Leitsatz (amtlich)
Ein durch eine Berufskrankheit geschädigter Arbeitnehmer hat aufgrund einer freiwilligen Haftpflichtversicherung eines volkseigenen Betriebes keinen Direktanspruch gegen die Staatliche Versicherung der DDR in Abwicklung.
Normenkette
ZGB DDR § 264; ZGB DDR § 265; SVDDRAbwG § 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 14. November 2000 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger nimmt die beklagte Anstalt – die Staatliche Versicherung der Deutschen Demokratischen Republik in Abwicklung – auf Ersatz von Verdienstausfall wegen einer Berufskrankheit in Anspruch.
Er war seit 1960 als Bergmann bei der S. W. beschäftigt. Diese hatte eine freiwillige Betriebshaftpflichtversicherung bei der Staatlichen Versicherung der Deutschen Demokratischen Republik abgeschlossen.
Als Folge seiner Tätigkeit unter Tage leidet der Kläger an einer Atemwegserkrankung (Asthma bronchiale), die im September 1989 rückwirkend ab dem 1. März 1985 als Berufskrankheit anerkannt wurde.
Die im Auftrag der Beklagten tätige Deutsche Versicherungs-Aktiengesellschaft (DVAG) erstattete dem Kläger mit Wirkung ab dem 1. März 1985 bis Anfang 1996 die Differenz zwischen seinem tatsächlichen Einkommen (einschließlich einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung) und dem hypothetischen Verdienst, den er ohne die Berufskrankheit hätte erzielen können.
Mit Schreiben vom 23. Februar 1996 teilte die DVAG dem Kläger mit, daß sie weitere Zahlungen einstellen müsse, weil nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Dezember 1995 (8 AZR 878/94 – DtZ 1996, 188) ab dem 1. Januar 1991 auch für vorher eingetretene Berufskrankheiten kein Schadensersatz auf der Grundlage des Arbeitsgesetzbuchs der DDR mehr geleistet werden könne.
Der Kläger verlangt von der Beklagten Ersatz seines Verdienstausfallschadens von Januar 1997 bis September 1998 in Höhe von insgesamt 14.770,71 DM. Außerdem begehrt er die Feststellung, daß die Beklagte über den 1. Oktober 1998 hinaus verpflichtet sei, ihm monatlich den Differenzbetrag zwischen dem hypothetischen und dem tatsächlich erhaltenen Einkommen zu zahlen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger zum einen ein versicherungsvertraglicher Anspruch auf Ersatz weiteren Verdienstausfallschadens, der sich unmittelbar gegen die Beklagte richtet, nicht zu; eine Haftung der Beklagten aus § 2 des Gesetzes über die Errichtung der „Staatlichen Versicherung der DDR in Abwicklung” (SVDDRAbwG-BGBl. 1990 II S. 991) komme daher nicht in Betracht. Die von der S. W. bei der Staatlichen Versicherung der DDR genommene freiwillige Haftpflichtversicherung habe Schadensersatzansprüche des Werktätigen gegen den Betrieb wegen Verdienstausfalls aufgrund einer Berufskrankheit nach den §§ 267 ff. des Arbeitsgesetzbuchs der DDR (DDR-AGB) abgedeckt. Bei einer solchen Haftpflichtversicherung bestehe ein unmittelbarer Anspruch des Geschädigten gegen die Staatliche Versicherung gemäß § 3 Abs. 3 S. 2 der Bedingungen für die freiwillige Haftpflichtversicherung der volkseigenen Wirtschaft vom 19. November 1968 (DDR-GBl. II S. 951) nicht.
Zum anderen habe die Beklagte weder ausdrücklich noch konkludent aufgrund der bis 1996 erbrachten Versicherungsleistungen eine eigenständige Verpflichtung übernommen, anerkannt oder sonst begründet.
II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand.
1. Das Berufungsgericht hat zutreffend die Rechtsvorgängerin der Beklagten als Haftpflichtversicherer der S. W. angesehen und deshalb einen eigenen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte verneint. Zu Unrecht macht die Revision geltend, die Beklagte hafte dem Kläger unmittelbar aufgrund einer Personenversicherung.
a) Die S. W. hatte bei der Staatlichen Versicherung der DDR eine freiwillige Haftpflichtversicherung zur Versicherung von Schadensersatzansprüchen gegen den Betrieb nach § 7 Abs. 2 des Gesetzes über die Versicherung der volkseigenen Wirtschaft vom 15. November 1968 (DDR-GBl. I S. 355) abgeschlossen. Der Versicherungsschutz umfaßte gemäß § 1 Abs. 1 der Bedingungen für die freiwillige Haftpflichtversicherung der volkseigenen Wirtschaft die Befriedigung berechtigter und die Abwehr unberechtigter Schadensersatzansprüche, die auf Grund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen gegen den Betrieb u.a. wegen Verletzung von Personen erhoben wurden.
Nach den §§ 267 Abs. 1, 268 Abs. 1 a DDR-AGB haftete die S. W. als Betrieb dem bei ihr beschäftigten Kläger im Wege des Schadensersatzes für den Verdienstausfallschaden, der ihm durch seine als Berufskrankheit im Sinne von § 221 S. 1 DDR-AGB anerkannte Atemwegserkrankung entstanden ist. Ein eventuelles Verschulden des Betriebes bzw. eine ihm zuzurechnende Pflichtwidrigkeit eines seiner Mitarbeiter oder eine Pflichtverletzung seitens des Betriebes auf dem Gebiet des Arbeits- und Gesundheitsschutzes gehörten nicht zu den Tatbestandsmerkmalen der Schadensersatzverpflichtung des Betriebes bei Arbeitsunfall und Berufskrankheit (Arbeitsrecht, Lehrbuch 3. Aufl. 1986 S. 369 unter 2.1.; Arbeitsrecht, Grundriß 2. Aufl. 1980 S. 245 unter 14.1.). Entscheidend war nur der ursächliche Zusammenhang mit dem Arbeitsprozeß, der bei einer Berufskrankheit nicht gesondert festgestellt werden mußte. Allein die Entscheidung, daß eine Berufskrankheit vorliege, ließ die Schadensersatzpflicht des Betriebes entstehen, sofern der betroffene Werktätige einen materiellen Schaden hatte (Kirmse, Schadensersatzleistungen des Betriebes 3. Aufl. 1983 S. 21).
Auf dieser Rechtsgrundlage hat die Beklagte eine Schadensersatzverpflichtung der S. W. gegenüber dem Kläger erfüllt.
b) Ein eigener Anspruch ist dem Kläger aus der betrieblichen Haftpflichtversicherung der S. W. nicht erwachsen. Zwar bestimmte § 3 Abs. 3 S. 1 der Bedingungen für die freiwillige Haftpflichtversicherung der volkseigenen Wirtschaft, daß die Staatliche Versicherung die Versicherungsleistungen an den Geschädigten zu zahlen habe. Ein unmittelbarer Anspruch des Geschädigten gegen die Staatliche Versicherung bestand jedoch gemäß § 3 Abs. 3 S. 2 dieser Bedingungen nicht.
Das galt auch für die übrigen Haftpflichtversicherungen in der DDR. Gleichlautende Regelungen enthielten § 5 Abs. 3 S. 1 und 2 der Anordnung über die Bedingungen für die Pflichtversicherung der staatlichen Organe und staatlichen Einrichtungen bei der Staatlichen Versicherung der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. November 1969 (DDR-GBl. II S. 682) für die Haftpflicht- und die Kraftfahr-Haftpflicht-Versicherung der staatlichen Organe und staatlichen Einrichtungen sowie § 2 Abs. 6 S. 1 und 2 der Anordnung über die Bedingungen für die Pflichtversicherung der volkseigenen Wirtschaft bei der Staatlichen Versicherung der Deutschen Demokratischen Republik vom 19. November 1968 (DDR-GBl. II S. 945) für die Kraftfahr-Haftpflicht-Versicherung der volkseigenen Betriebe. Ebenso konnte aus einer persönlichen Haftpflichtversicherung des Bürgers allein der Versicherungsnehmer, der in einer zivilrechtlichen Beziehung zur Versicherungseinrichtung stand, Ansprüche auf die Versicherungsleistung erheben. Die in § 264 Abs. 2 S. 1 DDR-ZGB festgelegte Pflicht der Versicherungseinrichtung, Schadensersatzverpflichtungen des Versicherungsnehmers oder Versicherten durch Zahlung an den Geschädigten zu erfüllen, bewirkte nicht, daß letzterem ein direkter Anspruch ihr gegenüber zustand (Kommentar zum Zivilgesetzbuch der DDR 1985 § 264 Anm. 2.1.; Göhring/Posch, Zivilrecht Teil 2 1981 S. 130 unter 7.2.1.4.).
Das Fehlen eines direkten Anspruchs des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer war somit prägendes Merkmal der Haftpflichtversicherung nach dem Versicherungsrecht der DDR. Etwas anderes galt demgegenüber im Rahmen einer Personenversicherung, bei der auch das Recht der DDR mangels Verantwortlichkeit eines Dritten dem Geschädigten selbst einen Anspruch einräumte. Demgemäß hat der Bundesgerichtshof mit seinen Urteilen vom 25. September 1996 (IV ZR 288/95 – VersR 1997, 49 = DtZ 1997, 62) und vom 23. Juni 1999 (IV ZR 121/98 – r+s 1999, 399 = NVersZ 1999, 589) einen unmittelbaren Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfallschadens gegen die Versicherung bejaht, weil es sich bei den dort zugrunde liegenden Versicherungsverhältnissen – wie im vorliegenden Fall nicht – um Personenversicherungen handelte.
2. Soweit das Berufungsgericht eine Schuldübernahme und ein Schuldanerkenntnis seitens der Beklagten verneint, erhebt die Revision keine Rügen; Rechtsfehler sind auch nicht ersichtlich.
Im übrigen könnte die Beklagte – wie das Berufungsgericht richtig ausgeführt hat – dem Kläger gemäß den §§ 812 Abs. 2, 821 BGB den Wegfall einer etwa übernommenen oder anerkannten Schadensersatzverpflichtung entgegenhalten. Denn für ab dem 1. Januar 1991 entgangene Einkünfte konnten Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber nicht mehr entstehen, nachdem die §§ 267, 268 DDR-AGB durch den Einigungsvertrag (Anl. II Kap. VIII Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 lit. g) zum 31. Dezember 1990 außer Kraft gesetzt worden waren. Anders als bei einem Anspruch aus einem Personenversicherungsverhältnis gehört bei einem Anspruch nach den §§ 267 Abs. 1, 268 Abs. 1 AGB-DDR der Eintritt des Schadens auch bei vorheriger Anerkennung einer Berufskrankheit zum Entstehungstatbestand des Schuldverhältnisses (BAG aaO unter II 3 a; Senatsurteil vom 25. September 1996 aaO unter II 3 c).
Unterschriften
Terno, Seiffert, Ambrosius, Wendt, Dr. Kessal-Wulf
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 07.11.2001 durch Fritz Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 657741 |
BGHR 2002, 227 |
Nachschlagewerk BGH |
VIZ 2002, 315 |
NJ 2002, 255 |
VersR 2002, 181 |