Entscheidungsstichwort (Thema)
Regionalfaktoren
Leitsatz (amtlich)
Das Preissystem eines marktbeherrschenden Unternehmens, das einzelne Abnehmer mit erheblichen Preisaufschlägen belastet, ohne dass dies nach dem einschlägigen sektorspezifischen Marktordnungsrecht gerechtfertigt ist, kann unabhängig davon, ob das Verhalten geeignet ist, den Wettbewerb auf dem nachgelagerten Markt zu behindern und damit den Tatbestand des Diskriminierungsverbots nach Art. 102 Abs. 2 Buchst. c AEUV erfüllt, unter dem Gesichtspunkt des Ausbeutungsmissbrauchs einen eigenständigen Verstoß gegen Art. 102 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. a AEUV darstellen.
Normenkette
AEUV Art. 102 Abs. 1, 2 Buchst. a, c
Verfahrensgang
OLG Dresden (Entscheidung vom 25.11.2020; Aktenzeichen U 4/18 Kart) |
LG Leipzig (Entscheidung vom 06.07.2018; Aktenzeichen 01 HKO 3365/14) |
Nachgehend
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Kartellsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 25. November 2020 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Beklagte.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die beklagte DB Netz AG, eine Tochtergesellschaft der Deutsche Bahn AG, ist ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen im Sinne des § 2 Abs. 1 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG). Sie unterhält mehr als 80 % des Schienennetzes in der Bundesrepublik Deutschland. Die Klägerin ist ein privates Eisenbahnverkehrsunternehmen im Sinne des § 2 Abs. 3 AEG, das Verkehrsleistungen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) erbringt und für diese Zwecke Strecken der Beklagten für planmäßigen Zugverkehr in den Bundesländern Sachsen und Thüringen nutzte.
Rz. 2
Die Beklagte war nach den im maßgeblichen Zeitraum anwendbaren Vorschriften des Allgemeinen Eisenbahngesetzes und der Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung (EIBV) verpflichtet, privaten Eisenbahnverkehrsunternehmen Zugang zur Eisenbahninfrastruktur zu gewähren. Zu diesem Zweck schloss sie mit zugangsberechtigten Unternehmen jeweils Rahmenverträge über die Nutzung der Eisenbahninfrastruktur ab, die im Hinblick auf die zu entrichtenden Nutzungsentgelte auf die jeweils gültigen Trassen- und Anlagenpreislisten Bezug nehmen. Auf Grundlage dieser Rahmenverträge meldeten die Eisenbahnverkehrsunternehmen bestimmte Trassen zur Nutzung an, für die die Beklagte sodann Angebote unter Ausweis eines Trassenpreises unterbreitete.
Rz. 3
Die Parteien schlossen am 23. November 1998 einen Rahmennutzungsvertrag. § 5 dieses Vertrags sah vor, dass sich das von der Klägerin zu entrichtende Entgelt aus den jeweils gültigen Trassen- und Anlagepreislisten ergab. Mit Nachtragsvereinbarung vom 22. Oktober 2001 gewährte die Klägerin der Beklagten das Recht, nach Inkrafttreten einer neuen Trassen- und Anlagenpreisliste Preisanpassungen vorzunehmen. Mit weiterer Nachtragsvereinbarung vom 30. Juni 2008 verlängerten die Parteien die Vertragslaufzeit des Rahmennutzungsvertrags bis zum 28. Februar 2013.
Rz. 4
Mit Wirkung zum 1. Januar 2003 führte die Beklagte ausschließlich für den SPNV sogenannte Regionalfaktoren als einen zusätzlichen Berechnungsfaktor in ihr Trassenpreissystem ein. Diese Regionalfaktoren fanden in unterschiedlichem Umfang für 40 Regionalnetze Anwendung, die die Beklagte als Strecken des SPNV-Grundangebots vorzuhalten hatte, die aber nach ihrer Auffassung keine tragfähige Kosten-Erlös-Struktur aufwiesen. Danach berechnete sich der Trassenpreis nach folgender Formel:
Grundpreis x Produktfaktor x Sonderfaktor (Dampflokfahrt, Lademaßüberschreitung) + Sonderfaktoren (Gewichtsklasse, Radsatzlast, Neigetechnik) x Regionalfaktor
Rz. 5
Von Preisaufschlägen durch die Regionalfaktoren waren 20 % der Streckenkilometer des SPNV-Gesamtangebots betroffen, unter anderem auch das von der Klägerin genutzte "Vogtland-Ostthüringen-Netz" sowie das ebenfalls von ihr genutzte "Ostsachsen-Netz".
Rz. 6
Mit an die Beklagte gerichtetem Bescheid vom 5. März 2010 erklärte die Bundesnetzagentur in einem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren zur Überprüfung nach § 14f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AEG in der bis zum 1. September 2016 geltenden Fassung (aF) die Regelungen der Beklagten über die Erhebung des Regionalfaktors für die Zeit ab dem 12. Dezember 2010 für ungültig. Zur Begründung führte die Bundesnetzagentur aus, dass die Regionalfaktoren gegen das eisenbahnregulierungsrechtliche Diskriminierungsverbot des § 14 Abs. 1 Satz 1 AEG aF verstießen. Sie stellten einen diskriminierenden Aufschlag auf den Trassengrundpreis dar, weil die preisliche Differenzierung im SPNV weder durch unterschiedliche Leistungen der Beklagten - und daraus folgende unterschiedliche Kosten - noch durch unterschiedliche Tragfähigkeiten der Marktsegmente des SPNV gerechtfertigt sei. Zudem verstoße die Beklagte gegen das für die Festsetzung der Entgeltgrundsätze geltende Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot gemäß § 4 Abs. 2 EIBV in Verbindung mit Nr. 2 der Anlage zur EIBV, § 21 Abs. 6 Satz 1 EIBV.
Rz. 7
Auf den Widerspruch der Beklagten schlossen die Bundesnetzagentur und die Beklagte am 30. Juli 2010 zur Beendigung des Verwaltungsverfahrens ohne abschließende rechtliche Bewertung der Regionalfaktoren durch die Bundesnetzagentur einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, in dem sich die Beklagte verpflichtete, die mit Wirkung zum 1. Januar 2003 eingeführten Regionalfaktoren ab dem 11. Dezember 2011 nicht mehr und im Zeitraum vom 12. Dezember 2010 bis zum 10. Dezember 2011 bestimmte Regionalfaktoren nur noch in reduzierter Höhe zu erheben. Danach belief sich der Regionalfaktor des Ostsachsen-Netzes für das Jahr 2010 auf 1,72 und für das Jahr 2011 auf 1,61, derjenige des Vogtland-Ostthüringen-Netzes für das Jahr 2010 auf 1,52 und für das Jahr 2011 auf 1,43. Die Beklagte informierte die Klägerin mit Schreiben vom 3. September 2010 über den Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrags und über die sich daraus ergebenden reduzierten Regionalfaktoren für den Nutzungszeitraum ab dem 12. Dezember 2010.
Rz. 8
Die Klägerin nahm die von der Beklagten unterbreiteten Angebote zur Nutzung der von ihr angemeldeten Netze, die den unter Anwendung der Regionalfaktoren errechneten Preis enthielten, an. Für die Netzfahrplanperiode 2010/2011 belief sich der ausschließlich auf die Regionalfaktoren der beiden Netze entfallende Anteil der von der Klägerin insgesamt entrichteten Trassenentgelte auf 4.444.390,66 €. Diesen Betrag macht sie mit der Klage geltend.
Rz. 9
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht durch Urteil vom 17. April 2019 zurückgewiesen. Der Senat hat auf die Revision der Klägerin mit Urteil vom 29. Oktober 2019 (KZR 39/19, WuW 2020, 209 - Trassenentgelte I) das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Daraufhin hat das Berufungsgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr auf Klagabweisung gerichtetes Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 10
I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Rz. 11
Die Klägerin könne Rückzahlung bereits entrichteter Trassenentgelte nach § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB und § 33 Abs. 3 GWB in der bis zum 26. Juni 2013 geltenden Fassung (aF) jeweils in Verbindung mit Art. 102 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. c AEUV verlangen. Eine zivilrechtliche Überprüfung der von der Beklagten vorgenommenen Preisbildung am Maßstab des Art. 102 AEUV sei unionsrechtlich zulässig. Sie verstoße nicht gegen das eisenbahnrechtliche Gebot der Gleichbehandlung, gefährde nicht die nach der Richtlinie 2001/14/EG vorgesehene Unabhängigkeit des Betreibers der Schieneninfrastruktur und führe angesichts des zum maßgeblichen Zeitpunkt fehlenden effektiven verwaltungsrechtlichen Rechtsschutzes zu keinen unkoordinierten Rechtswegen.
Rz. 12
Die von der Beklagten erhobenen Regionalfaktoren verstießen gegen das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 102 AEUV, weil sie darauf abzielten, den Wettbewerb zu verfälschen. Die Beklagte verfüge auf dem in räumlicher Hinsicht bundesweit abzugrenzenden Markt für die Überlassung von Eisenbahninfrastruktureinrichtungen über eine marktbeherrschende Stellung, welche es ihr ermögliche, sich gegenüber ihren Kunden in nennenswertem Umfang unabhängig zu verhalten.
Rz. 13
Die vom Wettbewerb nicht hinreichend kontrollierten Spielräume habe die Beklagte ausgenutzt, indem sie sich in den mit der Klägerin geschlossenen Nachtragsvereinbarungen das Recht vorbehalten habe, einseitig entsprechend den jeweils gültigen Trassen- und Anlagepreislisten Preisanpassungen vorzunehmen und auf dieser Grundlage ausschließlich für den Personennahverkehr und ausschließlich auf den vorwiegend vom Schienenpersonennahverkehr nachgefragten regionalen Strecken unter Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nach Art. 102 Abs. 2 Buchst. c AEUV, § 14 Abs. 1 AEG aF und § 24 Abs. 4 EIBV Regionalfaktoren als Preisaufschlag in ihr Trassenpreissystem eingeführt habe.
Rz. 14
Da die Regionalfaktoren zwischen 1,0 und 1,91 schwankten, müssten um staatliche Beauftragung im Wettbewerb stehende Eisenbahnverkehrsunternehmen - je nachdem, ob die Beklagte diese Entgeltkomponente auf den jeweils genutzten Trassen erhebe - unterschiedliche Preise für dieselbe Leistung zahlen. Diese unterschiedliche Behandlung lasse unter Berücksichtigung eisenbahnrechtlicher Wertungen eine sachliche Rechtfertigung vermissen. Dabei sei es unerheblich, ob der Klägerin die auf den Regionalfaktoren beruhenden Entgeltbestandteile als Kosten der Infrastruktur nach den mit den Aufgabenträgern geschlossenen Verkehrsverträgen erstattet würden. Unterstelle man dies, liege eine mittelbare Diskriminierung der Aufgabenträger vor. Die Beklagte beute diese unter Schonung ihrer direkten Vertragspartner aus, indem sie darauf baue, dass diese die Entgeltaufschläge an die Aufgabenträger durchreichten. Auch in diesem Verhältnis fehle dafür eine sachliche Rechtfertigung, weil die Aufgabenträger gleichartige Leistungen bestellten und sich in ihrem Nachfrageverhalten nicht voneinander unterschieden.
Rz. 15
Die durch die Anwendung der Regionalfaktoren verursachten Entgeltaufschläge seien auch geeignet, den Wettbewerb zu verzerren. Die dadurch bewirkte Margenbeschneidung sei geeignet, ebenso effiziente Wettbewerber der Klägerin vom Markt zu verdrängen. Die Margenbeschneidung entfalle auch nicht dann, wenn unterstellt würde, dass die Klägerin den Regionalfaktor an den Aufgabenträger habe durchreichen können. In diesem Fall würden die Aufgabenträger ohne sachlichen Grund ungleich behandelt. Der Nachweis einer tatsächlichen und quantifizierbaren Verschlechterung der Wettbewerbsstellung einzelner Handelspartner sei nicht erforderlich, da das gesamte Verhalten der Beklagten darauf gerichtet sei, eine Wettbewerbsverzerrung zwischen den Eisenbahnverkehrsunternehmen herbeizuführen.
Rz. 16
Das beanstandete Preisverhalten der Beklagten beeinträchtige zudem den innereuropäischen Handel spürbar, weil die inländische Eisenbahninfrastruktur binnenmarktrelevant sei und es naheliege, dass das flächendeckend anwendbare und diskriminierende Preissystem der Beklagten den Marktzutritt von Eisenbahnverkehrsunternehmen anderer Mitgliedstaaten zu erschweren geeignet sei.
Rz. 17
Die Beklagte habe im Hinblick auf die von ihr geltend gemachte Abwälzung der Regionalfaktoren auf die Träger der Daseinsvorsorge die Voraussetzungen für eine Vorteilsausgleichung nicht hinreichend dargelegt. Die Klägerin sähe sich - so man eine Abwälzung des Schadens unterstelle - ihrerseits Ansprüchen der Aufgabenträger auf Erstattung wettbewerbswidriger oder rechtsgrundlos gezahlter Entgeltteile ausgesetzt.
Rz. 18
II. Diese Ausführungen lassen Rechtsfehler im Ergebnis nicht erkennen.
Rz. 19
1. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Vorschriften der § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB, § 33 Abs. 3 GWB aF, Art. 102 AEUV im Streitfall Anwendung finden. Weder in materiell-rechtlicher noch in verfahrensrechtlicher Hinsicht ergibt sich bei Anwendung des Art. 102 AEUV sowie der darauf bezogenen Normen des nationalen Rechts durch die Zivilgerichte ein Konflikt mit der Richtlinie 2001/14/EG (vgl. näher BGH, WuW 2020, 209 Rn. 28 ff. - Trassenentgelte I; Urteile vom 1. September 2020 - KZR 12/15, N&R 2021, 56 Rn. 18 f. - Stationspreissystem II; vom 22. Juni 2021 - KZR 72/15, WuW 2021, 709 Rn. 11 ff. - Stationspreissystem III; vom 21. September 2021 - KZR 88/20, WRP 2022, 65 Rn. 20 - Trassenentgelte II). Das gilt auch dann, wenn die beanstandeten Entgelte - wie hier - noch nicht Gegenstand einer bestandskräftigen regulierungsbehördlichen Entscheidung waren und die Regulierungsbehörde mit dem marktbeherrschenden Unternehmen zur Beilegung der Verwaltungsrechtsstreitigkeit einen öffentlich-rechtlichen Vertrag geschlossen hat (vgl. BGH, WuW 2020, 209 Rn. 52 - Trassenentgelte I).
Rz. 20
Es besteht auch keine Veranlassung, das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO im Hinblick auf das Vorabentscheidungsersuchen des Kammergerichts an den Gerichtshof der Europäischen Union vom 10. Dezember 2020 (WuW 2021, 178 ff.) auszusetzen. Im Streitfall stellt sich nicht die dort aufgeworfene Frage, ob es mit der Richtlinie 2001/14/EG vereinbar ist, wenn ein Zivilgericht "unabhängig von der Überwachung durch die Regulierungsstelle die Höhe der verlangten Entgelte nach den Maßstäben von Art. 102 AEUV und/oder des nationalen Kartellrechts überprüf(t)" (näher BGH, WuW 2020, 209 Rn. 38 f. - Trassenentgelte I; N&R 2021, 56 Rn. 38 ff. - Stationspreissystem II; WuW 2021, 709 Rn. 11 ff. - Stationspreissystem III; WRP 2022, 65 Rn. 21 - Trassenentgelte II, jeweils mwN).
Rz. 21
2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis ohne Rechtsfehler angenommen, dass der Klägerin wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung gemäß Art. 102 AEUV ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB sowie ein Schadensersatzanspruch aus § 33 Abs. 3 GWB aF jeweils in geltend gemachter Höhe zusteht.
Rz. 22
a) Zurecht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Beklagte als Eigentümerin nahezu des gesamten bundesdeutschen Schienennetzes auf dem Markt für die Überlassung von Schieneninfrastruktureinrichtungen über eine beherrschende Stellung verfügt. Sie ist auch im Übrigen Normadressatin des aus Art. 102 AEUV folgenden Missbrauchsverbots, weil die Vorschriften der Richtlinie 2001/14/EG - und die in ihrer Umsetzung ergangenen Regelungen der §§ 14 ff. AEG aF - den Betreibern von Eisenbahninfrastruktureinrichtungen Handlungsspielräume bei der Festsetzung der Wegeentgelte belassen (vgl. BGH, WuW 2020, 209 Rn. 25 - Trassenentgelte I).
Rz. 23
b) Das Berufungsgericht hat im Ergebnis auch rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Beklagte mit der Erhebung der Regionalfaktoren ihre marktbeherrschende Stellung missbraucht hat.
Rz. 24
aa) Nach Art. 102 AEUV kann die Weigerung eines marktbeherrschenden Unternehmens, einem anderen Unternehmen zu angemessenen, nichtdiskriminierenden Bedingungen Zugang zu einer wesentlichen Einrichtung zu gewähren, der für die Ausübung der Tätigkeit des anderen Unternehmens unerlässlich ist, einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV darstellen (vgl. EuGH, Urteil vom 26. November 1998 - C-7/97, WRP 1999, 167 Rn. 47 - Oscar Bronner/Mediaprint; zu § 19 GWB vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. September 2002 - KVR 15/01, BGHZ 152, 84 [juris Rn. 35] - Fährhafen Puttgarden I; vom 11. Dezember 2012 - KVR 7/12, WuW 2013, 505 Rn. 15 - Fährhafen Puttgarden II). Daraus folgt, dass auch eine - wie im Streitfall - erfolgte Gewährung des Zugangs missbräuchlich sein kann. Insofern ist auf allgemeine Grundsätze zurückzugreifen (BGH, N&R 2021, 56 Rn. 51 - Stationspreissystem II; EuGH, Urteil vom 25. März 2021 - C-152/19, NZKart 2021, 296 Rn. 53 - Deutsche Telekom AG/Kommission), wobei die Wertungen der sektorspezifischen Regulierungsvorschriften zu berücksichtigen sind (BGH, N&R 2021, 56 Rn. 26 - Stationspreissystem II; Urteil vom 22. Juni 2021 - KZR 72/15, WRP 2021, 1582 Rn. 14 - Stationspreissystem III; EuGH, Urteil vom 25. März 2021 - C-152/19, NZKart 2021, 296 Rn. 57 - Deutsche Telekom AG/Kommission).
Rz. 25
bb) Das Preisverhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens kann unter verschiedenen Gesichtspunkten missbräuchlich sein, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass ein bestimmtes Verhalten sowohl behindernde als auch ausbeutende Wirkungen entfaltet und sich aufgrund seiner besonderen Eigenart einer eindeutigen Zuordnung zu den Regelbeispielen des Art. 102 Abs. 2 AEUV entzieht.
Rz. 26
(1) Art. 102 Abs. 2 Buchst. a AEUV untersagt Unternehmen mit marktbeherrschender Stellung, unmittelbar oder mittelbar unangemessene Geschäftsbedingungen zu erzwingen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist ein Preis missbräuchlich überhöht, wenn der Inhaber einer marktbeherrschenden Stellung die sich daraus ergebenden Möglichkeiten genutzt hat, um geschäftliche Vorteile zu erhalten, die er bei hinreichend wirksamem Wettbewerb nicht erhalten hätte, und daher Preise hat durchsetzen können, die in keinem angemessenen Verhältnis zu dem wirtschaftlichen Wert der erbrachten Leistung stehen (vgl. EuGH, Urteile vom 14. Februar 1978 - Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 Rn. 248/257 - United Brands; vom 11. November 1986 - C-226/84, Slg. 1986, 3263 Rn. 27 - British Leyland; vom 16. Juli 2009, Rs. C-385/07 P, Slg. 2009 I 6155 Rn. 142 - Duales System Deutschland/Kommission; vom 25. November 2020 - C-372/19, WRP 2021, 316 Rn. 28 - SABAM/Weareone.World; BGH, N&R 2021, 56 Rn. 66 - Stationspreissystem II).
Rz. 27
(2) Ein Preisverhalten ist darüber hinaus dann missbräuchlich, wenn das marktbeherrschende Unternehmen unterschiedliche Preise bei gleichwertigen Leistungen anwendet und dadurch Handelspartner im Wettbewerb ohne sachliche Rechtfertigung benachteiligt (Regelbeispiel nach Art. 102 Abs. 2 Buchst. c AEUV). Eine missbräuchliche Diskriminierung setzt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union voraus, dass das beanstandete Verhalten unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls darauf gerichtet ist, die Wettbewerbsbeziehung der Handelspartner des marktbeherrschenden Unternehmens auf dem vor- oder nachgelagerten Markt zu beeinträchtigen (EuGH, Urteile vom 15. März 2007 - C-95/04 P, EuZW 2007, 306 Rn. 144 - British Airways/Kommission; vom 19. April 2018 - C-525/16, WuW 2018, 320 Rn. 24 f. - Meo mwN; vgl. auch BGH, Urteil vom 3. Dezember 2019 - KZR 29/17, WuW 2020, 327 Rn. 37 - NetCologne II, zu § 20 Abs. 1 Alt. 2 GWB aF; BGH, N&R 2021, 56 Rn. 53 - Stationspreissystem II).
Rz. 28
(3) Weiterhin kann ein Preisverhalten den Tatbestand der missbräuchlichen Behinderung erfüllen, wenn es darauf gerichtet ist, die Margen des auf dem nachgelagerten Markt tätigen Unternehmens so zu beschneiden, dass es ihm langfristig nicht mehr oder nur unter erschwerten Bedingungen möglich ist, seine Dienstleistungen auf dem nachgelagerten Markt rentabel anzubieten ("Kosten-Preis-Schere", vgl. zum Telekommunikationssektor EuGH, Urteile vom 14. Oktober 2010, C-280/08 P, WuW 2010, 1291 Rn. 177 f., 253 - Deutsche Telekom; vom 17. Februar 2011, C-52/09, EuZW 2011, 339 Rn. 39 ff., 69 ff. - TeliaSonera Sverige; vgl. zum Eisenbahnsektor: Monopolkommission, 7. Sektorgutachten "Mehr Qualität und Wettbewerb auf der Schiene" Rn. 171). Die mit einem derartigen Preissetzungsverhalten einhergehende Margenbeschneidung kann angesichts ihrer möglichen Verdrängungswirkung gegenüber Wettbewerbern des marktbeherrschenden und vertikal integrierten Unternehmens bereits für sich allein einen Missbrauch im Sinne von Art. 102 AEUV darstellen, wenn für das Preisverhalten keine sachliche Rechtfertigung gegeben ist; dies gilt insbesondere dann, wenn der Zugang zum Vorleistungsprodukt für das Angebot der Dienstleistung auf dem nachgelagerten Markt - wie hier - unentbehrlich ist (vgl. EuGH, WuW 2010, 1291 Rn. 183 - Deutsche Telekom; EuZW 2011, 339 Rn. 31, 69 ff. - TeliaSonera Sverige; BGH, Urteil vom 8. Dezember 2020 - KZR 60/16, WRP 2021, 1184 Rn. 36 - Stornierungsentgelt II).
Rz. 29
(4) Darüber hinaus trägt das marktbeherrschende Unternehmen, das über eine wesentliche Infrastruktureinrichtung verfügt, bereits aus Art. 102 Abs. 1 AEUV - ganz allgemein - eine besondere Verantwortung dafür, dass es durch sein Verhalten einen wirksamen und unverfälschten Wettbewerb in der Union nicht beeinträchtigt (vgl. nur EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 - C-457/10 P, WuW 2013, 427 Rn. 98 - AstraZeneca/Kommission; BGH, Urteil vom 5. Mai 2020 - KZR 36/17, BGHZ 225, 269 Rn. 72 - FRAND-Einwand I; BGH, Beschluss vom 23. Juni 2020 - KVR 69/19, BGHZ 226, 67 Rn. 74 - Facebook I). Damit ist nicht nur eine Verantwortung für die Bedingungen auf dem beherrschten Markt, sondern auch für die auf den nachgelagerten Märkten in Bezug genommen (vgl. EuGH, Urteile vom 6. März 1974, verb. Rs. 6/73 und 7/73, Slg. 1974, 223 Rn. 22, 25 - Commercial Solvents; vom 14. November 1996, Rs. C-333/94 P, Slg. 1996, I-5951 Rn. 24 ff. - Tetra Pak II; BGH, Urteil vom 4. November 2003 - KZR 16/02, BGHZ 156, 379, 383 - Strom und Telefon; WRP 2021, 1184 Rn. 35 - Stornierungsentgelt II; WRP 2022, 65 Rn. 36 - Trassenentgelte II). Zu dieser Verantwortung zählt für den Inhaber einer wesentlichen Einrichtung insbesondere die Gewährung des Zugangs zur Infrastruktur zu nichtdiskriminierenden und angemessenen Bedingungen.
Rz. 30
cc) Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, der von der Beklagten im Rahmen ihres Trassenpreissystems erhobene Regionalfaktor entspreche nicht diesen Anforderungen. Dabei kann offen bleiben, ob die Belastung einzelner Regionalnetze mit diesem Zuschlag, wie das Berufungsgericht angenommen hat, die Eisenbahnverkehrsunternehmen im Sinne des Art. 102 Abs. 2 Buchst. c AEUV diskriminiert, die in diesen Netzteilen mit Verkehrsleistungen beauftragt sind und Leistungen der Beklagten in Anspruch nehmen. Auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts stellt sich die Erhebung des Zuschlags in Form des Regionalfaktors unter Berücksichtigung der Wertungen des sektorspezifischen Regulierungsrechts jedenfalls als missbräuchliche Ausbeutung im Sinne des Art. 102 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. a AEUV dar, weil die Beklagte mit diesem Preissystem einzelne Nutzer der Schieneninfrastruktur in Widerspruch zu eisenbahnrechtlichen Entgeltvorschriften ohne sachliche Rechtfertigung mit zusätzlichen Entgelten belastet. Dadurch werden im Streitfall diese Nutzer gezielt in unangemessener Weise zur Kostendeckung herangezogen.
Rz. 31
(1) Soweit im Rahmen der Anwendung des Art. 102 AEUV die Erzwingung unangemessener und damit missbräuchlicher Preise in Rede steht, ist im Ausgangspunkt zu prüfen, ob das marktbeherrschende Unternehmen einen überhöhten Preis ohne vernünftigen Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Wert der von ihm erbrachten Leistung verlangt, wobei für die Ermittlung dieses Verhältnisses mehrere Methoden in Betracht kommen. Als geeignete Bezugsgrößen sind unter anderem die Preise in den Blick zu nehmen, die das beherrschende Unternehmen in der Vergangenheit für gleiche Dienstleistungen auf demselben relevanten Markt verlangt hat, oder die es für andere Dienstleistungen oder gegenüber anderen Kundenkategorien beansprucht, oder auch diejenigen Preise, die andere Unternehmen für die gleiche Dienstleistung oder für vergleichbare Dienstleistungen auf anderen nationalen Märkten verlangt haben. Es ist Sache des nationalen Gerichts, die etwaige Überhöhung solcher Entgelte vor dem Hintergrund des konkreten Falles, mit dem es befasst ist, und unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu ermitteln (vgl. zum Ganzen EuGH, WRP 2021, 316 Rn. 29, 31 f. - SABAM/Weareone.World, mwN).
Rz. 32
Zu diesen bei der Anwendung des Missbrauchsverbots zu berücksichtigenden Besonderheiten zählen in regulierten Wirtschaftsbereichen die einschlägigen Vorgaben des sektorspezifischen Regulierungsrechts. Sehen diese Vorschriften besondere Preisbildungsregeln vor, handelt es sich insoweit um spezifisches Marktordnungsrecht, das die Maßstäbe für die Anwendung des Missbrauchsverbots im Hinblick auf die Preishöhenkontrolle konkretisiert. Es ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Auslegung des Art. 102 AEUV anerkannt, dass für die Beurteilung der Frage, ob ein Entgelt unangemessen überhöht ist, die Vorgaben der sektoralen Preisregulierung als Maßstab dienen können, um den Besonderheiten der jeweils betroffenen Märkte Rechnung zu tragen (vgl. EuGH, Urteil vom 11. April 1989 - C-66/86 Rn. 43 - Ahmed Saeed Flugreisen; EuGH, WRP 2021, 316 Rn. 21, 30 - SABAM/Weareone.World). In diesem Zusammenhang kann den einschlägigen regulierungsbehördlichen Entscheidungen der Bundesnetzagentur indizielle Bedeutung beigemessen werden (BGH, N&R 2021, 56 Rn. 58 - Stationspreissystem II).
Rz. 33
(2) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte die Beklagte aufgrund der Erhebung des Regionalfaktors im Fahrplanjahr 2010/2011 für das Ostsachsen-Netz einen Zuschlag in Höhe von 61 % und für das Vogtland-Ostthüringen-Netz von 43 % auf das Produkt aus Trassengrundpreis, Trassenproduktfaktor und leistungsabhängiger Entgeltkomponente zu entrichten (Regionalfaktoren von 1,61 und 1,43). Diesen Zuschlag hat die Beklagte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht flächendeckend für sämtliche von ihr gebildeten Regionalnetze angewandt. Die Beklagte hat mit ihrem Preissystem auf diese Weise gegenüber der Klägerin und anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen, die ebenso wie sie auf mit Regionalfaktoren belasteten Strecken Dienstleistungen im Schienenpersonennahverkehr anbieten, erheblich höhere Infrastrukturentgelte erhoben als gegenüber denjenigen Zugangsberechtigten, die vergleichbare Dienstleistungen auf Strecken anbieten, für deren Nutzung die Beklagte keinen Zuschlag erhebt.
Rz. 34
(3) Für die Erhebung dieses Preisaufschlags fehlte es, wovon das Berufungsgericht mit Recht ausgegangen ist, an einer sachlichen Rechtfertigung. Das im maßgeblichen Zeitpunkt anwendbare Eisenbahnrecht erlaubte derartige Zuschläge nicht.
Rz. 35
(a) Das Berufungsgericht hat angenommen, es sei nicht ersichtlich, dass die mit Regionalfaktoren belasteten Trassen höhere Kosten des Zugbetriebs verursachten, welche entsprechend den gesetzlich normierten Preisbildungskriterien gemäß § 14 Abs. 4 AEG aF in Verbindung mit § 21 EIBV aF maßgeblich seien. Eine geringere Auslastung und damit eine geringere Wirtschaftlichkeit der Strecken könne die sachliche Ungleichbehandlung ebenfalls nicht rechtfertigen, weil die Beklagte für ihr bundesweites Gleisnetz Kategoriepreise verwende, in welchen gut und schlecht ausgelastete Strecken bereits enthalten seien. Eine Kostenunterdeckung werde im Rahmen der Mischkalkulation bereits durch Trassenverkäufe hochfrequentierter Strecken ausgeglichen. Der Auslastungsgrad stelle ein Nachfragerisiko dar, das eisenbahnrechtlich nicht einseitig auf die Nutzer der Strecker abgewälzt werden dürfe. Preisaufschläge seien nach § 21 EIBV nur für überlastete Strecken zulässig gewesen. Zuschläge auf die durch den Zugbetrieb verursachten Kosten könnten am Maßstab des § 14 Abs. 4 Satz 2, Alt. 2 AEG aF nur anhand der Tragfähigkeit von Marktsegmenten erhoben werden. Der Schienenpersonennahverkehr stelle eine einheitliche Verkehrsleistung dar, innerhalb deren keine willkürlichen Preisdifferenzierungen vorgenommen werden könnten. Der bundesweite Aufgabenträgermarkt im Schienenpersonennahverkehr weise keine regional unterschiedlichen Marktverhältnisse auf, so dass sich auch eine regionale Preisdifferenzierung verbiete. Insbesondere ließen sich keine Unterschiede zwischen dem Schienenpersonennahverkehr innerhalb und außerhalb von Ballungsräumen erkennen. Auch in Bezug auf die Anzahl der täglichen Takttrassen seien keine unterschiedlichen Marktverhältnisse gegeben. Die geringere Wirtschaftlichkeit bestimmter Trassen bilde ebenfalls keine unterschiedlichen Marktverhältnisse ab. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang auf die Kosten-Erlös-Struktur abstelle, gehe es dabei ersichtlich nicht um durch den Zugbetrieb im Sinne des § 14 Abs. 4 Satz 2 AEG verursachte Kosten, sondern um auf bestimmten Streckenabschnitten nicht durch Einnahmen gedeckte Fixkosten. Das rechtfertige indes keine preisliche Differenzierung bei vergleichbarer und gleichartiger Infrastrukturleistung. Schließlich ließen sich die Regionalfaktoren auch nicht mit einer besonderen Tragfähigkeit unterschiedlicher Marktsegmente gemäß § 14 Abs. 4 Satz 2 AEG begründen, weil sich in Bezug auf die mit den Regionalfaktoren belasteten Strecken keine ausreichend tragfähigen Marktsegmente erkennen ließen. Die von der Beklagten zur Rechtfertigung ins Feld geführte geringere Wirtschaftlichkeit der mit Regionalfaktoren belasteten Regionalnetze indiziere deren mangelnde Tragfähigkeit, was sich auch an der Notwendigkeit staatlicher Zuschüsse zeige.
Rz. 36
(b) Diese Erwägungen lassen Rechtsfehler nicht erkennen. Die Revision macht dagegen ohne Erfolg geltend, § 14 Abs. 4 AEG aF stehe der Erhebung von Zuschlägen, die auf mangelnder Wirtschaftlichkeit einzelner Strecken oder Netzteile beruhten, nicht entgegen. Bei den vom Zuschlag betroffenen Teilen der Netzinfrastruktur, die vorwiegend vom Schienenpersonennahverkehr genutzt würden, handele es sich um gering ausgelastete, modernisierungsbedürftige und daher besonders defizitäre Strecken. Ohne Erhebung des Regionalfaktors hätte sich für die betroffenen Netzteile ein noch höheres Defizit ergeben, sie hätten möglicherweise stillgelegt werden müssen.
Rz. 37
Wie das Berufungsgericht zutreffend und ohne Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG angenommen hat, kann nach § 14 Abs. 4 AEG in Verbindung mit den Vorschriften der Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung die geringere Wirtschaftlichkeit einzelner Strecken oder regionaler Netzteile keine Erhebung von Entgeltaufschlag in Bezug auf einzelne Teile der Schieneninfrastruktur innerhalb eines einheitlichen Marktsegments rechtfertigen.
Rz. 38
(aa) Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 AEG aF haben Eisenbahninfrastrukturunternehmen die diskriminierungsfreie Benutzung der Eisenbahninfrastruktur zu gewährleisten. Zu diesem Zweck haben sie ihre Entgelte gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 AEG aF so zu bemessen, dass die ihnen insgesamt für die Erbringung der Pflichtleistungen entstehenden Kosten zuzüglich einer Rendite, die auf dem Markt erzielt werden kann, ausgeglichen werden. Damit hat sich der Gesetzgeber für das Prinzip des Vollkostenansatzes als Maßstab für die Ermittlung der Entgelthöhe entschieden (vgl. Kühling/Hermeier/Heimeshoff, Entgeltregulierung im Eisenbahnrecht, 2007, S. 92; Gerstner in Hermes/Sellner, AEG, 2. Aufl., § 14 Rn. 181 ff.). Dieser Maßstab bestimmt die Höhe sämtlicher Entgelte, die das Eisenbahninfrastrukturunternehmen von den Eisenbahnverkehrsunternehmen insgesamt verlangen kann. Wie die jeweiligen Entgelte zu berechnen sind, bestimmen die in § 14 Abs. 4 Satz 2 ff. aF geregelten Entgeltgrundsätze. Danach sind zunächst die unmittelbaren Kosten des Zugbetriebs zu ermitteln. Auf diese Grenzkosten, die lediglich einen kleinen Teil der dem Eisenbahninfrastrukturunternehmen entstehenden Kosten ausmachen (vgl. Krick in Ronellenfitsch/Schweinsberg/Henseler-Unger, Aktuelle Probleme des Eisenbahnrechts XVII, 2012, S. 111, 112), können Aufschläge erhoben werden. Sinn und Zweck dieser Aufschläge ist es, dem Eisenbahninfrastrukturunternehmen im Hinblick auf die Erbringung der Pflichtleistungen die Deckung der beim Betrieb des Netzes entstehenden Fix- und Gemeinkosten zu ermöglichen. Dabei kann das Eisenbahninfrastrukturunternehmen zwischen unterschiedlichen Verkehrsleistungen (Schienenpersonenfernverkehr, Schienenpersonennahverkehr, Schienengüterverkehr) und innerhalb dieser Verkehrsleistungen nach unterschiedlichen Marktsegmenten differenzieren. Bei der Bemessung der Aufschläge ist die Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere die des internationalen Schienengüterverkehrs, zu gewährleisten. Die nähere Ausgestaltung erfolgt gemäß den Entgeltregelungen der Eisenbahninfrastrukturbenutzungsverordnung. § 21 Abs. 3 EIBV aF sieht unter anderem vor, dass das Wegeentgelt einen Entgeltbestandteil umfassen kann, der die Knappheit der Schienenwege auf bestimmten Abschnitten in Zeiten der Überlastung widerspiegelt. Soweit eine Verkehrsleistung höhere Kosten als eine andere Verkehrsleistung verursacht, dürfen nach § 21 Abs. 4 EIBV aF diese erhöhten Kosten nur für diese Verkehrsleistung berücksichtigt werden. Nach § 23 Abs. 2 EIBV aF dürfen zur Förderung von Strecken mit niedrigem Auslastungsgrad zeitlich begrenzte Nachlässe gewährt werden.
Rz. 39
(bb) Mit diesen Regelungen werden die Vorgaben der im Klagezeitraum maßgeblichen Richtlinie 2001/14/EG in nationales Recht umgesetzt. Nach Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie ist das Entgelt für das Mindestzugangspaket grundsätzlich in Höhe der Kosten festzulegen, die unmittelbar aufgrund des Zugbetriebs anfallen. Nach Art. 8 Abs. 1 Richtlinie 2001/14/EG kann ein Mitgliedstaat, sofern der Markt dies tragen kann, Aufschläge auf der Grundlage effizienter, transparenter und nichtdiskriminierender Grundsätze erheben, um eine volle Deckung der dem Betreiber der Infrastruktur entstehenden Kosten zu erhalten, wobei die bestmögliche Wettbewerbsfähigkeit insbesondere des grenzüberschreitenden Schienengüterverkehrs zu gewährleisten ist. Daraus folgt, dass sich ein Wegeentgelt nach der Richtlinie 2001/14/EG zwischen der in Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie vorgesehenen Untergrenze (Grenzkosten) und der in Art. 8 Abs. 1 genannten Obergrenze (Vollkosten) bewegen kann. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union setzt die Erhebung eines Vollkostenaufschlags bei Vornahme einer Entgeltdifferenzierung nach einzelnen Marktsegmenten voraus, dass der Betreiber der Schieneninfrastruktur Markttragfähigkeitstests durchführt (EuGH, Urteil vom 28. Februar 2013 - C-556/10, EuZW 2013, 666 Rn. 87, 89 - Kommission/Bundesrepublik). Zudem haben die Mitgliedstaaten nach Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie zur Vermeidung von Diskriminierungen sicherzustellen, dass für vergleichbare Verkehrsdienste in ein und demselben Marktsegment dieselben Entgelte erhoben werden.
Rz. 40
(cc) Danach erlauben die eisenbahnrechtlichen Entgeltbestimmungen, wie auch die Bundesnetzagentur in ihrem Bescheid vom 5. März 2010 ausgeführt (dort S. 12) und wie sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bekräftigt hat, keine Preisdifferenzierung nach dem jeweiligen Grad der Wirtschaftlichkeit einzelner Strecken oder Teilnetze innerhalb einer Verkehrsleistung. Eine Rechtfertigung der mit Hilfe der Regionalfaktoren erhobenen Aufschläge am Maßstab des § 14 Abs. 4 Satz 2 AEG aF ist im Streitfall nicht gegeben.
Rz. 41
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist zunächst nicht ersichtlich, dass der Beklagten aufgrund des Zugbetriebs auf den regionalfaktorbelasteten Strecken im Vergleich zu den nicht mit dem Zuschlag belasteten Strecken höhere Kosten entstanden sind. Das wird von der Revision nicht beanstandet. Defizitäre und nicht defizitäre Teilnetze stellen darüber hinaus auch keine eigenständigen Marktsegmente im Sinne dieser Vorschrift dar. Marktsegmente sind anhand des Bedarfsmarktkonzepts und damit aus Sicht der Nachfrager abzugrenzen (ebenso OLG Frankfurt, Urteil vom 15. September 2020 - 11 U 128/14, juris Rn. 142; vgl. Kühling/Hermeier/Heimeshoff, Entgeltregulierung im Eisenbahnrecht, 2007, S. 97; vgl. auch Otte/Kirchhartz in Kühling/Otte, AEG ERegG, § 36 ERegG Rn. 20, zur geltenden Regelung in § 36 Abs. 2, 3 ERegG). Aus der Perspektive der das Infrastrukturangebot nachfragenden Eisenbahnverkehrsunternehmen sind die von der Beklagten angebotenen Infrastruktureinrichtungen für die Erbringung von Dienstleistungen des Schienenpersonennahverkehrs, wie das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der Auffassung der Bundesnetz-agentur ohne Rechtsfehler angenommen hat, in allen betroffenen Regionalbereichen austauschbar. Zwischen den Regionalnetzen mit Regionalfaktor und denjenigen ohne einen solchen Zuschlag lassen sich im Hinblick auf Marktverhältnisse und Wettbewerbsbedingungen keine erheblichen regionalen Unterschiede erkennen, die eine unterschiedliche Preissetzung rechtfertigen könnten. Dem entsprechend ist auch von einem bundesweit abzugrenzenden Aufgabenträgermarkt für Dienstleistungen des Schienenpersonennahverkehrs auszugehen (BGH, Beschluss vom 7. Februar 2006 - KVR 5/05, BGHZ 166, 165 Rn. 23 f. - DB Regio/üstra). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts fehlt es zudem an einer unterschiedlichen Tragfähigkeit der - staatlich gestützten - Nachfrage. Soweit die Revision dagegen vorbringt, die geringere Auslastung sowie der erforderliche Modernisierungs- und Investitionsaufwand der vom Regionalfaktor betroffenen Strecken reflektierten einen erheblichen Unterschied im Rahmen der Marktabgrenzung, vermag sie damit nicht durchzudringen. Wie die Bundesnetzagentur zutreffend hervorgehoben hat, würde im Widerspruch zum Bedarfsmarktkonzept ein angebotsseitiger Parameter zum entscheidenden Maßstab der Abgrenzung von Marktsegmenten erhoben und damit die Profitabilität der betroffenen Strecken an die Stelle des nach § 14 Abs. 4 Satz 2 AEG aF maßgeblichen Verhaltens einer bestimmten Nachfragergruppe gesetzt. Für die Wettbewerbsbedingungen auf dem nachgelagerten Markt der Erbringung von Schienenpersonennahverkehrsleistungen hat die Frage der Profitabilität des Angebots auf dem Vorleistungsmarkt für sich genommen jedoch keine unmittelbare Bedeutung. Dem steht nicht entgegen, dass eine räumliche Abgrenzung bestimmter Marktsegmente innerhalb einer Verkehrsleistung nach § 14 Abs. 4 AEG aF nicht prinzipiell ausgeschlossen ist. Dies kommt aber grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn sich die Wettbewerbsbedingungen im Hinblick auf die jeweilige Verkehrsleistung aus Sicht der Nachfrager - wie im Streitfall jedoch nicht - erheblich unterscheiden.
Rz. 42
Darüber hinaus sind keine normativen Anhaltspunkte ersichtlich, nach denen eine mangelnde Auslastung oder ein erhöhter Modernisierungs- und Investitionsbedarf einzelner Strecken eine Preisdifferenzierung innerhalb eines Marktsegments gerechtfertigt erscheinen lassen. Nach den Vorgaben der Eisenbahnregulierung können vielmehr gut ausgelastete Trassen mit Knappheitsaufschlägen belegt (§ 21 Abs. 3 EIBV), für schwach ausgelastete hingegen zeitlich befristete Entgeltnachlässe gewährt werden (§ 23 Abs. 2 EIBV). Eine Möglichkeit zur Erhebung von Entgeltaufschlägen für schwach ausgelastete Strecken sehen weder § 14 Abs. 4 AEG aF noch die Regelungen der EIBV vor. Zudem können nach § 21 Abs. 4 EIBV höhere Kosten einer Verkehrsleistung, wenn sich - wie hier - keine unterschiedlichen Marktsegmente identifizieren lassen, nur insgesamt einer Verkehrsleistung angelastet werden. Daraus folgt in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung der Bundesnetzagentur, dass das Risiko mangelnder Auslastung jedenfalls nicht streckenbezogen einzelnen, diese Strecken nachfragenden Anbietern einer Verkehrsleistung, hier des SPNV, zugewiesen werden darf. Nichts anderes gilt im Ausgangspunkt für einen erhöhten Modernisierungs- und Investitionsbedarf. Ist der Betrieb einer bestimmten Strecke dem Betreiber der Schieneninfrastruktur etwa aus wirtschaftlichen Gründen nicht (mehr) zumutbar, so kann er nach § 11 Abs. 1 AEG aF die Stilllegung der Strecke beantragen. Stattdessen kann er auch nach § 20 Abs. 1 EIBV bei erforderlichen Investitionen in die Schieneninfrastruktur mit Dritten, insbesondere mit dem für die Infrastruktur zuständigen Aufgabenträger, Vereinbarungen treffen, wie sich die Drittfinanzierung der erforderlichen Investitionen auf die Entgelte auswirkt. Diese Regelung hat für alle Zugangsberechtigten zu gelten und darf sich lediglich auf einzelne Verkehrsleistungen und innerhalb der Verkehrsleistungen wiederum nur auf Marktsegmente beschränken.
Rz. 43
Vor diesem Hintergrund hätte die Beklagte, wie die Bundesnetzagentur in ihrem Bescheid vom 5. März 2010 ausgeführt hat, das von ihr geltend gemachte Defizit auf alle Verkehrsleistungen verteilen oder ausschließlich und unterschiedslos sämtlichen Zugangsberechtigten des Schienenpersonennahverkehrs anlasten können, um die ihr nach § 14 Abs. 4 Satz 1 AEG aF gesetzlich zustehende Deckung der Vollkosten zu erreichen. Soweit die Revision auf das Gutachten K. verweist, wonach eine Quersubventionierung zwischen Kernnetzen und Regionalnetzen zu einer impliziten Besteuerung der Trasseninanspruchnahme im Bereich der Kernnetze führen würde, lässt sich daraus für die von der ökonomischen Betrachtung zu unterscheidende normative Fragestellung nichts entnehmen. In Ermangelung geeigneter, die Wettbewerbsbedingungen auf dem Anschlussmarkt in den Blick nehmender Kriterien für die von der Beklagten vorgenommene räumliche Preisspaltung ergibt sich aus § 14 Abs. 1 Satz 1 AEG aF, Art. 8 Abs. 3 Richtlinie 2001/14/EU, dass gegenüber den in ein und demselben Marktsegment agierenden Eisenbahnverkehrsunternehmen des Schienenpersonennahverkehrs, die - wie im Streitfall - vergleichbare Infrastrukturleistungen der Beklagten in Anspruch nehmen und zudem auch vergleichbare Verkehrsleistungen anbieten, dieselben Entgelte erhoben werden müssen.
Rz. 44
Dass der Bescheid der Bundesnetzagentur vom 5. März 2010, dessen Begründung sich das Berufungsgericht zu eigen gemacht hat, nicht in Bestandskraft erwachsen ist, steht der Berücksichtigung der dort angestellten Erwägungen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht entgegen (vgl. BGH, WuW 2020, 209 Rn. 52 - Trassenentgelte I; N&R 2021, 56 Rn. 61 - Stationspreissystem II). Dies gilt - ohne dass es darauf entscheidend ankommt - insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Bundesnetzagentur in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ihren im Bescheid zum Ausdruck gebrachten Rechtsstandpunkt bekräftigt hat. Da weder das Unionsrecht noch das nationale Eisenbahnrecht der Anwendung des Art. 102 AEUV durch die Zivilgerichte entgegenstehen, diese damit zur Entscheidung über die geltend gemachten Ansprüche berufen sind, und da nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Wertungen des sektorspezifischen Regulierungsrecht zu berücksichtigen sind, kommt es im Streitfall auch nicht darauf an, ob der Bescheid der Bundesnetzagentur, hätte diese an ihm festgehalten, der Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte Stand gehalten hätte.
Rz. 45
(dd) Der Beklagten war es, anders als die Revision meint, damit nicht gestattet, ihre ökonomischen Interessen bei der Bepreisung der Regionalnetze nach Belieben zu verfolgen. Die Belastung einzelner Eisenbahnverkehrsunternehmen mit erheblichen Preisaufschlägen - wie auch der Aufgabenträger, soweit diese auf Grundlage der geschlossenen Verkehrsverträge den Eisenbahnverkehrsunternehmen die von der Beklagten in Rechnung gestellten Infrastrukturentgelte ersetzen - stellt im Streitfall ein missbräuchliches Verhalten im Sinne des Art. 102 Abs. 1 AEUV dar, weil diese Kundengruppe in unangemessener Weise und im Widerspruch zu eisenbahnrechtlichen Entgeltvorschriften überproportional zur Deckung der Gemeinkosten der Netzinfrastruktur herangezogen wird. Dem steht nicht entgegen, dass eine ungleichmäßige Belastung einzelner Abnehmer einem marktbeherrschenden Unternehmen außerhalb eines preisregulierten Markts unter bestimmten Umständen gestattet sein kann (vgl. BGH, Urteil vom 6. Oktober 2015 - KZR 17/14, WRP 2016, 605 Rn. 63 - Zentrales Verhandlungsmandant). Ergibt sich aus dem besonderen sektorspezifischen Marktordnungsrecht jedoch ein Gebot, für vergleichbare Verkehrsleistungen innerhalb eines Marktsegments dieselben Entgelte zu erheben (§ 14 Abs. 4 Satz 3 AEG aF, Art. 8 Abs. 3 Richtlinie 2001/14/EG), kann das marktbeherrschende Unternehmen Preisaufschläge für einzelne Nachfrager nicht mit einer nachteiligen Kosten-Erlös-Struktur bestimmter Strecken rechtfertigen. Jedenfalls dann, wenn ein Preissystem substantielle Preisaufschläge vorsieht, wie sie im Streitfall festgestellt sind, begründet die nach dem anwendbaren Marktordnungsrecht sachlich nicht gerechtfertigte selektive Belastung von Teilen der Netznutzer innerhalb eines Marktsegments eine missbräuchliche Ausbeutung dieser betroffenen Nutzer. Das hat auch das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt und angenommen, die Beklagte habe ihre marktbeherrschende Stellung dazu genutzt, die Aufgabenträger, soweit diese die Regionalfaktoren den Eisenbahnverkehrsunternehmen erstatteten, unter "Schonung" der unmittelbaren Vertragspartner auszubeuten. Die vom Berufungsgericht im Ergebnis mit Recht angenommene Ausbeutung der mit den Regionalfaktoren belasteten unmittelbaren und mittelbaren Abnehmer begründet unabhängig davon, ob das Verhalten geeignet ist, den Wettbewerb auf dem nachgelagerten Markt zu behindern und damit den Tatbestand des Diskriminierungsverbots nach Art. 102 Abs. 2 Buchst. c AEUV erfüllt, einen eigenständigen Verstoß gegen das Missbrauchsverbot.
Rz. 46
(ee) Dem kann die Revision nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Preisaufschläge seien bei den Zuwendungen seitens der Bundesrepublik Deutschland in Form der Regionalisierungsmittel nach dem Regionalisierungsgesetz (RegG) berücksichtigt worden. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 RegG in der ab dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung (aF) ist zwar mit den Beträgen nach § 5 RegG aF insbesondere der Schienenverkehr zu finanzieren, wobei den Ländern nach § 5 ein bestimmter Betrag aus dem Mineralölsteueraufkommen zustand. Allerdings sind Umfang und Höhe der Mittel Gegenstand eines Gesetzgebungsverfahrens, das dem unmittelbaren Einfluss der Beklagten ebenso entzogen ist wie die konkrete Verwendung der Mittel durch die Bundesländer. Im Übrigen kann im Rahmen des Art. 102 AEUV der Wunsch nach Abgrenzung der finanziellen Verantwortung zwischen unterschiedlichen Trägern staatlicher Gewalt für unterschiedliche Aufgaben der Daseinsvorsorge (Netzinfrastruktur einerseits, Schienenpersonennahverkehr andererseits), wie er der Konzeption der Regionalfaktoren nach dem Vorbringen der Beklagten zugrunde lag, und der daraus folgenden Subventionsvergabe kein Preisverhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens rechtfertigen, das dem sektorspezifischen Marktordnungsrecht zuwiderläuft. Nicht näher begründete Einschätzungen der rechtlichen Lage durch die Bundesregierung in einem Gesetzgebungsverfahren oder des Bundeskartellamts außerhalb eines förmlichen Verfahrens stehen dieser Annahme nicht entgegen.
Rz. 47
(ff) Die Missbräuchlichkeit des konkret beanstandeten Preisverhaltens entfällt schließlich auch nicht deswegen, weil die Beklagte nach Auffassung der Bundesnetzagentur eine mit den Vorgaben des § 14 Abs. 4 AEG aF in Einklang stehende Verteilung des Defizits einzelner Strecken hätte vornehmen können (s.o. Rn. 43). Derartige hypothetischen Erwägungen sind mit dem Schutzzweck des Art. 102 AEUV nicht zu vereinbaren. Sie tragen den konkreten Wirkungen des missbräuchlichen Preisverhaltens der Beklagten auf den Wettbewerb insgesamt keine Rechnung.
Rz. 48
(gg) Da es vom - zutreffenden - rechtlichen Standpunkt des Berufungsgerichts auf die Wirtschaftlichkeit der betroffenen Regionalnetze aus Rechtsgründen nicht ankam, geht der Angriff der Revision ins Leere, das Berufungsgericht habe das Vorbringen zu den Hintergründen der Einführung der Regionalfaktoren und zu deren Ermittlung übergangen.
Rz. 49
c) Das Preissetzungsverhalten der Beklagten beeinträchtigt zudem, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten, weil es angesichts ihres flächendeckend anwendbaren Preissystems geeignet ist, den Zugang von Wettbewerbern aus anderen Mitgliedstaaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erschweren.
Rz. 50
d) Das Berufungsgericht hat weiter mit Recht angenommen, dass der Klägerin im Umfang der entrichteten, auf die Regionalfaktoren entfallenden Entgeltbestandteile ein Schaden entstanden ist. Zutreffend ist es davon ausgegangen, dass sich die Klägerin keine Vorteile anrechnen lassen muss, die ihr aufgrund einer etwaigen Erstattung der Infrastrukturkosten seitens der Verkehrsträger zugefallen sein könnten.
Rz. 51
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind dem Geschädigten in gewissem Umfang diejenigen Vorteile anzurechnen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind. Unter Berücksichtigung der aus § 242 BGB abgeleiteten Grundsätze soll auf diese Weise ein angemessener Interessenausgleich zwischen den beim Ausgleich von Vermögensschäden widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden. Dabei soll der Geschädigte einerseits nicht bessergestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde; es sollen ihm aber andererseits auch nur solche Vorteile auf den Schadensersatzanspruch angerechnet werden, deren Anrechnung mit dem Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, also dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet (BGH, Urteile vom 28. Juni 2007 - VII ZR 81/06, BGHZ 173, 83 Rn. 18; vom 30. September 2014 - X ZR 126/13, NJW 2015, 553 Rn. 14; vom 19. Mai 2020 - KZR 8/18, WuW 2020, 597 Rn. 45 - Schienenkartell IV).
Rz. 52
Diese Grundsätze beanspruchen auch für den kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch Geltung (vgl. näher BGH, Urteil vom 28. Juni 2011 - KZR 75/10, BGHZ 190, 145 Rn. 58 - ORWI; WuW 2020, 597 Rn. 46 - Schienenkartell IV; Urteil vom 21. September 2020 - KZR 4/19, WuW 2021, 37 Rn. 49 f. - Schienenkartell V). Für Schadensersatzansprüche, die auf einen Preishöhenmissbrauch nach Art. 102 AEUV gestützt sind, gelten sie ebenfalls, weil Art. 102 AEUV ebenso wie Art. 101 AEUV nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union jedermann - und damit auch mittelbar Geschädigten - einen Schadensersatzanspruch gewährt (EuGH; Urteil vom 28. März 2019 - C-637/17, WuW 2019, 258 Rn. 38 ff. - Cogeco). Dem entspricht es, dass nach Art. 3 der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union (Abl. EU 2014, Nr. L 349, S. 1) die Mitgliedstaaten zu gewährleisten haben, dass jede natürliche oder juristische Person einen Schadensersatzanspruch wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht geltend machen kann - wobei nach Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie der Begriff der Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht auch einen Verstoß gegen Art. 102 AEUV umfasst - und die Vorschriften über die Abwälzung eines Preisaufschlags nach Art. 13, 14 der Richtlinie ebenfalls den durch einen Preishöhenmissbrauch nach Art. 102 AEUV verursachten Preisaufschlag erfassen (vgl. Art. 2 Nr. 20 i.V.m. Nr. 1 Richtlinie 2014/104/EU). Auch insoweit ist daher gegebenenfalls zu prüfen, ob der Vertragspartner eines marktbeherrschenden Unternehmens, der aufgrund eines Missbrauchs dieser marktbeherrschenden Stellung überhöhte Preise gezahlt hat, diese höheren Preise an seine eigenen Abnehmer hat weiterreichen können.
Rz. 53
bb) Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagte habe die Voraussetzungen einer Vorteilsausgleichung schon nicht hinreichend dargelegt. Es kann offenbleiben, ob diese Beurteilung zutrifft. Das Berufungsgericht hat sich, selbständig tragend und ohne dass die Revision insoweit einen Rechtsfehler aufzeigt, auf den Standpunkt gestellt, dass der Klägerin auch dann ein Schaden entstanden sei, wenn das Vorbringen der Beklagten als wahr unterstellt werde, wonach die Klägerin die von ihr zu zahlenden Infrastrukturkosten an den Aufgabenträger habe durchreichen können. Die Klägerin sähe sich für den Fall, dass der Aufgabenträger ihr die Kosten der Infrastrukturnutzung tatsächlich ersetzt haben sollte, die die Klägerin aufgrund deren Rechtswidrigkeit nicht zu zahlen verpflichtet gewesen sei, ihrerseits der Gefahr eines Anspruchs der Aufgabenträger auf Erstattung dieser gezahlten Entgeltteile ausgesetzt. Es könne nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass die Verkehrsträger, die Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge wahrnähmen, in einem Verkehrsdurchführungsvertrag verpflichtet werden sollten, der Klägerin Entgeltzuschläge als Kosten der Infrastruktur auch dann zu erstatten, wenn insoweit keine wirksame Zahlungsverpflichtung der Klägerin bestanden habe.
Rz. 54
Gegen diese Feststellungen erhebt die Revision keine Einwände. Damit steht fest, dass der Aufgabenträger für den Fall, dass die Klägerin die erhöhten Infrastrukturentgelte an den Aufgabenträger hat durchreichen können, berechtigt ist, die auf den Regionalfaktor entfallenden und unter Verstoß gegen Art. 102 AEUV erhobenen Entgeltteile zurückzufordern.
Rz. 55
cc) Auf dieser Grundlage hat das Berufungsgericht zu Recht einen anrechenbaren Vorteil der Klägerin verneint. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann im Rahmen von Leistungsketten allenfalls dann von einem berücksichtigungsfähigen Vorteil ausgegangen werden, wenn feststeht, dass dieser dauerhaft beim Geschädigten verbleibt, es mithin - etwa weil kein Rückzahlungsanspruch im Innenverhältnis besteht oder ein solcher nicht (mehr) durchgesetzt werden kann - ausgeschlossen ist, dass der Geschädigte im Hinblick auf den zunächst entstandenen Vorteil Rückforderungsansprüchen Dritten ausgesetzt ist (vgl. BGHZ 173, 83 Rn. 20 ff.; BGH, Urteil vom 10. Juli 2007 - VII ZR 16/07, NJW 2008, 3359 Rn. 17 ff.). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall jedoch nicht gegeben. Der Klägerin ist kein dauerhafter Vorteil im Hinblick auf die zunächst erstatteten Infrastrukturentgelte entstanden, weil feststeht, dass sie nach dem mit dem Aufgabenträger abgeschlossenen Verkehrsvertrag rechtswidrig überhöhte Infrastrukturentgelte an diesen wieder herauszugeben hat und sie zudem der Gefahr der Inanspruchnahme durch den Aufgabenträger ausgesetzt ist. Eine Vorteilsausgleichung hat das Berufungsgericht unter diesen Umständen mit Recht verneint.
Rz. 56
Dem steht nicht entgegen, dass dem Aufgabenträger möglicherweise ein eigener, auf § 33 Abs. 3 GWB aF i.V.m. Art. 102 AEUV beruhender Schadensersatzanspruch gegenüber der Beklagten zusteht. Macht er diesen geltend, ohne dass er bereits im Innenverhältnis die Klägerin auf Grundlage des Verkehrsvertrages auf Rückzahlung in Anspruch genommen hat, so kann er in entsprechender Anwendung des § 255 BGB Zahlung nur Zug-um-Zug gegen Abtretung des vertraglichen Erstattungsanspruchs gegen das beauftragte Eisenbahnverkehrsunternehmen verlangen, weil dieser einen durch das schädigende Verhalten adäquat verursachten und berücksichtigungsfähigen Vorteil darstellt (vgl. BGH, Urteile vom 15. April 2010 - IX ZR 223/07, NJW 2010, 1961 Rn. 29; vom 22. Juli 2014 - KZR 27/13, NZKart 2014, 459 Rn. 54 - Stromnetznutzungsentgelt II; Grüneberg in Grüneberg, BGB, 81. Aufl. Vorb § 249 Rn. 71). Diesen Erstattungsanspruch kann die Beklagte dann entweder gegen die Schadensersatzforderung der Klägerin aufrechnen oder, sollte die Beklagte der Klägerin bereits Schadensersatz geleistet haben, selbständig durchsetzen, so dass die Beklagte in beiden Fällen vor einer doppelten Inanspruchnahme geschützt ist. Eine doppelte Inanspruchnahme der Beklagten droht auch dann nicht, wenn der Aufgabenträger das Eisenbahnverkehrsunternehmen bereits erfolgreich im Innenverhältnis in Anspruch genommen hat. In diesem Fall fehlte es für die Inanspruchnahme der Beklagten an einem Schaden des Aufgabenträgers.
Rz. 57
Aufgrund des im Innenverhältnis zum Eisenbahnverkehrsunternehmen bestehenden Rückzahlungsanspruchs des Aufgabenträgers und dessen Pflicht, diesen an die Beklagte abzutreten, sofern er dieser gegenüber einen eigenen Schadensersatzanspruch geltend macht, wird darüber hinaus dem Gebot, eine Überkompensation des Geschädigten zu vermeiden (vgl. Art. 3 Abs. 3 Richtlinie 2014/104/EU), hinreichend Genüge getan. Gleichzeitig ist sichergestellt, dass keine unbillige Entlastung der Beklagten als ihre Marktmacht missbrauchendes Unternehmen droht (Art. 12 Abs. 1 Richtlinie 2014/104/EU, vgl. BGH, WuW 2021, 37 Rn. 51 ff. - Schienenkartell V).
Rz. 58
dd) Vor diesem Hintergrund kann der unionsrechtlich fundierte Einwand der kartellrechtlichen Schadensabwälzung dem neben dem Schadensersatzanspruch gegebenen Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB i.V.m. Art. 102 AEUV, § 134 BGB ebenfalls nicht mit Erfolg entgegengehalten werden. Zwar finden die Grundsätze der Vorteilsausgleichung auf den Bereicherungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB regelmäßig keine Anwendung (BGH, Urteil vom 5. November 2002 - XI ZR 381/01, NJW 2003, 582, 584). Da das Unionsrecht den Einwand der Schadensweiterwälzung (Art. 13 Richtlinie 2014/104/EU) aber unabhängig von den konkreten Voraussetzungen der Anspruchsgrundlagen des nationalen Rechts anerkennt (vgl. Art. 4, Erwägungsgrund 11 Richtlinie 2014/104/EU), sind aufgrund des unionsrechtlichen Äquivalenz- und Effektivitätsprinzips vergleichbare Erwägungen auch im Bereicherungsrecht jedenfalls dann angebracht, wenn der bereicherungsrechtliche Anspruch ausschließlich auf einen Verstoß gegen die Art. 101, 102 AEUV gestützt wird und deren tatbestandliche Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. BGH, WRP 2021, 1184 Rn. 40 - Stornierungsentgelt II). Nach den zutreffenden Erwägungen des Berufungsgerichts ist der Klägerin allerdings, wie ausgeführt, aufgrund der drohenden Rückforderung seitens des Aufgabenträgers kein dauerhafter Vorteil erwachsen.
Rz. 59
ee) Die Berufung auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten, wonach die Beklagte sämtliche Zugangsberechtigten des Schienenpersonennahverkehrs mit einheitlichen, aber geringeren Aufschlägen hätte belasten können, scheidet aus den oben bereits ausgeführten benannten Gründen (Rn. 47) aus.
Kirchhoff |
|
Roloff |
|
Tolkmitt |
|
Picker |
|
Rombach |
|
Fundstellen
Haufe-Index 15127560 |
NJW-RR 2022, 988 |
WM 2022, 2185 |
JZ 2022, 297 |
WRP 2022, 746 |
N&R 2022, 230 |
NZKart 2022, 411 |
WuW 2022, 275 |