Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 07.12.2004) |
Tenor
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. Dezember 2004 werden verworfen.
2. Die Staatskasse trägt die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen der Angeklagten. Die Angeklagten tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Volksverhetzung – nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 lit. a und b vierte Variante StGB – verurteilt, den Angeklagten O. zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 10 EUR, den Angeklagten M. zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 10 EUR. Hiergegen richten sich die jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft begehrt mit ihren auf die Sachrüge gestützten Revisionen jeweils eine Schuldspruchänderung, nämlich eine Verurteilung der Angeklagten nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB, und eine Aufhebung der Strafaussprüche. Sämtliche Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.
Rz. 2
Das Landgericht hat festgestellt:
Rz. 3
Die Angeklagten O. und M. bildeten zusammen mit dem früheren Mitangeklagten Horst Mahler das sogenannte „Deutsche Kolleg”, das sie als ein „Denkorgan des Deutschen Reiches” bezeichneten. Als „Deutsches Kolleg” veröffentlichten sie im Internet einen – von ihnen unterzeichneten – Text mit dem Titel „Deutsches Kolleg. Ausrufung des Aufstandes der Anständigen”. Dieser Text wurde vom früheren Mitangeklagten Mahler in das Internet eingestellt und war für jedermann ab dem 15. Oktober 2000 zumindest unter folgenden Internetadressen abruf- und lesbar: www.w., www.h., www.d. …. Der Text beruhte auf einer Idee des Angeklagten O.. Die veröffentlichte Endfassung des Textes wurde vom früheren Mitangeklagten Mahler und dem Angeklagten O. gemeinsam verfasst. Nach einem Streit darüber, ob von einem „Fortbestand des Deutschen Reiches” oder von einer „Wiedereinsetzung des Deutschen Reiches” auszugehen sei, wurde im letzten Teil des Textes ein „100-Tage-Programm” für eine künftige „Notstandsregierung” formuliert, in dem sich u. a. folgende Programmpunkte finden:
„…
A. …
1. Beendigung der Ausländerbeschäftigung.
2. Ausschluss ausländischer Arbeitnehmer aus der Arbeitslosenversicherung.
3. Pflicht zur Meldung aller von Ausländern besetzten Arbeitsplätze beim Arbeitsamt als freie Arbeitsplätze, die an volksdeutsche Bewerber vergeben werden müssen, die das Arbeitsamt als geeignet bezeichnet.
4. Einstellungsverbot für ausländische und volksfremde Arbeitskräfte am deutschen Arbeitsmarkt, und zwar auch für Arbeitsplätze, die ausländisches Eigentum sind.
5. Beschäftigungsverbot für ausländische und volksfremde Arbeitskräfte am deutschen Arbeitsmarkt ein Jahr nach Erlass des Einstellungsverbotes.
B. …
1. Hohe Geld- und Arbeitsstrafen für unerlaubten Aufenthalt.
…
3. Ausweisung aller arbeitslos gewordenen Ausländer.
4. Ausweisung aller zum Straf- oder Sozialfall gewordenen Ausländer.
…
10. Freiräumung aller Asylantenunterkünfte und Ausweisung der Asylbewerber.
…
E. …
6. Verbot von Ausländerorganisationen in Deutschland, …
…
J. …
10. Entlastung der deutschen Volksschule von Hilfs- und Fremdschülern, um sie der deutschen Kultur zurückzugeben.
…”
I.
Rz. 4
Die Revisionen der Angeklagten versagen. Das Urteil enthält keinen sachlichrechtlichen Fehler zu ihrem Nachteil.
Rz. 5
1. Zu Recht hat das Landgericht darin, dass die Angeklagten den genannten Text in das Internet stellten, eine gemeinschaftlich begangene Volksverhetzung nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 lit. a und b StGB gefunden.
Rz. 6
a) Der in das Internet eingestellte Text steht nach § 11 Abs. 3 StGB den Schriften im Sinne des § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB gleich (vgl. BGHSt 46, 212, 216; Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 11 Rdn. 36, 36 a).
Rz. 7
Mit der Einstellung in das Internet wurde der Text im Sinne des § 130 Abs. 2 Nr. 1 lit. a StGB verbreitet und im Sinne von lit. b der genannten Vorschrift öffentlich zugänglich gemacht.
Rz. 8
b) Der veröffentlichte Text stachelt durch die Summierung der oben genannten Postulate zum Hass gegen Teile der Bevölkerung, nämlich gegen die in Deutschland lebenden Ausländer, partiell darunter insbesondere die Asylbewerber, auf. Der Aufruf geht zunächst dahin, alle Ausländer von jeder bestehenden oder künftigen Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis in Deutschland und parallel von der Arbeitslosenversicherung auszuschließen und sie alsdann – zum „Sozialfall” geworden – auszuweisen. Die Schulen sollen von „Fremdschülern” entlastet werden. Mit der Forderung einer „Freiräumung aller Asylunterkünfte und Ausweisung der Asylbewerber” wird die umfassende Missachtung des Asylrechts reklamiert. Mit alledem wird die Gesamtheit der in Deutschland lebenden Ausländer – wie das Landgericht es zutreffend bewertet hat – als bloße „Vertreibungsmasse”, die „loszuwerden” es gelte, gekennzeichnet. Eine solche Stigmatisierung stachelt zum Hass gegen den betroffenen Bevölkerungsteil auf (vgl. von Bubnoff in LK 11. Aufl. § 130 Rdn. 25 m. N. der Rspr.).
Rz. 9
Dem stehen die Einwendungen der Revisionen der Angeklagten nicht durchgreifend entgegen: Dass die veröffentlichte Schrift nur „politische Utopie” sei, „deren Umsetzung völlig außerhalb der derzeitigen politischen Realität” liege, schließt die genannte Tatbestandsmäßigkeit nicht aus. Gleiches gilt für das Argument der Beschwerdeführer, dass „etwa 90 % der Programmpunkte” sich nicht auf Ausländer, sondern auf zahlreiche andere Bevölkerungsgruppen beziehen. Auch angesichts alldessen kommt den die Ausländer betreffenden Programmpunkten ein eigener Erklärungswert zu.
Rz. 10
c) Nicht etwa stehen der vorbezeichneten Tatbestandsmäßigkeit verfassungsrechtliche Gesichtspunkte entgegen. Das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) findet seine Schranke in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze (Art. 5 Abs. 2 GG), zu denen auch § 130 StGB gehört. Hier ergibt sich keine Besonderheit daraus, dass die allgemeinen Gesetze im Lichte der Grundrechte auszulegen sind.
Rz. 11
d) Vom Vorsatz der Angeklagten hat das Landgericht sich rechtsfehlerfrei überzeugt. Für einen etwaigen Verbotsirrtum gibt es keinen hinreichenden Anhalt.
Rz. 12
2. Die Überzeugung von der Mittäterschaft des Angeklagten M. hat das Landgericht rechtsfehlerfrei gewonnen. Es hat hierbei auf die Mitgliedschaft des Angeklagten M. im „Deutschen Kolleg”, seine Eigenschaft als „Mitunterzeichner des veröffentlichten Textes” und auf die – nicht unterzeichnete – Durchschrift eines in seiner Wohnung gefundenen Schreibens vom 30. Mai 2001 an einen K. abgestellt. In dem letztgenannten Schreiben heißt es: „‚Der Aufstand der Anständigen’ enthält nicht unsere Reichsordnung, sondern das 100-Tage-Programm. Dieses ‚straffe’ Regiment … oder meinetwegen diese Diktatur brauchen wir, um den Augiasstall auszumisten. Wenn Dir das zu scharf ist, kannst Du ja derweil eine 100-tägige Auslandsreise machen. Schmeißen wir die Ausländer eben alleine raus.” Der aus alledem gezogene Schluss des Landgerichts auf die Mittäterschaft des Angeklagten M. war – was genügt – möglich, darüber hinaus sogar naheliegend. Soweit die hiergegen erhobenen Einwendungen der Revision des Angeklagten M. urteilsfremden Charakter haben, sind sie ohnehin unbeachtlich.
II.
Rz. 13
Auch die Revisionen der Staatsanwaltschaft bleiben erfolglos. Eine Eignung der Tat zur Störung des öffentlichen Friedens im Sinne des § 130 Abs. 1 StGB ergibt sich aus den Feststellungen nicht.
Rz. 14
Anerkannt ist, dass zur Erfüllung dieses Tatbestandsmerkmals eine bereits eingetretene Störung des öffentlichen Friedens nicht erforderlich ist. Es genügt vielmehr, dass berechtigte – mithin konkrete – Gründe für die Befürchtung vorliegen, der Angriff werde das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttern, sei es auch nur bei der Bevölkerungsgruppe, gegen die er sich richtet (BGHSt 16, 49, 56; 29, 26; 46, 212, 218 f.; BGH, Urt. v. 15. Dezember 2005 – 4 StR 283/05; von Bubnoff aaO Rdn. 13 bis 15 m.w.N.). Allerdings hat der Bundesgerichtshof die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens verschiedentlich schon darin gefunden, dass die Publikation nach den konkreten Umständen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt werden kann (BGHSt 29, 26, 27; 46, 212, 219; BGH, Urt. v. 14. Januar 1981 – 3 StR 440/80, insoweit in NStZ 1981, 258 nicht abgedruckt). Es kann dahingestellt bleiben, ob dem uneingeschränkt zu folgen ist. Bedenken ergeben sich namentlich unter dem Gesichtspunkt, dass angesichts der inflationären Einstellung fast jeder Nachricht in das Internet deren Abrufbarkeit für jedermann besteht, so dass dem Tatbestandsmerkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens – auf die Wahrnehmbarkeitsbreite der Nachricht reduziert – nahezu jede eigene Bedeutung genommen würde. Jedenfalls treten hier besondere Umstände hinzu:
Rz. 15
Zum einen liegt eine Besonderheit darin, dass mit der veröffentlichten Schrift nicht Postulate aufgestellt werden, die in allernächster Zeit realisiert werden sollten. Vielmehr wird ein „100-Tage-Programm” für die ersten Monate einer „Notstandsregierung” eines wiederentstandenen „Deutschen Reiches” entworfen. Eine solche absurde Fantasie, von der Verteidigung euphemistisch als „politische Utopie” bezeichnet, vermag – wenngleich im Sinne von § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelnd – den öffentlichen Frieden in der Bundesrepublik Deutschland nicht zu stören.
Rz. 16
Zum anderen ist auszuschließen, dass die veröffentlichte Schrift – angesichts ihres Inhalts und seiner Verfasser, unter denen sich der mit seinem Lebenslauf allgemein bekannt gewordene Horst Mahler befindet – vom aufgeschlossenen Teil der Öffentlichkeit in der Weise ernst genommen werden könnte, dass hieraus etwa eine Störung des öffentlichen Friedens zu resultieren vermöchte.
Rz. 17
Auch sonst enthält das angefochtene Urteil keinen sachlichrechtlichen Fehler zum Vorteil der Angeklagten.
Unterschriften
Basdorf, Häger, Gerhardt, Brause, Jäger
Fundstellen
Haufe-Index 2555470 |
NStZ 2007, 216 |