegen Ehebruchs herbeigeführt hätte. Ob er etwa durch diese Besorgnis zur falschen Aussäge veranlasst worden ist, bedarf noch der Prüfung.

b)

Bedenklich ist auch die Verneinung der Anwendbarkeit des § 158 StGB auf die Anstiftung zum Meineid, derentwegen der Beschwerdeführer verurteilt worden ist. Zwar ist es richtig, dass dem Anstifter die Vergünstigung des § 158 StGB nur zugutekommen kann, wenn er die falsche Aussage des von ihm angestifteten Haupttäters berichtigt (vgl. BGH NJW 1951, S. 727). Rechtsirrig ist aber die Annahme des Tatrichters, P. habe nur seine eigene Aussage berichtigt. Wie das angefochtene Urteil feststellt, war ihm der genaue Inhalt der von Frau H. erklärten Berichtigung bekannt. Wenn er daraufhin seine eigene, denselben Sachverhalt betreffende Aussage berichtigte, so kann dieses Verhalten durchaus dahin ausgelegt werden, dass er auch ohne ausdrücklichen Hinweis, er mache die Berichtigung der Frau H. zu seiner eigenen, mit dieser Erklärung zugleich die der Frau H. berichtigt hat.

c)

Da hiernach die Verurteilung des Angeklagten P. wegen Meineids und wegen Anstiftung zum Meineid im Strafausspruch aufzuheben ist, erscheint es dem Senat angezeigt, auch die Findung des Strafmaßes für die falsche Anschuldigung der erneuten tatrichterlichen Entscheidung zuzuführen, da sich ein Einfluß der übrigen Einzelstrafen nicht zuverlässig ausschliessen lässt.

d)

Die Bekanntmachungsbefugnis, die der Verletzten zugesprochen worden ist, hätte auf die Verurteilung wegen falscher Anschuldigung beschränkt werden müssen.

Die Frist, innerhalb deren von dieser Befugnis Gebrauch gemacht werden kann, wird zweckmässigerweise erst mit der Zustellung des rechtskräftigen Urteils in Lauf gesetzt (RG DR 1942 S. 1757 Nr. 22).

Das Gericht hat auch zu bestimmen, in welcher Zeitung die Veröffentlichung erfolgen soll; die Auswahl darf nicht der Verletzten überlassen werden (RG JR 1927 Rechtspr. Nr. 756; RG HRR 1939 Nr. 658; BGH Urt. vom 16. Oktober 1952 - 4 StR 452/52).

III.

Revision der Staatsanwaltschaft:

Dieses Rechtsmittel betrifft nur den Angeklagten P. und ist auf den Strafausspruch beschränkt. Die Strafzumessungsgründe können von dem Revisionsgericht nur darauf nachgeprüft werden, ob sie auf rechtsirrigen Erwägungen beruhen (vgl. z.B. BGH Urt. vom 5. April 1951 - 3 StR 57/51). Hiernach ist nicht zu beanstanden, dass dem Angeklagten trotz, hervorgehobener Erschwerungsgründe mit Rücksicht auf seinen schlechten Gesundheitszustand, sein schweres Schicksal, das von ihm abgelegte Geständnis und seine Reue mildernde Umstände zugebilligt und keine höheren Strafen festgesetzt worden sind. Obwohl hiernach die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision nicht den erstrebten Erfolg haben kann, ist das Urteil, da nach § 301 StPO jedes Staatsanwaltschaftliche Rechtsmittel auch zu Gunsten des Angeklagten wirkt, im Strafausspruch nicht nur auf die Revision des Angeklagten, sondern auch auf die der Staatsanwaltschaft aufzuheben.

Der Oberbundesanwalt hat die Revision der Staatsanwaltschaft vertreten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3018512

NJW 1953, 1923 (amtl. Leitsatz)

JR 1954, 31

JZ 1954, 171

JZ 1954, 171 (Volltext mit amtl. LS)

MDR 1954, 52

MDR 1954, 52-53 (Volltext mit amtl. LS)

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