Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Haftung des Kontrollorgans einer Publikumsgesellschaft bei ungerechtfertigter Gewinnausschüttung
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Sorgfaltspflicht des Aufsichtsorgans einer Publikumsgesellschaft.
2. Macht eine Publikumsgesellschaft ihr Aufsichtsorgan dafür haftbar, daß an die Gesellschafter für das laufende Geschäftsjahr im voraus Gewinn ausgeschüttet wurde, obwohl die Ertragslage dies nicht rechtfertigte, so führt sie den ihr obliegenden Beweis eines Schadens nicht schon dadurch, daß die ausgeschütteten Beträge in ihrer Kasse fehlen. Sie muß vielmehr dartun, daß eine Wiedereinziehung nicht möglich ist oder ein Versuch dazu nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung nicht lohnend erscheint.
Orientierungssatz
1. Zu den Sorgfaltspflichten des Aufsichtsrats, dem die Genehmigung des Jahresabschlusses und die Verteilung des sich aus diesem ergebenden Reingewinn obliegt, gehört vor allem die Aufgabe, darauf zu achten, daß der Jahresabschluß sobald wie möglich fertiggestellt und durch einen unabhängigen Sachverständigen überprüft wird.
2. Unter Umständen hat das Aufsichtsorgan aufgrund seiner Kenntnis der Geschäftsverhältnisse und der vorliegenden Berichte auch einmal durch Einsichtnahme in die Geschäftsbücher, den Abschluß sorgfältig zu prüfen und, wenn diese Prüfung Anlaß zu Bedenken gibt, ihnen sogleich nachzugehen.
3. Im Laufe des Geschäftsjahres muß das Aufsichtsorgan darauf dringen, daß ihm die Geschäftsführung regelmäßig Bericht erstattet und die hierzu notwendigen Unterlagen rechtzeitig zuleitet.
Tatbestand
Der Kläger ist Konkursverwalter über das Vermögen der im Jahre 1965 gegründeten, am 17. April 1970 in Konkurs geratenen B.-Kapitalbeteiligungs-GmbH & Co KG (im folgenden: B.), an der zuletzt außer der geschäftsführenden Komplementär-GmbH etwa 50 Kommanditisten beteiligt waren. Die Beklagten gehörten in den Jahren 1968 und 1969 dem Aufsichtsrat der B. an. Dieser hatte nach dem Gesellschaftsvertrag (§ 8 Abs 6) folgende Aufgaben:
- Vertretung aller Kommanditisten, insbesondere gemäß § 9 Abs 2 des Gesellschaftsvertrages, wonach die Kommanditisten die Wahrnehmung ihrer Rechte aus §§ 164, 166 HGB auf den jeweiligen Aufsichtsrat übertragen hatten, der diese Rechte für sie ausübte,
- Beratung und Überwachung der Geschäftsführung,
- Genehmigung des Jahresabschlusses und Verteilung des Reingewinns gemäß § 12,
- Entlastung der Geschäftsführung und Festlegung der Vergütung,
- Wahl des Abschlußprüfers,
- Mitwirkung bei der Geschäftsführung in dem sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Umfang.
Nach § 8 Abs 8 galten die §§ 87, 90, 92 Abs 2 und 3, 93 Abs 1, 94, 98 Abs 1 und 99 AktG 1937 sinngemäß.
Nach § 12 Abs 3 wurde der „danach” (dh nach Abzug der vorweg an die GmbH zu vergütenden Aufwendungen) „verbleibende Gewinn auf alle Gesellschafter im Verhältnis von Höhe und Dauer ihrer eingezahlten Festeinlagen im Range wie folgt verteilt:
a) |
Vorzugsdividende |
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1. |
für die Gründerkommanditisten |
2% pa |
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2. |
für die GmbH als Abgeltung ihrer Haftung und ihres Unternehmerrisikos |
10% pa |
b) |
Feste Dividende für alle Gesellschafter |
8% pa |
c) |
Der danach verbleibende Gewinn oder Verlust wird auf die Gesellschafter im Verhältnis ihres Festkapitals verteilt; im Falle von verbleibendem Gewinn wie folgt: |
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d) |
Wertsteigerungsbonus, der von der GmbH und vom Aufsichtsrat alljährlich mit 3/4 Mehrheit festgesetzt wird, und zwar gestaffelt für einjährige, dreijährige, fünfjährige und zehnjährige Beteiligtenzeit mit etwa 2, 3, 4 und 5[prcnt]igem Bonus pa. |
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e) |
Vom verbleibenden Gewinn kann mit Mehrheitsbeschluß der GmbH und des Aufsichtsrates zunächst eine steuerfreie Rücklage oder Rückstellung gebildet werden, soweit gesetzliche Vorschriften es zulassen sollten. |
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f) |
Sodann vom restlichen Gewinn Zusatzdividende für alle Gesellschafter”. |
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Nach § 12 Abs 5 sollten die Ausschüttungen bzw Zahlungen halbjährlich am 31. Juli und 31. Januar jeden Jahres erfolgen, erstmals zum 31. Januar 1966. Nach § 12 Abs 7 konnten die Geschäftsführungsvergütungen und Aufsichtsratsvergütungen sowie die Vorzugsdividende der GmbH in angemessenem Verhältnis bis zu einer bestimmten Grenze reduziert werden, falls der Gewinn nicht zur Deckung der in Absatz 3 zu a und b festgesetzten Beträge ausreichte oder ein Verlust entstand.
Der Kläger hat den Beklagten eine Reihe von Pflichtverletzungen vorgeworfen und sie auf Ersatz des der Gesellschaft zugefügten Schadens in Höhe eines Teilbetrages von 200.000 DM in Anspruch genommen. In erster Linie macht er sie dafür verantwortlich, daß für das Geschäftsjahr 1968 im voraus folgende Beträge an die Gesellschafter ausgeschüttet worden seien:
a) |
Dividende 1. Halbj 1968, gez 31.7.1968 |
199.369,68 |
DM |
b) |
Wertsteigerungsbonus |
11.303,50 |
DM |
c) |
Zusatzdividende, gez 28.8.1968 |
92.972,73 |
DM |
d) |
Wertsteigerungsbonus, gez 10.10.1968 |
33.634,– |
DM |
e) |
Dividende, 2. Halbj 1968, gez 31.1.1969 |
239.709,01 |
DM |
insgesamt: |
576.988,92 |
DM |
abzüglich zurückgezahlter |
232.687,– |
DM |
|
344.301,92 |
DM |
Diese Auszahlungen hält der Kläger für unrechtmäßig, nachdem eine zum 31. Dezember 1968 aufgestellte und geprüfte, vom Aufsichtsrat am 15. Dezember 1969 festgestellte „vorläufige Bilanz” mit Gewinnrechnung und Verlustrechnung einen Jahresverlust von 4.902.399,02 DM ausgewiesen hat.
Das Landgericht hat die Beklagten antragsgemäß als Gesamtschuldner zur Zahlung von 200.000 DM verurteilt. Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Revision des Klägers wurde dieses Urteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen (BGHZ 64, 238). Nunmehr hat das Oberlandesgericht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision, die der Kläger zurückzuweisen beantragt, möchten die Beklagten die Abweisung der Klage erreichen.
Entscheidungsgründe
I. Gegenstand des Berufungsurteils ist ein Anspruch auf Ersatz des Schadens, den die B. durch ungerechtfertigte Gewinnvorauszahlungen für das Geschäftsjahr 1968 erlitten haben soll. Hierauf ist die Klage auf Zahlung eines Teilbetrags von 200.000 DM in erster Linie gestützt, wie das Berufungsgericht rechtlich einwandfrei dargelegt hat. Damit ist den Anforderungen des § 253 Abs 2 Nr 2 ZPO genügt. Zu Unrecht erblickt die Revision einen Verstoß gegen diese Vorschrift darin, daß der Kläger seinen Hauptanspruch nicht noch weiter in Einzelposten aufgegliedert und angegeben hat, in welcher jeweiligen Höhe oder Reihenfolge er diese Posten auf die Klageforderung angerechnet wissen wolle (vgl BGHZ 11, 192, 193). Zwar sind die vom Kläger beanstandeten Auszahlungen unter verschiedenen Bezeichnungen („Dividende”, „Zusatzdividende” oder „Wertsteigerungsbonus”) und zu verschiedenen Zeitpunkten erfolgt. Sie sind aber lediglich Elemente ein und desselben Schadens, der nach dem Klagevortrag in einer von den Beklagten mit zu verantwortenden Minderung des Gesellschaftsvermögens infolge Ausschüttung eines in Wirklichkeit nicht vorhandenen Jahresgewinns liegen soll. Es handelt sich also nicht um rechtlich selbständige Einzelansprüche, sondern um unselbständige Rechnungsgrößen innerhalb eines aus demselben Tatbestand hergeleiteten einheitlichen Anspruchs.
II. Sachlich-rechtlich hält das Berufungsgericht die Beklagten nach §§ 99, 84 Abs 2 AktG 1937 für haftbar, weil sie es zu verantworten hätten, daß die B. durch unzulässige Gewinnausschüttungen für 1968 um mindestens den eingeklagten Betrag geschädigt worden sei. Diese Entscheidung findet in dem bisher festgestellten Sachverhalt keine ausreichende Grundlage.
1. Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsurteils, daß die Beklagten als Mitglieder eines gewillkürten Gesellschaftsorgans in einem Rechtsverhältnis zur Gemeinschuldnerin gestanden haben und der Kläger daher befugt ist, aus diesem Rechtsverhältnis herrührende Ansprüche gegen sie geltend zu machen. Zutreffend ist auch die Auffassung des Berufungsgerichts, nicht nur die Verjährungsvorschrift des § 18 Abs 1, sondern auch die Haftungsbeschränkung in § 18 Abs 2 des Gesellschaftsvertrags der B. sei unwirksam. Beides entspricht den Ausführungen im ersten Revisionsurteil vom 14. April 1975, von denen abzuweichen der Senat auch insoweit keinen Anlaß sieht, als die Aufhebung des damals vorliegenden Berufungsurteils nicht auf ihnen beruhte und deshalb eine Bindung nach § 565 Abs 2 ZPO entfällt. Infolgedessen gelten für eine Haftung der Beklagten über die Verweisung in § 8 Abs 8 des Gesellschaftsvertrags uneingeschränkt die Vorschriften der §§ 99, 84 Abs 2 AktG 1937 (= §§ 116, 93 Abs 2 AktG 1965). § 708 BGB ist entgegen der Ansicht der Revision schon aus allgemeinen Erwägungen unanwendbar (Urt d Sen v 4.7.1977 – II ZR 150/75, WM 1977, 1221).
2. Im Ergebnis ist dem Berufungsgericht auch darin zuzustimmen, daß Vorauszahlungen auf einen Gewinn des Geschäftsjahres 1968 angesichts der tatsächlichen Vermögenslage und Ertragslage der Gesellschaft objektiv nicht zu rechtfertigen waren.
Freilich unterlag die B. als Kommanditgesellschaft keinen gesetzlichen Ausschüttungsverboten, wie sie in § 57 Abs 2, § 58 Abs 5 oder § 59 AktG 1965 aufgestellt sind. Auch § 169 HGB, der Entnahmen der Kommanditisten begrenzt, stand einer Auszahlung ohne entsprechenden Gewinnausweis nicht unbedingt entgegen (vgl Urt d Sen v 27.1.1975 – II ZR 130/73, WM 1975, 662). Denn diese Vorschrift ist abdingbar. Über sie hinausgehende Ausschüttungen sind – unbeschadet der Haftung gegenüber den Gläubigern nach § 172 Abs 4 HGB – auch in einer GmbH & Co KG grundsätzlich zulässig, soweit sie durch den Gesellschaftsvertrag oder das Einverständnis aller Gesellschafter gedeckt sind und das Stammkapital der Komplementär-GmbH unangetastet bleibt (vgl BGHZ 60, 324).
Zu Unrecht meint die Revision aber, dem Gesellschaftsvertrag der B. einen Rechtsanspruch der Gesellschafter auf solche Ausschüttungen in dem Sinne entnehmen zu können, daß ihnen die in § 12 Abs 3a und b genannten Bezüge – Vorzugsdividende und „feste Dividende” – auch insoweit zu gewähren und zu belassen seien, als sie nicht durch Gewinne gedeckt sind, also letztlich zu Lasten des Kapitals gehen. Der Gesellschaftsvertrag spricht in § 12 Abs 3 eingangs von dem „verbleibenden Gewinn”, der auf die anschließend festgelegte Weise zu „verteilen” ist. Er macht diese Verteilung also von einem zumindest erwarteten und später endgültig festzustellenden Gewinn abhängig. Dafür, daß mit dem zu verteilenden Gewinn in Wirklichkeit eine feste Kapitalverzinsung oder eine garantierte Mindesttantieme gemeint sei, finden sich im Vertrag keine Anhaltspunkte, insbesondere auch nicht in dem von der Revision herangezogenen § 12 Abs 7 und der entsprechenden Vorschrift des § 8 Abs 10. Dort ist zwar vorgesehen, die Geschäftsführungsvergütungen und Aufsichtsratsvergütungen zu kürzen, wenn der Gewinn zur Deckung der Vorzugsdividende und der Festdividende nicht ausreicht oder ein Verlust entsteht. Das besagt aber nicht, daß ein Anspruch auf Auszahlung dieser Dividenden auch insoweit bestehen solle, als nach den Kürzungen noch immer kein entsprechend hoher Überschuß vorhanden ist. Denn das ginge über eine Gewinnverteilung im Sinne von § 12 Abs 3 hinaus und hätte eindeutig bestimmt sein müssen.
In Betracht kommen daher allenfalls Gewinnvorschüsse unter dem Vorbehalt der Rückforderung. Davon scheint auch das Berufungsgericht auszugehen. Denn es spricht von halbjährlich („automatisch”) zu leistenden, jedoch nur vorläufigen und gegebenenfalls zurückzufordernden Gewinnauszahlungen (BU 20). In der Tat könnte namentlich § 12 Abs 5 des Gesellschaftsvertrags für die Zulässigkeit von Abschlagszahlungen auf einen im laufenden Geschäftsjahr zu erwartenden Gewinn sprechen. Denn die dort bestimmten festen Zahlungstermine konnten schwerlich eingehalten werden, wenn jeweils erst die endgültige Feststellung des Jahresergebnisses abgewartet werden mußte. Das gilt besonders für die nach Abschluß des Gesellschaftsvertrags (7.5./12.10.1965) erstmals zum 31. Januar 1966 vorgesehene Ausschüttung. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß der Jahresabschluß einer Kapitalbeteiligungsgesellschaft wie der B. oft erst sehr spät festgestellt werden kann, weil er weitgehend von den Jahresergebnissen derjenigen Unternehmen abhängt, an denen die Gesellschaft beteiligt ist. Dies könnte Vorabausschüttungen als sinnvoll erscheinen lassen und eine entsprechende Auslegung des Gesellschaftsvertrags nahelegen.
Diese Auslegung kann aber keinesfalls dahin gehen, daß solche Ausschüttungen ohne Rücksicht auf die Ertragslage der Gesellschaft erlaubt oder sogar geboten sein sollten. Denn das widerspräche unter Umständen kaufmännischer Sorgfalt und Vernunft. Es kann daher im Zweifel nicht als gewollt angesehen werden. Vorgriffe auf den noch nicht verbindlich festgestellten Jahresgewinn kamen vielmehr nur in Betracht, wenn und soweit die Auszahlung kaufmännisch zu verantworten war, weil genügend Aussicht auf einen sie deckenden Reingewinn bestand.
Das war bei den für 1968 geleisteten Vorauszahlungen eindeutig nicht der Fall. Denn der vom Wirtschaftsprüfer J. aufgestellte und vom Aufsichtsrat genehmigte Jahresabschluß zum 31. Dezember 1968 hat keinen Gewinn, sondern vielmehr einen Verlust von 4.902.399,02 DM ergeben, der vor allem durch Abschreibungen auf Aktivbeteiligungen und Verlustrückstellungen in Höhe von insgesamt 4.914.634,11 DM bedingt war. Bei einem solchen Jahresergebnis konnte es das Berufungsgericht als ausgeschlossen betrachten, daß im Laufe des Jahres 1968 irgendwelche Gewinnerwartungen objektiv begründet gewesen sein könnten, die eine Vorwegausschüttung gerechtfertigt hätten.
Hiergegen kann die Revision nicht mit Erfolg geltend machen, jene Bilanz zum 31. Dezember 1968 sei keine Gewinnermittlungsbilanz, sondern eine Vermögensbilanz, die Wertverluste aus Beteiligungen berücksichtige, die zum Teil in ein späteres Kalenderjahr fielen; eine solche Vorwegnahme späterer Verluste sei steuerrechtlich unzulässig, weil sich der Wert der Beteiligung an einer Personengesellschaft steuerlich nach dem (einheitlichen) Gewinnfeststellungsbescheid für diese Gesellschaft richten müsse. Die steuerliche Ermittlung und Behandlung von Verlusten hat nichts mit der Frage zu tun, ob eine Gewinnauszahlung für 1968 bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung vertretbar erscheinen konnte. Das war nicht der Fall, wenn sich bereits eine Entwicklung abzeichnete, die keinen Gewinn, sondern vielmehr einen hohen Verlust erwarten ließ. Eine solche Lage konnte das Berufungsgericht nach dem vorliegenden Sachverhalt als gegeben ansehen, auch wenn die drohenden Rückschläge bei der einen oder anderen Aktivbeteiligung erst nach dem Bilanzstichtag, zB durch eine Anteilsveräußerung mit Verlust, einen bilanzmäßig genau erfaßbaren Abschluß gefunden haben sollten. Dazu hätte sich das Berufungsgericht noch auf den Bericht des neu bestellten Geschäftsführers K. in der außerordentlichen Gesellschafterversammlung der B. vom 16. Juli 1969 stützen können, in dem es unter anderem heißt: „Schon in der Bilanz 1967 hätte rund 1 Million ausgebucht werden müssen” (vgl dazu ferner das Urt d Kammer für Handelssachen v 9.7.1971 in Sachen 4 HK 0 3/71, auf das im Berufungsurteil Bezug genommen ist).
3. Eine Inanspruchnahme der Beklagten wegen der hiernach objektiv ungerechtfertigten Vorauszahlung setzt zunächst voraus, daß diese Vorgänge überhaupt in den Verantwortungsbereich des Aufsichtsrats fielen. Dies hat das Berufungsgericht zutreffend aus § 8 Abs 6c des Gesellschaftsvertrags gefolgert. Danach gehörte zu den Aufgaben des Aufsichtsrats „die Genehmigung des Jahresabschlusses und die Verteilung des aus diesem sich ergebenden Reingewinns gemäß § 12”. Diese Zuständigkeit umfaßte, wie schon die uneingeschränkte Bezugnahme auf § 12 ergibt, alle dort vorgesehenen Ausschüttungen, also nicht nur, wie die Revision meint, den in § 12 Abs 3d geregelten Wertsteigerungsbonus. Daß diese Vorschrift den Aufsichtsrat ausdrücklich erwähnt, erklärt sich einfach mit den besonderen Anforderungen – Festsetzung durch GmbH und Aufsichtsrat mit 3/4 Mehrheit –, die hier an eine Auszahlung gestellt werden. Es bedeutet nicht, daß die Gewinnverteilung im übrigen ohne Mitwirkung des Aufsichtsrats hätte vor sich gehen sollen.
4. Unzureichend sind jedoch die Feststellungen des Berufungsgerichts zur Frage, ob den Beklagten der entsprechend § 99 mit § 84 Abs 2 Satz 2 AktG 1937 (= § 116 mit § 93 Abs 2 Satz 2 AktG 1965) von ihnen zu führende Nachweis gelungen ist, daß sie im Zusammenhang mit der Gewinnverteilung für 1968 die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds angewandt haben.
Das gilt zunächst für den Vorwurf des Berufungsgerichts, die Beklagten hätten pflichtwidrig die unzulässigen Ausschüttungen geduldet oder sogar dabei mitgewirkt. Zu Unrecht bezweifelt allerdings die Revision, daß die Befugnisse des Aufsichtsrats ausgereicht hätten, die Auszahlungen zu verhindern. Wie schon erwähnt, fiel die Gewinnverteilung – auch in Gestalt von Vorschüssen – in die Zuständigkeit des Aufsichtsrats. Dieser hatte überdies nach § 8 Abs 6b des Gesellschaftsvertrags das Recht und die Pflicht, die Geschäftsführung zu beraten und zu überwachen. In dieser Geschäftsführungskontrolle mußte er, nicht anders als der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft (§ 111 AktG 1965), eine seiner wichtigsten, wenn nicht die wichtigste seiner Funktionen sehen. Daß ihm auch alle zur Erfüllung dieser Aufgabe notwendigen Kontrollbefugnisse zustanden, entspricht bei einer Publikumsgesellschaft wie der B. allgemeinen Rechtsgrundsätzen, ohne daß hierzu erst noch die vom Aufsichtsrat beschlossene Geschäftsordnung herangezogen werden muß (vgl Urt d Sen v 4.7.1977 aaO zu I 3b aa). Unter Ausschöpfung dieser Befugnisse konnte und mußte der Aufsichtsrat nicht nur seine Mitwirkung bei unberechtigten Ausschüttungen verweigern, sondern, notfalls durch aufklärende Hinweise in einer zu diesem Zweck nach § 10 Abs 4 des Gesellschaftsvertrags einzuberufenden Gesellschafterversammlung, zu verhindern suchen, daß die Geschäftsführung solche Ausschüttungen ohne seine Zustimmung veranlaßte. Dafür, daß solche Bemühungen etwa erfolglos gewesen wären, tragen die Beklagten die Beweislast (vgl RGZ 161, 129, 134ff, 139). Es entlastet sie auch nicht, daß, soweit ersichtlich, alle Gesellschafter durch die Annahme der vom Kläger beanstandeten Vorauszahlungen diese gebilligt haben; hierauf könnten sie sich allenfalls berufen, wenn die Gesellschafter über die Lage der Gesellschaft zutreffend unterrichtet gewesen wären (vgl Urt d Sen v 4.7.1977 aaO zu I 3a dd).
Der Vorwurf, die Dividendenvorauszahlung geduldet oder nicht verhindert zu haben, trifft die Beklagten aber nur dann, wenn sie bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt hätten erkennen können, daß die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben waren. Dafür, daß dies nicht der Fall gewesen sei, haben die Beklagten eine Reihe von Umständen vorgetragen, deren ausreichende Würdigung durch das Berufungsgericht die Revision mit Recht vermißt: Der Jahresabschluß zum 31. Dezember 1967 mit Geschäftsbericht und Testat des Wirtschaftsprüfers J. habe noch ein absolut gesundes Unternehmen erkennen lassen. Die Berichte des bis zum April 1969 tätig gewesenen Geschäftsführers Dr B. hätten ebenfalls durchweg ein günstiges Bild ergeben. Erst im Jahre 1969 seien Verdachtsgründe gegen Dr B. aufgetreten, worauf der Aufsichtsrat einen neuen Geschäftsführer gesucht, die Anteile der Komplementär-GmbH treuhänderisch übernommen und zum 16. Juli 1969 eine außerordentliche Gesellschafterversammlung einberufen habe. Die Höhe des 1968 zu verzeichnenden Verlustes habe sich erst aus der Mitte Dezember 1969 vorliegenden Bilanz zum 31. Dezember 1968 ergeben. Dabei sei zu berücksichtigen, daß bei einer Kapitalanlagegesellschaft ein zuverlässiger Überblick über die Vermögenslage und Ertragslage besonders schwer zu gewinnen sei, weil die Bewertung des Anlagevermögens weitgehend von einer Prüfung der Lage bei den einzelnen Geldnehmern abhänge.
Dieses Vorbringen hätte – ungeachtet der bei verbleibenden Zweifeln die Beklagten treffenden Beweislast – für das Berufungsgericht Anlaß zu näherer Prüfung sein müssen, welche Versäumnisse den Beklagten im einzelnen zur Last fallen könnten, was sie also konkret hätten tun können und müssen, um eine voreilige Gewinnverteilung zu vermeiden. Eine solche sachgemäße Prüfung lassen die formelhaften Wendungen, mit denen das Berufungsgericht alle von den Beklagten vorgetragenen Umstände für unerheblich erklärt, nicht erkennen (vgl auch hierzu RGZ 161, 129, 137). Ausgangspunkt hätte sein müssen, welche Anforderungen an das Kontrollorgan einer Publikumsgesellschaft überhaupt zu stellen sind. Dazu gehört vor allem die Aufgabe, darauf zu achten, daß der Jahresabschluß so bald wie möglich fertiggestellt und durch einen unabhängigen Sachverständigen überprüft wird. Darüber hinaus hat das Aufsichtsorgan selbst aufgrund seiner Kenntnis der Geschäftsverhältnisse und der vorliegenden Berichte, unter Umständen auch einmal durch Einsichtnahme in die Geschäftsbücher, den Abschluß sorgfältig zu prüfen und, wenn diese Prüfung Anlaß zu Bedenken gibt, ihnen sogleich nachzugehen (Urt d Sen v 4.7.1977 aaO zu I 3b bb; RGZ 161, 129, 140). Unabhängig hiervon muß es im Laufe des Geschäftsjahres darauf dringen, daß ihm die Geschäftsführung regelmäßig Bericht erstattet und die hierzu notwendigen Unterlagen rechtzeitig zuleitet. Inwieweit eine wirksame Überwachung der Geschäftsführung noch weitere Maßnahmen erfordert, hängt von den Umständen ab.
Hier war für den Aufsichtsrat insofern besondere Vorsicht geboten, als er nicht nur seine allgemeine Überwachungsfunktion ausüben, sondern Vorgriffe auf einen Gewinn genehmigen sollte, der noch nicht sicher ausgewiesen war. Es wird daher darauf ankommen, ob die Beklagten bei Anwendung aller hiernach gebotenen Sorgfalt zu den jeweils in Frage kommenden Auszahlungszeitpunkten der Überzeugung sein durften, die ihnen unterbreiteten Zahlen und Berichte seien zuverlässig und rechtfertigten die Vorauszahlungen. Hierzu ist bislang nichts festgestellt. Sollten sich bei näherer Prüfung Anhaltspunkte dafür ergeben, daß die Beklagten sowohl Anlaß als auch zumutbare Möglichkeiten für eine wirksamere Kontrolle hatten und bei Ausschöpfung dieser Möglichkeiten die Aussicht bestanden hätte, die Auszahlungen zu unterbinden, so müßten die Beklagten allerdings ihrerseits beweisen, daß sie durch besondere Umstände gehindert gewesen seien, von jenen Möglichkeiten Gebrauch zu machen, oder daß sie damit nichts erreicht hätten.
5. Ferner fehlt aber auch jede Feststellung, inwiefern der Gesellschaft durch das den Beklagten vorgeworfene Verhalten ein Schaden entstanden ist. Das Berufungsgericht meint, die Beklagten hätten beweisen müssen, daß die von ihnen teils veranlaßte, teils nicht verhinderte Gewinnverteilung für 1968 keinen Schaden herbeigeführt habe (BU 18). Das ist nicht richtig. Der zu § 84 Abs 3 AktG 1937 (= § 93 Abs 3 AktG 1965) entwickelte Satz, daß bei den dort normierten besonders schweren Verletzungstatbeständen ein Schaden zu vermuten sei (RGZ 159, 211, 230), entfällt hier, weil, wie ausgeführt, die aktienrechtlichen Ausschüttungsverbote für die B. nicht gegolten haben. Vielmehr muß der Kläger darlegen und beweisen, daß die Gesellschaft durch das gerügte Verhalten der Beklagten einen Schaden in der geltend gemachten Höhe erlitten habe, wobei ihm freilich die Beweiserleichterungen des § 287 ZPO zugute kommen können (vgl Urt d Sen v 15.10.1962 II ZR 194/61, LM GenG § 34 Nr 1). Ein solcher Schaden liegt nicht schon darin, daß die ausgeschütteten Beträge, soweit sie nicht wieder eingezahlt wurden, in der Gesellschaftskasse fehlen. Da die Auszahlungen zu Unrecht erfolgt waren, konnte die Gesellschaft sie zurückfordern (Baumbach/Duden, HGB 22. Aufl § 169 Anm 2). In Gestalt dieses Rückforderungsanspruchs verfügte sie über einen Vermögenswert, der, soweit er wirtschaftlich vollwertig war, den aus der Gesellschaftskasse geflossenen Betrag deckte. Demgegenüber hätte es besonderer Darlegungen bedurft, daß der Gesellschaft gleichwohl ein Schaden entstanden sei, etwa deswegen, weil eine Wiedereinziehung des Geldes oder eines Teiles davon nicht möglich war und ist oder ein Versuch dazu nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung nicht lohnend erschien (vgl Urt d Sen v 17.2.1975 – II ZR 112/72, WM 1975, 467 zu I 2a). Auch unter diesem Gesichtspunkt ist der Sachverhalt noch nicht hinreichend geklärt.
6. Das Berufungsgericht legt den Beklagten zusätzlich zur Last, sie hätten es nach Vorlage des Jahresabschlusses für 1968 versäumt, für die alsbaldige Rückzahlung der zu Unrecht ausgezahlten Beträge zu sorgen. Die Berechtigung dieses Vorwurfs setzt zunächst voraus, daß die Beklagten von dem Zeitpunkt an, in dem die Rückforderung bilanzmäßig einwandfrei begründbar war (also möglicherweise schon vor dem 15.12.1969, vgl die Niederschrift über die außerordentliche Gesellschafterversammlung v 16.7.1969), bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Aufsichtsrat durch Einflußnahme auf die Geschäftsführung tatsächlich die Möglichkeit hatten, über die erstattete Summe von 232.687 DM hinaus weitere Beträge für die Gesellschaft zu retten. Darüber hinaus fehlt hier wiederum die Feststellung, daß zu jener Zeit eine Rückforderung ganz oder teilweise noch durchsetzbar, daß dies aber später nicht mehr der Fall gewesen ist.
III. Das Berufungsurteil läßt sich demnach mit der bisherigen Begründung nicht halten. Die Sache bedarf einer erneuten tatrichterlichen Erörterung und Würdigung, die sich gegebenenfalls auch auf die von der Revision weiter angeführten Punkte zu erstrecken haben wird.
Fundstellen
Haufe-Index 649137 |
NJW 1978, 425 |