Verfahrensgang
LG Hanau (Urteil vom 02.04.2003) |
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 2. April 2003 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Vergewaltigung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
I.
Dem Angeklagten lag zur Last, in der Nacht des 26. August 2002 in Maintal-Bischofsheim die Nebenklägerin … Sch. vergewaltigt zu haben. Nach der Anklage soll der Angeklagte gegen 2.00 Uhr aus seinem Pkw BMW heraus die Nebenklägerin auf der Goethestraße unter dem Vorwand angesprochen haben, die Schillerstraße zu suchen. Als sie sich daraufhin seinem Fahrzeug genähert und in Richtung Schillerstraße gedreht habe, um ihm die Fahrtrichtung zu zeigen, sei er aus dem Wagen ausgestiegen, habe sie am Arm festgehalten, ihr den Mund zugehalten und sie in den Fond des Wagens gestoßen. Sodann sei der Angeklagte mit ihr zu einem nahegelegenen Parkplatz gefahren. Dort habe er auf der Rückbank des Fahrzeugs mit der Nebenklägerin den ungeschützten Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguß vollzogen, wobei er sie an ihren Armen festgehalten habe.
Der Angeklagte hat den Tatvorwurf bestritten und angegeben, die Nebenklägerin sei freiwillig in seinen Pkw eingestiegen und der Geschlechtsverkehr sei einvernehmlich durchgeführt worden. Das Landgericht hat diese Einlassung für nicht zu widerlegen gehalten. Der Aussage der Nebenklägerin … Sch. habe nicht gefolgt werden können, weil sie in einem wesentlichen Detail – daß sie dem Angeklagten nichts über sich erzählt habe – bewußt falsch sei und es keine Indizien für die Richtigkeit ihrer Aussage gebe, die außerhalb der Aussage selbst lägen. Auch seien weitere von der Geschädigten geschilderte Details, wie beispielsweise, daß sie nicht bemerkt haben wolle, daß der Angeklagte ausgestiegen sei und die hintere Fahrzeugtür der Fahrerseite geöffnet habe, nicht nachvollziehbar.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beweiswürdigung ist allein Sache des Tatrichters, dessen Aufgabe es ist, sich eine Überzeugung von der Schuld oder Nichtschuld des Angeklagten zu verschaffen. Kann er vorhandene, wenn auch nur geringe Zweifel nicht überwinden, muß er den Angeklagten freisprechen (st. Rspr.). Das Revisionsgericht hat eine solche Entscheidung grundsätzlich hinzunehmen. Es kann sie nur im Hinblick auf Rechtsfehler überprüfen, insbesondere darauf, ob die Beweiswürdigung in sich widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, die Beweismittel nicht ausschöpft, Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze aufweist oder ob der Tatrichter überspannte Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche Gewißheit gestellt hat.
Wenn Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung im wesentlichen davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, daß der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Das gilt besonders, wenn sich sogar die Unwahrheit eines Aussageteils herausstellt. Dann muß der Tatrichter jedenfalls regelmäßig außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe nennen, die es ihm ermöglichen, der Zeugenaussage im übrigen dennoch zu glauben (BGHSt 44, 153, 158; 44, 256, 257).
Die Strafkammer hat diese Anforderungen bei ihrer Beweiswürdigung zugrunde gelegt. Die Urteilsausführungen lassen jedoch besorgen, daß die Strafkammer verkannt haben könnte, daß es sich bei mehreren im Urteil dargestellten Umständen durchaus um Indizien außerhalb der Zeugenaussage handelt, die in eine Gesamtwürdigung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin einzubeziehen gewesen wären. Zu den außerhalb der Zeugenaussage liegenden gewichtigen Indizien zählen die Ereignisse und Umstände nach dem Vorfall, die von anderen Zeugen glaubhaft bestätigt worden sind (vgl. auch BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 23). Dazu zählt hier, daß die Nebenklägerin unmittelbar nach dem Vorfall in ihrer Wohnung ins Bad ging und weinte, daß sie nicht über den Vorfall reden wollte, daß sie duschte, daß sie bei der Unterhaltung mit der Polizeibeamtin S., der sie als erster Person etwas über die Tat und den Täter erzählte, Weinkrämpfe bekam und daß sie in dieser Nacht dem Zeugen Sp. eine SMS schickte, wonach sie Hilfe benötige und ihm zu einem späteren Zeitpunkt bei einem Telefonat, bei dem sie ziemlich verstört war, von dem Vorfall berichtete. Des weiteren wäre zu berücksichtigen gewesen, daß die Nebenklägerin anschließend eine Woche krankgeschrieben war, später an Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten und Angstzuständen im Dunkeln litt sowie Therapiegespräche bei der Opferschutzorganisation Hanauer Hilfe in Anspruch nahm. Dies alles sind Umstände, die auf einen erzwungenen Geschlechtsverkehr hindeuten können. Die Strafkammer hat diese Umstände zwar teilweise auf UA Seite 25 erwogen. Die ausdrückliche Feststellung UA Seite 12, daß es außerhalb der Aussage der Zeugin keine Indizien für die Richtigkeit ihrer Darstellung gebe sowie die entsprechenden Feststellungen zu einzelnen Indizien, beispielsweise UA Seite 21 letzter Absatz und Seite 24 zweiter Absatz, deuten jedoch darauf hin, daß die Strafkammer diese Umstände bei der Prüfung der Glaubwürdigkeit der Zeugin nicht berücksichtigt hat.
Desgleichen ist die Strafkammer davon ausgegangen, daß das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. K., welches nach ihrer Überzeugung den wissenschaftlichen und von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an Glaubwürdigkeitsgutachten genügt, kein Indiz außerhalb der Aussage der Nebenklägerin selbst sei, weil sich das Gutachten gerade auch ausschließlich mit dieser Zeugenaussage befasse (UA Seite 23 letzter Absatz). Dem kann so nicht gefolgt werden. Auch der 1. Strafsenat, auf dessen Rechtsprechung sich das Landgericht beruft, hat die Verwertung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens als zusätzliches Indiz für die Glaubhaftigkeit einer Aussage nicht ausgeschlossen (vgl. BGHSt 44, 256, 257). Mit ihrer Bewertung hat die Strafkammer die Funktion des Glaubwürdigkeitsgutachtens verkannt. Es ist nicht Aufgabe des Sachverständigen, darüber zu befinden, ob die zu begutachtende Aussage wahr ist oder nicht; dies ist dem Tatrichter vorbehalten. Der Sachverständige soll vielmehr dem Gericht die Sachkunde vermitteln, mit deren Hilfe es die Tatsachen feststellen kann, die für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit wesentlich sind. Ausgehend von ihrem falschen Ansatzpunkt hat sich die Strafkammer hier mit den von der Sachverständigen aufgezeigten Kriterien, die für die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage der Nebenklägerin sprechen, überhaupt nicht auseinandergesetzt. Dies wäre hier aber erforderlich gewesen, zumal ein Motiv der Nebenklägerin für eine den Angeklagten absichtlich fälschlich belastende Aussage nicht erkennbar geworden ist.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Detter, Bode, Otten, Roggenbuck
Fundstellen
Haufe-Index 2558752 |
NJW 2004, 1118 |