Leitsatz (amtlich)
Auch bei einer Höchstbetragsbürgschaft ist eine formularmäßige Erstreckung der Bürgenhaftung über diejenigen Forderungen hinaus, die Anlaß zur Verbürgung gaben, auf zukünftige Ansprüche des Gläubigers unwirksam.
Bei einer Höchstbetragsbürgschaft verstößt eine formularmäßige Erstreckung der Bürgenhaftung über diejenigen Forderungen hinaus, die Anlaß zur Verbürgung gaben, auf alle gegenwärtig bestehenden Ansprüche aus der Geschäftsverbindung des Gläubigers mit dem Hauptschuldner regelmäßig nicht gegen § 9 AGBG. Sie kann aber überraschend im Sinne von § 3 AGEG sein.
Normenkette
BGB § 767 Abs. 1 S. 3; AGBG § 9 Abs. 2; BGB § 767 Abs. 1 S. 1; AGBG §§ 3, 9
Verfahrensgang
OLG Karlsruhe |
LG Mannheim |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 24. Januar 1995 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Ehemann der Beklagten war Gesellschafter der B. W. 8. m.b.H. (nachfolgend: GmbH oder Hauptschuldnerin). Diese stand in Geschäftsbeziehungen zur klagenden Sparkasse. Am 4. Juni 1986 übernahm die damals 48- oder 49jährige Beklagte – zusammen mit ihrem Ehemann – gegenüber der Klägerin eine selbstschuldnerische Bürgschaft bis zum Betrage von 500.000 DM „zur Sicherung aller bestehenden und künftigen, auch bedingten oder befristeten Forderungen” der Klägerin gegen die Hauptschuldnerin aus ihrer Geschäftsbeziehung. Am 30. Juni 1986 unterzeichnete die Beklagte eine weitere gleichartige Bürgschaftsurkunde bis zum Betrage von 150.000 DM.
In der Folgezeit wurde ein gegen die GmbH eingeleitetes Konkursverfahren mangels Masse eingestellt. Die Klägerin kündigte die Kredite im Jahre 1991. Sie nimmt die Beklagte als Bürgin wegen eines verbliebenen Schuldsaldos von 215.505,49 DM aus einem Kredit Nr. … in Anspruch, der im Dezember 1986 gewährt wurde. Außerdem verlangt sie von der Beklagten die Freistellung von einer Avalverpflichtung, welche die Klägerin im Dezember 1981 für die GmbH gegenüber der Bundesrepublik Deutschland eingegangen war; die Klägerin stand damit für die Erfüllung eines Bauauftrags ein und wurde im Jahre 1991 von der Werkbestellerin auf Zahlung von 257.992,16 DM in Anspruch genommen.
Die auf die Bürgschaften vom Juni 1986 gestützte Klage hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg. Die Beklagte hat gegen ihre Verurteilung Revision eingelegt.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I.
Das Berufungsgericht hat allerdings mit Recht die von der Beklagten übernommenen Bürgschaften für wirksam gehalten.
1. Es hat insbesondere einen Verstoß der Bürgschaften gegen § 138 Abs. 1 BGB mit folgender Begründung verneint:
Es fehle ein grobes Mißverhältnis zwischen der bei Vertragsschluß vorliegenden und zu erwartenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Beklagten und der Höhe der Bürgschaftsschuld. Dies gelte sogar dann, wenn die Beklagte gemäß ihrer – bestrittenen – Behauptung schon 1984 eine weitere Bürgschaft bis zum Betrage von 250.000 DM übernommen habe. Die Beklagte habe bei Abgabe der Bürgschaftserklärungen im Juni 1986 in einem festen Arbeitsverhältnis als Bürokraft mit einem Monatseinkommen von 2.300 DM gestanden. Darüber hinaus sei sie unstreitig hälftige Miteigentümerin zweier Grundstücke mit einem Verkehrswert von zusammen mindestens 1,15 Mio. DM gewesen. Darauf seien zwar Grundschulden von zusammen 1,075 Mio. DM zugunsten der D. Bank eingetragen gewesen, doch habe die Beklagte nichts zur tatsächlichen Valutierung der Grundpfandrechte vorgetragen. Soweit die Beklagte sich auf weitere jetzige Verpflichtungen von mehr als 10 Mio. DM gegenüber der D. Bank berufe, sei nicht dargetan, inwieweit diese schon im Juli 1986 bestanden hätten.
Darüber hinaus sei die Beklagte nicht unerfahren gewesen. Sie habe auch mittelbar ein Eigeninteresse an der Gewährung des verbürgten Darlehens gehabt, weil die GmbH die wirtschaftliche Grundlage der gemeinsamen ehelichen Lebensführung gebildet habe. Endlich habe die Klägerin nicht in unzulässiger Weise auf die freie Willensentschließung der Beklagten eingewirkt. Nach ihren eigenen Angaben sei die Beklagte von einem Mitarbeiter der Hauptschuldnerin – nicht der Klägerin – zur Abgabe der Bürgschaftserklärungen aufgefordert worden; für eine Kenntnis der Klägerin hiervon sei nichts dargetan. Soweit deren Angestellte gegenüber der Beklagten nach deren Behauptung erklärt haben, mit der Bürgschaft werde das immer so gehandhabt, die Beklagte brauche sich hierzu keine Gedanken zu machen, könne das die nicht geschäftsunerfahrene Beklagte nicht zur Unterzeichnung der eindeutigen Bürgschaftstexte veranlaßt haben.
2. Das holt den Angriffen der Revision im Ergebnis stand.
a) Der Umstand allein daß eine Ehefrau für ihren Ehemann eine Bürgschaft übernimmt, die sie nicht voll erfüllen kann, macht dieses Rechtsgeschäft noch nicht sittenwidrig. Der Verstoß gegen § 138 Abs. 1 BGB setzt vielmehr stets weitergehende Umstände voraus. Solche Umstände können einmal in der Art liegen, wie auf die Entschließung des Bürgen eingewirkt wurde; zum anderen kann ein, Rechtsgeschäft sittenwidrig sein, durch das der Schuldner gegenwärtig und für die Zukunft in eine wirtschaftlich aussichtslose Lage gebracht wird, wenn der Gläubiger sich dieses Umstandes bewußt ist und zusätzliche erschwerende Umstände hinzukommen.
Für die Frage, ob eine Ehegattenbürgschaft allein wegen offenkundiger, krasser Überforderung des Bürgen sittenwidrig ist, sind alle bei Vertragsschluß erkennbaren Umstände einschließlich der voraussichtlichen Leistungsfähigkeit des Hauptschuldners zu berücksichtigen (Senatsurt. v. 18. Januar 1996 – IX ZR 171/95 m.w.N., z.V.b.).
b) Eine unzulässige Einflußnahme auf die Entscheidungsfreiheit einer bürgenden Ehefrau ergibt sich – entgegen der Auffassung der Revision – nicht schon allein aus dem Umstand, daß Kreditinstitute bei Geschäftskrediten an mittelständische Unternehmer üblicherweise Mitverpflichtungen von deren Ehefrauen forderten. Die Revision beruft sich in anderem Zusammenhang (RB S. 18) selbst auf den Vortrag der Klägerin, die Kreditgewährung hier nicht von einer Mitverpflichtung der Beklagten abhängig gemacht zu haben (GA Bd. 1 Bl. 119). Die Beklagte bestreitet auch nicht, daß die GmbH im Juni 1986 noch ein gesundes Unternehmen” war, so daß eine entsprechende Äußerung des damaligen Vorstands der Klägerin nicht irreführend oder verharmlosend gewesen wäre. Dem steht nicht die Behauptung der Beklagten entgegen, die GmbH habe das Geld damals „dringend zur Bewältigung eines Liquiditätsengpasses” benötigt; denn derartige Lagen können auch bei wirtschaftlich gesunden Unternehmen vorübergehend auftreten. Das Berufungsgericht hat ferner unanfechtbar ausgeschlossen, daß die – im Betriebe der GmbH selbst tätige – Beklagte sich von verharmlosenden Äußerungen habe beeinflussen lassen, da(3 sie sich also über das Risiko einer Bürgschaft nicht klar gewesen wäre.
Wenn die Klägerin die Bürgschaft hier erst nach der Auszahlung des Darlehens gefordert hat, so hat sie damit die Beklagte ebenfalls nicht in unzulässiger Weise unter Druck gesetzt. Die Grundsätze des Senatsurteils vom 2. November 1995 (IX ZR 222/94, ZIP 1996, 65, 66 f) greifen nicht ein. Zum einen ist die Klägerin mit der sofortigen Auszahlung der Darlehensvaluta – vor Abschluß aller formalen Voraussetzungen – nur dem dringenden Bedürfnis der GmbH nach Überwindung des Liquiditätsengpasses entgegengekommen. Zum anderen ist nicht dargetan, daß die GmbH im Sommer 1986 nicht zu einer Umschuldung in der Lage gewesen wäre, wenn die Beklagte die Bürgschaft verweigert und die Klägerin daraufhin den bereits ausbezahlten Kredit wieder gekündigt hätte. Nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten sollten die Kredite der Klägerin lediglich diejenigen der D. Bank ergänzen. Darüber hinaus ist nicht einmal behauptet, daß die Klägerin mit einer Kreditkündigung für den Fall gedroht hätte, daß die Beklagte keine Bürgschaft übernehmen würde.
Auf die Verpflichtungen der Beklagten gegenüber der D. Bank kommt es hier nicht entscheidend an. Weitere Verbindlichkeiten des in Aussicht genommenen Bürgen braucht jeder Kreditgeber allenfalls dann in Betracht zu ziehen, wenn er sie kennt oder sie sich ihm aufdrängen. Dafür ist im vorliegenden Fall nichts dargetan. Die Behauptung der Beklagten, der Vorstand der Klägerin habe Verbindlichkeiten der Hauptschuldnerin gegenüber der D. Bank in Höhe von 3,5 Mio. DM gekannt, reicht nicht aus. Es steht schon nicht fest, daß es allgemeine Übung von Kreditgebern ist, die an mittelständische Unternehmer ausgereichten Darlehen durch Bürgschaften von deren Ehefrauen sichern zu lassen. Im Gegenteil beruft sich die D. Bank in ihrem – von der Beklagten vorgelegten (Anlage zu ihrem Schriftsatz vom 6. Januar 1995 = Bl. 113 Bd. II GA) – Schreiben vom 1. Juli 1991 auf eine Bürgschaft, welche die Beklagte am 28. Januar 1988 übernommen hat, also erst nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt. Zudem war die D. Bank, im Gegensatz zur Klägerin, durch erstrangige Grundschulden von mehr als 1 Mio. DM an den im Miteigentum der Beklagten stehenden Grundstücken gesichert. Eine darüber hinausgehende persönliche Verpflichtung der Beklagten schon im Juni 1986 drängte sich für die Klägerin nicht auf. Ferner läßt sich nicht einmal jetzt der objektiv rechtswirksame Umfang der Bürgenschuld der Beklagten gegenüber der D. Bank zuverlässig übersehen. Aus dem Schreiben der Rechtsanwälte der D. Bank vom 15. Juli 1991 (BI. 109 Bd. II GA) ergibt sich, daß die Bürgschaft der Beklagten „betragsmäßig unbegrenzt” war. Eine solche Verpflichtung wäre allenfalls im Umfange derjenigen Darlehen wirksam, deren Gewährung Anlaß zur Bürgschaftsübernahme war (s.u. II 1 a); dazu ist nichts vorgetragen. Der Senat braucht deshalb nicht zu entscheiden, ob eine Bürgschaft der Beklagten in der von der D. Bank geltend gemachten Höhe gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig wäre.
Die gegenüber der Klägerin eingegangenen Bürgschaften überforderten die Beklagte nach den im Juni 1986 erkennbaren Umständen nicht in einer Weise, daß die Beklagte bei Inanspruchnahme dadurch offensichtlich in eine ausweglose wirtschaftliche Lage gebracht werden würde. Auf die von der Revision angegriffene Annahme des Berufungsgerichts, von der Beklagten sei notfalls eine Vollzeitarbeit zu erwarten gewesen, kommt es insoweit nicht entscheidend an. Im Gegensatz zur D. Bank war die Klägerin nicht durch Grundpfandrechte am Miteigentum der Beklagten gesichert. Sie durfte deshalb bei wirtschaftlichem Denken eine Verpflichtung der Beklagten auch in einer Höhe fordern. die notfalls einen Zugriff auf den Wert ihrer Miteigentumshälfte an den beiden Grundstücken ermöglichte. Entgegen der Auffassung der Revision kommt es insoweit nicht auf die genaue Höhe der eingetragenen Belastungen einschließlich der Grundschuldzinsen an: Die Bürgschaft wurde für die Zukunft angefordert. Die künftige Entwicklung der Grundstücksbelastungen war aber nicht abzusehen. Die Grundpfandgläubigerin konnte möglicherweise abgefunden werden. Für die Klägerin war allein entscheidend. daß der Beklagten ein potentiell erheblicher Vermögenswert gehörte, der in die Haftung einbezogen werden konnte. Auf der anderen Seite kommt es – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts und der Revision – aus Rechtsgründen nicht entscheidend auf die Bürgschaft von 250.000 DM an. welche die Beklagte nach ihrer Behauptung schon am 19. September 1984 gegenüber der Klägerin übernommen hat. Denn es ist nicht dargetan. daß dieses akzessorische (§ 767 Abs. 1 Satz 1 BGB) Sicherungsmittel noch im Juni 1986 wirksam war. Die Klägerin beruft sich darauf nicht. Aus Anlaß welcher Kreditgewährung die Bürgschaft übernommen wurde, ist nicht dargetan, erst recht nicht. daß der gesicherte Kredit im Juni 1986 noch offenstand. Soweit die formulamäßige Bürgschaft auch für künftige Verbindlichkeiten übernommen worden sein soll wäre sie in diesem Umfange gemäß § 9 AGBG unwirksam gewesen (siehe unten II 1). Soweit sie andererseits möglicherweise noch andere ältere Verbindlichkeiten – insbesondere die von der Klägerin übernommene Avalbürgschaft (siehe unten II 2) – absicherte, ging eine solche Wirkung keinesfalls über diejenige der im Juni 1986 übernommenen Bürgschaften hinaus.
Durch Bürgschaften über zusammen 650.000 DM wird die halbtags erwerbstätige Ehefrau eines mittelständischen Unternehmers, der ein Grundvermögen im Wert von mindestens 575.000 DM (ohne die eingetragenen Belastungen) gehört, nicht offenkundig hoffnungslos überfordert.
II.
Es ist aber bisher nicht dargetan, daß der Klägerin gegen die Hauptschuldnerin Forderungen zustehen, die durch die Bürgschaften der Beklagten gesichert werden (§ 767 Abs. 1 Satz 1 BGB).
1. Die Beklagte ist ihre Verpflichtungen im Juni 1986 eingegangen. Demgegenüber stützt die Klägerin ihrenZahlungsantrag ausdrücklich auf ein im Dezember 1986 gewährtes Darlehen. Dieses könnte selbständig von den Bürgschaften nur gesichert werden, wenn die darin enthaltenen formularmäßigen Erklärungen, die Verpflichtung werde auch für künftige Forderungen der Klägerin übernommen, wirksam wäre. Das ist nicht der Fall.
a) Wird dem Hauptschuldner ein betragsmäßig begrenzter Kontokorrentkredit gewährt, verstößt die formularmäßige Ausdehnung der Bürgschaft über das Kreditlimit hinaus gegen S 9 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AGBG (Senatsurt. v. 18. Mai 1995 – IX ZR 108194. Wn 1995, 1397, 1401 f, z.V.b. in BGHZ 130. 19; vgl. auch BGH, Urt. v. 7. November 1995 – XI ZR 235/94, Wn 1995. 2180. 2181). Eine Formularklausel, welche die Bürgenhaftung über die Forderungen hinaus, die den Anlaß zur Verbürgung bildeten, auf alle zukünftigen Ansprüche aus der Geschäftsverbindung des Gläubigers mit dem Hauptschuldner ausdehnt, ist insoweit unwirksam (Senatsurt. v. 18. Januar 1996 – IX ZR 69195. z.V.b. in BGHZ) weil sie mit dem Leitbild des § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB nicht vereinbar ist. Dies gilt unabhängig davon. ob die Bürgschaft – wie hier – auf einen Höchstbetrag begrenzt ist oder nicht. Denn die gesetzliche Leitentscheidung des § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB gilt für beide Fälle gleichermaßen (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG). Zudem werden vertragswesentliche Rechte des Bürgen nicht nur dadurch ausgehöhlt (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG). daß er für einen höheren Betrag haftet, als es dem Anlaß seiner Bürgschaftsübernahme entspricht, sondern auch dadurch, daß er für andere als die veranlaßten Verbindlichkeiten einzustehen hat: Deren Tilgungsdauer oder zusätzliche Besicherung kann ebenso abweichen wie der Zweck einschließlich des damit verbundenen Ausfallrisikos. Zudem kann sich die Bonität des Hauptschuldners in der Zeit nach Übernahme der Bürgschaft verschlechtern. Das aktuelle Sicherungsbedürfnis des Gläubigers bei Übernahme der Bürgschaft bildet deshalb grundsätzlich die Obergrenze der Bürgschaftsverbindlichkeit.
Diese beschränkte Wirksamkeit der den Haftungsumfang betreffenden Formularklausel gilt bereits im Streitfall, obwohl der Senat die Bestimmung früher in weiterem Umfang als gültig angesehen hat. Der mit der Entscheidung verbundenen Rückwirkung auf einen in der Vergangenheit liegenden, noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt stehen verfassungsrechtliche Gründe nicht entgegen (vgl. Senatsurt. v. 18. Januar 1996 – IX ZR 69195; v. 29. Februar 1996 – IX ZR 153195. jeweils z.V.b. in BGHZ). Das Zivilgericht entscheidet über die widerstreitenden Interessen von Privatpersonen in Einzelfällen. Dabei ist das Vertrauen der einen Partei auf Fortbestand einer ihr günstigen Rechtsprechung nicht grundsätzlich schutzwürdiger als das Vertrauen der anderen Partei darauf. ihr Interesse aufgrund der nunmehr als richtig erkannten Rechtslage in dem durch den Streitgegenstand begrenzten Umfang durchsetzen zu können. Daß die Entscheidung möglicherweise auch Auswirkungen auf weitere Rechtsbeziehungen der unterliegenden Partei zu Dritten hat, rechtfertigt es – von Fällen des § 242 BGB abgesehen – regelmäßig nicht. die Belange der sich objektiv im Recht befindlichen Einzelpartei zurücktreten zu lassen. Erst recht gilt dies, wenn um die Unwirksamkeit von Formularklauseln aufgrund des AGB-Gesetzes gestritten wird. Insoweit hat der Gesetzgeber das Risiko gezielt dem Verwender auferlegt.
b) Die Parteien tragen nicht vor, aus welchem Anlaß die Beklagte die Bürgschaft in Höhe von 150.000 DM am 30. Juni 1986 übernommen hat. Zu dieser Zeit soll das am Monatsanfang verbürgte Darlehen von 500.000 DM schon ausgezahlt gewesen sein. Die Unklarheit über das verbürgte Risiko gereicht der Klägerin zum Nachteil. Denn der Gläubiger, der den Bürgen in Anspruch nimmt, hat im Hinblick auf § 767 Abs. 1 Satz 1 BGB darzutun und zu beweisen, daß die (akzessorische) Bürgschaft sich gerade auf die geltend gemachte Hauptschuld erstreckt.
c) Andererseits behauptet die Revisionserwiderung – im Anschluß an die geänderte Senatsrechtsprechung (s.o.a.) –, die Bürgschaft der Beklagten vom 4. Juni 1986 über 500.000 DM sei an demselben Tage unterschrieben worden. an dem die Klägerin der GmbH einen Kontokorrentkredit von 500.000 DM auf das Konto Nr. … gewährt habe. Dies sei der Anlaß für die Bürgschaftsübernahme gewesen. Auf demselben Konto sei am 22. Dezember 1986 der Kredit auf einen Höchstbetrag von 1 Mio. DM erhöht worden. Der Restbetrag aus diesem Kontokorrentkredit werde mit der Klage geltend gemacht.
Trifft das zu, so stünde noch dieselbe Darlehensverbindlichkeit offen, für die sich die Beklagte – wenngleich nicht in der vollen Höhe zum Jahresende 1986 – verbürgt hat. In diesem Falle wirkt die summenmäßig begrenzte Bürgschaft wie eine für eine einheitliche Hauptschuld erteilte Höchstbetragsbürgschaft. Denn auf zukünftige Kredite erstreckt sich die Verpflichtung des Bürgen, soweit jene Forderungen schon den Anlaß für die Haftungsübernahme bildeten und zu diesem Zeitpunkt bereits – auch für den Bürgen erkennbar – nach Gegenstand und Umfang hinreichend bestimmt waren (vgl. Senatsurt. v. 18. Mai 1995 – IX ZR 108194. aaO S. 1402; v. 18. Januar 1996 – IX ZR 69195. Abdr. S. 7 f). Im vorliegenden Fall ist die Bürgschaft nicht für einen Einzelkredit gegeben worden, welcher vereinbarungsgemäß beständig zu tilgen war; eine solche Bürgschaft würde allerdings eine spätere Erhöhung nicht sichern. Statt dessen hat die Beklagte die Bürgschaft nach dem Vortrag der Klägerin gerade für einen Kontokorrentkredit bis zur Höhe von 500.000 DM übernommen. Dessen offenkundiger Zweck ist es, durch ständige teilweise Rückführung und erneute Inanspruchnahme immer wieder verändert zu werden. Dieses Risiko begrenzt der Bürge durch den festgesetzten Höchstbetrag. Der von der Klägerin hier als offenstehend eingeklagte Restbetrag ist niedriger als die Bürgschaftssurrune. Sofern die Kontobeziehung nicht zwischenzeitlich beendet worden ist – was die Beklagte darzutun hätte –, muß diese für den Restbetrag des geltend gemachten Darlehens einstehen.
2. DenFreistellungsantrag stützt die Klägerin auf eine eigene Avalverpflichtung, die sie bereits im Jahre 1981 eingegangen war. Es handelte sich also im Zeitpunkt der Übernahme beider Bürgschaften durch die Beklagte (Juni 1986) um eine schon als möglich bestehende Rückgriffsforderung der Klägerin gegen die Hauptschuldnerin. Daß diese Forderung noch durch die Inanspruchnahme von seiten des Auftraggebers bedingt war, steht nicht nur nach dem Inhalt der Bürgschaftsurkunde, sondern auch gemäß § 765 Abs. 2 BGB nicht entgegen.
a) Es verstößt nicht gegen § 9 AGBG, wenn die Klägerin die Beklagte auch wegen dieser Hauptschuld aus den Bürgschaften in Anspruch nimmt. Insoweit fällt hier schon ins Gewicht, daß beide Bürgschaften von Anfang an auf Höchstbeträge begrenzt waren. Die Vereinbarung eines Höchstbetrages der Haftung beschränkt das Risiko des Bürgen bereits in erheblichem Maße und läßt ihn hinsichtlich einer Eingrenzung auch der gesicherten Forderungen als weniger schutzbedürftig erscheinen (Horn in Festschrift für Merz S. 217, 218 f, 227). Ein Verstoß gegen § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB kommt der Sache nach nicht in Betracht. Zudem erstreckt sich die Haftung des Bürgen nur auf solche Hauptschulden, die er im Zeitpunkt der Abgabe seiner Bürgschaftserklärungen aufgrund von Erkundigungen erfahren konnte. Danach kann es hier offen bleiben, ob eine summenmäßig nicht begrenzte formularmäßige Bürgschaft, die alle bestehenden Hauptschulden sichern soll, trotz § 767 Abs. 1 Satz 1 BGB und § 9 AGBG auch solche Verbindlichkeiten erfaßt, die nicht Anlaß zur Verbürgung waren.
b) Eine Schranke setzt aber in jedem Falle § 3 AGBG. Eine formularmäßige Bürgschaftserklärung, mit der die Haftung auf alle bestehenden (und künftigen) Verbindlichkeiten des Hauptschuldners aus einer bankmäßigen Geschäftsbeziehung erweitert wird, kann allgemein überraschend sein und deshalb nicht Vertragsbestandteil werden, wenn die Bürgschaft aus Anlaß der Gewährung eines bestimmten Kontokorrentkredits übernommen wird (Senatsurt. v. 18. Mai 1995 – IX ZR 108/94, WM 1995, 1397, 1398 f, z.V.b. in BCHZ 130, 19; vgl. zur Grundschuld auch BGH, Urt. v. 4. Oktober 1995 – XI ZR 115/94, WN 1995, 2133, 2134). Eine summenmäßige Begrenzung der Bürgschaft ändert daran nichts (ebenso OLG Rostock VIN 1995, 1533, 1535): Wer für einen Kontokorrentkredit bis zu einem bestimmten Betrage bürgen will, kann trotz Einhaltung dieses Limits überrascht werden, wenn er für einen Kredit einstehen soll, der aus anderem Anlaß gewährt wurde. Die unterschiedlichen Bedingungen des weiteren Kredits können den Bürgen zudem stärker oder anders belasten.
Nach dem Vortrag der Beklagten ist sie zur Bürgschaftsübernahme aufgefordert worden, um der GmbH aus einem drängenden Liquiditätsengpaß zu helfen. Dies könnte dafür sprechen, daß sich die Beklagte bestimmte Vorstellungen vom Zweck ihrer Interzession gemacht hat. Mit einer beabsichtigten Hilfe aus einer kurzfristigen Notlage wäre es kaum zu vereinbaren, die Beklagte auch für eine seit fünf Jahren bestehende und auf zehn Jahre befristete Avalbürgschaft einstehen zu lassen, aus der eine Inanspruchnahme im Jahre 1986 noch nicht abzusehen war.
III.
Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden (§ 565 ZPO).
Die Klage ist derzeit aufgrund einer Änderung der Senatsrechtsprechung nicht (mehr) schlüssig, die erst nach Erlaß des Berufungsurteils eingetreten ist (siehe oben II). Der neue Vortrag der Klägerin hierzu (oben II 1 c) kann im Revisionsrechtszug nicht berücksichtigt werden. Ihr ist aber gemäß § 139 ZPO Gelegenheit zu geben, ihren Vortrag umfassend auf die Rechtslage, wie sie sich nunmehr richtigerweise darstellt, einzurichten. Zu diesem Zweck und für die dadurch möglicherweise nötig werdende Tatsachenfeststellung ist der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Diesem wird die Klägerin auch darzulegen haben, aus welchen der beiden fraglichen Bürgschaften sie jeweils Forderungen herleitet.
Unterschriften
Kreft, Stodolkowitz, Kirchhof, Fischer, Zugehör
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 07.03.1996 durch Giovagnoh Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 604960 |
BB 1996, 868 |
NJW 1996, 1470 |
Nachschlagewerk BGH |
ZIP 1996, 702 |
ZBB 1996, 143 |