Verfahrensgang
OLG Köln (Urteil vom 30.09.1971) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Köln vom 30. September 1971 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger war zunächst vom 1. Januar 1960 bis zum 31. Dezember 1964 zum alleinigen Vorstandsmitglied der beklagten Aktiengesellschaft bestellt worden. Im Jahre 1962 wurde zwischen ihm und dem Präsidium des Aufsichtsrats der Beklagten ein auf den 1. Januar 1960 zurückbezogener Anstellungsvertrag abgeschlossen. Der Vertrag war auf fünf Jahre befristet und sollte sich jeweils um zwei Jahre verlängern, wenn er nicht sechs Monate vor Ablauf gekündigt wurde (Nr. 8). Nach. Nr. 4 des Vertrags erhielt der Kläger Gehalt und Tantieme, nach Nr. 5 steht ihm eine Pension zu. Nr. 9 lautet: „Bei allgemeinen Änderungen der Gehälter der Bundesbeamten können die Beträge unter 4 und 5 im gleichen Verhältnis geändert werden.”
Am 26. Juni 1964 beschloß der Aufsichtsrat der Beklagten, den Anstellungsvertrag zu kündigen, den Kläger aber noch für ein weiteres Jahr – bis zum 31. Dezember 1965 – zum Vorstand zu bestellen. Bis dahin übte der Kläger seine Tätigkeit auch aus.
Der Kläger hält den Beschluß vom 26. Juni 1964 für unwirksam und meint, der Anstellungsvertrag sei gemäß Nr. 8 noch bis zum 31. Dezember 1966 gelaufen. Deshalb stehe ihm bis zu diesem Tage das vereinbarte Gehalt zu. Dieses sei ebenso wie das sich anschließende Ruhegeld nach Nr. 9 des Vertrages, die eine Verpflichtung der Beklagten begründe und nicht nur eine „Kannbestimmung” enthalte, der laufend gestiegenen Beamtenbesoldung anzupassen. Der Kläger hat hiernach für die Jahre 1964 bis 1966 eine Mehrforderung von 57.646 DM errechnet. Er hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung dieses Betrags mit Zinsen zu verurteilen sowie festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, seine Pensionsbezüge den seit den 1. Januar 1964 erfolgten Änderungen der Bezüge der Bundesbeamten anzupassen.
Die Beklagte hat mit ihrem Antrag auf Klagabweisung die Auffassung vertreten, die Aufsichtsratsbeschlüsse vom 26. Juni 1964 seien gültig. Die Gehalts- und Pensionsbezüge des Klägers anzupassen, sei sie nicht verpflichtet, weil Nr. 9 des Vertrags keine Rechtspflicht begründe.
Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.
Entscheidungsgründe
1. Zutreffend hält es das Berufungsgericht für unerheblich, ob der Aufsichtsrat der Beklagten am 26. Juni 1964 wirksam beschlossen hat, den Anstellungsvertrag mit dem Kläger zum Jahresende zu kündigen, den Kläger aber noch bis zum 31. Dezember 1965 im Vorstand zu belassen. War dieser Beschluß unwirksam, wie der Kläger geltend macht, so lief seine Amtszeit als Vorstandsmitglied am 31. Dezember 1964 aus. Damit endete zugleich der auf fünf Jahre befristete Anstellungsvertrag. Die Verlängerungsklausel in Nr. 8 des Anstellungsvertrage konnte nicht wirksam werden, weil nach der zwingenden Regelung des § 75 Abs. 1 AktG 1937 (= § 84 Abs. 1 AktG 1965) eine Verlängerung der Amtszeit ohne neuen Aufsichtsratsbeschluß nur bis zur Höchstgrenze von fünf Jahren zulässig war und auch der Anstellungsvertrag über diese Grenze hinaus eine automatische Verlängerung nur für den Fall einer entsprechenden Verlängerung der Amtszeit wirksam vorsehen konnte (BGHZ 3, 90; 20, 239, 245). Da der Kläger aber tatsächlich noch bis zum 31. Dezember 1965 als Vorstandsmitglied tätig gewesen ist, stünde ihm nach den Grundsätzen über fehlerhafte Anstellungsverträge bis zu diesem Tag das vereinbarte Gehalt zu (BGHZ 41, 282, 286 ff).
Denselben Anspruch hätte der Kläger auch bei Wirksamkeit der Beschlüsse vom 26. Juni 1964. In keinem Fall kann er daher über den 31. Dezember 1965 hinaus Gehalt fordern.
Zu Unrecht meint die Revision, einen solchen Gehaltsanspruch daraus herleiten zu können, daß schon in einer Sitzung vom 8. Mai 1964 die Mehrheit des Aufsichtsrats sich dafür ausgesprochen habe, den Kläger über den 31. Dezember 1964 hinaus in seinem Amt zu belassen, unstreitig hat der Aufsichtsrat an diesem Tag nur entschieden, die Frage der Vorstandsbestellung in einer weiteren Sitzung zu behandeln (Klageschrift S. 3; Klageerwiderung S. 2). Darin lag kein ausdrücklicher Beschluß auf Verlängerung von Bestellung und Anstellung, wie ihn § 75 Abs. 1 AktG 1937 erforderte (BGHZ 47, 341, 343; 41, 282, 286 m.w.N.).
2. Die Höhe der hiernach dem Kläger zustehenden Bezüge – Gehalt bis zum 31. Dezember 1965 und Pension für die spätere Zeit – hängt davon ab, wie Nr. 9 des Anstellungsvertrags aufzufassen ist. Das Berufungsgericht hat diese Klausel dahin ausgelegt, sie begründe kein Recht auf automatische Anpassung der Bezüge an die laufende Entwicklung der Beamtengehälter, sondern lediglich eine Verpflichtung der Beklagten, bei Besoldungsänderungen auf Verlangen des Klägers mit ihm darüber zu verhandeln, ob und wie seine Bezüge diesen Veränderungen anzupassen seien. Dabei stehe eine solche Anpassung freilich nicht in ihrem Belieben. Lehne die Beklagte sachlich begründete Anpassungswünsche des Klägers mit Argumenten ab, die nach den Grundsätzen der Vertragstreue und nach Treu und Glauben zu mißbilligen seien, so könnte der Kläger unter Umständen das Recht haben, die Beklagte durch eine Klage zur Anpassung zu zwingen.
Diese Auslegung hält sich im Rahmen der §§ 133, 157 BGB und ist auch sonst rechtlich nicht zu beanstanden. In der Tat durfte der Kläger daraus, daß der Anstellungsvertrag die Möglichkeit einer Angleichung seiner Bezüge an die allgemeine Entwicklung überhaupt vorsieht und hierfür einen bestimmten Maßstab aufstellt, entnehmen, daß eine solche Anpassung nicht der Willkür der Beklagten überlassen bleiben, sondern über sie von Fall zu Fall sachgemäß verhandelt und entschieden werden sollte; denn sonst wäre eine solche Klausel wertlos und überflüssig. Andererseits spricht die vorsichtige Fassung („können … geändert werden”) dafür, daß den Beteiligten ein gewisser Spielraum offenbleiben sollte, innerhalb dessen etwaige besondere Umstände zugunsten der einen oder anderen Partei berücksichtigt werden können. Auch läßt sich angesichts der Interessenlage und der Stellung des Klägers gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, der Kläger müsse, wenn er eine Anpassung seiner Bezüge wünsche, jeweils rechtzeitig an die. Beklagte herantreten, grundsätzlich nichts einwenden.
Unbegründet ist die Auffassung der Revision, die Beklagte müsse nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz schon von sich aus die Bezüge des Klägers gleichlaufend mit den Bezügen der Bundesbediensteten erhöhen, da sie bei „allen übrigen Angestellten”, die von der Bundespost zu ihr gekommen seien, ebenso verfahren sei. Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung kommt bei Vertretungsorganen von Kapitalgesellschaften in der Regel nicht zum Zuge, weil deren Verträge weitgehend nach individuellen Gesichtspunkten ausgehandelt zu werden pflegen und mit den Verträgen sonstiger Angestellter nicht vergleichbar sind (vgl. BGH, Urt. v. 17.2.69 – II ZR 19/68 –, WM 1969, 868).
3. Das Berufungsgericht vermißt Darlegungen des Klägers darüber, daß er sich in den Jahren 1964 und 1965 mit dem Verlangen nach einer Gehaltserhöhung an die Beklagte gewandt und sie zu Verhandlungen hierüber aufgefordert habe. Deshalb, so meint es, fehle die Voraussetzung für eine entsprechende Verpflichtung der Beklagten.
Hiergegen wendet sich die Revision zu Recht mit einer Verfahrensrüge. Bis zum Erlaß des Berufungsurteils haben die Parteien immer nur darüber gestritten, ob Nr. 9 des Anstellungsvertrags eine Rechtsplicht der Beklagten begründe oder eine Erhöhung der Bezüge in ihr freies Ermessen stelle. Daß eine solche Erhöhung zunächst ein entsprechendes Verlangen des Klägers voraussetze, wie das Berufungsgericht meint, ist bislang weder von der Beklagten geltend gemacht noch sonst in den Tatsacheninstanzen zwischen den Parteien erörtert worden; es ergab sich auch nicht ohne weiteres aus dem Wortlaut der betreffenden Vertragsklausel. Unter diesen Umständen hätte das Berufungsgericht die Parteien gemäß § 139 ZPO auf seine Rechtsauffassung hinweisen müssen. Dann hätte der Kläger nach dem Vorbringen der Revision anhand der Korrespondenz dargelegt, daß er schon 1964 und 1965 unter Hinweis auf Besoldungsänderungen eine Erhöhung seiner Bezüge verlangt habe.
Dieses Vorbringen ist auch erheblich. Denn wenn der Kläger rechtzeitig eine Erhöhung gefordert, die Beklagte sie aber von vornherein abgelehnt haben sollte, so käme ebenso wie im Falle eines Scheiterns hierüber geführter Verhandlungen eine Anwendung der §§ 316, 315 BGB in Betracht (BGH, Urt. v. 20.3.64 – V ZR 46/63 –, WM 1964, 561; Urt. v. 4.10.67 – VIII ZR 51/66 –, LM BGB § 535 Nr. 35). Das bedeutet, daß in diesem Fall der Kläger entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts unmittelbar auf die nach billigem Ermessen zu bestimmende Leistung klagen konnte (§ 315 Abs. 2 BGB).
4. Für die Zeit nach dem 31. Dezember 1965 könnte ein Anspruch des Klägers auf Erhöhung seiner Bezüge allerdings in Frage gestellt sein, wenn der Einwand der Beklagten begründet wäre, der schriftliche Anstellungsvertrag von 1962, der für die Beklagte lediglich von dem zweiköpfigen Präsidium ihres Aufsichtsrats unterzeichnet ist, sei nichtig, weil nach der Satzung der Beklagten und § 89 Abs. 1 Satz 3 AktG 1937 der Aufsichtsrat nur bei Teilnahme von mindestens drei Mitgliedern beschlußfähig gewesen sei. Dieser Einwand greift jedoch nicht durch. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob es gegen die genannten Vorschriften verstieß, daß der Aufsichtsrat, wie es hier nach dem Vortrag des Klägers geschehen ist, den Abschluß von Anstellungsverträgen mit Vorstandsmitgliedern allgemein einem aus zwei Mitgliedern gebildeten Ausschuß übertrug (vgl. § 92 Abs. 4 AktG 1937; BGHZ 41, 282, 285). Auf einen hierauf etwa beruhenden Mangel des Anstellungsvertrags von 1962 kann sich die Beklagte jedenfalls heute nicht mehr berufen, nachdem sich der Kläger in seinen beruflichen Dispositionen auf den Vertrag eingestellt hat und auf dieser Grundlage mehrere Jahre lang für die Beklagte tätig gewesen ist. Die Beklagte hat diese Tätigkeit nicht nur hingenommen, sondern den Kläger in seinem Vertrauen auf die Rechtsbeständigkeit des Vertrages auch noch dadurch bestärkt, daß sie in den Jahren 1960 bis 1964 seine Bezüge ein- oder mehrmals den inzwischen gestiegenen Beamtengehältern angepaßt hat. Schließlich hat der Aufsichtsrat in seiner Gesamtheit noch am 26. Juni 1964 über den Anstellungsvertrag beschlossen, ohne irgendwie zum Ausdruck zu bringen, er betrachte nur die mündlichen Abmachungen von 1959 und nicht den schriftlichen Vertrag von 1962 als maßgebend.
Unter diesen umständen setzt sich die Beklagte in einer mit Treu und Glauben unvereinbaren und auch durch den Zweck des § 89 Abs. 1 Satz 3 AktG 1937 nicht gedeckten Weise in Widerspruch zu dem bisherigen Verhalten ihrer zuständigen Organe, indem sie nunmehr die Gültigkeit eines Vertrages in Abrede stellt, den beide Teile jahrelang als Grundlage ihrer Rechtsbeziehungen betrachtet und durchgeführt haben.
5. Obwohl der Gehaltsanspruch des Klägers für 1966, wie ausgeführt, unbegründet ist, ist die Sache auch insoweit noch nicht entscheidungsreif. Denn es läßt sich nicht ausschließen, daß der Kläger nach Nr. 9 des Anstellungsvertrags für 1966 wenigstens eine erhöhte Pension nachfordern kann. Da der Senat den hiernach in Frage kommenden Erhöhungsbetrag anhand der bislang vorgetragenen Tatsachen nicht selbst errechnen kann und die Sache auch sonst noch einer weiteren tatsächlichen Klärung bedarf, hat er das angefochtene Urteil insgesamt aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Damit wird der Kläger auch Gelegenheit haben, seine Anträge, soweit nötig, der nunmehr geklärten Rechtslage anzupassen.
Unterschriften
Stimpel, Fleck, Dr. Bauer, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Kellermann ist beurlaubt und deshalb gehindert zu unterschreiben. Stimpel, Dr. Tidow
Fundstellen