Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwischenfeststellungsklage. Zulässigkeit. Gegenstand der Feststellung. Rechtsverhältnis. Klage und Widerklage. Mehrere selbstständige Ansprüche
Leitsatz (amtlich)
Eine Zwischenfeststellungsklage ist zulässig, wenn beide Parteien mit Klage und Widerklage selbständige Ansprüche verfolgen, für die das streitige Rechtsverhältnis vorgreiflich ist, mögen sie auch in ihrer Gesamtheit die Ansprüche erschöpfen, die sich aus dem Rechtsverhältnis überhaupt ergeben können (Anschluss an BGH, Urt. v. 13.10.1967 - V ZR 83/66, WM 1967, 1245, 1246).
Normenkette
ZPO § 256 Abs. 2
Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 18.10.2011; Aktenzeichen 9 U 5582/10 Bau) |
LG München I (Urteil vom 26.11.2010; Aktenzeichen 8 O 6790/07) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des OLG München vom 18.10.2011 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist.
Die Anschlussrevision der Beklagten wird zurückgewiesen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens sowie über die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens betreffend die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten im Rahmen von Klage und Widerklage über gegenseitige Ansprüche aus einem Bauvertrag vom 21.9.1999.
Rz. 2
Mit Schreiben vom 3.5.2001 entzog die Klägerin der Beklagten unter Hinweis auf § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 VOB/B den Auftrag mit sofortiger Wirkung. Die Parteien streiten insb. darüber, ob es sich bei dieser Kündigung um eine Kündigung aus wichtigem Grund oder um eine freie Kündigung handelt.
Rz. 3
Die Klägerin begehrt die Rückzahlung einer angeblichen Überzahlung (6.254.727,71 EUR und 457.533,86 EUR), den Ersatz von entstandenen Mehrkosten für die drittseitige Fertigstellung des Bauvorhabens (12.583.287,35 EUR) sowie den Ersatz von Schäden aus Bauzeitverlängerung (1.369.950,35 EUR).
Rz. 4
Mit der Widerklage begehrt die Beklagte Schadensersatz für Gutachter- und Kopierkosten (309.042,09 EUR netto) sowie eine Schlussrechnungs-Restforderung (18.858.567,28 EUR brutto), der u.a. eine sog. Kündigungsvergütung für nicht erbrachte Leistungen i.H.v. 9.583.947,44 EUR netto zugrunde liegt.
Rz. 5
In erster Instanz hat die Klägerin eine Zwischenfeststellungsklage erhoben und beantragt:
Es wird festgestellt, dass die von der Klägerin mit Schreiben vom 3.5.2001 ausgesprochene Kündigung des Bauvertrages ihrer Rechtsnatur nach eine berechtigte Kündigung aus wichtigem Grund (Entziehung des Auftrags gem. § 8 Nr. 3 VOB/B) ist.
Rz. 6
Das LG hat die beantragte Feststellung getroffen. Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt und in der Berufungsinstanz beantragt:
I. Das Zwischenfeststellungsurteil vom 26.11.2010 wird aufgehoben.
II. Die Klage wird abgewiesen.
III. Es wird festgestellt, dass der Beklagten dem Grunde nach ein Anspruch auf Vergütung infolge der Kündigung des Bauvertrages für das Bauprojekt "H.S." durch die Klägerin mit Schreiben vom 3.5.2001 gem. § 649 BGB i.V.m. § 8 Nr. 1 VOB/B gegen die Klägerin zusteht.
Rz. 7
Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Zwischenfeststellungsurteil des LG aufgehoben, den Antrag der Klägerin auf Erlass des Zwischenfeststellungsurteils abgewiesen und die Sache an das LG zurückverwiesen. Den Antrag der Beklagten Ziff. III hat das Berufungsgericht abgewiesen und die Berufung der Beklagten im Übrigen zurückgewiesen.
Rz. 8
Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Der Senat hat die Revision der Klägerin zugelassen und die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zurückgewiesen.
Rz. 9
Die Klägerin erstrebt mit der Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Zwischenfeststellungsurteils.
Rz. 10
Die Beklagte hat zur Wahrung ihrer Rechte Anschlussrevision eingelegt, mit der sie den im Berufungsrechtszug gestellten Antrag Ziff. III weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Rz. 11
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist, und im Umfang der Aufhebung zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Anschlussrevision ist unbegründet.
I.
Rz. 12
Das Berufungsgericht hält die Zwischenfeststellungsklage für unzulässig. Eine Zwischenfeststellungsklage sei nur dann zulässig, wenn nicht ausgeschlossen sei, dass der Gegenstand der Feststellung auch außerhalb des Gegenstands des Klageverfahrens in der Hauptsache von präjudizieller Bedeutung sein könne. An diesem Erfordernis fehle es hier. Die wechselseitigen Ansprüche der Parteien aus dem Bauvertrag mit Bezug zu der Kündigung seien vollständig Gegenstand der Klage- und der Widerklageanträge. Eine darüber hinausgehende Bedeutung der Feststellung sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Dass die Berechtigung der Kündigung aus wichtigem Grund die zentrale Vorfrage für einen Teil der Klage- und der Widerklageanträge bilde, genüge gerade nicht.
Rz. 13
Keinen Erfolg habe die Berufung der Beklagten, soweit die Feststellung der Berechtigung von Ansprüchen der Beklagten aus § 649 BGB begehrt werde. Dieser erstmals in zweiter Instanz gestellte Antrag sei nicht an § 533 ZPO zu messen. Er stelle jedoch ebenfalls einen Zwischenfeststellungsantrag dar und sei aus den gleichen Gründen unzulässig wie derjenige der Klägerin.
II. Revision der Klägerin
Rz. 14
Das Berufungsurteil hält, soweit zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist, der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Zwischenfeststellungsklage der Klägerin ist nach § 256 Abs. 2 ZPO zulässig.
Rz. 15
1. Die Klägerin begehrt mit ihrem Antrag die Feststellung eines Rechtsverhältnisses i.S.d. § 256 Abs. 2 ZPO.
Rz. 16
a) Unter Rechtsverhältnis ist eine bestimmte, rechtlich geregelte Beziehung einer Person zu anderen Personen oder einer Person zu einer Sache zu verstehen (vgl. BGH, Urt. v. 16.9.2008 - VI ZR 244/07, NJW 2009, 751 Rz. 10 m.w.N.). Darunter sind auch einzelne auf einem umfassenderen Rechtsverhältnis beruhende Ansprüche oder Rechte zu verstehen, nicht dagegen einzelne Vorfragen (vgl. BGH, Urt. v. 16.2.1967 - II ZR 171/65, WM 1967, 419). Ein Kündigungsgrund kann allein das Rechtsverhältnis darstellen, wenn die Kündigung selbst bereits zu bestimmten Rechtsfolgen führt (vgl. BGH, Urt. v. 16.2.1967 - II ZR 171/65, WM 1967, 419; Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO, 3. Aufl., § 256 Rz. 79).
Rz. 17
b) Entsprechend diesen Grundsätzen handelt es sich bei "der Rechtsnatur" der mit Schreiben vom 3.5.2001 ausgesprochenen Kündigung (Kündigung aus wichtigem Grund oder freie Kündigung) um ein - zwischen den Parteien streitiges - Rechtsverhältnis, weil hiervon im Hinblick auf § 8 Nr. 3 VOB/B einerseits und auf § 8 Nr. 1 VOB/B, § 649 BGB andererseits unterschiedliche Rechtsfolgen abhängen.
Rz. 18
2. Auch im Übrigen sind die Voraussetzungen des § 256 Abs. 2 ZPO im Streitfall gegeben.
Rz. 19
a) Mit der Zwischenfeststellungsklage wird es dem Kläger ermöglicht, neben einer rechtskräftigen Entscheidung über seine Klage auch eine solche über nach § 322 Abs. 1 ZPO der Rechtskraft nicht fähige streitige Rechtsverhältnisse herbeizuführen, auf die es für die Entscheidung des Rechtsstreits ankommt. Die begehrte Feststellung muss sich allerdings grundsätzlich auf einen Gegenstand beziehen, der über den der Rechtskraft fähigen Gegenstand des Rechtsstreits hinausgeht. Für eine Zwischenfeststellungsklage ist daher grundsätzlich kein Raum, wenn mit dem Urteil über die Hauptklage die Rechtsbeziehungen der Parteien erschöpfend geregelt werden (vgl. BGH, Urt. v. 28.9.2006 - VII ZR 247/05, BGHZ 169, 153 Rz. 12; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 256 Rz. 26). Eine Zwischenfeststellungsklage ist jedoch dann zulässig, wenn mit der Hauptklage mehrere selbständige Ansprüche aus dem Rechtsverhältnis verfolgt werden, mögen sie auch in ihrer Gesamtheit die Ansprüche erschöpfen, die sich aus ihm überhaupt ergeben können (vgl. RGZ 144, 54, 59 ff.; RGZ 170, 328, 330). Diesen Rechtsgrundsatz hat der BGH auf den Fall übertragen, dass die Parteien mit Klage und Widerklage mehrere selbständige Ansprüche verfolgen, für die das streitige Rechtsverhältnis vorgreiflich ist, mögen sie auch in ihrer Gesamtheit die Ansprüche erschöpfen, die sich aus dem Rechtsverhältnis überhaupt ergeben können (BGH, Urt. v. 13.10.1967 - V ZR 83/66, WM 1967, 1245, 1246; Urt. v. 2.3.1979 - V ZR 102/76, MDR 1979, 746, 747). Dies wird damit begründet, dass in beiden Fällen Teilurteile ergehen können und deshalb die Entscheidungen über das zugrunde liegende Rechtsverhältnis für nachfolgende Teilurteile und das Schlussurteil von Bedeutung sein können.
Rz. 20
b) Entsprechend diesen Grundsätzen ist die Zwischenfeststellungsklage der Klägerin im Streitfall zulässig. Die Rechtsnatur der Kündigung ist jedenfalls sowohl für die Klage auf Erstattung der Mehrkosten für die drittseitige Fertigstellung des Bauvorhabens als auch für die Widerklage auf Zahlung einer Kündigungsvergütung für nicht erbrachte Leistungen vorgreiflich. Der Einwand der Beklagten, wegen des engen Verbunds zwischen Klage- und Widerklageantrag sei für den Erlass von Teilurteilen, für die die Zwischenfeststellung von Bedeutung sein könnte, kein Raum, weshalb die Zwischenfeststellungsklage unzulässig sei, ist nicht stichhaltig. Grundsätzlich darf allerdings bei Klage und Widerklage ein Teilurteil nur erlassen werden, wenn die Gefahr widersprechender Entscheidungen ausgeschlossen ist (vgl. BGH, Urt. v. 28.11.2002 - VII ZR 270/01, BauR 2003, 381, 382 = NZBau 2003, 153). Die Gefahr der Widersprüchlichkeit kann indes gerade dadurch beseitigt werden, dass über eine für Klage und Widerklage vorgreifliche Vorfrage ein Zwischenfeststellungsurteil gem. § 256 Abs. 2 ZPO ergeht (vgl. BGH, Urt. v. 28.11.2002 - VII ZR 270/01, BauR 2003, 381, 382 f. = NZBau 2003, 153; Urt. v. 26.4.2012 - VII ZR 25/11, BauR 2012, 1391 Rz. 13 = NZBau 2012, 440).
III. Anschlussrevision der Beklagten
Rz. 21
Die Anschlussrevision der Beklagten ist nicht begründet.
Rz. 22
1. Allerdings ist die Auslegung des Berufungsgerichts, wonach es sich bei dem Berufungsantrag Ziff. III der Beklagten um einen Zwischenfeststellungsantrag handelt, rechtsfehlerhaft.
Rz. 23
a) Für die Auslegung von Prozesserklärungen, die der erkennende Senat als Revisionsgericht selbst vornehmen kann (vgl. BGH, Urt. v. 16.9.2008 - VI ZR 244/07, NJW 2009, 751 Rz. 11), ist - ebenso wie bei materiell-rechtlichen Willenserklärungen - nicht allein der Wortlaut maßgebend. Entscheidend ist vielmehr der erklärte Wille, wie er auch aus Begleitumständen und nicht zuletzt der Interessenlage hervorgehen kann. Für die Auslegung eines Klageantrags ist daher auch die Klagebegründung heranzuziehen (vgl. BGH, Urt. v. 16.9.2008 - VI ZR 244/07, NJW 2009, 751 Rz. 11 m.w.N.).
Rz. 24
b) Entsprechend diesen Grundsätzen ist der Berufungsantrag Ziff. III dahingehend auszulegen, dass es sich nicht um einen Zwischenfeststellungsantrag, sondern um einen Antrag auf Erlass eines Grundurteils (§ 304 Abs. 1 ZPO) bezüglich des geltend gemachten Vergütungsanspruchs nach § 649 BGB i.V.m. § 8 Nr. 1 VOB/B handelt. Nachdem die Beklagte in der Berufungsinstanz die Zwischenfeststellungsklage der Klägerin im Hinblick darauf, dass die Klage abweisungsreif sei, für unzulässig erachtet hat und den Berufungsantrag Ziff. III, wie sich aus dem Schriftsatz vom 30.9.2011, Seite 4 ergibt, nicht als Zwischenfeststellungsantrag verstanden wissen wollte, kann dieser Antrag unbeschadet der Formulierung als Feststellungsantrag nur als Antrag auf Erlass eines Grundurteils bezüglich des geltend gemachten Vergütungsanspruchs nach § 649 BGB i.V.m. § 8 Nr. 1 VOB/B verstanden werden, wie das die Beklagte in ihrer Nichtzulassungsbeschwerdebegründung getan hat.
Rz. 25
2. Mit dem Berufungsantrag Ziff. III hat die Beklagte jedoch aus einem anderen Grund keinen Erfolg. Das LG hat, wie sich aus dem Hinweisbeschluss vom 19.8.2010 ergibt, angesichts der Komplexität des Streitstoffes und der Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen davon abgesehen, ein Grund- bzw. Teilurteil zu erlassen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht es für nicht angemessen erachtet hat, den im ersten Rechtszug anhängig gebliebenen Teil des Rechtsstreits, darunter die Widerklage, an sich zu ziehen. Für den von der Beklagten begehrten Erlass eines Grundurteils in der Berufungsinstanz ist damit kein Raum, weil der betreffende Streitstoff im ersten Rechtszug verblieben ist.
IV.
Rz. 26
Das Berufungsurteil kann somit nicht bestehen bleiben, soweit zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, da Feststellungen zur Begründetheit der Zwischenfeststellungsklage der Klägerin fehlen. Die Sache ist deshalb im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
V.
Rz. 27
Der Senat hat entgegen der Anregung der Beklagten von der in § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG vorgesehenen Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Nach dieser Vorschrift werden Gerichtskosten nicht erhoben, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären. Das setzt voraus, dass das Berufungsgericht gegen eine klare gesetzliche Regelung verstoßen, insb. einen schweren Verfahrensfehler begangen hat, der offen zu Tage tritt (vgl. BGH, Beschl. v. 10.3.2003 - IV ZR 306/00, NJW-RR 2003, 1294, m.w.N.). Ein solcher Verstoß liegt hier nicht vor.
Fundstellen
Haufe-Index 3659772 |
NJW 2013, 1744 |
NJW 2013, 8 |
BauR 2013, 987 |
EBE/BGH 2013 |
FamRZ 2013, 876 |
IBR 2013, 320 |
JurBüro 2013, 501 |
JZ 2013, 293 |
MDR 2013, 544 |
ZfBR 2013, 353 |
NZBau 2013, 300 |
NZBau 2013, 7 |
RÜ 2013, 291 |
LL 2013, 498 |
PAK 2013, 132 |