Leitsatz (amtlich)
Der Ausschluß jeglicher Wahlwerbung bei der Wahl von Arbeitnehmervertretern in den Unternehmensrat eines von einer Stiftung betriebenen Unternehmens verstößt gegen die Koalitionsfreiheit und ist nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG nichtig.
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3; BGB §§ 80, 85
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Urteil vom 21.05.1980) |
LG Stuttgart |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 21. Mai 1980 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß lediglich Satz 3 des § 8 Abs. 3 der nach § 11 Abs. 3 des Statuts der C.-Z-S. am 17. April 1978 erlassenen Wahlordnung unwirksam ist.
Die Anschlußrevision der Kläger gegen das vorgenannte Urteil wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Revisionsrechtszuges tragen die Kläger 2/3, die Beklagte 1/3.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Kläger, die der I. C.-P.-K. (im folgenden: IG C.) angehören, sind bei der Firma J. G. S. und G. Mainz (im folgenden: Firma S.) beschäftigt. Die Beklagte, eine Stiftung des privaten Rechts, betreibt die Firma S. und die Z.-Werke in O. als rechtlich unselbständige Wirtschaftsunternehmen. Ihre Organe sind zum einen das Ministerium für Wissenschaft und Kunst des Landes Baden-Württemberg als „Stiftungsverwaltung”, der die Vertretung der Stiftung als juristische Person, die Verwaltung ihres Vermögens und die oberste Leitung ihrer Angelegenheiten obliegen, zum anderen die „Vorstände” der Stiftungsunternehmen als deren „Geschäftsleitungen” sowie ein zur Vertretung der Stiftungsverwaltung bei diesen Unternehmen berufener ständiger „Stiftungskommissar” (§ 4 des Statuts).
Seit einer am 1. Januar 1978 in Kraft getretenen Änderung sieht die Satzung der Beklagten neben diesen Organen bei jedem Stiftungsunternehmen die Bildung von Unternehmensraten vor, die den Stiftungskommissar „bei der Wahrnehmung der ihm nach dem Statut obliegenden Überwachungsaufgaben zu unterstützen und auf diese Weise bei der ordnungsgemäßen Überwachung der Geschäftsführung des jeweiligen Stiftungsunternehmens mitzuwirken” haben (§§ 11, 12 des Statuts). Ein Unternehmensrat besteht aus 12 Mitgliedern, von denen die Stiftungsverwaltung sechs bestellt und die sechs weiteren aus dem Kreis der Arbeitnehmer „im jeweiligen Stiftungsunternehmen in allgemeiner, geheimer, gleicher und unmittelbarer Wahl nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl gewählt” werden.
Aufgrund einer Ermächtigung im Statut hat die Stiftungsverwaltung eine Wahlordnung (WO) erlassen, in der es in § 8 Abs. 3 heißt:
„Gleichzeitig” (nämlich mit der Bekanntgabe der Bewerberliste) erläßt der Wahlvorstand eine Veröffentlichung, in der die Bewerber den Wahlberechtigten vorgestellt werden. Die Vorstellung der Bewerber erfolgt in alphabetischer Reihenfolge mit Lichtbild; dabei erhält jeder Bewerber den gleichen Raum für seine eigene schriftliche Vorstellung. Um jedem Bewerber im Rahmen des Wahlverfahrens die gleichen Wahlchancen zu erhalten, sind darüber hinausgehende Maßnahmen der Wahlwerbung jeder Art, beispielsweise von Wahl- und sonstigen Veranstaltungen (z.B. Betriebs- oder Belegschaftsversammlungen) oder Wahlaufrufen zugunsten einzelner Bewerber, nicht zulässig.
§ 15 WO regelt die Wahlanfechtung. Danach kann die Wahl eines Mitglieds des Unternehmensrates „angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit, das Wahlverfahren … verstoßen worden und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, daß durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflußt werden konnte” (§ 15 Abs. 1 WO). Zur Anfechtung, über die die Stiftungsverwaltung entscheidet (§ 15 Abs. 4 WO), sind mindestens drei wahlberechtigte Angehörige des Stiftungsunternehmens und der jeweilige Vorstand berechtigt (§ 15 Abs. 2 WO).
Aus Anlaß der Unternehmensratswahl am 11. Oktober 1978 erließ die IG C. am 26. September und 10. Oktober 1978 in der von ihr herausgegebenen Belegschaftszeitung für die Arbeitnehmer der Firma S. Wahlaufrufe zugunsten der sechs von den Vertrauensleuten der IG C. bei der Firma S. aufgestellten Spitzenkandidaten, zu denen die fünf Kläger gehörten. Nachdem bei den Wahlen auf die Kläger und einen weiteren nicht gewerkschaftlich organisierten Bewerber die meisten Stimmen entfallen waren, wurde die Wahl von Betriebsangehörigen angefochten. Mit Beschluß vom 18. April 1979 erklärte die Stiftungsverwaltung die Wahl hinsichtlich der Kläger für ungültig, weil die Wahlwerbung der IG C. gegen § 8 Abs. 3 WO verstoßen habe.
Die Kläger halten die Wahl vom 11. Oktober 1978 für wirksam und die zu ihren Gunsten eingesetzte Wahlwerbung der IG C. für zulässig. Sie haben sich insbesondere darauf berufen, daß das Wahlwerbungsverbot gegen Art. 9 Abs. 3 GG und die darin geschützte Koalitionsfreiheit verstoße.
Die Kläger haben zuletzt beantragt,
festzustellen, daß der Beschluß des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst des Landes Baden-Württemberg als Stiftungsverwaltung der C.-Z.-S. vom 18. April 1979 betreffend die Aufhebung der Wahl der Kläger in den Unternehmensrat der Firma S. unwirksam ist,
hilfsweise festzustellen, daß § 8 Abs. 3 der Wahlordnung unwirksam ist.
Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt. Sie ist der Auffassung, die umstrittene Vorschrift der Wahlordnung berühre den Schutzbereich des Art, 9 Abs. 3 GG nicht, weil der Unternehmensrat keine Vertretung der Arbeitnehmer zur Wahrung ihrer Interessen sei. Die Bestimmung rechtfertige sich demgegenüber aus der Satzungsautonomie der Stiftung und finde ihre sachliche Berechtigung in dem Bestreben, gleiche Wahlchancen auch für qualifizierte Einzelbewerber zu schaffen, denen im Gegensatz zu Kandidaten, die durch betriebliche Gruppierungen unterstützt würden, Möglichkeiten konzentrierter Wahlwerbung nicht eröffnet seien.
Das Landgericht hat die Klage hinsichtlich des bei ihm allein anhängigen Hauptantrages abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Kläger insoweit zurückgewiesen und dem im Berufungsrechtszug erstmals gestellten Hilfsantrag stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte Klagabweisung auch hinsichtlich des Hilfsantrags. Die Kläger verfolgen mit der Anschlußrevision ihren Hauptantrag weiter.
Entscheidungsgründe
A.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Unabhängig von der Frage der Rechtsgültigkeit des § 8 Abs. 3 WO sei der Beschluß der Stiftungsverwaltung, die Wahl der Kläger für ungültig zu erklären, jedenfalls im Ergebnis rechtlich zutreffend gewesen. Für den Fall, daß § 8 Abs. 3 WO wirksam sei, habe die Wahlwerbung der IG C. gegen diese Vorschrift verstoßen und erfülle einen Anfechtungsgrund nach der Wahlordnung. Widerspreche § 8 Abs. 3 WO hingegen höherrangigem Recht, so sei nicht auszuschließen, daß seine scheinbare Wirksamkeit andere Bewerber und die sie unterstützenden Betriebsangehörigen von werbenden Maßnahmen abgehalten habe. Eine Chancengleichheit, die zu den wesentlichen Wahlgrundsätzen zähle, sei deshalb nicht gegeben gewesen. Dies habe die Stiftungsverwaltung berechtigt, die Wahl der Kläger für ungültig zu erklären, selbst wenn die sie unterstützende Werbung zulässig gewesen wäre. Die Kläger könnten demnach mit ihrem Hauptantrag nicht durchdringen.
Demgegenüber sei auf ihren Hilfsantrag hin festzustellen, daß § 8 Abs. 3 WO unwirksam sei. Das Werbeverbot des § 8 Abs. 3 WO verstoße allerdings nicht gegen Art. 9 Abs. 3 GG. Diese Verfassungsnorm schütze neben der koalitionsmäßigen Betätigung durch Abschluß von Tarifverträgen die Arbeit der Gewerkschaften im Bereich des Personalvertretungswesens, betreffe jedoch nicht deren Mitwirkung im Rahmen der unternehmerischen Mitbestimmung. Hinzu komme, daß die Bildung des Unternehmensrates rechtlich allein auf eine Entscheidung zurückzuführen sei, die auf der Stiftungsautonomie beruhe. Auch deshalb könne der Unternehmensrat keine gesetzliche Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit sein.
§ 8 Abs. 3 WO sei aber deshalb unwirksam, weil er zu unerträglichen und offenbaren Unbilligkeiten führe und mit den übergeordneten Rechtsgrundsätzen des Stiftungsstatuts nicht in Einklang zu bringen sei. Der Beschluß der Stiftungsverwaltung über die Unwirksamkeit der Wahl zum Unternehmensrat treffe die gewählten Mitglieder in ähnlicher Weise wie eine Vereinsstrafe. Die Entscheidung und die ihr zugrunde liegenden Vorschriften seien deshalb in demselben Maße wie Vereinsstrafen gerichtlich nachprüfbar. Dabei ergebe sich, daß § 8 Abs. 3 WO die Bildung des Unternehmensrates nahezu unmöglich mache, weil er Jegliche Wahlwerbung verbiete, obwohl Dritten eine solche Einflußnahme nicht untersagt werden könne. Die Vorschrift verstoße daher gegen das die Statuten beherrschende Prinzip, daß die Organe und Einrichtungen der Stiftung und ihrer Betriebe funktionsfähig sein sollen und führe zu grob unbilligen Folgen. Aus diesem Grunde sei sie unwirksam.
Soweit sich die Beklagte mit ihrer Revision und die Kläger mit der Anschlußrevision gegen diese Entscheidung richten, haben ihre Rechtsmittel im Ergebnis keinen Erfolg.
B. Zur Anschlußrevision der Kläger
I. Die Klage ist zulässig.
1. a) Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist gegeben (§ 13 GVG); eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit (vgl. § 40 VwGO) liegt nicht vor.
Die Kläger wenden sich mit ihrem Hauptantrag gegen den Beschluß des baden-württembergischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst, durch den ihre Wahl in den Unternehmensrat der Firma S. als ungültig erklärt wurde. Diesen Beschluß hat das genannte Ministerium nicht in seiner Eigenschaft als Aufsichtsbehörde nach dem Stiftungsgesetz für Baden-Württemberg vom 4. Oktober 1977 – GVBl. 408 – (vgl. § 8 Abs. 1 und 3 und § 3 Abs. 3 Satz 3) gefaßt, als die sie grundsätzlich hoheitlich handelt. Der Beschluß vom 18. April 1979 beruht vielmehr auf einer Ermächtigung des Ministeriums als Stiftungsverwaltung durch § 15 Abs. 4 WO. Der privatrechtliche Charakter dieser Norm schließt zwar nicht aus, daß das Ministerium auch im Rahmen der Tätigkeit als Stiftungsverwaltung hoheitlich auftritt, was jedenfalls gegenüber der Stiftung selbst und auch gegenüber den anderen Organen gelten könnte. Um stiftungsinterne Rechtsverhältnisse in diesem Sinne geht es im vorliegenden Streit jedoch nicht. In Frage steht vielmehr der Zugang von Arbeitnehmern zur Mitwirkung bei unternehmerischen Entscheidungen und somit das Verhältnis von Dritten im stiftungsrechtlichen Sinne zur Stiftung, als deren Organ die Stiftungsverwaltung mit dem Beschluß gehandelt hat. Diese Beziehung ist ausschließlich privatrechtlich zu beurteilen.
b) Ob die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte begründet war, ist in der Revisionsinstanz nicht zu prüfen (§ 549 Abs. 2 ZPO).
2. Die Kläger begehren mit ihrem Hauptklageantrag die Feststellung, daß der Beschluß der Stiftungsverwaltung vom 18. April 1979 unwirksam ist. Dieser Antrag ist zulässig (§ 256 ZPO).
Wörtlich genommen ist er zwar nicht auf die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses gerichtet, sondern auf die Feststellung der Unwirksamkeit einer Rechtshandlung. Mit dem begehrten Ausspruch würde aber gleichzeitig entschieden, daß die Kläger dem Unternehmensrat der Firma S. angehören. Dieses Klageziel verbirgt sich hinter der Wortfassung des Hauptantrages. An der alsbaldigen Feststellung haben die Kläger ein rechtliches Interesse.
II. Dem Berufungsgericht ist im Ergebnis auch darin zuzustimmen, daß der Hauptklageantrag nicht begründet ist.
1. Die Anfechtung der Wahl der Kläger zum Unternehmensrat greift allerdings nicht durch, weil die Wahlaufrufe der IG C. gegen eine wesentliche Vorschrift der Wahlordnung verstießen; denn § 8 Abs. 3 Satz 3 WO, der „Wahlwerbung jeder Art” verbietet, verletzt die grundgesetzlich garantierte Koalitionsfreiheit und ist nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG nichtig.
a) Nach dem Statut der Beklagten hat der Unternehmensrat eines Stiftungsunternehmens den Stiftungskommissar bei der ihm als Vertreter der Stiftungsverwaltung (§ 4 des Statuts) obliegenden Aufgabe zu unterstützen, die darin besteht, die Geschäftsführung des Unternehmens fortgesetzt zu beaufsichtigen, die Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung und Statutmäßigkeit im Verfahren des Vorstandes zu überwachen sowie bei allen wichtigeren Akten der Geschäftsführung mitzuwirken (§ 10 Nr. 2 des Statuts). Da der Stiftungskommissar und über ihn die Stiftungsverwaltung dabei Aufgaben wahrnehmen, die denen eines Aufsichtsrates ähnlich sind, wird der Unternehmensrat, wenn auch nur unterstützend und nicht mit Rechten ausgestattet, die denen eines Aufsichtsrats gleichkommen, sachlich doch auf der Ebene unternehmerischer Entscheidungen tätig. Die Beteiligung von gewählten Arbeitnehmervertretern im Unternehmensrat stellt somit einen Akt der Unternehmensmitbestimmung dar; denn diese ist als die institutionelle Teilnahme der Arbeitnehmer oder ihrer Vertreter an der Gestaltung und inhaltlichen Festlegung des Willens und Entscheidungsprozesses im Unternehmen zu verstehen, und zwar ohne Rücksicht auf die Art und den Grad der Teilnahme (vgl. Mitbestimmung im Unternehmen, Bericht der Sachverständigenkommission, BT-Drucks. VI/334 S. 56).
b) Die Einordnung der Beteiliglang der Arbeitnehmer am Unternehmensrat als Form der Unternehmensmitbestimmung führt dazu, daß die umstrittene Wahlordnungsnorm an Art. 9 Abs. 3 GG gemessen werden muß. Sie hält einer solchen Überprüfung nicht stand.
aa) Der Anwendung des Art. 9 Abs. 3 GG steht nicht entgegen, daß die Mitbestimmungsregelung in den Unternehmen der Beklagten nicht auf Gesetz beruht, sondern von ihr freiwillig geschaffen worden ist. Dem Art. 9 Abs. 3 GG kommt unbestritten Drittwirkung zu (BVerfGE 57, 220, 245); er muß deshalb von der Beklagten auch bei den stiftungsinternen Vorschriften über den Unternehmensrat grundsätzlich beachtet werden.
bb) Der Schutz des Grundrechts der Koalitionsfreiheit erstreckt sich auch auf den Bereich der Unternehmensmitbestimmung. Das Bundesverfassungsgericht hat die Unternehmensmitbestimmung ausdrücklich als eine Form der Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen anerkannt (BVerfGE 50, 290, 371; vgl. auch Scholz in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz GG Art. 9 Rdn. 306) und damit in den Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 GG miteinbezogen, der für jedermann und für alle Berufe das Recht gewährleistet, für diesen Zweck Vereinigungen zu bilden. Die gewerkschaftlichen Tätigkeiten, die auf eine Einflußnahme auf Unternehmensebene abzielen – und damit im konkreten Fall auch die werbende Betätigung der IG Chemie anläßlich der Unternehmensratswahlen –, sind für eine Koalition demnach spezifisch.
cc) Eine solche koalitionsspezifische Betätigung ist allerdings nur in einem Kernbereich durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt (BVerfGE 57, 220, 246 m.w.Nachw.).
Ihr können Schranken gezogen werden, die zum Schutz anderer Rechtsgüter von der Sache her geboten sind (BVerfGE 19, 303, 321 f.; 57, 220, 246 m.w.Nachw.). Solche Gründe sind hier jedoch für das generelle Werbeverbot des § 8 Abs. 3 Satz 3 WO nicht erkennbar, selbst dann, wenn diese Vorschrift – was hier offen bleiben kann – dahin auszulegen sein mag, daß sie lediglich betriebsinterne Werbemaßnahmen untersagt. Für das Verbot jeglicher Werbung – auch im Betriebsgelände – besteht kein sachlicher Grund. Das zeigt sich insbesondere auch bei den im Beschluß der Stiftungsverwaltung vom 18. April 1979 beanstandeten Wahlaufrufen der IG Chemie. Sie sind in der von ihr herausgegebenen Belegschaftszeitung abgedruckt, die ohnehin innerhalb des Betriebes von den Gewerkschaftsmitgliedern verteilt wird. Derartige Werbung behindert die Betriebsabläufe regelmäßig nicht; der Betriebsfrieden wird durch sie nicht gestört. Ein generelles Verbot der gewerkschaftlichen Werbung für die Bewerber bei den Unternehmensratswahlen ist daher nicht gerechtfertigt, vielmehr muß es der Gewerkschaft in Grenzen unbenommen bleiben, für die von ihr unterstützten Kandidaten werbend einzutreten, wie es den Kandidaten andererseits grundsätzlich nicht verwehrt sein kann, sich werbenden und betreuenden Maßnahmen ihrer Gewerkschaft zu versichern.
Das Ziel der Beklagten, die Chancengleichheit unter den Kandidaten herzustellen, rechtfertigt es ebenfalls nicht, die Wahlwerbung, auch durch die Koalitionen, generell zu verbieten. Die sich aus einer Koalitionszugehörigkeit ergebende Besserstellung bei der Wahlvorbereitung ist ein von Art. 9 Abs. 3 GG gebilligter Vorteil, der damit auch vor dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 GG besteht. Aus dem in Art. 9 Abs. 3 GG mitgeschützten Recht der negativen Koalitionsfreiheit ergibt sich nichts Gegenteiliges, weil dieses Recht, wie allgemein anerkannt ist, eine koalitionsspezifische Wahlwerbung und Informationstätigkeit nicht ausschließt.
Das generelle Wahlwerbungsverbot des § 8 Abs. 3 Satz 3 WO verstößt nach allem gegen die grundgesetzlich garantierte Koalitionsfreiheit und ist deshalb nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG nichtig.
2. Die Wahlwerbung der IG C. hat eine – wirksame – Vorschrift der Wahlordnung demnach nicht verletzt. Ein Anfechtungsgrund ist nach dem Wortlaut des § 15 Abs, 1 WO nicht gegeben. Gleichwohl hat die Stiftungsverwaltung der Anfechtung der Wahl der Kläger zum Unternehmensrat zu Recht den Erfolg nicht versagt. § 15 Abs. 1 WO zielt darauf ab, zu einer fairen und rechtmäßigen Wahl beizutragen und Rechtsverstöße, die die Wahl beeinflußt haben können, durch die Erklärung der Unwirksamkeit der Wahl zu ahnden. Nach dem Sinn dieser Vorschrift berechtigen zur Anfechtung deshalb nicht nur Verstöße gegen die Wahlordnung, sondern sämtliche rechtswidrigen Handlungen, die im Zusammenhang mit dem Wahlverfahren stehen und sich auf das Wahlergebnis in irgendeiner Weise ausgewirkt haben können. Danach kann es keinen Unterschied machen, ob die rechtswidrigen Einflüsse auf das Wahlergebnis darauf beruhen, daß wesentliche Vorschriften der Wahlordnung verletzt worden sind oder diese Vorschriften selbst rechtswidrig waren und ihre scheinbare Wirksamkeit das Verhalten der beteiligten Personen beeinflussen konnte. Die rechtswidrige Aufforderung in § 8 Abs. 3 Satz 3 WO, keine Werbung zu treiben, kann aber auf das Wahlergebnis insoweit Einfluß gehabt haben, als sich z.B. andere Kandidaten und die sie unterstützenden Personenkreise daran gebunden gefühlt haben, weil jedenfalls nicht offen erkennbar war, daß die Vorschrift keine Rechtswirkung entfaltete. § 15 Abs. 1 WO ist daher wenigstens sinnentsprechend auf diesen Fall anzuwenden.
Dem Berufungsgericht ist somit darin beizupflichten, daß die Stiftungsverwaltung die Wahl der Kläger im Ergebnis zu Recht für unwirksam erklärt hat, obwohl die Stiftungsverwaltung bei dem Beschluß und offenbar auch die anfechtenden Personen die Rechtsgültigkeit des § 8 Abs. 3 Satz 3 WO angenommen haben. Die Gründe, die zur Stützung der Anfechtungserklärung vorgetragen worden sind, rechtfertigen die Entscheidung der Stiftungsverwaltung auch aus der Sicht, daß § 8 Abs. 3 Satz 3 WO nichtig ist. Wenn die Anfechtenden sich im wesentlichen darauf berufen haben, daß die Wahlwerbung der IG Chemie für die Kläger und ein weiteres Gewerkschaftsmitglied gegen § 8 Abs. 3 WO verstoßen habe, so liegt darin gleichzeitig der Vorwurf, die anderen Kandidaten hätten keine gleichen Wahlchancen gehabt, weil sie wegen der Vorschrift nicht durch Wahlwerbung unterstützt worden seien. Ob die ungleichen Voraussetzungen dabei durch den Verstoß gegen eine rechtswirksame Vorschrift oder den Rechtsschein einer unwirksamen Vorschrift hervorgerufen worden sind, ist dabei unbeachtlich.
Das Berufungsgericht hat nach allem dem Hauptantrag im Ergebnis zu Recht nicht stattgegeben.
C. Zur Revision der Beklagten
Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg.
I. 1. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist auch für den Hilfsantrag gegeben. Die umstrittene Vorschrift des § 8 Abs. 3 WO berührt öffentlich-rechtliche Fragen der Stiftungsaufsicht nicht. Die mögliche sachliche Zuständigkeit der Arbeitsgerichte muß in der Revisionsinstanz unberücksichtigt bleiben (§ 549 Abs. 2 ZPO).
2. Der Hilfsantrag ist nach § 256 ZPO zulässig. Wörtlich genommen ist er zwar auf die Entscheidung einer abstrakten Rechtsfrage gerichtet. Dahinter steht jedoch das Begehren, das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses festzustellen, nämlich zu entscheiden, ob die Kläger selbst oder durch Dritte zur Werbung vor Unternehmensratswahlen berechtigt sind. An der alsbaldigen Feststellung haben die Kläger schon im Hinblick auf zukünftige Unternehmensratswahlen ein rechtliches Interesse.
II. Der Hilfsantrag ist auch begründet. Wie bereits ausgeführt, verstößt § 8 Abs. 3 Satz 3 WO gegen die grundgesetzlich garantierte Koalitionsfreiheit und ist nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG nichtig.
Das Berufungsgericht hat allerdings weitergehend den gesamten Abs. 3 des § 8 WO antragsgemäß für unwirksam erklärt. Dafür fehlt es an einer Grundlage. Die in § 8 Abs. 3 Sätze 1 und 2 vorgeschriebene Veröffentlichung des Wahlvorstandes zur Unternehmensratswahl verletzt weder die Koalitionsfreiheit noch sonstiges höherrangiges Recht. Es besteht auch kein Anhaltspunkt dafür, daß nach dem Willen der Stiftungsverwaltung, die die Wahlordnung erlassen hat, die Veröffentlichung des Wahlvorstandes für den Fall der Zulässigkeit anderweitiger Wahlwerbung entfallen sollte. § 8 Abs. 3 WO hat zum Ziel, die Chancen nicht organisierter Arbeitnehmer im Wahlkampf zu erhöhen. Dem Ziel dient die Veröffentlichung des Wahlvorstandes auch dann, wenn zusätzliche Wahlwerbung betrieben wird, weil sie Bewerbern, die von dritter Seite keine werbende Unterstützung genießen, überhaupt eine Möglichkeit der Vorstellung erschließt. Die Zulässigkeit der Sätze 1 und 2 des § 8 Abs. 3 WO ist auch von keiner Seite und zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt worden. Der Klageantrag ist daher in dem Sinne auszulegen und der Tenor des angefochtenen Urteils dahin klarzustellen, daß lediglich § 8 Abs. 3 Satz 3 WO nichtig ist. Da sich so gesehen bereits aus Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG die Begründetheit des Hilfsantrags in vollem Umfang ergibt, braucht auf die Gesichtspunkte, aus denen das Berufungsgericht die Unwirksamkeit der Wahlordnungsbestimmung hergeleitet hat, nicht weiter eingegangen zu werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Nüßgens, Krohn, Kröner, Scholz-Hoppe, Halstenberg
Fundstellen
Haufe-Index 1502421 |
BGHZ |
BGHZ, 352 |
NJW 1982, 2369 |
Nachschlagewerk BGH |
ZIP 1982, 1199 |