Entscheidungsstichwort (Thema)
Anstiftung zum Mord
Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Grenzen des aus § 252 StPO abzuleitenden Verwertungsverbots in Fällen unlauterer Verfahrensmanipulation.
2. Zur Zulässigkeit der Hinzuverbindung eines Verfahrens gegen einen der versuchten Strafvereitelung durch Falschaussage angeschuldigten Zeugen während fortlaufender Hauptverhandlung.
Normenkette
StPO §§ 252, 3-4
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 3. März 1998 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
– Von Rechts wegen –
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten H. B. wegen Anstiftung zum Mord in zwei Fällen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Ferner hat es festgestellt, daß seine Schuld besonders schwer wiegt. Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
Der Angeklagte bestimmte seinen jüngsten Bruder A. B. dazu, am 15. November 1993 S. K. zu erschießen; anschließend bestimmte der Angeklagte einen unbekannten Täter dazu, seine Ehefrau B. B. am 1. Januar 1994 zu erschießen. Hintergrund der Taten waren Rauschgiftgeschäfte der Familie B.; zu den Motiven der Taten gehörte auch der Umstand, daß B. B. mit S. K. ein Verhältnis hatte.
Das Landgericht stützt seine Überzeugung insbesondere auf die Bekundungen von I. B. im Ermittlungsverfahren, die durch die Vernehmungsbeamten eingeführt wurden. I. B., geschiedene S., lebte zur Tatzeit mit Ab B., einem weiteren Bruder des Angeklagten, zusammen. Während der Hauptverhandlung ließ sie sich scheiden und heiratete sogleich Ab B. Die Verwertbarkeit der Bekundungen I. B. s. im Ermittlungsverfahren ist Gegenstand der Verfahrensrüge, die allein der Erörterung bedarf; die übrigen Verfahrensrügen sind entweder unzulässig oder unbegründet. Die sachlichrechtliche Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt.
I.
1. Der Verfahrensrüge liegt folgendes Geschehen zugrunde:
Am 4. September 1996 – einen Monat nach Beginn der Hauptverhandlung gegen H. B. – wurde I. B. als Zeugin vernommen. Sie gab an, sie sei mit Ab B. verheiratet, und machte nach Belehrung von ihrem „Zeugnisverweigerungsrecht” Gebrauch. Ihre Vernehmung war damit abgeschlossen.
Tatsächlich war I. B. zu diesem Zeitpunkt noch mit M. S. verheiratet; die Ehe wurde drei Wochen später, am 26. September 1996, in der Türkei geschieden. Erst am 30. September 1996 wurde, gleichfalls in der Türkei, die Ehe mit Ab B. geschlossen. Am 13. November 1996 wurde I. B. erneut als Zeugin vernommen; sie machte von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO Gebrauch.
Am 12. Februar 1997 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen I. B. und beantragte die Verbindung zu der Strafsache gegen H. B. I. B. wurde zur Last gelegt, mit ihrer Aussage vom 4. September 1996 eine versuchte Strafvereitelung und eine uneidliche Falschaussage begangen zu haben. Am 10. April 1997 eröffnete die Schwurgerichtskammer, die das Verfahren gegen H. B. verhandelte, das Hauptverfahren und verband beide Strafsachen.
Zu den Bekundungen I. B. s im Termin vom 4. September 1996 hat die Schwurgerichtskammer ihren seinerzeitigen Vorsitzenden als Zeugen gehört; dieser war im Dezember 1996 zum Vizepräsidenten des Hanseatischen Oberlandesgerichts ernannt worden und aus der Schwurgerichtskammer ausgeschieden; für ihn trat ein Ergänzungsrichter ein. I. B. wurde im selben Urteil wie der Beschwerdeführer zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt; gegen sie ist das Urteil rechtskräftig.
2. Die Revision macht geltend, das Landgericht habe in rechtsmißbräuchlicher Weise das Verwertungsverbot aus § 252 StPO umgangen. Mit der Verfahrensverbindung während laufender Hauptverhandlung habe das Landgericht aus sachlich nicht vertretbaren Gründen eine Veränderung der Prozeßrolle I. B. s vorgenommen, um zum Nachteil des Angeklagten H. B. die Vorschrift des § 252 StPO umgehen zu können.
II.
Die Verfahrensrüge ist unbegründet.
Bei der Beurteilung der Verfahrensweise des Landgerichts sind drei Rechtsfragen zu unterscheiden: Zum einen der Rückgriff auf zeugenschaftliche Bekundungen I. B. s bei nichtrichterlichen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren (Problem des § 252 StPO), zum zweiten die Zulässigkeit der Verbindung einer Strafsache, die eine in der Hauptverhandlung in einer anderen Sache begangene Straftat zum Gegenstand hat, zu eben jener Strafsache während fortlaufender Hauptverhandlung (Problem der §§ 3, 4 und 261 StPO) und zum dritten die „Unbefangenheit” der Richter, die eine vor ihren Augen in der Hauptverhandlung begangene Straftat aburteilen sollen (Problem des § 338 Nr. 2 i.V.m. § 22 Nr. 5 StPO).
1. Ein Verwertungsverbot nach § 252 StPO liegt nicht vor. Das Landgericht durfte hier auf zeugenschaftliche Bekundungen I. B. s bei nichtrichterlichen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren zurückgreifen, ohne gegen § 252 StPO zu verstoßen.
a) Die Vorschrift des § 252 StPO enthält nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – über ihren Wortlaut hinaus – nicht nur ein Verlesungs-, sondern auch ein Verwertungsverbot. Dieses schließt auch jede andere Verwertung der bei einer nichtrichterlichen Vernehmung gemachten Aussage aus. Insbesondere ist die Vernehmung von Verhörpersonen nicht gestattet, wenn der Zeuge in der Hauptverhandlung nach § 52 StPO berechtigt das Zeugnis verweigert, sofern er nicht ausnahmsweise die Verwertung seiner früheren Bekundungen gestattet (BGHSt 2, 99, 102; 36, 384, 387; 42, 391; BGHR StPO § 252 – Verwertungsverbot 14; BGH, Urteil vom 23. September 1999 – 4 StR 189/99 –).
Der Bundesgerichtshof hat dies aus Sinn und Zweck der Norm abgeleitet. Der Umfang des Verwertungsverbots ist hieraus und aus einer Abwägung zwischen den gegenläufigen Belangen, einerseits den durch das Zeugnisverweigerungsrecht geschützten Interessen an einer Nichtverwertung, andererseits der für weitestgehende Verwertung sprechenden Wahrheitsermittlungspflicht im Strafverfahren, zu bestimmen (BGHSt 2, 99, 105 f.).
aa) Von diesem Verwertungsverbot sind Bekundungen ausgenommen, die der Zeuge – nach Belehrung über sein Zeugnisverweigerungsrecht – vor einem Richter gemacht hat (BGHR StPO § 252 – Verwertungsverbot 14 m.w.N.). Sie dürfen durch dessen Zeugenvernehmung in die Hauptverhandlung eingeführt und bei der Urteilsfindung verwertet werden. Diese unterschiedliche Behandlung hat der Bundesgerichtshof in der Grundsatzentscheidung BGHSt 2, 99, 106 nicht allein damit begründet, daß – nach damaliger Rechtslage (§ 52 Abs. 2 StPO a.F., jetzt § 52 Abs. 3 StPO) – nur den Richter eine Belehrungspflicht traf (BGHSt 21, 218). Auch eine von nicht-richterlichen Vernehmungspersonen erteilte Belehrung – sei es nach früherer Rechtslage ohne Rechtspflicht (BGHSt 2, 99, 109) oder pflichtgemäß nach Änderung der Belehrungsvorschriften (§ 161a Abs. 1, § 163a Abs. 5 StPO) – führt nicht zu einer Gleichstellung mit einer richterlichen Vernehmung (BGHSt 2, 99, 109; 21, 218).
Diese Ausnahme vom Verwertungsverbot des § 252 StPO findet ihre materielle Rechtfertigung in einer Güterabwägung. Angesichts eines nach Belehrung bewußt erklärten Verzichts auf die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts in der verfahrensrechtlich hervorgehobenen Situation einer richterlichen Vernehmung ist das öffentliche Interesse an einer effektiven Strafrechtspflege von größerer Bedeutung als das Interesse des Zeugen, sich die Entscheidungsfreiheit über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts bis zur späteren Hauptverhandlung erhalten zu können (BGHR StPO § 252 – Verwertungsverbot 14). Durch diese Ausnahme vom Verwertungsverbot ist den Ermittlungsbehörden im Regelfall – etwa beim sexuellen Mißbrauch von Kindern – durch Herbeiführung einer richterlichen Vernehmung der Weg eröffnet, eine verwertbar bleibende Aussage zu erhalten.
bb) Diese Möglichkeit der Beweissicherung besteht nach der bisherigen Rechtsprechung indessen nicht, wenn der Zeuge – wie hier – bei den früheren Vernehmungen noch kein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO hatte und erst in der Hauptverhandlung von dem inzwischen entstandenen Zeugnisverweigerungsrecht als Angehöriger Gebrauch macht (BGHSt 22, 219; 27, 231; BGHR StPO § 252 – Verwertungsverbot 3; BayObLG NJW 1966, 117; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 252 Rdn. 12 m.w.N.). Den Ermittlungsbehörden bleibt hier – anders als beim aussagewilligen Angehörigen, den sie richterlich vernehmen lassen können – keine Chance, von einem Zeugen, der erst später ein Zeugnisverweigerungsrecht erlangt, durch eine förmliche Vernehmung eine verwertbar bleibende Aussage zu erhalten (vgl. zur höchst problematischen vorsorglichen Belehrung BGHR StPO § 252 – Verwertungsverbot 6 und BGHSt 42, 391, 398; siehe aber auch BGHSt 32, 25, 28 ff. und BGHR StPO § 252 – Verwertungsverbot 14; zum „Einsatz” von Augenblickshelfern, Vertrauenspersonen oder Verdeckten Ermittlern siehe BGHSt 40, 211; BGHSt 42, 139).
Bei dieser Fallgruppe des später entstandenen Zeugnisverweigerungsrechts wäre aber eine Abwägung der gegenläufigen geschützten Interessen erst recht geboten. Die durch ein Angehörigenverhältnis begründete schützenswerte Position eines Zeugen wird regelmäßig nicht gleichermaßen stark betroffen sein, wenn seine noch außerhalb jenes geschützten Verhältnisses gemachten Angaben verwertet werden.
Der Senat hat deshalb erwogen, ob der Interessenkonflikt hier – abweichend von der bisherigen Rechtsprechung – entsprechend den bei berufsbedingten Zeugnisverweigerungsrechten anerkannten Grundsätzen (vgl. BGHSt 18, 146; BGH StV 1997, 233) zu lösen ist: Aus § 252 StPO wäre danach kein Verwertungsverbot für frühere Angaben eines das Zeugnis berechtigt verweigernden Angehörigen abzuleiten, die dieser bei einer Vernehmung vor Erlangung des Zeugnisverweigerungsrechts gemacht hat.
Dann bestünden von vornherein keine Bedenken gegen eine Verwertung der Angaben von I. B. im Ermittlungsverfahren, denn damals stand ihr noch kein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Sie war auch nicht etwa mit dem früheren Mitbeschuldigten Ab B. (vgl. UA S. 115), ihrem späteren Ehemann und Bruder des Angeklagten, verlobt; denn sie war damals noch anderweits verheiratet (vgl. BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 1 – Verlobte 1).
b) Diese von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abweichende Auffassung ist jedoch für die Entscheidung in dieser Sache nicht ausschlaggebend. Es bedarf daher keines Anfrageverfahrens nach § 132 Abs. 3 GVG. Hier liegt nämlich – auch bei Zugrundelegung der bisherigen Rechtsprechung – eine besondere Fallgestaltung vor, die ausnahmsweise nicht zu einem Verwertungsverbot führt.
aa) Die Rechtsprechung hat auch bisher schon den Anwendungsbereich des Verwertungsverbots des § 252 StPO mit der Überlegung eingeschränkt, daß unlautere Beeinflussungsversuche auf den Zeugen, durch welche die Wahrheitsermittlung im Strafverfahren Not leiden würde, wirksam verhindert werden müssen (BGHSt 2, 99, 109; 27, 139, 143). Darüber hinaus fehlt ein schutzwürdiges Interesse des Zeugen dann, wenn er sich pflichtwidrig zum Herrn des Verfahrens zu machen sucht, um gebotene Wahrheitsermittlungen durch dieses Verhalten zu vereiteln (BGHSt 25, 176; BGHSt 27, 139). In Fällen solcher unlauterer Manipulationen des Verfahrens gebührt dem Grundsatz der Wahrheitserforschung, der zum Schutze der Allgemeinheit die Aufklärung, Verfolgung und gerechte Ahndung von Straftaten unter Verwendung aller verfügbaren Beweismittel fordert, Vorrang.
bb) In diesem Sinne ist im vorliegenden Fall ersichtlich mit unlauteren Mitteln auf die Erlangung eines Verwertungsverbots als Folge eines Zeugnisverweigerungsrechts manipulativ hingewirkt worden.
Die Angehörigeneigenschaft der I. B. ist gezielt zur Vereitelung der Wahrheitsermittlung im Strafverfahren – aus prozeßtaktischen Gründen (UA S. 388) – herbeigeführt worden. Die hier vorliegenden besonderen Umstände belegen eindeutig, daß die Ehe I. B. s mit dem Bruder des Beschwerdeführers zum damaligen Zeitpunkt maßgeblich aus dem Beweggrund geschlossen worden ist, ihr ein Zeugnisverweigerungsrecht zu verschaffen. Der Beschwerdeführer sollte in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren in die Lage versetzt werden, die Unverwertbarkeit ihrer ihn massiv belastenden Angaben gegenüber den Strafverfolgungsbehörden im Ermittlungsverfahren geltend machen zu können.
(1) Auffällig sind schon die Umstände, unter denen I. B. geheiratet hat. Zu Beginn der Hauptverhandlung gegen H. B., am 5. August 1996, und auch bei ihrer ersten Vernehmung am 4. September 1996 war I. B. noch mit M. S. verheiratet. Für das in der Türkei vom damaligen Ehemann bei dem Landgericht Istanbul betriebene Scheidungsverfahren war die mündliche Verhandlung für den 2. Oktober 1996 vorgesehen. Zu diesem Termin war allerdings niemand erschienen, so daß das Ruhen des Verfahrens angeordnet wurde. Noch vor diesem Termin, am 23. September 1996, wurde beim Landgericht Elazig ein weiteres Scheidungsverfahren anhängig gemacht; dort wurde die Ehe drei Tage später, am 26. September 1996, geschieden. Vier Tage später, am 30. September 1996, schlossen I. und Ab B. vor dem Standesamt Kovancila, Provinz Elazig, die Ehe.
Bei der Durchsuchung der Wohnung I. B. s wurden zwei „Scheidungsvereinbarungen”, ein Wechsel und ein Schriftstück über eine „Glaubhaftmachung” mit Datum vom 2. September 1996 sichergestellt. In den „Scheidungsvereinbarungen” versichert Ab B., daß er sich von seiner Ehefrau „wenn sie es wünscht, unter den von ihr zu stellenden Bedingungen scheiden lassen und gegen sie keine Ansprüche stellen werde”. In dem Wechsel verpflichtet sich Ab B., bei Vorlage desselben an I. B. 700.000 DM zu zahlen. Die „Glaubhaftmachung gemäß § 56 StPO zum Zwecke der Glaubhaftmachung eines Zeugnisverweigerungsrechts gemäß § 52 StPO” lautet: „Ich bin mit dem Bruder des Angeklagten H. B., Herrn Ab B., verheiratet. Wir haben am 22.10.1995 in einer religiösen Zeremonie und im Juli 1996 amtlich in Elazig/Türkei geheiratet.”
Ein räumliches Zusammenleben I. B. s mit Ab B. war nicht vorgesehen, sie wollte vielmehr ebenso auf Dauer in Deutschland bleiben wie er in der Türkei.
Diese Umstände sind so evident, daß der Senat den Inhalt eines überwachten Telefongesprächs Ab B. s mit seinem Cousin nicht zu berücksichtigen brauchte, der ihm berichtete, ein Anwalt H. B. s habe gesagt, er müsse das Mädchen heiraten, dann würde ihre Aussage wegfallen (UA S. 388 ff.).
Der Senat hat dabei bedacht, daß Ab B. lange Zeit eng mit I. B. befreundet gewesen war und insbesondere nach der Eheschließung ein gemeinsames Kind geboren wurde. Auch hat der Senat berücksichtigt, daß sich das Schwurgericht trotz des sichergestellten Wechsels nicht von einer erkauften formellen Eheschließung zu überzeugen vermochte (vgl. UA S. 368).
(2) Hinzu kommt, daß I. B. sich am 4. September 1996 pflichtwidrig verhalten hat. Hätte sie am 4. September 1996 wahrheitsgemäße Angaben über ihren Personenstand gemacht, so hätte das Gericht sogleich auf eine umfassende Aussage der Zeugin drängen oder – etwa im Falle einer nach § 55 StPO berechtigten Auskunftsverweigerung – die Vernehmungsbeamten hören können. Bei pflichtgemäßem Verhalten I. B. s wären die erörterten Verfahrensfragen folglich möglicherweise gar nicht erst entstanden.
cc) Damit liegt hier ein Sonderfall vor, in dem eine Abwägung zwischen der durch Art. 6 GG geschützten Angehörigenposition und der durch das Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes geschützten Wahrheitsermittlungspflicht im Strafverfahren (vgl. BVerfGE 57, 250, 275; 63, 45, 61; BGHSt 42, 139, 157) ein derartiges Überwiegen der letztgenannten Belange ergibt, daß das von der Rechtsprechung auf der Grundlage solcher Abwägung aus § 252 StPO abgeleitete Verwertungsverbot auch für vor Begründung des Angehörigenverhältnisses gemachte Angaben des Zeugnisverweigerungsberechtigten eine Ausnahme erfahren muß.
2. Abgesehen davon war I. B. nicht Zeugin, sondern Mitangeklagte des Beschwerdeführers. Nach gefestigter Rechtsprechung unterliegen frühere Angaben eines Mitangeklagten, auch wenn er Angehöriger des Angeklagten ist und als solcher, wenn er Zeuge wäre, von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen würde, uneingeschränkter Verwertung (BGHSt 3, 149; BGHR StPO § 252 – Verwertungsverbot 9; BGH VRS 31, 453). Auch erweist sich die Verfahrensverbindung, durch welche die Mitangeklagtenstellung von I. B. begründet worden ist, entgegen der Auffassung der Revision als rechtsfehlerfrei.
a) Zwischen den dem Beschwerdeführer angelasteten Morden und der I. B. angelasteten Tat der uneidlichen Falschaussage in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung besteht ein durch den Strafvereitelungsvorwurf begründeter sachlicher Zusammenhang im Sinne von § 3 StPO, zweite Alternative. Der gegen die Annahme einer Strafvereitelung I. B. s gerichtete Einwand der Revision aus § 258 Abs. 5 StGB verfängt nicht. Nachdem ein gegen I. B. gerichtetes Verfahren wegen Nichtanzeige eines Verbrechens und – bereits 1993 begangener – Strafvereitelung eingestellt worden war, lag die Annahme bloßer fremdnütziger Strafvereitelung durch die Falschaussage auf der Hand (vgl. BGH, Urteil vom 7. August 1997 – 1 StR 319/97 –, insoweit in NStZ 1998, 210 nicht abgedruckt; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 258 Rdn. 13; Stree in: Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 258 Rdn. 35).
b) Das Schwurgericht war als Gericht höherer Ordnung für eine Verbindung des Verfahrens gegen I. B. mit dem gegen den Angeklagten dort anhängigen Verfahren zuständig. Mit dem Ziel der Verbindung konnte die Staatsanwaltschaft bereits die Anklage gegen I. B. dort erheben (vgl. BGHR StPO § 4 – Verbindung 10; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 4 Rdn. 5).
c) Die Verbindung kann vor Aburteilung in jeder Lage des Verfahrens nach pflichtgemäßem gerichtlichem Ermessen erfolgen (BGHSt 18, 238). Daß die Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer bereits lief, hinderte die Verbindung nach herrschender Ansicht, von der abzugehen kein Anlaß besteht, nicht (vgl. BGH NJW 1953, 836; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 4 Rdn. 9; Wendisch in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 4 Rdn. 24).
In dem sich der Verbindung anschließenden Verfahren ist allerdings besonders Bedacht zu nehmen auf das Recht des neuen Mitangeklagten aus §§ 230, 231 i.V.m. § 338 Nr. 5 StPO auf Anwesenheit während der die Urteilsfindung gegen ihn betreffenden Teile der Hauptverhandlung und entsprechend auf die Beachtung des § 261 StPO, wonach bei der Urteilsfindung gegen ihn kein Verfahrensstoff aus der noch ohne seine Mitwirkung durchgeführten Hauptverhandlung verwertet werden darf (vgl. BGH aaO; ferner BGHSt 24, 257, 258 f.).
d) Das Landgericht hat in seinem Verbindungsbeschluß vom 10. April 1997 überzeugend ausgeführt, weshalb die Verbindung sachgerecht und zweckmäßig war. Die mit der Verbindung einhergehende, zur Wahrung der Verfahrensrechte der neuen Mitangeklagten unerläßliche Wiederholung der bislang wesentlichen Beweisaufnahme war trotz der beträchtlichen bis dahin verstrichenen Verfahrensdauer sachgerecht. Zum einen war der Umfang der notwendig zu wiederholenden Beweisaufnahme gleichwohl verhältnismäßig gering. Zum anderen stand eine umfänglichere weitere Beweisaufnahme allein infolge der bislang noch nicht erfolgten Freigabe des bis dahin behördlich geheimgehaltenen Zeugen B. aus. Der Senat hat keinen Anlaß anzunehmen, daß das Landgericht die Verbindung nur oder primär deshalb herbeigeführt hätte, um ein für möglich erachtetes Zeugnisverweigerungsrecht zu umgehen.
e) Das Verfahren in der Beweisaufnahme nach der Verbindung läßt keine Verletzung von Rechten der Mitangeklagten erkennen. Auch der Beschwerdeführer ist dadurch nicht in seinen eigenen Rechten verletzt worden. Es liegt auf der Hand, daß dies von vornherein schon deshalb ausscheidet, weil als unbedenkliche Alternative zur Verfahrensweise der Kammer die Aussetzung der Hauptverhandlung und deren Neubeginn nach Verbindung mit denselben Konsequenzen in der Verwertungsfrage in Betracht gekommen wäre.
Insbesondere wurde auch nicht gegen die Vorschrift des § 261 StPO verstoßen. Das Landgericht hat nach der Verbindung die bislang wesentliche Beweisaufnahme zur Feststellung der dem Beschwerdeführer angelasteten, für die Mitangeklagte als Vortaten relevanten Morde wiederholt. Allerdings mußte – um den gegen sie erhobenen Tatvorwurf zu belegen – in „ihrer” Hauptverhandlung auch eine Beweisaufnahme über ihre Aussage zum Personenstand im Termin vom 4. September 1996 – als noch allein gegen H. B. verhandelt wurde – stattfinden. Eine derart gebotene Wiederholung begründet einen Sonderfall und eine Ausnahme von der sonst geltenden Regel, daß jegliche Beweisaufnahme über die nämliche Hauptverhandlung unzulässig ist. Die Regel gilt nur für denjenigen Prozeßstoff, der später als Inbegriff der Hauptverhandlung nach § 261 StPO auch im Urteil zu verwerten ist. Das gilt gerade für einen so zu wiederholenden Teil der Hauptverhandlung nicht. Über die Falschaussage von I. B. vor der Verbindung der Verfahren mußte das Landgericht eine Überzeugung aus dem neuen Inbegriff der Verhandlung schöpfen. Dies hat es – nachdem sich I. B. als Angeklagte nicht zur Sache eingelassen hatte – durch eine förmliche Beweisaufnahme im Wege zeugenschaftlicher Vernehmung des ausgeschiedenen Vorsitzenden getan; auf seine Bekundungen hat das Landgericht insoweit seine Überzeugung gestützt. Diese Art der Tatsachenfeststellung läßt jedenfalls keinen Rechtsfehler erkennen.
3. Auch ein Fall des – eng auszulegenden (BGHSt 44, 4, 7) – gesetzlichen Richterausschlusses liegt nicht vor.
a) Der Senat kann hier ausschließen, daß das Landgericht dadurch, daß es eine vor seinen Augen in derselben Hauptverhandlung begangene Straftat aburteilte, den Beteiligten nicht mit der erforderlichen Distanz des unbeteiligten Dritten gegenüberstand.
Allerdings setzt die Strafprozeßordnung der Mitwirkung eines Richters bei Vorliegen gewisser Konfliktlagen auch Grenzen. So ist nach den in §§ 22, 23 StPO aufgezählten Fällen ein Richter von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen, etwa dann, wenn er in der Sache als Zeuge vernommen ist (§ 22 Nr. 5 StPO). Wirkt er gleichwohl bei dem Urteil mit, so liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 2 StPO vor. Der gesetzliche Richterausschluß dient ebenso wie die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit gemäß §§ 24, 31 StPO dem Ziel, das erkennende Gericht von Richtern freizuhalten, die dem rechtlich zu würdigenden Sachverhalt und den daran Beteiligten nicht mit der erforderlichen Distanz des unbeteiligten Dritten gegenüberstehen (BGHSt 44, 4, 7).
Im vorliegenden Fall ist eine derartige Konfliktlage, zumal zu Lasten des Angeklagten H. B., ausgeschlossen. Bei der Aussage I. B. s handelte es sich um einen einfachen, evidenten, problemlos wahrzunehmenden prozessual erheblichen Vorgang (vgl. BGHSt 39, 239, 240; 44, 4, 9). Die Tatsache, daß die Zeugin bekundet hat, sie sei mit Ab B. verheiratet, konnte das Landgericht problemlos auf die Aussage des ausgeschiedenen Vorsitzenden stützen, ohne in den oben beschriebenen Interessenkonflikt zu geraten.
b) Auch sonst ist nicht ersichtlich, daß Rechte des Beschwerdeführers durch diese Vorgehensweise verletzt worden sind. Die Verfahrensfrage, ob auf frühere Bekundungen I. B. s zurückgegriffen werden konnte, hing nicht von deren Aussageinhalt ab – allein diesen bekundete der ausgeschiedene Vorsitzende –, sondern von anderen Verfahrenstatsachen. Für die Beweiswürdigung der den Beschwerdeführer betreffenden Tatvorwürfe war es irrelevant, ob I. B. behauptet hatte, sie sei mit Ab B. verheiratet. Es kann ausgeschlossen werden, daß der Umstand, daß I. B. als Zeugin zu ihrem Personenstand gelogen hat, für die Beurteilung der Zuverlässigkeit ihrer Bekundungen im Ermittlungsverfahren von Bedeutung gewesen wäre; das wird vom Beschwerdeführer selbst nicht behauptet.
Unterschriften
Harms, Basdorf, Nack, Tepperwien, Raum
Fundstellen
Haufe-Index 556880 |
BGHSt |
BGHSt, 342 |
NJW 2000, 1274 |
JR 2001, 250 |
wistra 2000, 181 |
JAR 2000, 147 |