Leitsatz (amtlich)
a) Ein Verwirkungstatbestand im Verhältnis zu einem Gesamtschuldner berührt für sich allein nicht den Anspruch des Gläubigers gegenüber einem anderen Gesamtschuldner.
b) Die Weggabe eines wertvollen Vermögensgegenstands ohne Gegenleistung kann ebenso wie eine inkongruente Deckung ein Indiz für die Absicht des Schuldners darstellen, seine Gläubiger zu benachteiligen.
Normenkette
BGB § 425; AnfG § 3 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1976-03-24
Verfahrensgang
LG Frankfurt (Oder) |
Brandenburgisches OLG |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 16. März 2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 4. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Mutter der Beklagten (im folgenden: Schuldnerin) ist die Tochter und Alleinerbin der am 5. September 1985 verstorbenen C. S. Diese war als Eigentümerin des Grundstücks Blatt 592 Flur 3 Flurstück 26 im Grundbuch von E. (Amtsgericht Bernau; im folgenden: Grundstück I) eingetragen. Ein seit dem 22. Oktober 1946 in Abteilung II des Grundbuchs befindlicher Bodenreformvermerk wurde am 13. August 1991 gelöscht. Am 20. August 1991 verkaufte die Schuldnerin das Grundstück für 802.575 DM an die F. GmbH. Zu deren Gunsten wurde am 4. November 1992 eine Auflassungsvormerkung eingetragen. Nachdem das klagende Land von dem Vorgang erfahren hatte, erhob es durch Schreiben des zuständigen Grundstücks- und Vermögensamts vom 5. März 1993 gegenüber dem Grundbuchamt unter Hinweis auf Art. 233 § 12 EGBGB Widerspruch gegen die Veräußerung des Grundstücks. Mit Schreiben vom 6. Dezember 1993 verlangte das Grundstücks- und Vermögensamt von der Schuldnerin die Auflassung des Grundstücks an den Kläger. Die Schuldnerin beauftragte daraufhin Rechtsanwalt Dr. T., der sich mit Schreiben vom 31. Januar 1994 an das „Amt zur Regelung offener Vermögensfragen” mit der Aufforderung wandte, den Widerspruch zu begründen. Am 19. Juli 1994 wurde im Grundbuch für das Grundstück I zugunsten des Klägers eine Auflassungsvormerkung „gemäß Art. 233 § 13 I EGBGB” eingetragen; einen Tag später (20. Juli 1994) wurde die F. als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Mit Schreiben vom 2. September 1994 an Rechtsanwalt Dr. T. beantwortete das Grundstücks- und Vermögensamt dessen Anfrage vom 31. Januar 1994; das Schreiben enthielt für den – tatsächlich gegebenen – Fall, daß die Eintragungsanträge zugunsten der F. bereits vor dem 22. Juli 1992 gestellt worden waren, die Ankündigung, daß der Widerspruch zurückgenommen und die Schuldnerin eine Aufforderung zur Auskehrung des Erlöses aus dem Verkauf des Grundstücks erhalten werde. Diese Aufforderung enthielt ein an Rechtsanwalt Dr. T. gerichtetes Schreiben des Grundstücks- und Vermögensamts vom 28. November 1994. Mit weiterem Schreiben an Dr. T. vom 29. Januar 1995 wurde der Schuldnerin angekündigt, daß bei Verstreichen einer letztmaligen Zahlungsfrist bis zum 6. Februar 1995 am 10. Februar 1995 Klage eingereicht werde. Dies geschah – erst – am 18. November 1997; die Schuldnerin wurde durch Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 29. April 1998 rechtskräftig zur Zahlung von 802.575 DM nebst Zinsen verurteilt. Vollstreckungsversuche des Klägers bei der Schuldnerin waren erfolglos.
Die Schuldnerin verwandte den Erlös aus dem Verkauf des Grundstücks I zum Bau eines Einfamilienhauses auf einem anderen ihr gehörenden Grundstück (Grundstück II); das Haus wurde im Dezember 1993 fertiggestellt. Durch „Grundstücksüberlassungsvertrag” vom 17. Mai 1994 übertrug die Schuldnerin das Grundstück II unentgeltlich, jedoch unter Vereinbarung eines lebenslänglichen dinglichen Wohnrechts für sich auf die Beklagte. Am 8. September 1994 wurde für diese eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen. Die Eintragung des Eigentumswechsels und des Wohnrechts wurde am 2. Oktober 1995 vollzogen.
Der Kläger verlangt von der Beklagten wegen seiner Forderung gegen die Schuldnerin die Duldung der Zwangsvollstreckung in das Grundstück II. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger den Klageanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat die auf § 3 Abs. 1 Nr. 1 AnfG a.F. gestützte Klage mit der Begründung abgewiesen, es lasse sich weder eine Benachteiligungsabsicht der Schuldnerin noch eine Kenntnis der Beklagten hiervon feststellen. Ob die dagegen gerichteten Verfahrensrügen der Revision begründet sind, kann offenbleiben, weil das Berufungsurteil schon unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt aufgehoben werden muß.
II.
Der vorgetragene Sachverhalt, von dessen Richtigkeit für das Revisionsverfahren auszugehen ist, erfüllt den Tatbestand einer Vermögensübernahme nach § 419 BGB.
1. Diese durch Art. 33 Nr. 16 EGInsO ab 1. Januar 1999 (Art. 110 Abs. 1 EGInsO) außer Kraft gesetzte Vorschrift ist auf Vermögensübernahmen, die bis zum 31. Dezember 1998 wirksam geworden sind, weiter anzuwenden (Art. 223a EGBGB).
2. Eine Vermögensübernahme im Sinne des § 419 Abs. 1 BGB setzt nach ständiger Rechtsprechung nicht voraus, daß das Vermögen des Übertragenden in seiner Gesamtheit übernommen wird; es genügt die Übertragung von Gegenständen, die im wesentlichen das ganze Vermögen des Veräußerers ausmachen (BGHZ 122, 297, 300 m.w.N.). Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Das der Schuldnerin bestellte dingliche Wohnrecht hat wegen der hier nicht gegebenen Möglichkeit der Zwangsvollstreckung in dieses Recht (vgl. § 1092 Abs. 1 Satz 2 BGB; dazu Raebel, in Lambert-Lang/Tropf/Frenz, Handbuch der Grundstückspraxis, 2000, Teil 5 Rn. 32 m.w.N.; ferner auch BGHZ 130, 314, 317) außer Betracht zu bleiben. Nach dem Vortrag des Klägers hat die Schuldnerin mit der – unentgeltlichen – Übertragung des Grundstücks II, in das nach insoweit übereinstimmender Darstellung beider Parteien der volle Erlös aus dem Grundstück I geflossen ist, über ihr gesamtes Vermögen verfügt. Der Kläger hat ferner behauptet, die Beklagte habe, was für die Anwendung des § 419 BGB erforderlich ist (BGHZ 122 aaO), gewußt, daß der Schuldnerin nach der Weggabe des Grundstücks kein nennenswertes Vermögen mehr verblieb.
3. Nach § 419 Abs. 1 BGB haftet der Übernehmer für die bei Abschluß des Übernahmevertrags bestehenden Verbindlichkeiten des Veräußerers. Bei Übertragung eines Grundstücks ist maßgebender Zeitpunkt der Antrag auf Umschreibung oder Eintragung einer Auflassungsvormerkung beim Grundbuchamt (BGHZ 55, 105, 111). Im Jahre 1994, als der Grundstücksübertragungsvertrag geschlossen und die Auflassungsvormerkung zugunsten der Beklagten beantragt und im Grundbuch eingetragen wurde, stand dem Kläger gegen die Schuldnerin der später eingeklagte und ihm zugesprochene Anspruch auf Auskehrung des Kaufpreises von 802.575 DM zu. Es handelte sich, wie das Landgericht Frankfurt (Oder) in seinem Urteil vom 29. April 1998 zutreffend dargelegt hat, um Bodenreformland im Sinne des Art. 233 § 11 EGBGB. Der Schuldnerin fiel zwar als Erbin ihrer im Grundbuch eingetragenen Mutter gemäß Art. 233 § 11 Abs. 2 Nr. 2 Fall 1 EGBGB das Eigentum zu; sie war jedoch, da es sich um ein land- oder forstwirtschaftlich genutztes Grundstück handelte, sie selbst aber nicht „zuteilungsfähig” war, nach Art. 233 § 11 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c dieses Gesetzes grundsätzlich verpflichtet, das Grundstück – gegen Übernahme etwaiger Verbindlichkeiten – auf den Kläger zu übertragen. Diese Verpflichtung trat freilich hier deswegen nicht ein, weil die Schuldnerin das Grundstück bereits am 20. August 1991 als durch Erbschein ausgewiesene Erbin verkauft hatte und der Notar vor Inkrafttreten der durch das Zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz eingefügten Bestimmungen der §§ 11 ff des Art. 233 EGBGB, also vor dem 22. Juli 1992 (Art. 15 2. VermRÄndG), eine Auflassungsvormerkung zugunsten der Käuferin beim Grundbuchamt beantragt hatte; statt dessen hatte die Schuldnerin den im Kaufvertrag mit der F. vereinbarten Kaufpreis an den Kläger auszukehren (Art. 233 § 16 Abs. 2 Satz 1, 2 EGBGB). Diese Rechtsvorschriften sind verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG WM 1995, 2004, 2005; BGH, Urt. v. 20. Oktober 2000 – V ZR 194/99, WM 2001, 212).
4. Der Zahlungsanspruch des Klägers ist der Beklagten gegenüber, die neben ihrer Mutter gesamtschuldnerisch haftet, entgegen der in anderem Zusammenhang geäußerten Ansicht des Berufungsgerichts weder verjährt noch verwirkt.
a) Die Verjährung, die gemäß § 425 BGB auch im Fall des § 419 BGB für jeden Gesamtschuldner eigenständig zu beurteilen ist (BGH, Urt. v. 23. November 1983 – VIII ZR 281/82, WM 1984, 138, 139), richtet sich nach Art. 233 § 14 EGBGB. Der Wortlaut, den diese Vorschrift durch Art. 2 Nr. 3 Buchst. d des Wohnraummodernisierungssicherungsgesetzes vom 17. Juli 1997 (BGBl. I S. 1823) erhalten hat, stellt klar, daß die kurze sechsmonatige Verjährungsfrist nur für den Auflassungsanspruch nach Art. 233 § 11 Abs. 3 Satz 1 EGBGB gilt (vgl. Palandt/Bassenge, BGB 60. Aufl. Art. 233 § 14 EGBGB Rn. 1). Die Rechtslage war aber auch schon nach der alten Fassung der Vorschrift keine andere (Staudinger/Rauscher, Art. 233 § 14 EGBGB 13. Bearb. Rn. 4; Soergel/Hartmann, BGB 12. Aufl. Art. 233 EGBGB Rn. 109 zu § 14). Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die die für den Auflassungsanspruch geltende kurze Verjährungsfrist auch auf den Zahlungsanspruch nach Art. 233 § 11 Abs. 3 Satz 4 EGBGB anwandte (Urt. v. 14. Februar 1997 – V ZR 32/96, WM 1997, 777, 778), bezog sich nicht auf den Zahlungsanspruch nach Art. 233 § 16 Abs. 2 Satz 2 EGBGB. Dieser Anspruch setzte nicht, wie derjenige nach § 11 Abs. 3 Satz 4, das Bestehen eines Anspruchs auf Auflassung voraus, sondern war dann gegeben, wenn es wegen der Wirksamkeit einer vor Entstehung der Ansprüche nach den §§ 11 ff getroffenen Verfügung von vornherein keinen Auflassungsanspruch gab. Die kurze, an die Eintragung einer Vormerkung zur Sicherung des Auflassungsanspruchs des Fiskus anknüpfende Verjährung sollte diesen im Interesse des Eigentümers, der über das Grundstück bereits anderweitig, aber noch nicht bindend verfügt hatte, und des Erwerbers zwingen, alsbald Klarheit darüber zu schaffen, ob er den Auflassungsanspruch geltend machen wollte. Für diese Erwägung besteht kein Raum, wenn ein Auflassungsanspruch von vornherein nicht gegeben ist. Die am 19. Juli 1994 zugunsten des Klägers eingetragene Vormerkung war unwirksam, weil der Anspruch, den sie sichern sollte, nicht bestand. Die Revision weist zutreffend darauf hin, daß eine solche unwirksame Vormerkung keinen Einfluß auf die Verjährungsfrist haben kann.
Die Verjährungsfrist endete somit gemäß Art. 233 § 14 Satz 1 EGBGB erst am 2. Oktober 2000. Sie ist durch die im Jahre 1998 gegen die Beklagte erhobene Klage – rechtzeitig – unterbrochen worden.
b) Für die Annahme einer Verwirkung des Anspruchs gegen die Beklagte fehlt es an einem Anknüpfungspunkt. Der Umstand, daß der Kläger entgegen der Ankündigung im Schreiben vom 29. Januar 1995 gegen die Schuldnerin nicht bereits am 10. Februar 1995, sondern erst Ende 1997 Klage eingereicht hatte, konnte allenfalls im Verhältnis zur Schuldnerin die Frage nach einer Verwirkung aufwerfen. Ein Verwirkungstatbestand im Verhältnis zu einem Gesamtschuldner berührt für sich allein nicht den Anspruch des Gläubigers gegenüber einem anderen Gesamtschuldner. Auch das ergibt sich aus § 425 BGB.
5. § 419 BGB gibt dem Gläubiger gegen den Übernehmer einen Zahlungsanspruch mit der Maßgabe, daß dieser nach Abs. 2 der Vorschrift seine Haftung auf das übernommene Vermögen beschränken kann. Aus diesem letzteren Grund kann der Gläubiger so, wie es hier der Kläger getan hat, anstatt auf Zahlung sofort auf Duldung der Zwangsvollstreckung in die im einzelnen zu bezeichnenden Gegenstände klagen (BGH, Urt. v. 17. September 1968 – VI ZR 204/66, WM 1968, 1404, 1046; v. 23. November 1983 – VIII ZR 281/82, WM 1984, 138, 139 f).
III.
Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Der Anspruch des Klägers ist bisher in den Tatsacheninstanzen nur unter anfechtungsrechtlichen Gesichtspunkten, nicht aber unter demjenigen des § 419 BGB erörtert worden; den Parteien muß deshalb Gelegenheit gegeben werden, ihren Vortrag gegebenenfalls zu ergänzen. Der Kläger kann in der neu eröffneten Berufungsinstanz außerdem, wenn es darauf ankommen sollte, die mit der Revision erhobenen Verfahrensrügen gegen die Beurteilung des geltend gemachten Anfechtungsanspruchs durch das Berufungsgericht diesem vortragen. Der Senat weist in diesem Zusammenhang auf folgendes hin:
Bei der Absichtsanfechtung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AnfG a.F. ist eine inkongruente Deckung ein Beweisanzeichen für eine Benachteiligungsabsicht (vgl. BGH, Urt. v. 2. Dezember 1999 – IX ZR 412/98, WM 2000, 156, 157 m.w.N.). Der Grundstücksübertragungsvertrag zwischen der Schuldnerin und der Beklagten war zwar kein Deckungs-, aber auch kein reines Verpflichtungsgeschäft (vgl. dazu BGH, Urt. v. 4. Dezember 1997 – IX ZR 47/97, WM 1998, 248, 249 f). Vielmehr handelte es sich um die aus einem Verpflichtungs- und einem Verfügungsgeschäft bestehende Weggabe eines wertvollen Vermögensgegenstands ohne Gegenleistung. Eine solche Zuwendung kann je nach Sachlage in nicht geringerem Maße als eine inkongruente Deckung ein Indiz für die Absicht des Schuldners sein, seine Gläubiger zu benachteiligen, und ist dann bei der Beweiswürdigung nach § 286 ZPO zu berücksichtigen.
Unterschriften
Kreft, Stodolkowitz, Ganter, Raebel, Kayser
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 06.12.2001 durch Bürk Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 666295 |
DB 2002, 476 |
DStZ 2002, 579 |
NJW 2002, 1569 |
BGHR 2002, 229 |
NJW-RR 2002, 478 |
KTS 2002, 319 |
Nachschlagewerk BGH |
VIZ 2002, 245 |
WM 2002, 141 |
WuB 2002, 741 |
ZIP 2002, 85 |
ZfIR 2002, 581 |
InVo 2002, 387 |
MDR 2002, 415 |
NJ 2002, 259 |
NZI 2002, 175 |
NZI 2002, 33 |