Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung einer Vertragsbestimmung in einem Kaufvertrag über eine Rechtsanwaltspraxis, wonach der Erwerber, der gleichzeitig zum Abwickler bestellt ist, auf Kanzleikonten befindliche Fremdgelder zu sammeln und an die Berechtigten abzuführen hat.
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 433, 622; BRAO §§ 53, 55
Verfahrensgang
OLG Nürnberg (Aktenzeichen 5 U 2695/97) |
LG Regensburg (Aktenzeichen 1 O 521/97) |
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 16. Februar 1998 in der Fassung des Beschlusses vom 18. März 1998 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Kläger veräußerten als Erben des am 12. September 1992 verstorbenen Rechtsanwalts T. (künftig: Erblasser) dessen Kanzlei mit Vertrag vom 28. Oktober 1992 an den Beklagten, der bei Vertragsschluß zum Abwickler der Kanzlei bestellt war. Als Kaufpreis wurden 57.000 DM vereinbart. Mit den Vertragsverhandlungen und der Vorbereitung des Vertrages hatten die Kläger Rechtsanwalt Pl. beauftragt. Nach dessen Feststellungen hatte der Erblasser unter anderem zwei Konten bei der Bayerischen Vereinsbank und beim Postgiroamt (jetzt: Postbank) München unterhalten. Auf diesen Konten befanden sich beim Erbfall Guthaben von jeweils rund 60.000 DM. Hinsichtlich dieser Konten heißt es unter Nummer 8 des Vertrages vom 28. Oktober 1992 (Abs. 4 und 5):
„Die Guthaben auf den Anderkonten Nr. beim Postgiroamt München und Nr. bei der Bayerischen Vereinsbank AG Filiale Regensburg gehen gemäß den Bedingungen der Geldinstitute für Anderkonten und Anderdepots von Rechtsanwälten in der Fassung von April 1979 (Ziff. 13) auf den Käufer und Abwickler über.
Auf Kanzleikonten etwaig vorhandene weitere Fremdgelder werden auch noch auf diese Anderkonten überführt. Eingezogene Fremdgelder hat der Käufer an die berechtigten Auftraggeber abzuführen. Die Verkäufer verpflichten sich im übrigen, dem Käufer für die Abwicklung von Fremdgeldzahlungen dieser Mandate die erforderlichen Geldmittel zur Verfügung zu stellen.”
Entgegen dem Wortlaut dieser Vertragsbestimmung waren beide Konten gegenüber den Banken nicht als Anderkonten geführt worden. Der Beklagte übernahm die Kanzlei am 1. November 1992.
Im Dezember 1992 hoben die Kläger das Guthaben auf dem Konto der Bayerischen Vereinsbank ab. Die Auszahlung des Guthabens auf dem Postbank-Konto verweigerte die Postbank unter Hinweis auf die Stellung des Beklagten als Abwickler.
Beide Parteien beanspruchen die auf den Konten befindlichen Guthaben jeweils für sich. Zwischen ihnen besteht Streit über die Frage, ob es sich bei den Guthaben – ganz oder gegebenenfalls in welcher Höhe – um Fremdgelder oder – jedenfalls auch – um Eigengelder des Erblassers gehandelt habe.
Die Kläger verlangen Zahlung von insgesamt 120.271,54 DM nebst Zinsen, und zwar den Kaufpreis von 57.000 DM sowie 63.271,54 DM als Erstattung des auf dem Postbank-Konto befindlichen Guthabens. Der Beklagte hat die Kaufpreiszahlung verweigert unter Hinweis auf die nach seiner Ansicht unberechtigte Abhebung des Guthabens auf dem Konto der Bayerischen Vereinsbank seitens der Kläger. Mit dem behaupteten Anspruch auf Rückzahlung dieses Guthabens hat er gegen die Kaufpreisforderung aufgerechnet. Außerdem hat er die Minderung des Kaufpreises begehrt, weil mehrere mitverkaufte Bürogeräte nicht im Eigentum des Erblassers gestanden hätten. Insoweit haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht zu Protokoll erklärt:
„Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß für die Telefonanlage, den Kopierer und das Faxgerät und anderes (Bl. 26 d.A.), die nicht im Eigentum der Erbengemeinschaft standen, sondern geleast waren, ein Minderungsbetrag von 10.000 DM anzusetzen ist.”
Das Landgericht hat nach Vernehmung des Zeugen Rechtsanwalt Pl. der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I. Das Oberlandesgericht führt aus: Die Kläger seien dafür darlegungs- und beweispflichtig, daß sich auf den beiden in Nummer 8 des Kaufvertrages genannten Konten keine Fremdgelder befunden hätten. Sie hätten aber außer dem unstreitigen Umstand, daß beide Konten den Banken gegenüber nicht als Anderkonten deklariert worden seien, keinerlei Anhaltspunkte dafür vorgetragen, daß es sich bei den Guthaben um Eigengeld des Erblassers gehandelt habe. Ihre dahingehende „Behauptung” sei daher lediglich eine Spekulation „ins Blaue hinein”; ihr Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens laufe somit auf reine Ausforschung hinaus und sei unzulässig. Die Kläger seien der Notwendigkeit zu substantiierterem Vortrag auch nicht durch die Nähe des Beklagten zu den zu überprüfenden Unterlagen enthoben. Als Erben hätten sie die Möglichkeit zur Überprüfung der wertbestimmenden Faktoren der Kanzlei sowie der Grundlagen der vertraglichen Vereinbarung gehabt und diese Möglichkeit auch wahrgenommen. Nachträgliche Zweifel an der Verläßlichkeit dieser in ihrem Auftrag durch Rechtsanwalt Pl. durchgeführten Überprüfung könnten nicht zu Lasten des Beklagten gehen.
Selbst wenn unterstellt werde, daß sich auf beiden Konten keine Fremdgelder befunden hätten, gebührten den Klägern die Guthaben nicht, insbesondere nicht unter dem Gesichtspunkt des Fehlens der Geschäftsgrundlage. Es sei schon zweifelhaft, ob Geschäftsgrundlage des Vertrages vom 28. Oktober 1992 gewesen sei, daß sich auf den Konten lediglich Fremdgelder befunden hätten. Die Parteien hätten diese Frage nämlich privatautonom geregelt und dadurch zum Vertragsinhalt gemacht. Die Konten seien als Anderkonten bezeichnet worden und hätten als solche auf den Beklagten als Praxiserwerber übergehen sollen. Diese Regelung sei weder auslegungsfähig noch auslegungsbedürftig. Es liege auch kein gemeinsamer Irrtum der Parteien vor.
Da die Kläger somit keine Rückzahlungsansprüche hätten, sei die Abhebung vom Konto der Bayerischen Vereinsbank vertragswidrig gewesen. Der Beklagte könne daher aus dem Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung Schadensersatz und somit Rückzahlung des abgehobenen Guthabens verlangen und mit diesem Anspruch gegen den grundsätzlich noch offenen Kaufpreisanspruch der Kläger aufrechnen.
Dieser Kaufpreisanspruch bestehe noch in Höhe von 47.000 DM, denn die Parteien hätten sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht dahin geeinigt, „daß ein Minderungsbetrag von 10.000 DM anzusetzen” sei.
II. Den dagegen gerichteten Angriffen der Revision kann im wesentlichen der Erfolg nicht versagt werden.
A. Im Ergebnis unbegründet sind allerdings die Revisionsangriffe gegen den Abzug von der Kaufpreisforderung, den das Oberlandesgericht vorgenommen hat.
Der Beklagte hatte gegenüber dem Anspruch auf Zahlung des vereinbarten Kaufpreises in Höhe von 57.000 DM unter anderem eingewendet, verschiedene nach dem Kaufvertrag mitverkaufte und ihm auch übergebene Geräte wie Telefonanlage, Telefaxgerät und Kopierer hätten nicht im Eigentum der Kläger gestanden. Letzteres ist in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht unstreitig geworden, worauf beide Parteien durch Erklärung zu Protokoll insoweit einen „Minderungsbetrag von 10.000 DM” ansetzten. Diese Erklärung wertet das Oberlandesgericht als Einigung über eine Kaufpreisminderung in Höhe dieses Betrages. Diese tatrichterliche Auslegung ist mit dem Wortlaut der protokollierten Erklärung vereinbar und im Ergebnis jedenfalls möglich; damit bindet sie das Revisionsgericht. Angesichts des in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht unstreitig gewordenen Rechtsmangels der mitverkauften Gegenstände ist die Annahme des Berufungsgerichts vertretbar, daß die Parteien den insoweit bestehenden Streitpunkt durch eine Kaufpreisreduzierung vergleichsweise beseitigen wollten.
Der Hinweis der Revision, die Kläger hätten gegenüber dem auf einen Rechtsmangel gestützten Einwand des Beklagten die Verjährungseinrede erhoben und die Kaufpreisklage auch nach der erwähnten Erklärung zu Gerichtsprotokoll weiterhin in vollem Umfang weiterverfolgt, ist in der Sache zutreffend. Der Revision ist auch einzuräumen, daß hierin ein Indiz gegen eine Einigung der Parteien über eine Kaufpreisminderung gesehen werden kann. Es ist aber nichts dafür ersichtlich, daß das Berufungsgericht dies übersehen hätte. Seine Wertung ist auch mit Blick auf diese Umstände nicht unvertretbar. Denn die Verjährungseinrede war, wie die Revision selbst einräumt, offensichtlich unbegründet, weil der Beklagte keine Sachmängel – mit der kurzen Verjährungsfrist des § 477 Abs. 1 BGB –, sondern Rechtsmängel eingewendet hatte; die daraus hergeleiteten Ansprüche verjähren indessen nach den allgemeinen Vorschriften (RGZ 93, 71, 73; MünchKomm-BGB/Westermann, 3. Aufl., § 477 Rdnr. 4). Dann liegt die Annahme nicht fern, daß die Kläger sich zumindest hilfsweise – für den Fall, daß ihre Verjährungseinrede nicht durchgreifen werde – auf eine Kaufpreisminderung einigen wollten.
B. Dagegen hält das Berufungsurteil den Rügen der Revision nicht stand, soweit es die Kaufpreisforderung in dem als begründet erachteten Umfang als durch Aufrechnung des Beklagten mit dem Anspruch auf Rückzahlung des Guthabens aus dem Vereinsbank-Konto erloschen ansieht und den weiteren Anspruch der Kläger auf Auszahlung des Guthabens auf dem Postbank-Konto verneint.
1. Im Ansatz zutreffend stellt das angefochtene Urteil die von den Parteien in Nummer 8 des Vertrages vom 28. Oktober 1992 getroffene Regelung in den Mittelpunkt seiner Erörterung.
Zu Recht rügt die Revision jedoch, daß das Berufungsgericht eine für beide Seiten interessengerechte Auslegung der in Nummer 8 des Vertrages getroffenen Regelung (§§ 133, 157 BGB) unterlassen hat. Das Berufungsgericht hat sich den Blick für das von den Parteien Gewollte dadurch verstellt, daß es diese Bestimmung lediglich als Bestandteil des Praxiskaufvertrages betrachtet und in das Gegenseitigkeitsverhältnis kaufvertraglicher Rechte und Pflichten eingeordnet hat. Es hat nicht gesehen, daß in dem Praxiskaufvertrag zusätzlich zu den eigentlichen kaufvertraglichen Anordnungen ein Auftrag der Kläger als Erben an den Beklagten enthalten sein könnte, der unter anderem auf die Weiterleitung der auf den Konten des Erblassers bei der Bayerischen Vereinsbank in Regensburg und beim Postgiroamt München befindlichen Fremdgelder gerichtet ist. Aus diesem Grund hat das Berufungsgericht den Streit der Parteien allein unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage und des Irrtums geprüft. Hinzu kommt, daß das Berufungsgericht die in Nummer 8 Abs. 4 des Vertrages abgegebenen Erklärungen der Parteien wegen eines Irrtums über deren rechtliche Grundlage mißverstanden hat, wenn es ausführt, die Konten seien „als Anderkonten bezeichnet und sollten als solche auf den Erwerber übergehen. Diese Regelung ist weder auslegungsfähig noch auslegungsbedürftig”. Aufgrund seiner Fehlvorstellung hinsichtlich der Absichten der Parteien ist das Berufungsgericht zu – allerdings in sich nicht widerspruchsfreien – Folgerungen gelangt, die dem übereinstimmenden, in dem Vertrag zum Ausdruck gekommenen Willen der Parteien nicht entsprachen.
Da das Revisionsgericht wegen dieser Rechtsfehler an die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Inhalt des Vertrages nicht gebunden ist (vgl. § 561 Abs. 2 ZPO) und die Sache insoweit einer weiteren Aufklärung nicht bedarf, kann der Senat die erforderliche Auslegung selbst vornehmen (BGHZ 65, 107, 112; BGH, Urteil vom 17. September 1980 - IVb ZR 550/80, NJW 1981, 51 unter 3 a und b und vom 12. Dezember 1997 - V ZR 250/96, NJW 1998, 1219 unter II 3). Wie die Revision zutreffend darlegt, haben die Kläger in Nummer 8 des Kaufvertrages dem Beklagten den Auftrag erteilt (§ 662 BGB), die auf den Konten der Kanzlei befindlichen Fremdgelder in Besitz zu nehmen und an die Berechtigten auszukehren. Bei Zugrundelegung der bisherigen weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Beklagte aus diesem Vertragsverhältnis zur Herausgabe des Guthabens auf dem Postbank-Konto verpflichtet (§ 667 BGB), während eigene Ansprüche, die ihn zur Aufrechnung gegen die Kaufpreisforderung berechtigen könnten, nicht begründet sind.
a) In Nummer 8 Abs. 4 des Vertrages heißt es, daß die beiden hier streitigen, ausdrücklich als „Anderkonten” bezeichneten Bankkonten „gemäß den Bedingungen der Geldinstitute für Anderkonten und Anderdepots von Rechtsanwälten in der Fassung von April 1979 (Ziffer 13) auf den Käufer und Abwickler über(gehen)”. Dem Berufungsgericht kann nicht gefolgt werden, wenn es für offensichtlich – „weder auslegungsfähig noch auslegungsbedürftig” – hält, daß die Kläger dem Beklagten in Nummer 8 Abs. 4 die auf den dortigen Konten befindlichen Guthaben übertragen wollten und dabei möglicherweise von dem Irrtum beeinflußt worden waren, dort seien ausschließlich Fremdgelder eingezahlt worden. Das Berufungsgericht hat den rechtlichen Hintergrund für diese Regelung nicht beachtet, der dem Beklagten als Rechtsanwalt und künftigen Abwickler und dem juristischen Berater der Kläger, Rechtsanwalt Pl., bekannt war.
Nach § 13 Abs. 1 der Geschäftsbedingungen der Banken für Anderkonten und Anderdepots in der Fassung von Dezember 1978 – diese ist in Nummer 8 Abs. 4 des Vertrages offensichtlich gemeint – (abgedruckt unter anderem in NJW 1979, 1441, bei Baumbach/Hopt, HGB, 29. Aufl., Nr. (9), S. 1256 und Hadding in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechtshandbuch, Anh. zu § 38), auf die die Parteien in Nummer 8 Abs. 4 Bezug genommen haben, geht beim Tod des Kontoinhabers die Forderung aus dem Anderkonto nicht auf seine Erben, sondern allein auf den Abwickler über. Die in Nummer 8 des Vertrages in Bezug genommene Regelung von Nummer 13 der AGB-Anderkonten griff aber hier nicht ein, weil die beiden Konten den Banken gegenüber nicht als Anderkonten geführt wurden. Eine Übertragung der Guthaben beider Konten in Form der Abtretung der gegen die Banken gerichteten Forderungen seitens der Kläger auf den Beklagten ist in Nummer 8 Abs. 4 des Vertrages entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht erfolgt. Nach ihrem Wortlaut und den Umständen bei Vertragsschluß enthält die Vertragsbestimmung keine rechtsgeschäftliche Erklärung, sondern lediglich eine Wiedergabe dessen, was nach der Vorstellung der Parteien ohnehin aufgrund von Nummer 13 der AGB-Anderkonten eingetreten war. Für eine daneben vereinbarte Übertragung der Konten fehlte nach den Vorstellungen der – rechtskundigen bzw. juristisch beratenen – Parteien jeder Anlaß.
b) Mit der Bestimmung der Nummer 8 Abs. 4 und 5 des Vertrages sollte der Beklagte beauftragt werden, die Fremdgelder an die Berechtigten weiterzuleiten, sei es, daß sich diese auf den in Abs. 4 genannten Konten, sei es, daß sie sich – wie in Nummer 8 Abs. 5 bestimmt – auf weiteren Kanzleikonten befanden.
Nummer 8 Abs. 4 und 5 betrifft die Verteilung der Fremdgelder, die, wirtschaftlich gesehen, nicht dem Erblasser zustanden. Das ergibt sich eindeutig aus der Bezeichnung der beiden in Abs. 1 genannten Konten als „Anderkonten” in Verbindung mit dem Umstand, daß beide Parteien bei Vertragsschluß davon ausgingen, auf diesen Konten seien nur Fremdgelder eingezahlt. Dies wird durch die detaillierte Regelung in Nummer 8 Abs. 5 bestätigt, die sprachlich und inhaltlich an den vorangehenden Absatz anknüpft und sich ausdrücklich nur mit der Behandlung der vom Erblasser vereinnahmten Fremdgelder befaßt.
Die ursprünglich den Erblasser treffende Verpflichtung zur Auskehrung von Fremdgeldern an die Berechtigten war grundsätzlich nach § 1922 BGB auf die Kläger übergegangen. An dieser Verpflichtung hatte auch die Bestellung des Beklagten zum Abwickler der Kanzlei nichts geändert. Der Abwickler steht in einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis lediglich zur Justizverwaltung; die privatrechtlichen Rechtsbeziehungen bleiben bestehen, insbesondere ist auch das Verhältnis der Erben des verstorbenen Rechtsanwalts zum Abwickler – wie § 55 Abs. 3 Satz 1 BRAO in Verbindung mit § 53 Abs. 9 BRAO zeigt – rein privatrechtlicher Natur (OLG Düsseldorf, AnwBl. 1997, 226 f; Feuerich/Braun, BRAO, 4. Aufl., § 55 Rdnr. 17 und 31; Simonsen/Leverenz, BRAK-Mitt. 1995, 224, 225 f). Die gesetzlichen Rechte und Pflichten des Abwicklers aus § 55 Abs. 2, § 55 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 53 Abs. 10 BRAO sind von den Rechten und Pflichten der Erben des verstorbenen Rechtsanwalts unabhängig und bestehen neben ihnen.
Daß sich die Kläger ihrer fortbestehenden Verpflichtungen hinsichtlich der Fremdgelder nicht bewußt waren, ist angesichts der Tatsache auszuschließen, daß sie sich vor dem Praxisverkauf von Rechtsanwalt Pl. beraten ließen, der in einem Gutachten unter anderem feststellte, auf den beiden namentlich genannten Konten seien ausschließlich Fremdgelder. Dem Beklagten als Rechtsanwalt war all dies bekannt. Wie Nummer 8 Abs. 5 zeigt, rechneten die Parteien darüber hinaus mit dem Vorhandensein weiterer Fremdgelder auf anderen Kanzleikonten.
Vor diesem Hintergrund ist Nummer 8 des Vertrages als Auftrag der Kläger an den Beklagten aufzufassen, an ihrer Stelle die Fremdgelder aufzufinden, zu sammeln und bestimmungsgemäß zu verwenden. Wie sich aus Nummer 8 Abs. 4 und 5 ergibt, betrauten die Kläger den Beklagten als künftigen Praxisinhaber insgesamt mit der Bereinigung der Verbindlichkeiten des Erblassers aus der Einnahme von Fremdgeldern. Das Bestehen eines Auftragsverhältnisses zwischen den Parteien wird durch die den Klägern in Nummer 8 Abs. 5 Satz 3 auferlegte Verpflichtung verdeutlicht, dem Beklagten die für die Abwicklung der Fremdgelder etwa noch erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen. Eine solche Verpflichtung ist einem durch die Rechtsanwaltskammer bestellten Abwickler gegenüber nicht gegeben (vgl. § 55 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 53 Abs. 9 Satz 2 BRAO), wohl aber gegenüber einem durch rechtsgeschäftliche Erklärung Beauftragten (§ 669 BGB).
c) Der in der Revisionserwiderung vertretenen Ansicht des Beklagten, die Kläger hätten ihm in Nummer 8 Abs. 4 und 5 des Vertrages das gesamte auf beiden Konten befindliche Guthaben ohne Rücksicht darauf, ob es zur Weiterleitung an Berechtigte benötigt wurde oder ob es sich um privates Vermögen der Erben handelte, zuwenden wollen, vermag der Senat nicht beizutreten. Für eine derartige Auslegung der Vereinbarung fehlt jeder Anhalt. Ein Recht des Beklagten, die auf den Konten vorhandenen Gelder, die er nicht an Fremdberechtigte auskehren mußte, zu behalten, ist Nummer 8 des Vertrages nicht zu entnehmen. Der Auffassung des Beklagten scheint zwar das Berufungsgericht zuzuneigen, wenn es ausführt, die Kläger könnten die – volle oder teilweise – Auszahlung der beiden Bankguthaben selbst dann nicht verlangen, wenn sich auf diesen Konten keine Fremdgelder befänden. Dieser Annahme ist aber die Grundlage dadurch entzogen, daß die Parteien, wie erwähnt, gerade nicht eine Übertragung der Guthaben auf den Konten vornehmen wollten. Im übrigen steht sie in diesem entscheidungserheblichen Punkt in Widerspruch zu den weiteren Erwägungen des Berufungsgerichts, die Kläger seien darlegungs- und beweisbelastet dafür, daß sich auf den beiden in Nummer 8 Abs. 4 des Vertrages genannten Bankkonten keine Fremdgelder befunden hätten, sie hätten dies jedoch nicht dargelegt, geschweige denn bewiesen; dies setzt stillschweigend voraus, daß die auf den beiden Konten befindlichen Gelder den Klägern gebühren würden, wenn und soweit es sich dabei nicht um Fremdgelder, sondern um eigene Mittel des verstorbenen Kanzleiinhabers handeln würde.
Schließlich wäre die von der Revisionserwiderung vertretene Auslegung unvereinbar mit der unstreitigen Tatsache, daß beide Parteien bei Vertragsschluß davon ausgingen, die in Nummer 8 Abs. 4 des Vertrages genannten Konten seien reine Anderkonten, auf denen sich lediglich Fremdgelder befänden; danach hatten die Parteien aus ihrer damaligen Sicht keinen Anlaß, dem Beklagten auch etwaiges „Eigengeld” des Erblassers als Pauschalentgelt zuzuwenden. Es ist auch kein Grund dafür gegeben, daß die Kläger, die dem Beklagten in Nummer 10 Abs. 3 des Vertrages als Vergütung für seine Tätigkeit als Abwickler die Gebührenansprüche aus bereits abgerechneten Mandaten überlassen hatten, unter Umständen noch zusätzlich – wirtschaftlich gesehen – zu seinen Gunsten auf einen Teil des Kaufpreises für die Praxis von 57.000 DM verzichten sollten.
d) Der Beklagte hat die auf dem Postscheck-Konto noch vorhandenen Gelder an die Kläger herauszugeben, weil diese den Auftrag widerrufen haben (§ 671 Abs. 1 BGB).
Kraft des Auftrages wäre der Beklagte an sich berechtigt, die zur Erfüllung des Auftrages nötigen Geldmittel zu verlangen und die Auszahlung des Guthabens auf dem Postbank-Konto zu verweigern, soweit sich darauf Fremdgelder befanden. Gemäß § 671 Abs. 1 BGB waren die Kläger aber zum jederzeitigen Widerruf des Auftrages berechtigt. Ein derartiger Widerruf seitens der Kläger ist in der Abhebung des Guthabens auf dem Vereinsbank-Konto und dem Verlangen auf Auskehrung des Postbank-Guthabens zu sehen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts haben die Kläger eingeräumt, daß die Guthaben auf beiden Konten – auch wenn es sich dabei nicht um Anderkonten handelte, wie ihnen in der Zwischenzeit bekannt geworden war – jedenfalls teilweise, wenn auch in unbekannter Höhe, Fremdgelder waren. Wenn sie dann aber das gesamte Guthaben auf dem Vereinsbank-Konto, also einschließlich der darin auch nach ihrem Vorbringen enthaltenen Fremdgelder, abhoben und in gleicher Weise das gesamte Guthaben auf dem Postbank-Konto für sich beanspruchten, entzogen sie damit dem Beklagten die zur Ausführung des zuvor erteilten Auftrags erforderlichen zweckgebundenen Mittel. Mit diesem Verhalten brachten sie aus der Sicht des Beklagten zum Ausdruck, daß sie sich an den erteilten Auftrag nicht mehr gebunden fühlten. Dieser Widerruf des Auftrages hatte zur Folge, daß wieder die Kläger selbst als Erben es übernommen hatten, die etwaigen Fremdgelder an die Berechtigten auszukehren.
Infolge des Widerrufs des Auftrags entfiel die Verpflichtung der Kläger, dem Beklagten die Gelder zur Erfüllung seines Auftrages zu belassen, so daß schon aus diesem Grunde in der Abhebung des Guthabens vom Konto der Bayerischen Vereinsbank eine positive Vertragsverletzung durch die Kläger nicht gesehen werden kann. Der Beklagte hingegen hat die ihm überlassenen Gelder an die Kläger herauszugeben (§ 667 BGB), soweit er sie nicht bereits in Ausführung des Auftrags weitergeleitet hatte, wobei er für die bestimmungsgemäße Verwendung der entsprechenden Beträge darlegungs- und beweispflichtig ist (BGH, Urteil vom 4. Februar 1991 - II ZR 246/89, NJW 1991, 1884 unter 2 b). Aus seinem Vorbringen in den Tatsacheninstanzen, er habe zur Auszahlung der auf dem Konto der Bayerischen Vereinsbank befindlichen Fremdgelder eigene Mittel einsetzen müssen, weil die Kläger das dortige Guthaben abgehoben hätten, ließe sich ein Anspruch auf Aufwendungsersatz (§ 670 BGB) herleiten, den er im Wege der Aufrechnung gegen den Kaufpreisanspruch geltend machen könnte.
2.a) Ein Widerruf des Auftrags durch die Kläger würde aber dann nicht zur Herausgabepflicht des Beklagten führen, wenn er noch in seiner Eigenschaft als amtlich bestellter Abwickler mit der Verteilung von auf dem Postbank-Konto befindlichen Fremdgeldern befaßt wäre.
Wie bereits erwähnt, standen dem Beklagten jedenfalls zunächst unabhängig von den auftragsrechtlichen Beziehungen der Parteien die gesetzlichen Befugnisse und Verpflichtungen als Abwickler der Kanzlei des Erblassers zu. In dieser Eigenschaft war er gemäß § 55 Abs. 3 Satz 1 BRAO in Verbindung mit § 53 Abs. 10 Satz 1 BRAO berechtigt, das der anwaltlichen Verwahrung des Erblassers unterliegende Treugut in Besitz zu nehmen, herauszuverlangen und darüber zu verfügen. Er hatte die schwebenden Angelegenheiten abzuwickeln (§ 55 Abs. 2 Satz 1 BRAO). Diese dem Beklagten in seiner Eigenschaft als Abwickler zustehenden Befugnisse und auferlegten Pflichten wurden durch den Widerruf des Auftrages seitens der Kläger nicht berührt. Nach §§ 55 Abs. 3 Satz 1, 53 Abs. 10 Satz 2 und 3 BRAO ist der amtlich bestellte Abwickler an Weisungen nicht gebunden und darf in seiner Tätigkeit durch den Vertretenen – hier die Erben – nicht beeinträchtigt werden.
b) Aus dem Gesagten folgt, daß der Beklagte, soweit er nach wie vor als Abwickler tätig ist und das Guthaben auf dem Postbank-Konto zur Weitergabe von Fremdgeldern benötigt, zur Verweigerung der Herausgabe berechtigt ist. Falls er darüber hinaus als Abwickler Aufwendungen getätigt hätte, könnte er diese dem Anspruch der Kläger auf Erstattung des nicht für die Fremdgelder verbrauchten Guthabens der Postbank und – aufrechnungsweise – dem Kaufpreisanspruch entgegenhalten; denn die Erben sind dem Abwickler gegenüber kraft Gesetzes zum Aufwendungsersatz verpflichtet (§§ 55 Abs. 3 Satz 1, 53 Abs. 9 Satz 2 BRAO, § 670 BGB). Da die Bestimmungen der Bundesrechtsanwaltsordnung auf die Vorschriften der §§ 666, 667 BGB des Auftragsrechts verweisen, gilt für die Darlegungs- und Beweislast das oben Ausgeführte.
3. Das angefochtene Urteil enthält indessen keine Feststellungen dazu, ob die bei Vertragsschluß bestehende Bestellung des Beklagten zum Abwickler der Kanzlei des Erblassers im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung noch andauerte.
Anlaß, hieran zu zweifeln, besteht zum einen deshalb, weil bei der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht seit der Praxisübernahme des Beklagten ein Zeitraum von über fünf Jahren verstrichen ist, während ein Abwickler nach § 55 Abs. 1 Satz 3 BRAO in der Regel für nicht länger als ein Jahr – wenngleich mit der Verlängerungsmöglichkeit nach § 55 Abs. 1 Satz 4 BRAO – bestellt werden soll, und zum anderen, weil im Falle der – hier erfolgten – Praxisveräußerung die Bestellung des Abwicklers widerrufen werden soll (Isele, Bundesrechtsanwaltsordnung, 1976 § 55 Anm. VII B).
War der Beklagte nicht mehr Abwickler, so ständen ihm wegen des wirksam erfolgten Widerrufs nunmehr Rechte aus dem Auftrag, der in dem Vertrag vom 28. Oktober 1992 enthalten ist, nicht zu. Da er eine bestimmungsgemäße Verwendung des Guthabens der Postbank nicht dargetan hat, wäre nicht nur der Kaufpreisanspruch – der Höhe nach, abzüglich des Minderungsbetrages von 10.000 DM, falls das Berufungsgericht bei seiner Auslegung der Erklärung der Kläger bleibt –, sondern auch der Anspruch auf das Postbank-Guthaben begründet. Ist die Abwicklung der Kanzlei noch nicht beendet, hat der Beklagte weitergehende Rechte in bezug auf das Guthaben nur insoweit, als er beweisen kann, daß er diese zur Auszahlung der Fremdgelder verwandt hat bzw. noch weiterhin benötigt.
III. Da das Berufungsurteil nach alledem von der gegebenen Begründung nicht getragen wird, war es aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO). Die Sache war zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen gemäß § 565 Abs. 1 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif ist.
Unterschriften
Dr. Deppert, Dr. Zülch, Dr. Hübsch, Ball Wiechers
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 07.07.1999 durch Mayer, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 539165 |
DB 1999, 2305 |
DStR 1999, 1824 |
NJW 1999, 3037 |
NWB 1999, 3576 |
EBE/BGH 1999, 309 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 1999, 2171 |
WuB 2000, 763 |
WuB 2000, 775 |
ZAP 1999, 911 |
AnwBl 2000, 127 |
MDR 1999, 1288 |
MittRKKöln 1999, 332 |
BRAK-Mitt. 1999, 280 |