Verfahrensgang
LG Aurich (Urteil vom 11.09.2001) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aurich vom 11. September 2001 wird verworfen. Jedoch wird der Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte der Vergewaltigung schuldig ist.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „sexueller Nötigung” zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet; jedoch wird die Urteilsformel geändert.
Nach den Feststellungen war die 16-jährige, leicht geistig behinderte Geschädigte als Übernachtungsgast bei der Familie ihrer Schulfreundin Johanna S. zu Besuch. Der Angeklagte übernachtete ebenfalls dort und nutzte die Situation, um sich der Nebenklägerin in der Absicht zu nähern, zum Geschlechtsverkehr zu gelangen. Er gab ihr einen Zungenkuß und entkleidete sie unter Überwindung ihres körperlichen Widerstandes. Er leckte und küßte ihre Brüste, brachte ihr einen „Knutschfleck” am Busen bei und faßte ihr mit zwei Fingern in die Scheide, wobei er dort längere Zeit rieb. Nachdem er seinen erigierten Penis mit einem Kondom versehen hatte, mußte er jedoch von ihr ablassen, da Stefan S., der in diesem, seinem eigenen Zimmer übernachten wollte, nach Hause gekommen war.
Die Strafkammer hat trotz des Vorliegens der Voraussetzungen eines Regelbeispiels nach § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB (Eindringen mit den Fingern in die Scheide) einen besonders schweren Fall verneint und die Strafe dem Strafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB entnommen.
Die Verurteilung des Angeklagten hält rechtlicher Nachprüfung stand, insbesondere weist die Beweiswürdigung keine den Bestand des Urteils gefährdende Rechtsfehler auf.
1. Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Schuld des Angeklagten auf die ausführlich gewürdigte, durch ein Glaubwürdigkeitsgutachten überprüfte und mehrere andere Beweismittel bestätigte Aussage der Geschädigten gestützt. Daher liegt eine Beweissituation, in der Aussage gegen Aussage steht, nicht vor. Von maßgeblicher Bedeutung ist dabei, daß der Angeklagte nicht nur jegliche sexuelle Handlung mit dem Mädchen, sondern sogar deren Anwesenheit zur Tatzeit in dem von ihr bezeichneten Tatzimmer, in dem er zu dieser Zeit allein geschlafen haben will, in Abrede gestellt hat. Die Strafkammer hat ohne Rechtsfehler diese Einlassung des Angeklagten für widerlegt und gleichzeitig die dem entgegenstehende Aussage der Geschädigten für bestätigt erachtet. Nach der Aussage des Zeugen Stefan S. ist die Geschädigte bei seiner Rückkehr gerade aus dem Zimmer des Angeklagten in Richtung Badezimmer oder Küche „gehuscht”. Der Angeklagte hat nach den Angaben dieses Zeugen wach in seinem Bett gelegen. Nach der Bekundung der Zeugin Johanna S. hat sich ihre Schulfreundin zur fraglichen Zeit vor der Rückkehr Stefans etwa eine halbe Stunde beim Angeklagten in dessen Zimmer aufgehalten. Eine weitere Bestätigung der Aussage der Nebenklägerin hat die Strafkammer zu Recht in der Feststellung eines „Knutschflecks” durch die Kriminalbeamtin G. an der linken Brustseite des Mädchens gesehen. Schließlich spricht die Entschuldigung des Angeklagten bei der Geschädigten auf Veranlassung der Zeugin … H. kurz nach der Tat gegen eine ungerechtfertigte Beschuldigung ohne jeden tatsächlichen Hintergrund und für einen stattgefundenen Übergriff.
2. Die ausführliche Beweiswürdigung des Landgerichts weist entgegen der Stellungnahme des Generalbundesanwalts keine Lücken oder sonstige durchgreifende Mängel auf.
a) In den Urteilsgründen wird in ausreichendem Maße erörtert, daß in zwei Punkten in dem Aussageverhalten der Geschädigten Differenzen aufgetreten sind und aus welchen Gründen diese Abweichungen die generelle Glaubhaftigkeit der Aussage zum Kerngeschehen im übrigen unberührt lassen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Geschädigte lediglich bei der polizeilichen Vernehmung schilderte, der Angeklagte sei mit seinem Glied an ihrer Scheide gewesen, während sie davon weder vorher bei ihren Offenbarungen, noch später bei der Exploration durch die Sachverständige und in der Hauptverhandlung berichtet hatte. Bei dieser Sachlage durfte die Strafkammer diese Abweichung in Übereinstimmung mit der Beurteilung des vernehmenden Kriminalbeamten und der Sachverständigen ohne Rechtsfehler als durch die besondere Aussagesituation bedingt erklären. Entsprechendes gilt für die Frage, welchen Widerstand die Zeugin dem Zungenkuß entgegengesetzt hatte. Ein Widerspruch zwischen der Aussage in der Hauptverhandlung zu den Angaben gegenüber der Zeugin Johanna S. („hat mich vergewaltigen wollen”) und dem Klassenlehrer W. („hat versucht mit mir zu schlafen”) besteht ohnehin nicht. Diese Äußerungen stellen eine Bewertung des Vorgehens des Angeklagten dar, die sowohl nach strafrechtlicher Terminologie (danach liegt sogar vollendete Vergewaltigung vor, s.u.), als auch nach allgemeinem Sprachgebrauch zutreffend war.
b) Angesichts der bereits genannten Aussagen der Zeugen Stefan und Johanna S. einerseits und der deutlich erlebnisorientierten und mit realistischen Details angereicherten Aussage der Geschädigten andererseits brauchte die Strafkammer auch nicht die hier fernliegende Möglichkeit erörtern, diese könne den ins Auge gefaßten Kontaktversuch zum Bruder ihrer Schulfreundin zum Anlaß genommen haben, eine auf den Angeklagten bezogene Geschichte zu erfinden, zumal sie nach dem Gutachten einer solchen Phantasieleistung auf Grund ihrer intellektuellen Minderbegabung nicht fähig ist.
c) Ebensowenig war eine ausdrückliche Erörterung geboten, das von der Geschädigten berichtete sexuelle Geschehen könne sich zwar so ereignet haben, sei aber mit ihrem Einverständnis erfolgt. Dazu bestand angesichts des Umstandes, daß sich selbst der Angeklagte hierauf nicht berufen hat und andererseits seine nachträgliche Entschuldigung und das auffällige Verhalten des Mädchens bei der Offenbarung dagegen sprechen, keine Veranlassung. Die Sachverständige hat die Motivlage der Geschädigten und mögliche Auswirkungen auf ihr Aussageverhalten durchaus einer kritischen Analyse unterzogen (UA S. 43). Daß in den Urteilsgründen in diesem Zusammenhang nicht der Zweck des Wochenendbesuchs, einen Kontakt der Geschädigten mit dem Bruder ihrer Schulfreundin herzustellen, erwähnt wird, belegt nicht, daß die Sachverständige diesen Gesichtspunkt außer acht gelassen hätte. Im übrigen vermag der Senat den Urteilsfeststellungen nicht zu entnehmen, daß die Geschädigte über die bloße Kontaktanbahnung hinaus bereits an diesem Wochenende sexuelle Erlebnisse mit Stefan S. erwartete.
d) Allerdings ist dem Generalbundesanwalt zuzugeben, daß die Erwägungen des Landgerichts zur fehlenden Glaubwürdigkeit der Bekundung des Zeugen Stefan S., die Geschädigte habe nach der Tat den Wunsch geäußert, in der Mitte zwischen ihm und dem Angeklagten schlafen zu dürfen, bedenklich sind. Die Strafkammer hat diesen Angaben des Zeugen nicht geglaubt, weil ein solcher Wunsch angesichts dessen, was die Geschädigte zuvor mit dem Angeklagten erlebt habe, nicht nachvollziehbar sei. Damit hat sie die erst noch zu beweisende Tatsache eines gewaltsamen sexuellen Übergriffs als vorgegeben vorausgesetzt, um die Unrichtigkeit eines Aussagedetails, das gegen die Glaubwürdigkeit der Geschädigten eingewandt werden könnte, zu belegen. Dieser Schluß ist unzulässig. Der Senat kann jedoch angesichts der weiteren Erwägungen der Strafkammer zu diesem Punkt und des sonstigen Beweisergebnisses ausschließen, daß das Urteil hierauf beruht.
3. Da die Strafkammer die Voraussetzungen eines Regelbeispiels nach § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB zu Recht bejaht hat, hätte sie die vom Angeklagten begangene Tat selbst dann als „Vergewaltigung” bezeichnen müssen, wenn sie im Hinblick auf besondere Milderungsgründe einen besonders schweren Fall verneint und die Strafe dem Grundtatbestand des § 177 Abs. 1 StGB entnimmt (vgl. BGH bei Pfister NStZ-RR 2001, 356 Nr. 22).
Unterschriften
Rissing-van Saan, Winkler, Pfister, von Lienen, Becker
Fundstellen
Haufe-Index 2559704 |
NStZ 2002, 555 |