Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, ob das Berufungsgericht die Entscheidung über den haftungsausfüllenden Zusammenhang zwischen einer Körperverletzung des Geschädigten und weiteren Gesundheitsschäden an sich ziehen darf, wenn das Landgericht in seinem Grundurteil diese Entscheidung ausdrücklich ausgeklammert und dem Betragsverfahren vorbehalten hat
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 01.06.1981) |
LG Gießen |
Tenor
Auf die Rechtsmittel des beklagten Landes wird unter Zurückweisung seiner weitergehenden Revision das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 1. Juni 1981 insoweit aufgehoben, als das beklagte Land dem Grunde nach zum Ersatz des immateriellen Schadens der Klägerin und zum Schadensersatz wegen der Entzündung an beiden Augen und der Herabsetzung der Sehfähigkeit des rechten Auges verurteilt worden ist.
Die Anschlußberufung der Klägerin wird zurückgewiesen, soweit sie mit ihr Ersatz des immateriellen Schadens begehrt hat.
Im übrigen wird die Sache im Umfang der Aufhebung zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Klägerin mußte am ... in der Universitätsfrauenklinik G. mittels abdominalen Schnittes (sog. Kaiserschnitt) entbunden werden, weil die Geburt zum Stillstand gekommen war und sich Fieber eingestellt hatte. Alsbald nach der Entbindung zeigte die Haut der Klägerin im Bereich der Brustdrüsen, im Operationsbereich und am gesamten Rücken starke Rötung und Blasenbildung. Ursache hierfür war eine Verunreinigung des zur Desinfektion verwandten Alkohols, die - wie nicht mehr im Streit ist - auf einem Versehen des Pflegepersonals beruhte. Die Körpertemperatur, die vor der Operation 38,8 Grad betragen hatte und während der Entbindung auf 39,9 Grad angestiegen war, erreichte bis Mitternacht 41 Grad. Es kam zu akutem Nierenversagen (Anurie), das eine Verlegung der Klägerin auf die Intensivstation erforderlich machte. Ab 5. März 1970 wurde die Klägerin im Abstand von 2-3 Tagen dialysiert. Es trat eine Proteus-Sepsis auf, die vom 19. März bis 7. April mit Gentamycin behandelt wurde. Hinzu kam ab 23. März zur Steigerung der Harnausscheidung eine Behandlung mit Flurosemid (Handelsname: Lasix). In der ersten Hälfte des Monats April stellten sich bei der Klägerin eine beiderseitige Innenohrschwerhörigkeit und Sehstörungen ein, die am 23. April 1970 in der Augenklinik als Chorioretinitis (Ader-Netzhautentzündung) rechts und als kleiner choriotinitischer Herd links diagnostiziert wurden. Ein Ohr ertaubte völlig, das andere zu 75 % das rechte Auge erblindete. Ferner erlitt die Klägerin Haarausfall. Bis heute leidet sie außerdem an Schwindelanfällen; sie ist voll erwerbsunfähig.
Die Klägerin führt sämtliche Beeinträchtigungen auf die erlittene Hautschädigung zurück und macht für sie das beklagte Land als Träger der Klinik verantwortlich. Mit ihrer Klage hat sie zunächst Schadensersatz für Heilbehandlungskosten, Verdienstausfall und für den Ausfall als Hausfrau geltend gemacht und beantragt, das Land zur Zahlung von 24.923,04 DM sowie zu einer monatlichen Rente von 733,26 DM ab 1. Januar 1973 zu verurteilen.
Das Landgericht hat der Klage dem Grunde nach stattgegeben. Die Berufung des beklagten Landes blieb erfolglos. Auf seine Revision hat der erkennende Senat durch Urteil vom 9. Mai 1978 - VI ZR 81/77 (= LM BGB § 823 [Eh] Nr. 37 = VersR 1978, 764) das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
In der wiedereröffneten Berufungsinstanz hat die Klägerin im Wege der Anschlußberufung ihren Schaden neu berechnet. Danach macht sie Heilungskosten von 482,40 DM nicht mehr geltend. Dagegen hat sie mit Schriftsatz vom 13. September 1980 ihren Klageantrag bezüglich des Verdienstausfalls auf die Zeit bis zum 1. Mai 2010 erweitert und als Mehrbedarf für die Einstellung einer Haushaltshilfe für die Zeit bis März 1971 3.000 DM, vom 1. März 1971 bis 1. März 1981 24.000 DM und ab 1. März 1981 monatlich 400 DM begehrt. Ferner hat sie ein angemessenes Schmerzensgeld und die Feststellung der Verpflichtung des beklagten Landes zum Ersatz des gesamten Schadens aus dem Vorfall vom 3. März 1970 verlangt.
Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen, soweit die Klägerin Schadensersatz wegen eines Nierenversagens und wegen Haarausfalls geltend gemacht hat. Unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung des beklagten Landes hat es die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, soweit die Klägerin Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens geltend gemacht hat, den sie durch die Hautverletzung, durch die Ertaubung des rechten Ohrs, die Herabsetzung des Gehörs des linken Ohrs, durch die Schwindelanfälle sowie durch die Entzündungen an beiden Augen und die Herabsetzung der Sehfähigkeit des rechten Auges erlitten hat und erleidet. In diesem Umfang hat es die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.
Mit seiner Revision erstrebt das beklagte Land die Abweisung der Klage mit Ausnahme von Ansprüchen auf Ersatz des durch die Hautverletzung (unmittelbar) verursachten materiellen Schadens.
Entscheidungsgründe
I.
1.
Das Berufungsgericht hat der Klägerin dem Grunde nach Schadensersatzansprüche nicht nur wegen der Hautentzündung und der Hörschädigung, sondern auch wegen der Beeinträchtigung ihrer Sehfähigkeit zuerkannt. Es hat sich an der Erstreckung seiner Entscheidung auf das Augenleiden nicht deshalb prozessual gehindert gesehen, weil das Landgericht die Beantwortung der Frage, inwieweit die Verunreinigung des Desinfektionsmittels auch hierfür ursächlich geworden ist, in den Gründen seiner Entscheidung dem Betragsverfahren überlassen hatte. Das Berufungsgericht erwägt dazu: Zwar sei das landgerichtliche Urteil, weil es nur über einen Teil der geltend gemachten Schädigungen entschieden habe, in Wahrheit ein Teilurteil. Dennoch könne der gesamte Streitstoff dem Anspruchsgrund nach im Berufungsrechtszug erledigt werden. Das beklagte Land habe mit der Berufung die Abweisung der Klage ohne jede Einschränkung beantragt; auch die Klägerin habe eine Entscheidung des Berufungsgerichts über den gesamten Streitstoff begehrt. Deshalb dürfe das Rechtsmittelgericht den an sich noch im ersten Rechtszug anhängigen Streitstoff an sich ziehen.
2.
Das ist im Ergebnis verfahrensrechtlich unbedenklich. Allerdings darf das Rechtsmittelgericht, bei dem ein Teilurteil i.S. von § 301 ZPO angefochten worden ist, den vom unteren Gericht noch nicht entschiedenen Teil des Streitgegenstandes nur in eng begrenzten Ausnahmefällen an sich ziehen (BGHZ 30, 213; Senatsurteil vom 25. Januar 1977 - VI ZR 166/74 = VersR 1977, 430 jeweils m.w.Nachw.). Die vom erkennenden Senat in BGHZ 30, 213, 220 offengelassene Frage, ob dieser aus § 537 ZPO folgende Grundsatz durchbrochen werden kann, wenn beide Parteien das Rechtsmittelgericht um Entscheidung des gesamten Streitgegenstandes angehen oder solches Einverständnis infolge Rügeverzichts zu vermuten ist (bejahend: BGHZ 8, 383, 386 und BGH Urteil vom 27. Juni 1956 - IV ZR 88/56 = LM ZPO § 303 Nr. 4; Stein/Jonas/Grunsky ZPO 19. Aufl. § 537 Anm. 2; Baumbach/Albers ZPO 41. Aufl. § 537 Anm. 1 B; Thomas/Putzo ZPO § 537 Anm. 1; Zöller/Schneider ZPO 13. Aufl. § 537 Anm. IV 2; im Ergebnis auch Mattern JZ 1960, 385, 387 ff; verneinend: Lent NJW 1954, 640; Merle ZZP 83 (1970) 436, 452; Riechert ZZP 80 (1967), 108; Schwab NJW 1959, 1824), braucht auch im Streitfall nicht abschließend beantwortet zu werden. Denn das Landgericht hatte entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht über einen quantitativ abgegrenzten Teil des Streitgegenstandes entschieden, sondern sein Grundurteil auf den ganzen Streitgegenstand erstreckt, wie er dem Gericht durch die Anträge der Klägerin damals angefallen war; der von ihm bejahte Haftungsgrund (Gesundheitsbeschädigung der Klägerin durch Einreiben mit verunreinigtem Alkohol infolge Sorgfaltsverstoß des Krankenhauspersonals) war Entscheidungselement für alle damals geltend gemachten Klageansprüche. Der Zusammenhang des Augenleidens mit dem haftungsbegründenden Ereignis betraf aus der Sicht des Landgerichts nur die haftungsausfüllende Kausalität, die es zulässigerweise (vgl. Senatsurteil vom 2. Mai 1961 - VI ZR 153/60 = LM ZPO § 318 Nr. 4 und BGH Urteil vom 11. Januar 1974 - I ZR 89/72 = LM ZPO § 304 Nr. 35 m.w.Nachw.; st.Rspr.), wenn auch hier wegen der Verzahnung dieser Frage mit den von ihm getroffenen Feststellungen zu den Schadensfolgen wenig sinnvoll, dem Betragsverfahren überlassen hat.
Viel spricht dafür, daß sich in einem solchen Fall die Befugnis des Berufungsgerichts, diese Kausalitätsfrage "zu sich herauf zu holen", schon aus den §§ 538 Abs. 1 Nr. 3, 540 ZPO ergibt, die bei Berufung gegen ein Grundurteil dem Gericht aus Gründen der Prozeßwirtschaftlichkeit Zugang zu dem Betragsverfahren eröffnen. Jedenfalls kann das Berufungsgericht über diese Materie des Betragsverfahrens mitentscheiden, wenn das nicht nur sachdienlich ist, sondern darüberhinaus - wie hier - beide Parteien ihren Vortrag im Berufungsrechtszug auf den vom Landgericht ausgeklammerten Komplex miterstreckt haben und deshalb von einer solchen Einbeziehung des Betragsverfahrens in das Berufungsurteil nicht überrascht werden können. Die Bedenken gegen das "Ansichziehen" eines beim Landgericht verbliebenen Teilanspruchs stellen sich bei einer solchen Mitentscheidung des Berufungsgerichts über das Betragsverfahren nicht; weder widerspricht der Zugriff des Berufungsgerichts auf das Betragsverfahren dem System des Prozeßrechts, wie schon die §§ 538 Abs. 1 Nr. 3, 540 ZPO ausweisen, noch ergeben sich Schwierigkeiten bei der Streitwertberechnung, auf die das Verfahren des Berufungsgerichts keinen Einfluß hat, noch besteht die Gefahr von Überraschungsentscheidungen für die Parteien, die ihr Vorbringen hierauf ausgerichtet haben. Daß die Einbeziehung des Augenleidens in das Berufungsurteil sachdienlich war, steht außer Frage. Ohnehin hatte das Berufungsgericht wegen der Schadensfolgen, über die das Landgericht mitentschieden hat, das gesamte Behandlungsgeschehen aufzuklären und mußte dazu Sachverständige hören, die die Frage nach den Auswirkungen der Behandlung auf das Augenleiden mitbeantworten konnten.
II.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts sind Hautentzündung, Hörschädigung und Augenleiden letztlich auf die Hautschädigung zurückzuführen, die die Klägerin durch das Einreiben mit verunreinigtem Alkohol erlitten hat.
1.
Daß die Verunreinigung des Desinfektionsmittels die Hautentzündung hervorgerufen hat, ist zwischen den Parteien außer Streit.
2.
Die Feststellung des Berufungsgerichts, daß die Schädigung des Gehörs einschließlich der Schwindelanfälle durch die hohen Gaben des Antibiotikums Gentamycin zumindest mitverursacht worden ist und die Behandlung mit diesem Medikament wegen einer Proteus-Infektion nötig geworden war, wird von der Revision nicht angegriffen.
Die Revisionsrügen richten sich insoweit nur gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, die Infizierung der Klägerin mit Proteus-Bakterien habe im Zusammenhang mit der Hautverletzung gestanden.
Diese Feststellungen hat jedoch das Berufungsgericht aufgrund der von ihm eingeholten Sachverständigengutachten verfahrensfehlerfrei getroffen. Zwar besagen die Niederschriften über die Anhörung der Sachverständigen Prof. Dr. Ritz und Prof. Dr. Lasch, auf die das Berufungsurteil Bezug nimmt, entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichts nichts darüber, daß diese Sachverständigen einen Zusammenhang zwischen der Hautverletzung und der Proteus-Infektion als wahrscheinlich angenommen haben. Danach haben beide Sachverständigen vielmehr zu diesen Fragen nicht abschließend Stellung nehmen wollen, sondern die Beantwortung dem insoweit kompetenteren Sachverständigen Prof. Dr. Sonntag überlassen. Immerhin hat Prof. Dr. Ritz es als möglich bezeichnet, daß die Hautverletzung eine Eintrittspforte für die Proteus-Infektion gewesen ist; dem hat sich Prof. Dr. Lasch angeschlossen. Prof. Dr. Sonntag hat zwar nicht bestätigen können, daß bei Verbrennungen eine Proteus-Infektion besonders häufig ist. Nach seinen Ausführungen kommt aber die Hautverletzung der Klägerin als Eintrittspforte für diese Infektion "wahrscheinlich in Betracht". Vor dem Hintergrund der dahin formulierten Beweisfrage, ob die Hautverletzung als Eintrittspforte für die Proteus-Infektion "möglicherweise oder sogar wahrscheinlich" in Betracht komme, konnte das Berufungsgericht diese Antwort - entgegen der Auffassung der Revision - als Bestätigung eines höheren Grades gesicherter Erkenntnis als der eines nur möglichen Zusammenhangs verstehen, zumal der Sachverständige die Infektionsgefahr bei derartigen Verletzungen als sehr hoch bezeichnet hat. Auf dieser Grundlage konnte das Berufungsgericht im Rahmen der dem Tatrichter insoweit durch § 287 ZPO eingeräumten freieren Stellung einen Zusammenhang zwischen der Hautverletzung - zumal wegen ihres beträchtlichen Ausmaßes - und der Proteus-Infektion als erwiesen erachten. Die von der Revision hervorgehobene Möglichkeit, daß die Infektion durch die instrumentale Dialyse-Therapie ausgelöst worden sei, konnte das Gericht demgegenüber vernachlässigen. Einerseits hat Prof. Dr. Sonntag keinen Anlaß genommen, auf eine derartige Möglichkeit besonders hinzuweisen, obwohl ihm das Behandlungsgeschehen bekannt gewesen ist. Andererseits lag es nach den Bekundungen des Sachverständigen auf der Hand, daß auch für eine Infizierung auf diesem Wege die Schwächung der Abwehrkräfte der Klägerin infolge der Hautverletzung eine entscheidende Rolle gespielt haben konnte. Im übrigen war nach den insoweit unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts die schon nach den damals bestehenden Richtlinien zu hohe Gentamycin-Dosis nur zu rechtfertigen, weil die Ärzte keine sichere Feststellung über die Art der Vergiftung des Desinfektionsmittels treffen konnten. Auch das stützt die Feststellung eines Haftungszusammenhangs zwischen der Hautverletzung und des Gehörschadens.
3.
Nach den Feststellungen des Berufungsgericht sind auf die Gentamycin-Therapie zur Behandlung der Proteus-Infektion, von deren Zusammenhang mit der Hautverletzung nach dem zuvor Gesagten auszugehen ist, auch die Sehstörungen infolge einer Chorioretinitis (Ader-Netzhautentzündung) zurückzuführen, die Anfang April 1970 an beiden Augen der Klägerin aufgetreten ist und unstreitig zur Erblindung des rechten Auges geführt hat. Das Berufungsgericht stützt seine Würdigung im wesentlichen auf den zeitlichen Zusammenhang der Erkrankung mit der Gentamycin-Behandlung, auf ein Schreiben der Augenklinik vom 12. Mai 1970, in dem von "auffällig spastisch eng gestellten Arterien, wie man sie bei Augenhintergrundsveränderung mit Nierenbeteiligung findet" die Rede ist, sowie auf die im Beipackzettel des Medikamentenherstellers erwähnten, von dem Sachverständigen Prof. Dr. Sonntag bestätigten nephrotoxischen Auswirkungen von Gentamycin und das Fehlen von Anhaltspunkten ähnlich hoher Wahrscheinlichkeit für andere Abläufe, Nach Ansicht des Berufungsgerichts ergibt sich daraus ein so hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für einen Zusammenhang zwischen der Gentamycin-Behandlung und dem Augenleiden, daß gemäß § 287 ZPO dieser Ablauf festgestellt werden kann.
Das hält den Angriffen der Revision nicht stand.
Zutreffend rügt die Revision, daß sich das Berufungsgericht auf diese Weise nicht über die Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. Ritz und Frau Dr. Grußendorf in ihrem Gutachten vom 29. Januar 1980 (GA III Bl. 82 ff) hinwegsetzen durfte. Diese haben erklärt, Auswirkungen von Gentamycin auf das Auge seien nicht bekannt; das Augenleiden der Klägerin sei nicht auf die Gentamycin-Behandlung zurückzuführen (a.a.O. III Bl. 89, 91). Das Berufungsgericht hat diesen Ausführungen die Verneinung nur eines unmittelbaren Zusammenhangs der Therapie mit dem Augenleiden entnommen. Für solch einschränkendes Verständnis hätte es jedoch einer Befragung der Sachverständigen bedurft, da der Wortlaut des schriftlichen Gutachtens solche Auslegung nicht nahelegte, auch nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, daß die Sachverständigen - Nephrologen - Auswirkungen der Therapie über die Niere, mit denen sie sich in ihrem Gutachten für die Gehörschädigung auseinandergesetzt hatten, für dieses Krankheitsbild nicht in Erwägung gezogen haben. Auch hätte es nahegelegen, den Sachverständigen Prof. Dr. Sonntag ausdrücklich zu befragen, wie seine Ausführungen zu den nephrotoxischen Wirkungen des Antibiotikums in bezug auf das Augenleiden zu verstehen sind, da der Sachverständige diese Ausführungen in einem anderen Zusammenhang gemacht hat. Bei der erforderlich werdenden Aufklärung wird sich das Berufungsgericht auch damit auseinanderzusetzen haben, welche Bedeutung für die Chorioretinitis der Anurie zukommen konnte, die nach seinen Feststellungen nicht auch mit der erforderlichen Sicherheit auf die Hautverletzung bzw. die Gentamycin-Behandlung zurückgeführt werden kann. Es ist ein Widerspruch, wenn das Berufungsgericht ersichtlich die Ausführung von Prof. Dr. Sonntag, die nephrotoxischen Auswirkungen von Gentamycin bedeuteten bei bereits vorhandenen Nierenschädigungen eine zusätzliche Gefahr, für einen Zusammenhang zwischen der Gentamycin-Behandlung und der Anurie nicht ausreichen läßt, wohl aber einen solchen zwischen der Gentamycin-Behandlung und dem Augenleiden, der sich aus seiner Sicht nur über eine Beeinträchtigung der Niere vollzogen haben kann.
III.
1.
Daß das beklagte Land aus dem Behandlungsvertrag für die Vermögensnachteile aus der Hautentzündung einstehen muß, hat der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 9. Mai 1978 (aaO) dargelegt; dieser Schaden ist, soweit er unmittelbar durch die Hautentzündung verursacht worden ist, nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens. Aus denselben Gründen haftet das beklagte Land auch für die mit der Gehörschädigung einschließlich der Schwindelanfälle in Verbindung stehenden Vermögensschäden, die das Berufungsgericht nach den vorstehenden Ausführungen zu Recht auf die Verunreinigung des Desinfektionsmittels und die dadurch verursachte Hautverletzung der Klägerin zurückgeführt hat. Ob solche Ersatzansprüche der Klägerin auch wegen des Augenleidens begründet sind, bedarf, wie gesagt, noch weiterer Aufklärung der Zusammenhänge durch das Berufungsgericht.
2.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts trifft das beklagte Land - aus deliktischer Verantwortung - eine Ersatzpflicht auch für die immateriellen Nachteile der Klägerin, die diese erstmals im Schriftsatz vom 13. September 1980 in den Rechtsstreit eingeführt hat. Die von dem beklagten Land insoweit erhobene Einrede der Verjährung gegen diese Ansprüche hält das Berufungsgericht für unbegründet. Es führt dazu aus: Die nach § 852 BGB für den Beginn der Verjährung maßgebende positive Kenntnis von dem Ersatzpflichtigen habe die Klägerin erst nach Erlaß des ersten Revisionsurteils vom 9. Mai 1978 im zweiten Durchgang der Sache bei dem Berufungsgericht erlangt. Bis dahin habe das beklagte Land stets Fehlleistungen des Personals der Klinik bestritten, so daß die Klägerin lediglich einen Verdacht gehabt habe, daß die Verunreinigung des Desinfektionsmittels in der Frauenklinik zu finden sei. Das reiche nicht aus, die Verjährung in Lauf zu setzen. Zudem habe die Klägerin von der Proteus-Infektion erstmals durch das Gutachten von Prof. Dr. Ritz und Frau Dr. Grußendorf vom 29. Januar 1980 erfahren; vorher sei diese Schadensentwicklung für die Klägerin nicht voraussehbar gewesen. Ersatzansprüche für solche nicht voraussehbaren Folgen verjährten aber erst von dem Zeitpunkt an, in dem der Verletzte von diesen neuen, wider Erwarten und entgegen der regelmäßigen Erfahrung eingetretenen Folgen Kenntnis erlange.
Dem kann der Senat nicht folgen.
Für den Beginn der Verjährungsfrist nach § 852 BGB ist nicht erforderlich, daß der Geschädigte alle Einzelumstände des Schadensverlaufs kennt und sich ein genaues Schadensbild macht; grundsätzlich genügt die Kenntnis des haftungsbegründenden Geschehens und der Beteiligung des Schädigers hieran, um die Verjährung für alle Schadensfolgen, soweit sie auch nur als möglich vorauszusehen sind, beginnen zu lassen. Kenntnis von der Hautentzündung als der die Haftung für alle weiteren Schadensfolgen begründenden Schädigung hatte die Klägerin erheblich früher als innerhalb des der Klageerweiterung von 1980 vorausgehenden Dreijahreszeitraums. Schon bei Einreichung der Klageschrift im Jahre 1973 kannte sie die Umstände, die zu der Hautverletzung durch die Behandlung mit dem verunreinigten Desinfektionsmittel geführt haben; sie wußte auch den Zeitpunkt, bei dem die Verunreinigung eingetreten ist (Umfüllen des Desinfektionsmittels in ein nicht gereinigtes Gefäß durch eine OP-Schwester), einzugrenzen, wie die Klageschrift ausweist. Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Klägerin habe auch insoweit wegen des Bestreitens des beklagten Landes Kenntnis von Schaden und Schädiger erst gehabt, nachdem der Hergang gerichtlich geklärt worden sei, überspannt die Anforderungen an das Vorliegen einer Kenntnis im Sinne des § 852 BGB.
Mit der Kenntnis der Klägerin von der Hautschädigung und von der Verantwortlichkeit des beklagten Landes hierfür ist die Verjährungsfrist des § 852 BGB auch für die Ersatzansprüche wegen der weiteren Gesundheitsschädigungen, die mit der Hautentzündung in Zusammenhang stehen, in Lauf gesetzt worden. Nach Auffassung des Senats ist es unerheblich, daß die Klägerin zunächst irrig geglaubt hat, die Gentamycin-Behandlung sei wegen der Nierenerkrankung notwendig gewesen, und von der Proteus-Infektion als dem wahren Grund für die Gentamycin-Therapie und als dem haftungsrelevanten Bindeglied zwischen der Hautentzündung und den weiteren Gesundheitsschäden erst nach Erlaß des ersten Revisionsurteils vom 9. Mai 1978 erfahren hat. Auf die Kenntnis des richtigen Zusammenhangs dieser Folgeschäden mit der Erstschädigung, der Hautverletzung, kommt es für die Verjährung der Ersatzansprüche wegen jener weiteren Schädigungen nicht an; die Verjährungsfrist auch für diese Ansprüche beginnt, wie gesagt, grundsätzlich schon zu laufen mit der Kenntnis von Schaden und Schädiger der Erstschädigung als dem haftungsbegründenden Geschehen, jedenfalls wenn für dieses solche Folgeschädigungen nicht unwahrscheinlich sind. Ob diese Schäden Spätfolgen sind oder sich, wie hier, in engerem zeitlichen Zusammenhang mit der haftungsbegründenden Verletzung verwirklichen, ist unerheblich; entscheidend ist, daß sich der Geschädigte gegen eine Verjährung von Ersatzansprüchen wegen möglicher Schadensfolgen aufgrund seiner Kenntnis von der haftungsbegründenden (Erst-)Schädigung durch Erhebung einer Feststellungsklage sichern kann. Das war der Klägerin schon bei Prozeßbeginn im Jahre 1973 zuzumuten, da sie damals die erforderliche Kenntnis über die Haftungsverantwortung des beklagten Landes für die Hautverletzung besaß und bei dem Ausmaß der Hautschädigung Folgeschäden nicht unwahrscheinlich waren. Im übrigen hat die Klägerin den Gehörschaden und die Sehschädigung damals schon mit der Hautverletzung - wenn auch aufgrund irriger Vorstellungen über die wirklichen Zusammenhänge - in Verbindung gebracht, wie ihre Klageschrift ausweist. Auch schon deshalb handelt das beklagte Land nicht arglistig, wenn es sich auf die Verjährung der erst 1980 erhobenen Deliktsansprüche beruft, obwohl es die Klägerin über das wirkliche Behandlungsgeschehen bis zu diesem Zeitpunkt im Unklaren gelassen hat.
IV.
Daraus folgt, daß das Berufungsurteil, soweit es zum Nachteil des beklagten Landes ergangen ist, nur insoweit gehalten werden kann, als es der Klägerin dem Grunde nach Ersatzansprüche für die mit der Hautentzündung (unmittelbar) zusammenhängenden Vermögensschäden und für die materiellen Nachteile aus der Gehörschädigung zuerkannt hat. Soweit die Klägerin mit ihrer Anschlußberufung Schmerzensgeld verlangt hat, ist ihr Anschlußrechtsmittel zurückzuweisen. Im übrigen war der Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Ihm war auch die Entscheidung über die Kosten der Revision zu übertragen, da diese vom Ausgang des Rechtsstreits abhängt.
Fundstellen
Haufe-Index 3018830 |
MDR 1983, 1014-1015 (Volltext mit amtl. LS) |