Leitsatz (amtlich)
Aus unwahren oder unvollständigen Angaben des Versicherungsnehmers über das Schadenereignis, die folgenlos geblieben sind, kann der Haftpflichtversicherer, auch wenn weder er noch sein Agent bei der Schadensmeldung mitgewirkt hat, seine Leistungsfreiheit nur herleiten, wenn er den Versicherungsnehmer vorher deutlich auf den drohenden Anspruchsverlust hingewiesen hatte, es sei denn, daß ein solcher Hinweis nachweislich aus besonderen Gründen überflüssig war.
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 14.07.1964) |
LG Limburg a.d. Lahn |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Frankfurt (Main) vom 14. Juli 1964 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten Haftpflichtversicherungsschutz gegen die Folgen eines Verkehrsunfalls, den er als Halter und Fahrer eines Volkswagens am 25. Februar 1961 gegen 23.50 Uhr verursachte. Auf einer Zechtour mit Freunden durchfuhr er eine längere Strecke, auf der wegen einer Baustelle nur eine Fahrbahnhälfte für den beiderseitigen Verkehr freigegeben war. Hierbei überschritt er die durch ein Verkehrsschild angezeigte Höchstgeschwindigkeit von 30 km/st erheblich. Er fuhr einen Motorradfahrer an, der ihm auf der verengten und nur mit einer gewalzten Schotterdecke versehenen Fahrbahn entgegenkam, und verletzte ihn schwer. Die beim Kläger entnommene Blutprobe ergab für die Unfallzeit einen Blutalkoholgehalt von 1,34 Promille.
In seiner auf einem Vordruck der Beklagten erstatteten Schadenanzeige gab der Kläger folgende Unfallschilderung:
"... Die Geschwindigkeitsbegrenzung betrug 30 km/Std. Ich befuhr die Straße mit einer Geschwindigkeit von ca. 50 km/Std. auf der neu aufgefüllten Straße. Das Motorrad, welches aus der entgegengesetzten Fahrtrichtung kam, muß m. E. bis zur Straßenmitte gefahren sein, wobei es meinen linken vord. Kotflügel und die Tür streifte. Die Geschwindigkeit des Motorradfahrers dürfte bei 60 km/Std. gelegen haben, Z. Zt. des Aufpralls betrug meine Geschwindigkeit ca. 25 bis 30 km/Std. ..."
Auf seinen Alkoholgenuß wies der Kläger nicht hin. Wegen Unrichtigkeit und Unvollständigkeit dieser Angaben und aus anderen Gründen verweigerte die Beklagte dem Kläger den Versicherungsschutz.
Hiergegen richtet sich die Klage, mit der beantragt ist, die Beklagte zur Gewährung von Versicherungsschutz wegen des Unfalls und zur Preisteilung des Klägers von allen Schadenersatzansprüchen zu verurteilen, sowie festzustellen, daß die Beklagte vom Kläger keinen Ersatz für ihre Aufwendungen in Höhe von 13.989,30 DM mit Zinsen verlangen könne. Der Kläger hat bestritten, seine Aufklärungspflicht gegenüber der Beklagten vorsätzlich verletzt zu haben.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision, um deren Zurückweisung die Beklagte bittet, erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des Urteils der ersten Instanz.
Entscheidungsgründe
1.
Nach den rechtlich fehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger nach Eintritt des Versicherungsfalles die Obliegenheit gemäß § 7 I Nr. 2 Satz 2 AKB, alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestands dienlich sein kann, vorsätzlich verletzt. So hat er in seiner Schadenanzeige wider besseres Wissen dem verletzten Motorradfahrer eine Geschwindigkeit von 60 km/st zugeschrieben, obwohl dieser in Wirklichkeit die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/st nicht überschritten hatte. Seine eigene Fahrgeschwindigkeit hat der Kläger ebenfalls bewußt unzutreffend angegeben. Tatsächlich hatte er die Unfallstelle nicht nur mit zunächst 50 und dann 25-30 km/st durchfahren, sondern mit einer unverminderten Geschwindigkeit von 80-100 km/st. Unrichtig und bewußt zur Irreführung der Beklagten aufgestellt war schließlich auch die, wenn auch vorsichtig formulierte, Behauptung des Klägers, der Motorradfahrer müsse bis zur Straßenmitte gefahren sein. In Wahrheit hatte sich der Verletzte rechts gehalten.
Bei dieser Sachlage kann dahingestellt bleiben, ob das Berufungsgericht mit Recht einen weiteren vorsätzlichen Verstoß des Klägers gegen seine Aufklärungspflicht darin gesehen hat, daß er bei der Schadenanzeige seinen Alkoholgenuß, nach dem in dem Vordruck der Beklagten nicht ausdrücklich gefragt war, verschwiegen hat. Schon die bewußt unwahren Angaben des Klägers über die beiderseitige Fahrgeschwindigkeit, die für die Beurteilung des Schadenfalles von erheblicher Bedeutung war, erfüllen den Tatbestand einer vorsätzlichen Verletzung der Aufklärungs- und Auskunftspflicht (BGH VersR 1963, 547).
2.
Ein solcher Verstoß des Versicherungsnehmers führt nach § 7 V AKB grundsätzlich auch dann zum Verlust des Versicherungsanspruchs, wenn er für den Versicherer im Ergebnis keine nachteiligen Folgen gehabt hat, wie es nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hier der Fall gewesen ist. Hiergegen macht die Revision zu Unrecht geltend, die Bestimmung des § 7 I Nr. 2 Satz 2 AKB könne eine so einschneidende Rechtsfolge im vorliegenden Fall schon deshalb nicht auslösen, weil sie wegen ihrer weiten Fassung nicht eindeutig erkennen lasse, daß zu den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers auch richtige und vollständige Angaben in der Schadenanzeige gehörten. Die Wortes "Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestands ... dienlich sein kann", sind klar und allgemein verständlich gefaßt. Auch ein Laie kann daraus mit aller Deutlichkeit entnehmen, daß er den Versicherer bei der Aufklärung des Sachverhalts nach besten Kräften unterstützen muß. Daß hierzu mindestens auch eine wahrheitsgemäße Unfallschilderung gehört, ist so offensichtlich, daß es in den Versicherungsbedingungen nicht noch ausdrücklich erwähnt zu sein braucht.
Ebenso verfehlt ist die Ansicht der Revision, der Versicherungsnehmer brauche dem Versicherer nur die Tatsachen mitzuteilen, die seine Rechtsstellung gegenüber dem Geschädigten in einem günstigen Licht erscheinen ließen. Die Auskünfte des Versicherungsnehmers sollen dem Versicherer eine sachgemäße Abwicklung des Versicherungafalles ermöglichen. Beurteilt der Versicherer aber auf Grund irreführender Angaben des Versicherungsnehmers die Sach- und Rechtslage zu günstig, so läuft er nicht minder als im umgekehrten Fall Gefahr, durch eine unzweckmäßige Rechtsverteidigung Nachteile zu erleiden. Daß eine drohende Strafverfolgung den Versicherungsnehmer nicht der Pflicht enthebt, dem Haftpflichtversicherer offen und rückhaltlos über das Schadenereignis Auskunft zu geben, hat der Senat wiederholt ausgesprochen (VersR 1952, 428; Urt. v. 16.2.67, VersR 1967, 441). Inwiefern sich aus der Fassung des § 7 I Nr. 2 Satz 2 AKB etwas anderes ergeben soll, ist nicht ersichtlich.
3.
Dagegen hat die Revision grundsätzlich recht, wenn sie meint, die Beklagte hätte bei der Übersendung ihres Anzeigevordrucks an deutlich sichtbarer Stelle hervorheben müssen, daß bewußt unwahre oder lückenhafte Angaben zum Verlust des Versicherungsanspruchs führen, auch wenn dem Versicherer durch sie kein Nachteil entsteht.
Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 16. Februar 1967 (VersR 1967, 441) entschieden hat, kann sich der Haftpflichtversicherer wegen unrichtiger oder unvollständiger Angaben des Versicherungsnehmers über den Schadensfall, durch die ihm letztlich kein Nachteil entstanden ist, grundsätzlich nicht auf seine vertraglich vorgesehene Leistungsfreiheit berufen, wenn er oder sein Agent bei der Meldung des Schadens mitgewirkt und hierbei den Versicherungsnehmer nicht auf den drohenden Verlust des Versicherungsanspruchs hingewiesen hat. In diesem Urteil ist offengeblieben, ob Gleiches auch für den hier vorliegenden Fall gilt, wenn nämlich der Versicherungsnehmer den ihm übersandten Anzeigevordruck ohne Mitwirkung des Versicherungsnehmers oder eines Versicherungsagenten ausgefüllt hat. Die frage ist nunmehr zu entscheiden. Der Senat beantwortet sie dahin, daß in diesem Fall der Versicherungsnehmer durch einen äußerlich auffallenden und allgemein verständlichen Hinweis auf dem Fragebogen oder einem Begleitzettel ebenfalls ausdrücklich darüber belehrt werden muß, daß er durch bewußt unwahre oder unvollständige Angaben den Versicherungsschutz verliert, auch wenn dem Versicherer durch diese Angaben kein Nachteil entsteht.
Allerdings ist nicht zu verkennen, daß es einen gewissen Unterschied bedeutet, ob bei der Meldung des Schadens ein sachkundiger Vertreter des Versicherers zugegen ist, von dem der Versicherungsnehmer alle nach der Sachlage nötigen Hinweise erwarten kann, oder ob der Versicherungsnehmer den ihm zugeschickten Fragebogen selbständig ausfüllt. Im letzteren Fall wird mancher Versicherungsnehmer eher dazu neigen, sich zunächst durch. Einsicht in die Versicherungsbedingungen oder auf sonstige Weise über seine vertraglichen Rechte und Pflichten genauer zu vergewissern.
Bei gerechter Abwägung der schutzwürdigen Interessen beider Vertragsteile geben aber auch hier die Gesichtspunkte den Ausschlag, unter denen der Senat in seinem Urteil vom 16. Februar 1967 aus dem besonderen Vertrauensverhältnis der Versicherungspartner eine Belehrungspflicht des Versicherers bei der Aufnahme eines Haftpflicht Schadens abgeleitet hat. Diese Pflicht beruht darauf, daß der Versicherer im allgemeinen geschäftlich und versicherungstechnisch dem Versicherungsnehmer überlegen ist und darum auf dessen Belange immer dort so weit wie möglich Rücksicht nehmen muß, wo der Versicherungsnehmer wegen seiner geringeren Vertrautheit mit dem Versicherungswesen erfahrungsgemäß besonders häufig Gefahr läuft, den mitunter lebenswichtigen Versicherungsschutz einzubüßen. Das gilt namentlich auch für die Rechtsfolgen bewußt unwahrer oder unvollständiger Angaben bei der Schadenanzeige. Daß solche Angaben selbst dann zum vollen Recktsverlust führen können, wenn sie für den Versicherer keinen Nachteil bewirkt haben, ist weithin unbekannt. Es ist für den Versicherer ein leichtes und kann ihm daher zugemutet werden, diese Unkenntnis zu beseitigen, indem er bei der Übersendung seines Anzeigevordrucks deutlich auf den drohenden Anspruchsverlust hinweist. Damit dient der Versicherer zugleich seinem eigenen Interesse an einer schnellen und zuverlässigen Unterrichtung über den Schadensfall.
Demgegenüber fällt nicht erheblich ins Gewicht, daß der Versicherungsnehmer sich auch selbst um die nötige Rechtsaufklärung bemühen könnte. Oftmals wird die Anzeige an den Versicherer noch unter dem unmittelbaren Eindruck des Schadenereignisses und seiner Folgen und in Eile erstattet. Dabei hat der Versicherungsnehmer die Versicherungsbedingungen nicht immer gleich bei der Hand, oder er kommt gar nicht erst auf den Gedanken, sie vorher einzusehen, weil ihm überhaupt nicht bewußt wird, welche entscheidende Bedeutung seine Auskünfte für die Erhaltung des Versicherungsschutzes haben können. Die Gefahr eines Anspruchsverlustes aus bloßer Rechtsunkenntnis ist daher in diesen Fällen nicht wesentlich geringer, als wenn der Versicherer oder sein Agent bei der Meldung des Schadens mitwirkt. Deshalb muß hier, der Versicherer in gleicher Weise dem Bedürfnis des Versicherungsnehmers nach entsprechender Belehrung Rechnung tragen, wenn er sich selbst bei folgenlos gebliebenen Mängeln der Schadenanzeige auf seine vertraglich vorgesehene Leistungsfreiheit berufen will.
Soweit der Kläger in der Schadenanzeige unrichtige Angaben gemacht hat, kommt es demnach darauf an, ob die Beklagte ihm vorher (etwa in einem Begleitschreiben zu dem Anzeigevordruck) einen klaren und deutlichen Hinweis auf die Folgen eines solchen Verhaltens gegeben hatte, oder ob sich dieser Hinweis hier ausnahmsweise aus besonderen, von der Beklagten zu beweisenden Gründen erübrigt hat. Hierzu werden sich die Parteien noch näher äußern müssen.
4.
Soweit die Beklagte dem Kläger noch weitere Verstöße gegen die Aufklärungspflicht vorgeworfen hat, ist der Rechtsstreit ebenfalls noch nicht entscheidungsreif. Allerdings kann die Beklagte ihre Leistungsfreiheit nicht allein daraus herleiten, daß der Kläger unmittelbar oder mittelbar versucht haben soll, die Polizei durch falsche Angaben irrezuführen (vgl. BGH VersR 1963, 517; Fischer, VersR 1965, 179, 201). Erheblich ist dagegen das Vorbringen der Beklagten, der Kläger habe nach dem Unfall den Standort seines Kraftwagens verändert, um den Unfallhergang zu verschleiern und nicht, wie er behauptet hat, um den Verletzten in ein Krankenhaus zu bringen. In der Beseitigung von Unfallspuren liegt regelmäßig auch eine grobe Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 7 I Nr. 2 Satz 2 AKB, die den Versicherer von seiner Leistungspflicht befreit, wenn sich der Versicherungsnehmer nicht nach § 7 V AKB entlasten kann. Hier kommt der Gesichtspunkt der unterbliebenen Belehrung des Versicherungsnehmers nicht in Betracht.
5.
Da somit die Entscheidung des Rechtsstreits von weiteren tatsächlichen Feststellungen abhängt, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Diesem bleibt auch die Kostenentscheidung vorbehalten, da sie sich nach dem endgültigen Ausgang des Rechtsstreits richtet.
Fundstellen
Haufe-Index 3018629 |
BGHZ 48, 7 - 11 |
BGHZ, 7 |
DB 1967, 1085 (Volltext mit amtl. LS) |
NJW 1967, 1756 |
NJW 1967, 1756-1758 (Volltext mit amtl. LS) |
MDR 1967, 654 |
MDR 1967, 654-655 (Volltext mit amtl. LS) |