Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 12.05.2005) |
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Mai 2005 dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte L. des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und erpresserischem Menschenraub schuldig ist.
Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
Die Staatskasse trägt die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten L. hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den zur Tatzeit 21-jährigen Angeklagten L. sowie den knapp zwei Jahre jüngeren Angeklagten H. wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen. Den Angeklagten L. hat es zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren sechs Monaten, den Mitangeklagten H. – unter Einbeziehung früherer Jugendstrafen – zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision zu Ungunsten des Angeklagten L., die vom Generalbundesanwalt vertreten wird. Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zu einer Korrektur des Schuldspruchs; im Übrigen bleibt sie ohne Erfolg.
I.
Rz. 2
Nach den Feststellungen des Landgerichts hielten sich die Angeklagten am 6. Januar 2005 in der B.-Bar am Brunsbüttler Damm in Berlin-Spandau auf. In dieser Gaststätte saß auch der später geschädigte … He. mit zwei Begleitern an einem gesonderten Tisch. Der Angeklagte L., von imposanter und furchteinflößender Statur, kam an den Tisch der drei und forderte: „Jetzt legt jeder von euch zehn Euro auf den Tisch, sonst gibt's richtig Stress”. Hierzu waren diese nicht bereit. Der Mitangeklagte H. machte dem Geschädigten He. den Vorschlag, mit ihm auf die Toilette zu gehen, um dort alles in Ruhe zu besprechen. Der Angeklagte L. folgte auf ein Zeichen des Mitangeklagten. Nachdem sich die Angeklagten kurz verständigt hatten, schlugen sie beide im Bereich der Herrentoilette mit der flachen Hand und mit der Faust dem Geschädigten He. mehrfach ins Gesicht und forderten vom ihm die Herausgabe seiner Wertsachen. … He. erlitt schmerzhafte Prellungen im Gesicht, blutete aus der Nase und Oberlippe; zudem brach ein Stück eines Schneidezahns ab. Der Mitangeklagte H. bedrohte den Geschädigten im Anschluss an die Misshandlungen mit einem Teleskopschlagstock, den ihm vorher der Angeklagte L. gereicht hatte. Der Geschädigte, der innerhalb des Lokals keine Hilfe mehr erwartete, nachdem die Angeklagten zwischenzeitlich einen seiner Begleiter und den Wirt „abgewimmelt” hatten, erklärte den Angeklagten, er habe kein Geld bei sich, könne aber welches am Geldautomaten abheben. Er wusste dabei, dass er das Tageslimit für sein Konto bereits ausgeschöpft hatte, hoffte aber, auf diese Weise den Angeklagten entkommen zu können. Die Angeklagten, die dem Geschädigten einschärften, sich unauffällig zu verhalten, folgten dem Geschädigten zum Geldautomaten am Spandauer Rathaus, wobei sie für ein kurzes Stück den Bus benutzten. Am Geldautomaten misslang wegen des bereits erschöpften Tageslimits ein dreimaliger Versuch des Geschädigten, Geld abzuheben. Daraufhin nahmen die Angeklagten dem Opfer Bargeld in Höhe von etwa 100 Euro sowie das Handy weg, was der Geschädigte aus Angst vor weiteren Misshandlungen geschehen ließ.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 3
Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zu einer Korrektur des Schuldspruchs; sie bleibt aber im Übrigen ohne Erfolg.
Rz. 4
1. Entgegen der Auffassung des Landgerichts erfüllt das Verhalten der Angeklagten den Tatbestand des erpresserischen Menschenraubes (§ 239a StGB). Das Landgericht hätte die Angeklagten deshalb wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und erpresserischem Menschenraub schuldig sprechen müssen.
Rz. 5
a) Der Tatbestand des erpresserischen Menschenraubes setzt ein Entführen oder ein Sich-Bemächtigen eines Menschen voraus. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt im – auch bei zwei Mittätern gegebenen – „Zwei-Personen-Verhältnis” (Täter-Opfer) ein Sich-Bemächtigen vor, wenn der Täter die physische Herrschaft über einen anderen erlangt, wobei weder eine Ortsveränderung erforderlich ist, noch der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt sein muss (BGHR StGB § 239a Abs. 1 Sich-Bemächtigen 6, 7). Allerdings verlangt das Vorliegen einer Bemächtigungssituation, dass diese im Blick auf die erstrebte Erpressungshandlung eine eigenständige Bedeutung hat; sie setzt weiterhin eine gewisse Stabilisierung der Beherrschungslage voraus, die dann durch den Täter ausgenutzt werden soll. Beide Kriterien dienen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHSt 40, 350 ff.) dazu, vor allem bei Zwei-Personen-Verhältnissen den Anwendungsbereich der §§ 239a, 239b StGB von demjenigen klassischer Delikte mit Nötigungselementen wie den §§ 177, 253, 255 StGB abzugrenzen (BGHR StGB § 239a Abs. 1 Sich-Bemächtigen 4, 8).
Rz. 6
b) Ein Sich-Bemächtigen im Sinne dieser Bestimmung liegt allerdings nicht bereits in dem Veranlassen des Geschädigten, ihnen zur Herrentoilette zu folgen, und den sich daran anschließenden Gewalthandlungen durch die Angeklagten. Durch die Schläge und die Drohung mit dem Teleskopschlagstock hatten sie zwar die notwendige physische Herrschaft über den Geschädigten erlangt. Die Angeklagten forderten jedoch bereits im unmittelbaren Zusammenhang mit den Schlägen die Herausgabe von Geld und Wertsachen. Eine nach dem Tatbestand des § 239a StGB erforderliche stabile (Zwischen-) Lage als Basis für weitere Nötigungen bestand deshalb nicht (vgl. BGHR StGB § 239a Abs. 1 Sich-Bemächtigen 4).
Rz. 7
c) Der auf den Vorschlag des Geschädigten umgesetzte neue Tatplan, nämlich das Abheben von Geld aus dem Geldautomaten, erfüllt jedoch den Tatbestand des § 239a StGB. Mit dem Verlassen des Lokals ist eine stabile Bemächtigungssituation entstanden. Diese war bedingt durch die physische Übermacht der beiden Angeklagten und wurde zusätzlich verstärkt durch die fortwirkende Einschüchterung aufgrund der vorangegangenen Misshandlungen. Dabei ist es unerheblich, dass die dann realisierte Bemächtigungslage auf das Opfer selbst zurückging. Sein Vorschlag, den Geldautomaten aufzusuchen und dort Geld von seinem Konto abzuheben, hob die Bemächtigungslage zu seinen Lasten nicht auf. Diese Anregung bedeutete nicht, dass … He. die Angeklagten – was für sie auch offensichtlich war – freiwillig zu dem Geldautomaten führen wollte. Vielmehr bewirkte er nur eine Änderung der Tatausführung, die ihn zunächst vor weiteren unmittelbar drohenden Handlungen schützen und seine Flucht erleichtern sollte. An der Bemächtigungslage, die zu einer Erpressung des abgehobenen Geldes dienen sollte, änderte dies nichts, zumal der Geschädigte während des Verbringens zum Geldautomaten auch tatsächlich keine Gelegenheit sah, den Angeklagten zu entkommen.
Rz. 8
Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die Annahme einer Bemächtigungssituation im Sinne des § 239a StGB auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil das Opfer im Vergleich zu seiner bedrängten Situation auf der Herrentoilette durch den gemeinsamen Weg zum Geldautomaten nicht in eine qualifiziert schlechtere Lage gebracht worden sei. Das Landgericht leitet dies aus der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geforderten eigenständigen Bedeutung der Bemächtigungssituation ab. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Mit der eigenständigen Bedeutung der Bemächtigungslage ist – in Abgrenzung insbesondere zu den Raubdelikten – lediglich gemeint, dass über die in jeder mit Gewalt verbundenen Nötigungshandlung liegende Beherrschungssituation hinaus eine weitergehende Druckwirkung auf das Opfer sich gerade auch aus der stabilisierten Bemächtigungslage ergeben und der Täter beabsichtigen muss, die durch das Sich-Bemächtigen des Opfers geschaffene Lage für sein weiteres erpresserisches Vorgehen auszunutzen (BGH NStZ-RR 2004, 333, 334). Erforderlich ist eine finale Beziehung zwischen der Bemächtigungslage und ihrer Ausnutzung zum Zwecke der Erpressung, an deren Vorliegen hier kein ernsthafter Zweifel bestehen kann. Ob das Opfer aufgrund der ersten Raubattacke in einer bedrängteren Lage war, ist dabei unerheblich. Entscheidend ist vielmehr, dass nunmehr nach dem modifizierten Tatplan die weitere Kontrolle über das Opfer die Voraussetzung für die erstrebte Erpressung des aus dem Geldautomaten noch zu ziehenden Betrages bilden sollte.
Rz. 9
d) Der Annahme eines erpresserischen Menschenraubes nach § 239a StGB steht schließlich nicht entgegen, dass der Vermögensverlust sich auf das in seiner Börse mitgeführte Geld und das Handy bezog. Auch die Wegnahme dieser Vermögenswerte erfolgte unter Ausnutzung der vorher geschaffenen Bemächtigungssituation. Die Änderung der Zielrichtung der Wegnahmehandlung nach der fehlgeschlagenen Abhebung vom Geldautomaten stellt dabei eine unerhebliche Abweichung vom Kausalverlauf dar, weil die Angeklagten von ihrem Opfer Geld und Wertsachen wollten und diese letztlich auch erhalten haben. Da der Tatbestand der Erpressung die Raubhandlung mit umfasst, liegt ein erpresserischer Menschenraub auch dann vor, wenn die Bemächtigungslage für einen Raub im Sinne des § 249 StGB ausgenutzt wird (BGH NStZ 2002, 31, 32; NStZ-RR 2004, 333, 334). Die Korrektur des Schuldspruchs kann der Senat selbst vornehmen, weil nicht ersichtlich ist, wie sich der Angeklagte hiergegen hätte anders verteidigen können.
Rz. 10
2. Einer Aufhebung des Strafausspruchs bedarf es bei dieser Sachverhaltskonstellation nicht, weil der Senat ausschließen kann, dass sich die fehlerhafte Verneinung des Tatbestands des erpresserischen Menschenraubes nach § 239a StGB auf die verhängte Strafe ausgewirkt hat. Das Landgericht hat nämlich zu Recht den Schwerpunkt der Tat in den Misshandlungen auf der Herrentoilette des Lokals gesehen, die in der Absicht erfolgten, den Geschädigten zur Herausgabe von Geld und Wertsachen zu veranlassen. Es hat weiterhin das Sich-Bemächtigen des Opfers bei der Bemessung der Strafe ersichtlich schärfend gewürdigt, insoweit aber auch rechtsfehlerfrei mildernd berücksichtigt, dass die Idee zur Fahrt zum Geldautomaten vom Opfer selbst ausgegangen ist.
Rz. 11
Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft lässt insbesondere die vom Landgericht gegebene Begründung einer Annahme eines minder schweren Falles keinen Rechtsfehler erkennen. Das Landgericht hat insoweit die von der Rechtsprechung verlangte Gesamtwürdigung von Tat und Täter sorgfältig und mit vertretbaren Erwägungen vorgenommen. Das vom Landgericht gefundene Ergebnis hält sich innerhalb des ihm zukommenden Ermessensspielraums (BGHR StGB vor § 1/minder schwerer Fall Gesamtwürdigung 7). Es ist offensichtlich, dass der Tatrichter hinsichtlich des erpresserischen Menschenraubes gleichfalls von einem minder schweren Fall im Sinne des § 239a Abs. 2 StGB ausgegangen wäre und die Strafe trotz unterschiedlicher Höchststrafe gleich bemessen hätte.
Rz. 12
3. Die umfassende Überprüfung des angefochtenen Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten L. ergeben (§ 301 StPO).
Unterschriften
Harms, Häger, Basdorf, Gerhardt, Raum
Fundstellen
Haufe-Index 2555490 |
NStZ 2006, 448 |
LL 2006, 832 |