Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergewaltigung
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 4. Mai 1998 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte Bi im Anklagefall 3 (Geschehen im Hausflur) freigesprochen worden ist.
Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft betreffend diesen Angeklagten wird verworfen; insoweit trägt die Staatskasse die Kosten dieses Rechtsmittels und die dem Angeklagten Bi dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft betreffend den Angeklagten K wird verworfen.
Die Kosten dieses Rechtsmittels und die dem Angeklagten K dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
3. Auf die Revision des Angeklagten K wird das oben bezeichnete Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben; seine weitergehende Revision wird mit der Maßgabe verworfen, daß er der Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung schuldig ist.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die Kosten der Revision des Angeklagten K, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen –
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten K wegen Vergewaltigung (Anklagefall 3: Geschehen im Hausflur) zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt; von dem Vorwurf einer weiteren Vergewaltigung (Anklagefall 1: vorangegangenes Geschehen in der Wohnung) hat es ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Den Angeklagten Bi – dem die gleichen Vorwürfe gemacht wurden – hat es in beiden Fällen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft wenden sich mit der Sachrüge gegen die Freisprüche beider Angeklagter; sie haben – dem Antrag des Generalbundesanwalts entsprechend – nur insoweit Erfolg, als der Angeklagte Bi wegen des Geschehens im Hausflur freigesprochen wurde. Die Revision des Angeklagten K hat zum Strafausspruch Erfolg; im übrigen ist sie unbegründet.
I.
1. Am Abend des 8. Mai 1997 lernten die Angeklagten die 29jährige Geschädigte kennen, die in Begleitung ihrer 15jährigen Schwester war. Im Verlaufe der angeregten Unterhaltung machte die Geschädigte gegen 0:30 Uhr den Vorschlag, noch auf ein Glas Wein in ihre Wohnung zu gehen. Grund dafür war auch, daß die Geschädigte dem Angeklagten Bi – einem Masseur – vorgeschlagen hatte, zwei leerstehende Zimmer ihrer Drei-Zimmer-Wohnung als Massagepraxis zu vermieten; bei dieser Gelegenheit könnten auch die Räume besichtigt werden. In der Wohnung angekommen, hielt man sich zunächst in dem eingerichteten Zimmer auf; dort legte sich die Schwester der Geschädigten zum Schlafen ins Bett. Die Angeklagten unterhielten sich mit der Geschädigten angeregt und man trank Wein. Während die Geschädigte mit K „ein wenig flirtete”, massierte Bi den Rücken der Geschädigten unter deren Bekleidung, was diese als unangenehm empfand, aber nicht kommentierte.
In der Absicht, das Zusammentreffen alsbald zu beenden, schlug die Geschädigte gegen 1:00 Uhr den Angeklagten vor, ihnen die anderen Zimmer zu zeigen. Dort wurde sie sogleich von einem oder beiden Angeklagten zu Boden gebracht. Zuerst vollzog Bi den Geschlechtsverkehr, während K sie festhielt. Sodann vollzog K den Geschlechtsverkehr, wobei er so auf ihr lag, daß sie sich nicht bewegen konnte. „Zwischenzeitlich” war Bi zur Toilette gegangen. Als Bi zurückkam, sagte er zu K: „Komm hör auf, laß uns gehen”, worauf K den Geschlechtsverkehr beendete. Gegen 1:30 Uhr zogen sich die Angeklagten und die Geschädigte an und gingen wieder in das bewohnte Zimmer.
Kurze Zeit später verließen die Angeklagten in Begleitung der Geschädigten, die ihnen die Haustür aufschließen wollte, die Wohnung. Im Treppenhaus, vor der Haustür, bekam die Geschädigte wegen des vorangegangenen Geschehens einen Wutanfall. Sie ging zunächst auf Bi los und trat ihm gegen die Oberschenkel. Sodann ging sie mit Fäusten auf K los. Bei der sich hierbei entwickelnden Rangelei stieß sie mit dem Kopf gegen die Wand und sie wurde von K durch die Luft geschleudert. Sie stürzte auf die Fußmatte und lag nunmehr auf dem Rücken. Auf der Geschädigten liegend, zog K nun die Geschädigte aus und vollzog den Geschlechtsverkehr. Bi, der unmittelbar daneben stand, wurde durch den Geschlechtsverkehr derart erregt, daß er seine Hose herunterzog und sich selbst befriedigte. Nachdem K von der Geschädigten abgelassen hatte, wollten die Angeklagten sie zu einem gemeinsamen Frühstück überreden. Das lehnte die Geschädigte ab.
K hatte zur Tatzeit eine Blutalkoholkonzentration von maximal 2 [permil], Bi eine solche von 1,8 [permil], die Geschädigte von 1,1 [permil].
2. Die Angeklagten haben den Geschlechtsverkehr sowohl in der Wohnung als auch im Hausflur eingeräumt; allerdings sei alles freiwillig erfolgt. Das Landgericht sieht bei dem Geschehen in der Wohnung die objektiven Voraussetzungen einer Vergewaltigung als gegeben an. Es konnte sich indes nicht davon überzeugen, daß die Angeklagten dort auch erkannt haben, daß durch ihr Verhalten ein „ernstgemeinter Widerstand” der Geschädigten ausgeschaltet wurde.
Bei dem Geschehen im Hausflur habe K allerdings erkannt, daß er die Geschädigte mit Gewalt zum Beischlaf nötigte. Seine zusätzliche Verurteilung wegen Körperverletzung sei versehentlich unterblieben. Hingegen konnte das Landgericht nicht feststellen, daß Bi sich in irgendeiner Form am Tatbeitrag des K beteiligt habe. Auch eine unterlassene Hilfeleistung scheide aus, da nicht auszuschließen sei, daß Bi aufgrund der an sich selbst vorgenommenen sexuellen Handlungen im Zusammenhang mit der alkoholbedingten Enthemmung nicht erkannt habe, daß ein Unglücksfall im Sinne von § 323c StGB vorlag. Es sei denkbar, daß er allein mit sich beschäftigt gewesen sei und die seine Hilfe erforderlich machende Situation nicht in seine Vorstellung aufgenommen habe.
II.
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft haben nur insoweit Erfolg, als Bi wegen des Geschehens im Hausflur freigesprochen wurde; im übrigen sind sie unbegründet.
1. Der Freispruch vom Vorwurf der gemeinschaftlichen Vergewaltigung in der Wohnung hält rechtlicher Nachprüfung stand. Insbesondere hat das Landgericht keine zu hohen Anforderungen an die Überzeugungsbildung von der Schuld der Angeklagten gestellt. Denn das Landgericht hat alle für und gegen den Vorsatz sprechenden Umstände – insbesondere das Verhalten der Geschädigten – ausführlich dargelegt und gewürdigt. Wenn es dann nach rechtsfehlerfreier Würdigung Zweifel am vorsätzlichen Handeln nicht zu überwinden vermag, so ist das hinzunehmen.
2. Hingegen hat der Freispruch Bi s, soweit es das Geschehen im Hausflur betrifft, keinen Bestand.
a) Der Freispruch ist schon insoweit fehlerhaft, als das Landgericht von einer Verurteilung nach § 323c StGB abgesehen hat. Die Annahme, Bi habe möglicherweise nicht erkannt, daß sich die Geschädigte bei der Vergewaltigung durch K in einer hilflosen Lage befunden habe (zur Straftat als Unglücksfall vgl. BGHR StGB § 323c – Unglücksfall 3), ist für den Senat nicht nachvollziehbar begründet worden. Die dagegen sprechenden Indizien hat das Landgericht rechtsfehlerhaft nicht gewürdigt.
Das ergibt sich schon aus dem festgestellten objektiven Geschehen im Hausflur: Unmittelbar nachdem die Geschädigte in ihrer Wut gegen beide Angeklagte tätlich wurde, schleuderte K sie durch die Luft; dessen Gegenangriff stand in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem – gegen beide Angeklagte gerichteten – Angriff der Geschädigten. K übte sogleich den gewaltsamen Geschlechtsverkehr direkt neben Bi aus, eine sexuelle Praktik, die dem vorangegangenem Geschehen in der Wohnung, an dem sich beide wechselseitig erregten, weitgehend entsprach. Der im Hausflur von K verübte Geschlechtsverkehr erregte Bi derart (möglicherweise sogar, weil er gewaltsam war), daß er sich selbst befriedigte. Die Feststellung, daß sich sämtliche Vorgänge, welche die hilflose Lage der Geschädigten begründeten, unmittelbar vor den Augen des Angeklagten Bi abgespielt und von ihm wahrgenommen wurden, läßt keinen Raum für die Annahme, daß er sie unzutreffend bewertet haben könnte.
b) Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin: Nach der zur Tatzeit geltenden Fassung des § 177 StGB, der auf den Beischlaf mit dem Täter oder einem Dritten abstellt, genügt es, daß sich das tatbestandsmäßige Verhalten des Allein- oder Mittäters auf eine Nötigungshandlung beschränkt, die einem anderen den Beischlaf ermöglicht (BGHR StGB § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 - Mittäter 1; vgl. diese Entscheidung auch zur Frage des milderen Gesetzes aufgrund der Neufassung des § 177 StGB durch das 33. StrÄndG und das 6. StrRG). Auch das Nötigungsmittel der Gewalt braucht nicht eigenhändig verwirklicht zu werden. Handeln mehrere, so reicht es aus, daß einer der Handelnden eigenhändig zum Mittel der Gewalt greift. Mittäter kann auch sein, wer nicht selbst Gewalt anwendet, sondern einen die Tatbestandsverwirklichung fördernden Beitrag leistet, wenn dies auf der Grundlage gemeinsamen Wollens geschieht (BGHSt 27, 205; BGHR StGB § 177 Abs. 1 - Mittäter 1; § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 - Mittäter 1).
Auch wenn tragender Aufhebungsgrund die fehlerhafte Beweiswürdigung betreffend § 323c StGB ist, wird der neue Tatrichter das Geschehen rechtlich insgesamt neu zu würdigen und insbesondere auch zu prüfen haben, ob das Verhalten Bi s eine Verurteilung als Mittäter oder Gehilfe des Sexualverbrechens rechtfertigt.
III.
Die Revision des Angeklagten K ist unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet. Die mit den Verfahrensrügen geltend gemachten Widersprüche, Auslassungen und Irrtümer in den Aussagen der Geschädigten hat das Landgericht gesehen, bei seiner Beweiswürdigung bedacht und dabei rechtsfehlerfrei dargelegt, daß sie für die Zuverlässigkeit ihrer Bekundungen zu den zentralen Tatvorwürfen ohne Bedeutung sind. Es trifft auch nicht zu, daß die vom Landgericht als unerheblich erachteten Indizien im Rahmen der Beweiswürdigung relevant gewesen wären.
Der Strafausspruch muß indes aufgehoben werden, weil das Landgericht dem die Straftat bestreitenden Angeklagten strafschärfend angelastet hat, er habe keinerlei Reue und Einsicht gezeigt. Eine derartige strafschärfende Berücksichtigung zulässigen Verteidigungsverhaltens ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs rechtsfehlerhaft (vgl. nur BGH StV 1999, 206); darauf beruht der Strafausspruch.
IV.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, daß der Umstand, daß die Staatsanwaltschaft bei dem Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg die bei ihr am 17. August 1998 eingegangene Sache erst nach mehr als einem Jahr, nämlich am 8. Oktober 1999, an den Generalbundesanwalt übersandt hat, genügenden Anlaß geben wird, eine Strafmilderung wegen vom Generalstaatsanwalt zu verantwortender rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung zu prüfen (BGH NStZ-RR 1999, 272 m.w.N.; zu den Urteilsanforderungen siehe BGHR StGB § 46 Abs. 2 - Verfahrensverzögerung 13).
Unterschriften
Harms, Basdorf, Nack, Tepperwien, Raum
Fundstellen