Entscheidungsstichwort (Thema)
Einleitung von Klärschadstoffen in Fischereifluss. Haftung des Klärwerks für Sauerstoffmangel des eingeleiteten Wassers und Fischsterben. Darlegungs- und Beweislast des Klärwerkbetreibers. Sauerstoffreduzierung aufgrund zugeführter Abwässer
Leitsatz (amtlich)
Zur Haftung des Betreibers einer Kläranlage, wenn das geklärte Abwasser einen Sauerstoffmangel im Gewässer verursacht (Ergänzung zu BGHZ 62, 351).
Normenkette
WHG § 22
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Urteil vom 28.03.2002) |
LG Heilbronn |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 28. März 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der klagende Fischereiverein ist Pächter des Fischereirechts an einem Teilstück der Zaber. Innerhalb dieses Abschnitts betreibt der beklagte Gemeindeverband eine Sammelkläranlage, in der die Abwässer des Einzugsgebiets mechanisch-biologisch gereinigt und anschließend in die Zaber geleitet werden.
Am 15. August 1998 und am 9. Oktober 1999 kam es unterhalb des Klärwerks jeweils zu einem Fischsterben, für das der Kläger den Beklagten verantwortlich macht. Er hat das Fischsterben in beiden Fällen darauf zurückgeführt, daß der Beklagte über seine Kläranlage Schadstoffe in die Zaber eingeleitet habe, die den Sauerstoffgehalt des Wassers stark reduziert und im Gewässer einen Sauerstoffmangel verursacht hätten. Die auf Leistung von Schadensersatz in Höhe von 19.589,02 DM gerichtete Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageforderung weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Das Berufungsgericht legt aufgrund des Klagevorbringens folgenden Sachverhalt zugrunde: Wegen anhaltend trockener Witterung im August 1998 wie auch im Oktober 1999 habe die Zaber relativ wenig eigenes Wasser geführt. Dadurch habe sich das Mischungsverhältnis zwischen geklärtem Abwasser und Bachwasser gegenüber den sonst üblichen Verhältnissen verschoben. Der Verdünnungsgrad des sauerstoffärmeren geklärten Abwassers habe nicht ausgereicht, um die für Fische zum Überleben notwendige Sauerstoffkonzentration zu gewährleisten. Das Niedrigwasser der Zaber sei mit einem saisonal bedingten hohen Ausstoß an Abwässern durch die örtliche Landwirtschaft, insbesondere den Weinbau, zusammengefallen. Im Spätsommer und Herbst würden die Mostpressen und Gärtanks gereinigt. Diese Betriebe leiteten ihre Abwässer über das öffentliche Kanalnetz, teilweise auch direkt, in die Zaber ein.
2. Auf dieser Grundlage ist für die Revisionsinstanz davon auszugehen, daß der Beklagte im Sinne des § 22 Abs. 1 WHG Stoffe in die Zaber eingeleitet hat, die deren Wasserqualität verschlechtert und – im Zusammenwirken mit anderen Ursachen, insbesondere dem niedrigen Wasserstand des Flusses – zum Ersticken der Fische geführt haben. Eingeleitet hat der Beklagte, nicht anders als in anderen Fällen der Abwasserbeseitigung, das Abwasser als Ganzes (vgl. Senatsurteile BGHZ 55, 180, 184; 62, 351, 355; 103, 129, 134 f.; Czychowski, WHG, 7. Aufl., § 22 Rn. 10). Dieses Wasser war zwar gereinigt; das Berufungsgericht hat für eine Betriebsstörung der Anlage keinen Anhalt gefunden. Es war jedoch deutlich sauerstoffärmer als das natürliche Gewässer, in das es eingeleitet wurde, und bewirkte darin nach den vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Ausführungen des Sachverständigen Dr. K. durch weitere Zehrungen ein hohes Sauerstoffdefizit, nämlich einen Abfall des Sauerstoffgehalts von 9,2 mg/l oberhalb des Einlaufs bis zu 2,5 mg/l am 15. August 1998 bzw. 1,4 mg/l am 9. Oktober 1999 unterhalb. Der Tatbestand des § 22 Abs. 1 WHG erfordert nicht, daß isolierbare Giftstoffe wie Öl oder Chemikalien in das Gewässer geleitet werden. Haftungsbegründend ist nach Wortlaut und Schutzzweck des Gesetzes vielmehr jede nachteilige Veränderung der physikalischen, chemischen oder biologischen Beschaffenheit des Wassers, wie sie ohne die Einwirkung bestehen würde (Senatsurteil BGHZ 103, 129, 136 ff.). Zu Veränderungen dieser Art gehört auch eine Verminderung des Sauerstoffgehalts innerhalb des Gewässers (Czychowski, § 22 Rn. 20).
Die Ursächlichkeit der Abwassereinleitung für die Verschlechterung der Wassergüte wird durch ein Mitwirken anderer Ursachen ebensowenig in Frage gestellt.
3. a) Der Senat hat in BGHZ 62, 351, 359 f. allerdings bei einer am Gesetzeszweck ausgerichteten, wertenden Betrachtung die Haftung des Betreibers eines Klärwerks nach § 22 Abs. 1 oder 2 WHG gegenüber dem Gesetzeswortlaut eingeschränkt. Der Zweck der Vorschrift, denjenigen, der eine schadensstiftende Wasserverschlechterung verursacht, zur Haftung für den entstandenen Schaden heranzuziehen, rechtfertige es nicht, den Inhaber einer Einrichtung, die dazu bestimmt sei, den Wasserzustand zu verbessern, auch dann haften zu lassen, wenn die Einrichtung ordnungsgemäß arbeite und lediglich die ihr zugeführten Abwässer weiterleite. Dem lag eine Fallgestaltung zugrunde, in der aus einem Metallveredelungsbetrieb eine giftige Zyanidlösung ausgelaufen und in die Kanalisation der Gemeinde geflossen war, von der sie über einen Klärteich des Abwasserverbands in die Dhünn gelangte.
b) Diese Erwägungen, die auch im Schrifttum Zustimmung gefunden haben (Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 2. Aufl. Rn. 792; Czychowski, § 22 Rn. 12, 19, 44; Zeidler in Sieder/Zeidler/Dahme/Knopp, WHG und AbwAG, § 22 WHG Rn. 19 a, 22) und an denen festzuhalten ist, hat das Berufungsgericht jedoch zu Unrecht undifferenziert auf den Streitfall übertragen. An einem haftungsbegründenden Einleiten des – geklärten, aber gleichwohl das Gewässer belastenden – Abwassers fehlt es nach der Entscheidung des Senats, wenn die Kläranlage die ihr zugeführten Schadstoffe, zu deren Beseitigung sie weder bestimmt noch geeignet ist, lediglich weiterleitet. Demgegenüber gibt es keinen hinreichenden Grund für eine entsprechende Haftungsbegrenzung, wenn das Klärwerk zwar in bestimmter Hinsicht seinen Zweck erfüllt und insoweit die Wasserqualität verbessert, es das Wasser aber zugleich in anderer Beziehung verschlechtert (Czychowski, § 22 Rn. 19 a.E.; Zeidler in Sieder/Zeidler/Dahme/Knopp, § 22 Rn. 19 a). Insoweit ist die Gefahrerhöhung vielmehr allein auf die Tätigkeit der Kläranlage zurückzuführen, deren Betreiber hierfür haftungsrechtlich auch selbst die Verantwortung trägt. Allenfalls dann, wenn aus technischen Gründen eine im Verhältnis geringfügige Verschlechterung der Wassergüte in dieser Richtung unvermeidlich mit dem ordnungsgemäßen Betrieb der Kläranlage verbunden sein sollte, könnte eine andere Beurteilung angebracht sein.
c) Für den Streitfall folgt daraus: Liegt die Ursache der Sauerstoffreduzierung in der Zaber aufgrund des vom Beklagten eingeleiteten Abwassers ausschließlich oder zumindest ganz überwiegend im Bereich der dem Klärwerk seinerseits zugeführten Abwässer und konnte der Beklagte bei einem ordnungsgemäßen Betrieb seiner Anlage die Verminderung des Sauerstoffgehalts im Gewässer nicht verhindern, scheidet eine Haftung nach § 22 WHG aus. Hingegen wäre eine Ersatzpflicht zu bejahen, wenn – wie es der Kläger in den Tatsacheninstanzen mindestens auch behauptet hat und worauf sich nunmehr die Revision in erster Linie stützt – für den Sauerstoffmangel des eingeleiteten Wassers der Reinigungsvorgang im Klärwerk des Beklagten verantwortlich wäre. Unter diesen Umständen wäre es auch unerheblich, ob die Anlage im übrigen ordnungsgemäß gearbeitet hätte.
4. Ein Ausschluß aller Schadensersatzansprüche gegen den beklagten Verband wegen nachteiliger Wirkungen einer bewilligten Benutzung nach § 11 WHG, für den die Revisionserwiderung eintritt, kommt lediglich bei wasserrechtlichen Bewilligungen gemäß § 8 WHG in Betracht (BGHZ 103, 129, 134; Czychowski, § 22 Rn. 25 f.). Eine solche Bewilligung ist hier nach § 8 Abs. 2 Satz 2 WHG ausgeschlossen. Dem Beklagten ist dementsprechend auch lediglich eine wasserrechtliche Erlaubnis (§ 7 WHG) zur Einleitung seiner Abwässer in die Zaber erteilt worden.
5. Über die Ursachen der Sauerstoffdefizite in der Zaber enthält das Berufungsurteil keine nähere Feststellung. Es ist aufzuheben. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, den Sachverhalt unter diesen Gesichtspunkten – gegebenenfalls nach ergänzendem Parteivortrag – weiter aufzuklären. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, daß für das Vorliegen eines Ausnahmetatbestands, bei dem nach den obigen Ausführungen die Haftung des Betreibers einer Kläranlage entfällt, die Darlegungs- und Beweislast den Beklagten trifft.
Unterschriften
Rinne, Streck, Schlick, Kapsa, Dörr
Fundstellen
Haufe-Index 884314 |
BGHR 2003, 61 |
BGHR |
NVwZ 2003, 376 |
Nachschlagewerk BGH |
DÖV 2003, 336 |
VersR 2003, 254 |
ZUR 2003, 247 |
ZfS 2003, 232 |
DVBl. 2003, 331 |
UPR 2003, 272 |
ZfW 2003, 157 |
AuUR 2003, 116 |
FSt 2003, 527 |