Entscheidungsstichwort (Thema)
räuberischer Angriff auf einen Kraftfahrer
Leitsatz (amtlich)
Durch die Neufassung des § 316 a Abs. 1 StGB durch das 6. StrRG wird der Regelungsgehalt des Tatbestandsmerkmals des Ausnutzens der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs nicht berührt.
Normenkette
StGB § 316a Abs. 1
Verfahrensgang
LG Hildesheim (Entscheidung vom 29.03.2000; Aktenzeichen 26 KLs 4 Js 28049/99) |
Tenor
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 29. März 2000 werden als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen räuberischen Angriffs auf einen Kraftfahrer in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung jeweils zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Angeklagten sind unbegründet. Der Senat nimmt Bezug auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts zur Begründung des Antrags nach § 349 Abs. 2 StPO und bemerkt ergänzend: Die Beweiswürdigung ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Insbesondere handelt es sich bei der Überzeugung der Kammer, daß der Angeklagte S. Kenntnis hinsichtlich der mitgeführten (zum Teil gefährlichen) Werkzeuge gehabt hatte, nicht um eine bloße Vermutung; vielmehr hat das Landgericht aus der vom Angeklagten K. eingestandenen Tatsache, daß er das Butterflymesser und den ungeladenen Schreckschußrevolver bei der Tat mitgeführt hatte, und der Schilderung des Geschädigten, der hinter ihm sitzende Täter habe mit einem Gegenstand „herumgespielt”, einen revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Schluß gezogen.
Der näheren Erörterung bedarf nur die Frage, ob die Angeklagten bei dem zur Begehung der Erpressung verübten Angriff auf die Entschlußfreiheit des Opfers die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausgenutzt haben (§ 316 a Abs. 1 StGB).
Nach den Feststellungen des Landgerichts waren die Angeklagten übereingekommen, sich von dem Bauunternehmer W. unter dem Vorwand, eine Fahrgelegenheit zu benötigen, in dessen Auto mitnehmen zu lassen und auf der Fahrt unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Leibesgefahr von ihm Geld zu erpressen. Entsprechend diesem Plan nahmen der Angeklagte S. auf dem Beifahrersitz und der Angeklagte K. auf der Rückbank Platz. Als sie sich auf der Fahrt einer Tankstelle näherten, bat der Angeklagte S. den W. mit der Behauptung, er wolle etwas kaufen, um einen Halt. Er wollte, daß dieser „seinen PKW an einer etwas abseits gelegenen Stelle zum Stehen brachte und er und K. ihn an diesem Ort erpressen und, soweit er Bargeld bei sich haben würde, dieses abnehmen konnten” (UA S. 10). Als W. nahe dem Verkaufsraum der Tankstelle anhielt, verlangte der Angeklagte S. dementsprechend „in barschem Ton …, nicht hier, sondern am Rand des Tankstellengeländes zu halten” (UA S. 11). Unmittelbar nachdem W. sein Fahrzeug dort zum Stehen gebracht hatte, begann der Angeklagte S. vom Beifahrersitz aus damit, ihn zu bedrohen und die Herausgabe von Geld zu verlangen, während der Angeklagte K. vom Rücksitz aus die Bedrohung dadurch verstärkte, daß er mit dem ungeladenen Schreckschußrevolver „herumspielte”. Wie von den Angeklagten erwartet, empfand W. dies als massive Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben und zahlte 10.000 DM an die Angeklagten.
Die Voraussetzungen des § 316 a Abs. 1 StGB sind damit ausreichend belegt.
1. Durch das 6. StrRG ist der Deliktscharakter des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer geändert worden. Das frühere Unternehmensdelikt ist in ein Delikt umgestaltet worden, das durch „Verüben eines Angriffs” begangen wird. Ob es sich dabei um ein Tätigkeits-, ein unechtes Unternehmens- oder um ein Erfolgsdelikt handelt, ist umstritten (vgl. Ingelfinger, JR 2000, 225), muß aber hier nicht entschieden werden. Die Angeklagten haben zur Begehung einer räuberischen Erpressung einen Angriff auf die Entschlußfreiheit des Geschädigten verübt, indem sie ihn aufforderten, an den Rand des Geländes zu fahren und ihn dort unmittelbar nach dem Anhalten bedrohten. Da die Drohung der Angeklagten unmittelbar zur Aushändigung eines Geldbetrages von 10.000 DM durch das Tatopfer geführt hat, ist das Versuchsstadium eindeutig überschritten und es liegt eine Vollendung des § 316 a Abs. 1 StGB vor (vgl. zu den Abgrenzungsfragen Ingelfinger, JR 2000, 225, 229 ff.).
2. Dabei haben die Angeklagten auch die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausgenutzt. An dem Regelungsgehalt dieses Tatbestandsmerkmals hat sich durch die Neufassung sachlich nichts geändert (Fischer, Jura 2000, 433, 440; so auch inzidenter BGH, Beschl. vom 18. August 1998 – 5 StR 337/98), so daß jedenfalls in den Fällen, in denen der Angriff verübt worden ist, an die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs angeknüpft werden kann. Danach ist das Merkmal des Ausnutzens der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs erfüllt, wenn der Täter sich eine Gefahrenlage zunutze macht, die dem fließenden Verkehr eigentümlich ist. Die Gefahrenlage wird in erster Linie begründet durch die Beanspruchung des Fahrers infolge des Lenkens eines Kraftfahrzeugs und die damit verbundene Konzentration auf die Verkehrslage und die Fahrzeugbedienung sowie durch die hieraus folgende Erschwerung einer Gegenwehr (vgl. BGHSt 37, 256, 258; 38, 196, 197; BGHR StGB § 316 a I Straßenverkehr 4 jeweils m.w.Nachw.). Auf dieser Grundlage ist ein räuberischer Angriff auf Kraftfahrer bei einem Überfall auf den Fahrer eines verkehrsbedingt im fließenden Verkehr haltenden Kraftfahrzeugs angenommen worden (BGHSt 25, 315, 317; 38, 196, 197 f; BGHR StGB § 316 a I Straßenverkehr 1 und 7). Der Bundesgerichtshof hat aber auch die durch die Fahrt bewirkte „Vereinzelung des Fahrers” und die damit verbundene Nichterreichbarkeit fremder Hilfe zu den besonderen Verhältnissen des Straßenverkehrs gerechnet (BGHSt 5, 280, 282; 6, 82, 84; 13, 27, 30). Eine erhebliche Entfernung von fremder Hilfe ist dabei nicht gefordert. Das Opfer ist auch dann isoliert, wenn in unmittelbarer Nähe des Tatortes der Verkehr vorbeiflutet (BGHSt 15, 322). Der Bundesgerichtshof hat deshalb die Voraussetzungen des § 316 a Abs. 1 StGB auch dann bejaht (oder für möglich gehalten), wenn der beabsichtigte Überfall von einem Fahrzeuginsassen erst nach dem planmäßig herbeigeführten Anhalten des Fahrzeugs begangen wurde (BGHSt 18, 170; 38, 196; BGHR StGB § 316 a I Straßenverkehr 1, 9 und 10; BGH bei Dallinger, MDR 1975, 725; BGH, Beschl. vom 18. August 1998 – 5 StR 337/98). Erforderlich ist aber eine nahe Beziehung der Tat zum Straßenverkehr, zur Benutzung des Fahrzeugs als Verkehrs- und Transportmittel (BGH NJW 1969, 1679; NJW 1971, 765, 766; BGH, Beschl. vom 21. Juli 1983 – 2 StR 260/83).
Die Entscheidung des Landgerichts befindet sich im Einklang mit diesen Grundsätzen. Ihr steht nicht entgegen, daß der Tatbestand des § 316 a StGB vom Bundesgerichtshof in den Fällen verneint worden ist, in denen der Angriff auf den Fahrer oder Beifahrer im ruhenden Verkehr stattfand, also erst, nachdem das Fahrzeug auf einem Parkplatz, am Fahrtziel oder einem Zwischenziel angekommen und die Fahrt damit zunächst beendet war (BGH VRS 57, 197 = GA 1979, 466; BGH, Urt. vom 2. April 1980 – 2 StR 94/80 und Beschl. vom 21. Juli 1983 – 2 StR 260/83; vgl. auch BGHSt 24, 320, 321; 37, 256, 258; 38, 196). Eine solche Beendigung der Fahrt ist vorliegend gerade nicht festgestellt; vielmehr haben die Angeklagten den Geschädigten veranlaßt, an abgelegener Stelle – nach der Vorstellung des Geschädigten nur für kurze Zeit – zu halten, und haben unmittelbar danach im Auto mit der räuberischen Erpressung begonnen. Mit der für sich genommen mißverständlichen Formulierung, die Angeklagten hätten geplant, den erpresserischen Angriff „erst im ruhenden Verkehr” auszuführen (UA S. 10), macht das Landgericht ersichtlich nur deutlich, daß die Angeklagten durch ihre Vorgehensweise verhindern wollten, daß der Geschädigte das in Fahrt befindliche Auto an eine für sie nicht erwünschte Stelle, etwa ein Polizeirevier lenken konnte (UA S. 11).
In diesem Zusammenhang durfte das Landgericht auch darauf abstellen, daß es den Angeklagten bei der Tat auch darauf ankam, den Umstand auszunutzen, daß dem Opfer als Führer des PKW aufgrund der räumlichen Enge nur erheblich eingeschränkte Abwehrmöglichkeiten zur Verfügung standen (vgl. BGHR StGB § 316 a I Straßenverkehr 7). Dies haben die Angeklagten, nachdem sie das Opfer unter Vorspiegelung eines Anhaltewunsches in die erstrebte isolierte Halteposition gebracht hatten, auch sofort in Verfolgung ihres zuvor gefaßten Tatplans ausgenutzt. Die Entscheidungen BGH NStZ 1996, 389, 390 und BGHR StGB § 316 a I Straßenverkehr 12 stehen dem nicht entgegen. Dort waren der Entschluß zum Raub erst gefaßt und der Angriff unternommen worden, nachdem das Fahrzeug zum Stillstand gekommen war. Zur Tatbestandserfüllung des § 316 a Abs. 1 StGB genügt es aber nicht, daß lediglich die Abwehrmöglichkeiten des Kraftfahrzeugführers durch die Enge im Fahrzeug eingeschränkt sind.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Miebach, Pfister, von Lienen, Becker
Fundstellen
Haufe-Index 507892 |
NJW 2001, 764 |
JR 2002, 163 |
NStZ 2001, 197 |
Nachschlagewerk BGH |
JA 2001, 452 |
JuS 2001, 717 |
Kriminalistik 2001, 346 |
StV 2001, 405 |
LL 2001, 422 |