Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergewaltigung
Tenor
Auf die Revision der Nebenklägerin A. wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 6. Oktober 2000 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist, und im Gesamtstrafenausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Der Verurteilung liegen Taten gegen die türkischen Staatsangehörigen A. und E. am 9. November und am 30. Dezember 1998 zugrunde. Vom Vorwurf einer weiteren Vergewaltigung der Nebenklägerin A. am 8. November 1998 hat die Strafkammer den Angeklagten freigesprochen.
Dagegen wendet sich die Nebenklägerin mit ihrer Revision, die sie auf die Verletzung sachlichen und förmlichen Rechts stützt.
Das zulässige Rechtsmittel hat mit der Sachbeschwerde Erfolg. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist nicht frei von Rechtsfehlern.
Das Revisionsgericht ist zwar nur eingeschränkt zur Überprüfung der Beweiswürdigung berufen und in der Lage. Es hat die Entscheidung des Tatrichters grundsätzlich hinzunehmen und sich auf die Prüfung zu beschränken, ob die Urteilsgründe Rechtsfehler (vgl. § 337 StPO) enthalten. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.: BGH NStZ-RR 2000, 171 f.; NStZ 2000, 436 f.; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33; Beweiswürdigung 2, 11, 13, 14).
Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist lückenhaft. Freilich können und müssen die Gründe auch eines freisprechenden Urteils nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalls ab. Wenn das Tatgericht auf Freispruch erkennt, obwohl nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht, muß es in seine Beweiswürdigung die wesentlichen gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen (BGH NStZ-RR 2000, 171 f. m.w.N.; für die Fälle von Aussage gegen Aussage vgl.: BGHSt 44, 153, 158 ff.; 256 ff.).
Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es weist die Besonderheit auf, daß dem Angeklagten zur Last gelegt war, die Nebenklägerin A. sowohl am 8. November 1998 wie auch am 9. November 1998 mit Gewalt zum Geschlechtsverkehr und anderen Sexualpraktiken genötigt zu haben. Das Landgericht erachtete die Bekundungen der Zeugin aber nur für die Vorfälle am 9. November 1998 als zur Überführung ausreichend. Es ist der Ansicht, die Angaben der Zeugin hinsichtlich des Geschehens am 8. November 1998 seien zur Widerlegung der Einlassung des Angeklagten, der sich auf einen einverständlichen Geschlechtsverkehr berufen hat, nicht geeignet, weil die Aussage der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung eine Vielzahl von Widersprüchen zu früheren Aussagen bei Polizei (9. und 12. November 1998) und Staatsanwaltschaft (20. August 1999) enthalte. So habe diese unter anderem erst in der Hauptverhandlung angegeben, daß sie freiwillig zum Tatort mitgefahren sei, der Angeklagte seine Waffe an ihren Kopf gehalten und er sie ausgezogen habe. Bei ihren früheren Vernehmungen habe sie bekundet, der Angeklagte habe vaginal mit ihr verkehrt, es sei zu einem Samenerguß auf ihren Bauch gekommen. In der Hauptverhandlung habe sie aber an einen Samenerguß keine Erinnerung mehr gehabt. Einen Analverkehr habe sie bei ihrer ersten Vernehmung verschwiegen. Wesentlich sei auch, daß sie früher fälschlicherweise erklärt habe, noch Jungfrau gewesen zu sein. Für das Landgericht waren letztendlich dafür, daß die Bekundungen der Zeugin für eine Überführung des Angeklagten hinsichtlich der Vorfälle am 8. November 1998 nicht ausreichen, „allein” die Bedenken auf Grund der Häufung der Widersprüche maßgebend. Die Erklärung dieser Widersprüche durch die Zeugin genüge nicht, die Zweifel zu beseitigen. Diese würden auch verstärkt durch deren Aussageverhalten. Für den Vorfall am 8. November 1998 seien deshalb keine sicheren Feststellungen zu treffen, die eine Verurteilung des Angeklagten rechtfertigen könnten.
Es kann offenbleiben, in welchem Umfang der fehlenden „Aussagekonstanz” bei der Würdigung der Aussage eines Vergewaltigungsopfers besondere Bedeutung zukommt (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 172 f.; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 4; Zeuge 14), denn das Landgericht hat es unterlassen, andere gewichtige Gründe, die für die Richtigkeit der Bekundungen der Zeugin auch hinsichtlich des Vorfalls am 8. November 1998 sprechen könnten, in die gebotene Gesamtabwägung (vgl. BGH NStZ 2000, 208; BGHSt 44, 153, 158/159; BGHR § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 1) einzubeziehen.
Nicht zutreffend gewürdigt wird durch das Landgericht das von ihm als erwiesen erachtete Verhalten der Zeugin nach dem von ihr geschilderten Vorfall vom 8. November 1998. Wie die Feststellungen ergeben, war die Zeugin nach dem Geschlechtsverkehr „sehr verstört und verängstigt”, als der Angeklagte sie zu ihrer Freundin brachte, war sie bei der Verabschiedung sehr ablehnend und beschimpfte ihn (UA S. 12), auch am nächsten Tag reagierte sie noch verstört (UA S. 48). Selbst wenn aus diesem Verhalten, wie die Strafkammer meint, „keine zwingenden Schlüsse auf eine Unfreiwilligkeit des zuvor erfolgten Geschlechtsverkehr gezogen werden können” (UA S. 49), hätte dieses Verhalten, zumal ein „zwingender Schluß” nicht notwendig wäre (vgl. BGHR StPO § 261 – Beweiswürdigung 2 m.w.N.), Anlaß zu der Prüfung sein müssen, ob im Rahmen einer Gesamtabwägung daraus Schlüsse zum Nachteil des Angeklagten zu ziehen sind.
Ebenso hätte nicht außer Acht bleiben dürfen, daß der Angeklagte sowohl bei der Tat gegen die Nebenklägerin am nächsten Tag und wie auch bei der Tat gegen die Zeugin E. am 30. Dezember 1998 ein in Art und Weise des Vorgehens sehr ähnliches Verhalten zeigte, wie es von der Nebenklägerin für den Vorfall am 8. November 1998 geschildert wurde. So haben diese und die Zeugin E. unter anderem übereinstimmend bekundet, der Angeklagte „sei plötzlich ein anderer Mensch” („Mann”) geworden, er habe eine „harte Stimme” bzw. einen „bedrohlichen Ton” bekommen (UA S. 32/68). Das Landgericht führt sogar ausdrücklich „die nicht nur im äußeren Geschehen, sondern auch in Einzelheiten auffallenden Ähnlichkeiten” (UA S. 68 und 72) als einen für den Wahrheitsgehalt der Zeugenaussagen der Tatopfer in den Fällen der Verurteilung sprechenden Grund an. In die Abwägung über die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin auch für den Vorfall am 8. November 1998 hat die Strafkammer aber rechtsfehlerhaft diese Feststellungen nicht einbezogen.
Die Urteilsgründe belegen des weiteren kein ausreichendes Motiv dafür, warum die Zeugin die Vorfälle vom 8. November 1998 im Gegensatz zu denen am nächsten Tag unrichtig schildern sollte. Daß ein Motiv für eine Falschaussage „im Eigenschutz” (UA S. 44 und 57) liegen könnte, legen die Feststellungen nicht nahe. Angesichts der Tat vom nächsten Tag bestand auch unter Berücksichtigung des Kulturkreises, aus dem die Nebenklägerin stammt, für einen „Eigenschutz” kein Anlaß mehr.
Der Senat kann nicht ausschließen, daß das Landgericht bei ausreichender Berücksichtigung auch der außerhalb der Zeugenaussage liegenden Gründe zu einer Verurteilung des Angeklagten auch hinsichtlich der Vorgänge am 8. November 1998 gekommen wäre. Die Sache muß deshalb, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist, nochmals verhandelt werden.
Unterschriften
Jähnke, Detter, Bode, Otten, Elf
Fundstellen