Tenor
Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 5. April 2001 aufgehoben und das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 8. Mai 2000 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, die Grundstücke Flur 5 Nr. 61, Flur 5 Nr. 60 und Flur 4 Nr. 36, eingetragen im Grundbuch von B., Blatt 0422, an die Klägerin lastenfrei zu Eigentum zu übertragen und die Eigentumsumschreibung zu bewilligen, und zwar Zug um Zug gegen Zahlung von 1.790 EUR.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Mit notariellem Erbvertrag vom 26. Juni 1989 setzten die 1916 geborene Klägerin und ihre Ende 1995 verstorbene Schwester die Beklagte zur Erbin nach der Längstlebenden ein. Die Beklagte übernahm eine näher geregelte Versorgungs- und Pflegeverpflichtung gegenüber der Klägerin und deren Schwester.
Nach dem Tode der Schwester zog die Klägerin Anfang 1996 zu der Beklagten. Mit notariellem Vertrag vom 6. Februar 1996 übertrug sie ihr Hausgrundstück in A.-B., auf dem sie zuvor mit ihrer Schwester gewohnt hatte, an die Beklagte. Als „Gegenleistung” vereinbarten die Parteien, daß sich die Klägerin ein – dinglich nicht gesichertes – lebenslängliches unentgeltliches Wohnrecht an dem Haus vorbehielt, wobei ihr die Mitbenutzung aller Räumlichkeiten gestattet war. Eine bisher zugunsten der Klägerin eingetragene beschränkte persönliche Dienstbarkeit mit dem Inhalt eines Wohnungsrechts sollte demgegenüber zur Löschung gebracht werden. Ferner verpflichtete sich die Beklagte, die Klägerin im Falle der Bedürftigkeit nach näherer Regelung zu versorgen und zu pflegen.
Die Klägerin behielt sich das Recht zum Rücktritt von dem Vertrag für den Fall vor, daß die Beklagte gegen die vertraglich übernommenen Verpflichtungen trotz Abmahnung grob verstieß.
In der Folgezeit wurde das an die Beklagte übertragene Haus leergeräumt, da es umgebaut werden sollte. Geplant war u.a. die Einrichtung einer Praxis und eines für die Klägerin bestimmten Appartements. Die Klägerin blieb im Haus der Beklagten. Das Verhältnis zwischen den Parteien verschlechterte sich alsbald. Anfang September 1996 widerrief die Klägerin die zugunsten der Beklagten bestehenden Kontovollmachten, nachdem es – ihrer Behauptung nach – zu unberechtigten Abbuchungen durch die Beklagte gekommen war. Am 5. September 1996 verbrachte die Beklagte die Klägerin zu deren damals 85-jährigen pflegebedürftigen Bruder, bei dem eine Versorgung nicht sichergestellt war.
Unter dem 24. September 1996 erklärte die Klägerin den Rücktritt vom Grundstücksübertragungsvertrag und machte im übrigen geltend, sie sei bei dem Abschluß des Vertrages geschäftsunfähig gewesen. Ferner verstoße der Vertrag gegen die guten Sitten und sei daher nichtig.
Ihre Klage auf Rückübertragung des Hausgrundstücks ist in den Tatsacheninstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der Revision verfolgt sie ihr Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht verneint einen Anspruch auf Rückübertragung des Hausgrundstücks sowohl unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung als auch als Folge des erklärten Rücktritts vom Übertragungsvertrag vom 6. Februar 1996.
Es hält den Übertragungsvertrag für wirksam. Daß die Klägerin bei dessen Abschluß geschäftsunfähig gewesen sei, habe sie nicht bewiesen. Der Vertrag sei auch nicht nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung könne nicht festgestellt werden, da sich das Haus einerseits in einem sehr schlechten Zustand befunden habe und die Beklagte andererseits als Gegenleistung ein Wohnrecht an allen Räumen gewährt, die Pflegeverpflichtung übernommen und die Unkosten des Hauses zu tragen habe.
Auf den Rücktritt könne die Klägerin den Anspruch nicht stützen, weil es an einem Rücktrittsgrund fehle. Der Umstand, daß die Beklagte die Klägerin am 5. September 1996 bei deren Bruder abgesetzt habe, stelle zwar eine Pflichtverletzung dar. Angesichts des vorhergehenden Verhaltens der Klägerin sei diese Pflichtverletzung aber nicht so grob, daß sie den Rücktritt rechtfertige.
III.
Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.
Der geltend gemachte Anspruch ist jedenfalls nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB begründet, da dem Übertragungsvertrag der Rechtsgrund fehlt.
Der Vertrag vom 6. Februar 1996 hat nicht lediglich die sachenrechtliche Übertragung des Hausgrundstücks der Klägerin an die Beklagte zum Gegenstand. Er enthält zugleich die Vereinbarung eines gegenseitigen schuldrechtlichen Vertrages, wonach sich die Klägerin zur Übertragung an die Beklagte gegen das Versprechen verschiedener Gegenleistungen verpflichtete. Die Verpflichtung der Klägerin ist zwar nicht ausdrücklich im Vertrag enthalten. Sie ergibt sich jedoch aus dem Sachzusammenhang. Anderenfalls wäre auch das der Klägerin eingeräumte Rücktrittsrecht gegenstandslos. Dieser schuldrechtliche Vertrag sollte den Rechtsgrund für die Übertragung darstellen. Er ist indes nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig.
Nach dieser Vorschrift kann ein schuldrechtliches Rechtsgeschäft u.a. dann nichtig sein, wenn ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht und weitere Umstände hinzutreten, insbesondere der Begünstigte aus verwerflicher Gesinnung gehandelt hat. Das ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der begünstigte Vertragspartner die wirtschaftlich schwächere Lage des anderen Teils bewußt zu seinem Vorteil ausnutzt oder wenn er sich leichtfertig der Einsicht verschließt, daß sich der andere nur unter dem Zwang der Verhältnisse auf den ungünstigen Vertrag einläßt. Dem wirtschaftlichen Zwang stehen die in § 138 Abs. 2 BGB genannten Umstände in ihren Auswirkungen auf die freie Willensentschließung gleich. Ist das Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besonders grob, so ist der Schluß auf die bewußte oder grob fahrlässige Ausnutzung eines den Vertragspartner in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigenden Umstandes zulässig (zu allem zuletzt Senat, Urt. v. 19. Januar 2001, V ZR 437/99, NJW 2001, 1127, vorgesehen für BGHZ 146, 298). Von einem besonders groben Mißverhältnis ist im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auszugehen.
1. Allerdings hat das Berufungsgericht keine Feststellungen zum Wert des Grundstücks und damit zum Wert der Leistung der Klägerin getroffen. Der feststehende Sachverhalt erlaubt dem Senat jedoch eine eigene Beurteilung. Die Parteien haben den Wert in dem Übertragungsvertrag nämlich übereinstimmend mit 250.000 DM angegeben. Daß diese Angabe übersetzt gewesen wäre, hat keine der Parteien vorgetragen. Soweit die Revisionserwiderung darauf verweist, daß sich das Haus in sehr schlechtem Zustand befunden habe, läßt sich daraus nichts für einen geringeren Wert herleiten; denn dies war den Parteien im Zeitpunkt der Wertangabe bekannt. Ebensowenig spricht für einen geringeren Wert, daß die Angabe „zum Zwecke der Kostenberechnung” gemacht wurde. Das erläutert lediglich die Vornahme der Wertangabe, stellt die inhaltliche Richtigkeit aber nicht in Frage. Im übrigen zeigt die Erfahrung, daß Wertangaben im Kosteninteresse allenfalls zu niedrig bemessen werden, nicht aber übersetzt sind. Schließlich mindert auch der Umstand, daß die Beklagte aufgrund des Erbvertrages die Aussicht hatte, Eigentümerin zu werden, nicht dessen Wert zum Zeitpunkt der Übertragung. Auszugehen ist nach allem von einem Wert des Grundstücks im Zeitpunkt des Vertragsschlusses von 250.000 DM.
2. Als Gegenleistung der Beklagten kann der Wert des eingeräumten Wohnrechts Berücksichtigung finden. Daß für die Klägerin zuvor schon eine Eigentümerdienstbarkeit mit dem Inhalt eines Wohnrechts eingetragen war, die zur Löschung gebracht und – wirtschaftlich betrachtet – gegen ein nur schuldrechtliches Wohnrecht ausgetauscht wurde, ändert nichts daran, daß die Einräumung eine Gegenleistung darstellt. Zwar kann die Aufhebung des bestehenden Wohnrechts und seine Ersetzung durch ein ähnliches, hier sogar weniger weitreichendes Recht wie die (eingeschränkte) Übernahme einer bestehenden Belastung gewertet werden. Dies führt indes nur bei der Schenkung dazu, daß das Wohnrecht nicht als Gegenleistung anzusehen ist, sondern lediglich den Wert des übertragenen Grundstücks mindert (vgl. Senat, BGHZ 107, 156). Das beruht darauf, daß der Schenker im Regelfall nicht die Übertragung des Gegenstandes frei von Rechten Dritter schuldet, sondern ihn nur so zu übertragen hat, wie er ihn selbst hat (Senat, aaO, S. 159). Gilt aber – wegen der im konkreten Fall vereinbarten Entgeltlichkeit des Geschäfts – Kaufrecht, so trifft den Veräußerer grundsätzlich die Pflicht, bestehende Belastungen zu beseitigen (§ 434 BGB). So haben es auch die Parteien geregelt (IV § 5 des Vertrages). Die Einräumung des Wohnrechts durch die Beklagte stellt daher eine wirkliche Gegenleistung dar (vgl. auch Senat, Urt. v. 3. Juli 1992, V ZR 76/91, WM 1992, 1916).
Der Wert dieser Gegenleistung beträgt nicht mehr als 110.000 DM. Dies kann der Senat aufgrund der von dem Landgericht getroffenen – und von dem Berufungsgericht übernommenen – Feststellungen ausschließen. Danach war das Haus, an dem die Klägerin das Wohnrecht eingeräumt erhielt, von sehr bescheidenem Zuschnitt. Es verfügte nur über zwei Wohnräume, die mit Kohleöfen beheizt werden mußten und nicht mit fließend warmem Wasser ausgestattet waren. Die sanitären Einrichtungen entsprachen nicht dem Standard (Toilette ohne Spülung, nur über ungeheizten Viehstall erreichbar). Ferner war ein gemeinsames Wohnen mit der Beklagten und deren Tochter vereinbart; die Klägerin erhielt (nur) ein Mitbenutzungsrecht. Angesichts dieser Umstände mag ein monatlicher Mietwert von allenfalls 500 DM angemessen erscheinen. Selbst wenn man berücksichtigt, daß ein Ausbau des Hauses geplant war (wozu sich die Beklagte allerdings nicht verpflichtet hatte) mit dem Ziel, der Klägerin ein modernes Appartement zur Verfügung zu stellen, ist kaum anzunehmen, daß der Mietwert – durchschnittlich – höher als 1.000 DM pro Monat zu veranschlagen ist. Der Senat kann jedenfalls ausschließen, daß das Berufungsgericht Feststellungen treffen könnte, die es rechtfertigten, den monatlichen Mietwert höher als 1.500 DM anzusetzen. Nach den der Anlage 9 (vom 1. Januar 1995) zu § 14 BewG (BGBl I S. 944) zugrundeliegenden Erfahrungssätzen beträgt der Kapitalwert der lebenslänglichen unentgeltlichen Nutzung für die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses 79 Jahre alte Klägerin damit höchstens (1.500 DM × 12 × 5,937 =) 106.866 DM.
3. Weitere Gegenleistungen sind nicht zu berücksichtigen, so daß ein grobes Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung offensichtlich ist.
a) Daß die Beklagte die Unkosten des Hauses zu tragen hat, ist Folge ihres Eigentums und stellt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts keine Gegenleistung dar.
b) Die Übernahme der Pflegeverpflichtung ist zwar an sich eine Gegenleistung, muß aber wertmäßig vollständig außer Betracht bleiben, da die Beklagte hierzu, und zwar eher noch weitergehend, bereits aufgrund des Erbvertrags vom 26. Juni 1989 verpflichtet war. Die Klägerin erhielt also durch die erneute Übernahme einer Pflegeverpflichtung nichts, was ihr nicht schon zustand.
4. Umstände im konkreten Fall, die die auf dem besonders groben Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung beruhende Vermutung für eine verwerfliche Gesinnung der Begünstigten erschüttern könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Soweit die Revisionserwiderung meint, der Plan, das Haus umzubauen und dort gemeinsam zu wohnen, stelle einen solchen Umstand dar, ist dem nicht zu folgen. Daraus kann nicht hergeleitet werden, daß es dem Willen der Klägerin entsprach, auf eine angemessene Gegenleistung zu verzichten. Daß die Klägerin aufgrund des bestehenden Wohnrechts von einem Umbau profitiert haben würde, findet schon bei der Wertbemessung des Wohnrechts Berücksichtigung.
5. Der Beklagten steht ein Zurückbehaltungsrecht wegen eines Gegenanspruchs in Höhe von 1.790 EUR zu, so daß die Verurteilung Zug um Zug gegen Zahlung dieses Betrages zu erfolgen hat (§§ 273, 274 BGB).
a) Der Anspruch auf Rückübertragung des Grundstücks nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB ist allerdings nicht von vornherein um die erhaltene und ebenfalls herauszugebende Gegenleistung der Beklagten gemindert, so daß schon deswegen eine Verurteilung Zug um Zug zu erfolgen hätte. Dies setzte nämlich die Anwendung der Saldotheorie voraus. Das scheidet aber bei einer Rückabwicklung eines nach § 138 Abs. 1 BGB nichtigen wucherähnlichen Geschäfts aus (Senat, Urt. v. 19. Januar 2001, V ZR 437/99, NJW 2001, 1127, 1130).
b) Die Beklagte hat jedoch in den Tatsacheninstanzen ein Zurückbehaltungsrecht wegen geleisteter Versorgungsdienste geltend gemacht, das nach §§ 812 Abs. 1 Satz 1, 273, 274 BGB zur Zug-um-Zug-Verurteilung führt. Sie kann diesen Gegenanspruch allerdings nicht auf Leistungen stützen, die sie der Klägerin vor Abschluß des Grundstücksübertragungsvertrages erbracht hat. Denn dabei handelt es sich nicht um Gegenleistungen, für die der Rechtsgrund nach § 138 Abs. 1 BGB entfallen wäre. Sie wurden vielmehr unabhängig davon erbracht. Auch ein Vergütungsanspruch ist mangels vertraglicher Vereinbarungen insoweit nicht gegeben. Die Beklagte hat der Klägerin jedoch in der Zeit zwischen Vertragsschluß und Auszug der Klägerin eine – wie das Berufungsgericht unangefochten festgestellt hat – vertragsgerechte Unterbringung und Verpflegung gewährt. Diese Dienste erbrachte die Klägerin in Erfüllung des nichtigen Vertrages, so daß sie sie an sich nach § 812 Abs. 1 Satz 1, 818 Abs. 2 BGB zurückverlangen kann. Da die Beklagte die Versorgung aber auch aufgrund des Erbvertrages schuldete (s.o.) besteht ein Rechtsgrund für diesen Teil der Dienste fort. Die Klägerin trifft insoweit daher keine Herausgabepflicht. Der Wert der Unterbringung ist hingegen herauszugeben. Da die Beklagte diesen Wert nicht näher dargelegt hat, kann der Senat nur den Betrag ansetzen, von dem als Mindestbetrag auch ohne nähere Feststellungen sicher auszugehen ist. Berücksichtigt man, daß die Beklagte selbst den Wert der erbrachten Pflege- und Versorgungsleistungen einschließlich der Unterbringung mit monatlich 1.000 DM beziffert hat, ist es gerechtfertigt, von zumindest 500 DM pro Monat auszugehen. Das ergibt für sieben Monate einen Betrag von (aufgerundet) 1.790 EUR.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO.
Unterschriften
Wenzel, Lambert-Lang, Krüger, Lemke, Gaier
Fundstellen
Haufe-Index 713527 |
NJOZ 2002, 1885 |