Entscheidungsstichwort (Thema)
Wesentlichkeit der Lärmbeeinträchtigung durch Windkraftanlagen
Leitsatz (amtlich)
Beruft sich der Störer darauf, dass die in der TA-Lärm festgelegten Grenz- oder Richtwerte eingehalten seien, so dass nach § 906 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB von einer nur unwesentlichen Beeinträchtigung auszugehen sei, so ist von dem ermittelten Lärmpegel kein Messabschlag zu machen, wie er nach Nr. 6.9 der TA-Lärm für Überwachungsmessungen vorgesehen ist. Nur wenn ohne diesen Abschlag die Immissionen diesen Grenzwert einhalten, besteht eine gesicherte Grundlage dafür, dass dem Störer die sich aus § 906 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB ergebende Beweiserleichterung zugebilligt werden kann.
Normenkette
BGB § 906 Abs. 1 Sätze 2-3; TA-Lärm Nr. 6.9
Verfahrensgang
LG Mönchengladbach (Urteil vom 24.03.2004; Aktenzeichen 4 S 74/03) |
AG Erkelenz (Urteil vom 07.03.2003) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Kläger werden das Urteil der 4. Zivilkammer des LG Mönchengladbach v. 24.3.2004 aufgehoben und das Urteil des AG Erkelenz v. 7.3.2003 abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, den Betrieb der beiden Windkraftanlagen des Typs Enercon E 40 mit einer Gesamthöhe von jeweils 85m und einer Nennleistung von 500 KW, welche in einer Entfernung zum Wohnhaus der Kläger von 270 bzw. 310m auf dem Grundstück der Stadt H., Gemarkung B., Flur 4, Flurstück 39/2 und 385 errichtet wurden, jeweils in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr zu unterlassen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Kläger sind Eigentümer eines von ihnen bewohnten Hausgrundstücks in H., das im Außenbereich in einem Dorfgebiet liegt. Der Beklagte betreibt auf Nachbargrundstücken vier Windkraftanlagen, von denen sich die zwei am nächsten zum Wohnhaus der Kläger gelegenen Anlagen in einem Abstand von etwa 270 bis 280m bzw. 310 bis 320m befinden.
Die Kläger verlangen von dem Beklagten, den Betrieb von zwei der vier Anlagen in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr zu unterlassen. In einem selbstständigen Beweisverfahren hat der Sachverständige bei Betrieb aller vier Anlagen einen Lärmpegel am Haus der Kläger von 46 bis 47 dB (A) gemessen. Die Parteien streiten darüber, ob bei der Frage des nach der technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA-Lärm) zulässigen Grenzwertes von nachts 45 dB (A) von diesem gemessenen Pegel auszugehen ist oder ob - wie dies der Sachverständige getan hat - ein Messabschlag von 3 dB (A) vorzunehmen ist.
Das AG hat die Unterlassungsklage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem LG zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren Anspruch weiter. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hält den geltend gemachten Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB nicht für begründet, da der Betrieb der Windkraftanlagen die Benutzung des Grundstücks der Kläger nur unwesentlich beeinträchtige. Dies folge daraus, dass der in der TA-Lärm im konkreten Fall maßgebliche Grenzwert von 45 dB (A) nach den Feststellungen des Sachverständigen eingehalten werde. Es sei nämlich nicht zu beanstanden, dass der Sachverständige in Anwendung von Nr. 6.9 einen Messabschlag von 3 dB (A) gemacht habe. Zum einen seien die Bewertungs- und Ermittlungsmaßstäbe der TA-Lärm nach § 906 Abs. 1 S. 2 BGB auch im Verhältnis von Privatpersonen zueinander verbindlich. Zum anderen sei die Bewertungssituation vergleichbar. Nr. 6.9 gelte für eine Überwachungsmessung zur Klärung, ob ein Einschreiten der Behörde geboten ist. Dem gleiche die vorliegende Situation, in der von dem Beklagten auf privatrechtlicher Ebene eine Betriebsunterlassung verlangt werde. Werde aber der zulässige Grenzwert nicht überschritten, so sei nach § 906 Abs. 1 S. 2 BGB im Regelfall, und so auch hier, von einer nur unwesentlichen und damit hinzunehmenden Beeinträchtigung auszugehen.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Sie verletzen die Regeln über die Darlegungs- und Beweislast.
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die von den Windkraftanlagen herrührenden Lärmimmissionen von den Klägern zu dulden sind, wenn sie keine oder eine nur unwesentliche Beeinträchtigung darstellen, § 906 Abs. 1 S. 1 BGB. Ob eine Beeinträchtigung wesentlich ist, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des BGH von dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen ab und davon, was diesem auch unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange billigerweise nicht mehr zuzumuten ist (BGH v. 20.11.1992 - V ZR 82/91, BGHZ 120, 239 [255] = MDR 1993, 868; v. 5.2.1993 - V ZR 62/91, BGHZ 121, 248 [255] = MDR 1993, 541; Urt. v. 22.12.2000 - VII ZR 310/99, BGHZ 146, 250 [261, 264] = MDR 2001, 503 = BGHReport 2001, 108). Bei der von dem Tatrichter dazu anzustellenden Bewertung ist - wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat - § 906 Abs. 1 S. 2 BGB zu beachten.
Danach liegt eine unwesentliche Beeinträchtigung i.d.R. vor, wenn die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen festgelegten Grenzen oder Richtwerte von den nach diesen Vorschriften ermittelten und bewerteten Einwirkungen nicht überschritten werden. Das bedeutet, dass der Grundsatz, wonach der Störer darlegen und beweisen muss, dass sich eine Beeinträchtigung nur als unwesentlich darstellt (BGH v. 20.11.1992 - V ZR 82/91, BGHZ 120, 239 [257] = MDR 1993, 868), eine Einschränkung zu seinen Gunsten erfährt. Die in § 906 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB genannten Grenz- oder Richtwerte stellen Umstände für eine Indizwirkung dar. Werden sie überschritten, indizieren sie die Wesentlichkeit der Beeinträchtigung, werden sie eingehalten oder unterschritten, so indizieren sie die Unwesentlichkeit der Beeinträchtigung (BGH, Urt. v. 13.2.2004 - V ZR 217/03, BGHReport 2004, 831 = MDR 2004, 742 = NJW 2004, 1317 [1318]). Eine solche indizielle Bedeutung hat der Tatrichter zu beachten. Er kann im Rahmen seines Beurteilungsspielraums von dem Regelfall abweichen, wenn dies besondere Umstände des Einzelfalls gebieten. Darzulegen und ggf. zu beweisen sind solche die Indizwirkung erschütternde Umstände von demjenigen, der trotz Einhaltung der Grenzwerte eine wesentliche Beeinträchtigung geltend macht (BGH, Urt. v. 13.2.2004 - V ZR 217/03, BGHReport 2004, 831 = MDR 2004, 742 = NJW 2004, 1317 [1318]). Im Übrigen bleibt es aber bei der Darlegungs- und Beweislast des Störers. Er muss darlegen und ggf. nachweisen, dass seine Emissionen innerhalb der Grenz- oder Richtwerte bleiben. Nur wenn dies feststeht, kommt ihm die Indizwirkung zugute.
2. Geht man von diesen Grundsätzen aus, so ist die Frage, ob bei der Ermittlung der Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 TA-Lärm der nach Nr. 6.9 TA-Lärm für Überwachungsmessungen vorgesehene Messabschlag von 3 dB (A) zu machen ist, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts zu verneinen.
Dabei braucht nicht entschieden zu werden, ob die Berücksichtigung eines solchen Abschlags schon deswegen nicht in Betracht kommt, weil es sich vorliegend nicht um eine Überwachungsmessung handelt. Jedenfalls steht der Zweck des § 906 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB und die damit verbundene Regelung der Darlegungs- und Beweislast einer Anwendung von Nr. 6.9 TA-Lärm zur Ermittlung des Richtwertes entgegen.
a) Der im konkreten Fall einzuhaltende Richtwert beträgt nach Nr. 6.1 TA-Lärm in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr 45 dB (A). Der Messabschlag nach Nr. 6.9 TA-Lärm führt nicht zu einer Erhöhung dieses Wertes. Er dient vielmehr dem Ausgleich von eventuellen Messungenauigkeiten und soll gewährleisten, dass die Behörde auf Grund einer Überwachungsmessung nur dann gegen den Betreiber einer störenden Anlage einschreitet, wenn auch unter Berücksichtigung aller Eventualitäten sichergestellt ist, dass die Immissionen den Richtwert überschreiten (BVerwG DVBl. 2001, 1451 [1455]). Er trägt damit vor allem auch dem Umstand Rechnung, dass die Beweislast für die Voraussetzungen zum Eingriff in die Rechte des Betreibers bei der Behörde liegt; Unsicherheiten bei der Sachverhaltsermittlung gehen daher zu ihren Lasten (Hansmann in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band II, 3.1. TA-Lärm Nr. 6 Rz. 35 ff.).
b) Trägt der Störer im Bereich des privatrechtlichen Immissionsschutzes die Darlegungs- und Beweislast für die Unwesentlichkeit der Beeinträchtigung und damit für die Einhaltung der Grenz- oder Richtwerte, die nach § 906 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB die Indizwirkung auslöst, so gehen in gleicher Weise Unsicherheiten bei der Sachverhaltsermittlung zu seinen Lasten. Das führt dazu, dass die gemessenen Werte allein entscheidend sind und nicht um einen Messabschlag reduziert werden dürfen. Nur wenn ohne diesen Abschlag die Immissionen den Grenzwert einhalten, besteht eine gesicherte Grundlage dafür, dem Störer die Beweiserleichterung des § 906 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB zuzubilligen. Gewährte man sie ihm schon dann, wenn die Grenze nur mit Hilfe eines Messabschlags eingehalten wird, so gingen Messungenauigkeiten oder sonstige Unsicherheiten zu Lasten des Beeinträchtigten. Das ist mit den Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast im privaten Immissionsschutzrecht nicht vereinbar. Das schließt nicht aus, dass auch in einem solchen Fall eine Duldungspflicht bestehen kann. Besondere Umstände des Einzelfalls geben dem Tatrichter die Möglichkeit, im Rahmen seines Beurteilungsspielraums auch dann die Wesentlichkeit der Beeinträchtigung zu verneinen. Nur streitet hierfür nicht die Regelvermutung des § 906 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB. Auch insoweit gibt es Parallelen zum öffentlichen Recht. Auch dort können besondere Umstände des Einzelfalls die Behörde zum Eingreifen berechtigen, obwohl die Immissionsrichtwerte nur ohne einen Abschlag von 3 dB (A) überschritten sind (Hansmann in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. II, 3.1. TA-Lärm Nr. 6 Rz. 36).
3. Nach allem hat das angefochtene Urteil keinen Bestand (§ 562 ZPO). Da der Beklagte keine Umstände vorgetragen hat, die den Schluss darauf zulassen, dass trotz Überschreitens des zulässigen Immissionsrichtwertes für die Nachtzeit von einer nur unwesentlichen Beeinträchtigung auszugehen ist, ist der geltend gemachte Unterlassungsanspruch begründet. Dabei besteht an sich nur ein Anspruch darauf, wesentliche Lärmimmissionen zu unterlassen. Wie dies bewerkstelligt werden kann, ist grundsätzlich Sache des Störers (BGHZ 67, 252 [253]; BGH, Urt. v. 12.12.2003 - V ZR 98/03, BGHReport 2004, 580 = MDR 2004, 503 = NJW 2004, 1035). Vorliegend bestand indes in den Tatsacheninstanzen kein Streit darüber, dass der zulässige Richtwert in der Nacht nur dann eingehalten werden kann, wenn zwei der Anlagen ausgeschaltet werden. Daher war dem darauf gerichteten Klageantrag stattzugeben.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1254162 |
DB 2005, 498 |
NWB 2004, 4236 |
BGHR 2005, 144 |
BauR 2005, 104 |
EBE/BGH 2004, 1 |
NVwZ 2005, 116 |
NZM 2004, 957 |
ZAP 2005, 169 |
ZfIR 2004, 945 |
MDR 2005, 328 |
NuR 2005, 350 |
BauSV 2005, 55 |
KommJur 2005, 36 |
ZNER 2004, 405 |