Verfahrensgang
LG Hamburg (Entscheidung vom 30.11.2006; Aktenzeichen 307 S 79/06) |
AG Hamburg-Blankenese (Entscheidung vom 07.06.2006; Aktenzeichen 509 C 36/05) |
Tatbestand
Die Beklagte hatte von der Klägerin eine Wohnung in H. gemietet. Mit Schreiben vom 3. November 2004 erklärte die Klägerin die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzuges.
Die Klägerin begehrt Zahlung rückständiger Miete in Höhe von 5.609,24 EUR und Räumung der Mietwohnung. Das Amtsgericht hat der Klage durch Versäumnisurteil vom 8. März 2005 stattgegeben. Das Versäumnisurteil ist der Beklagten persönlich am 10. März 2005 zugestellt worden.
Am 11. Juli 2005 ist Rechtsanwältin M. zur Betreuerin der Beklagten mit dem Aufgabenkreis "Vertretung im Rechtsleben und Vermögenssorge" bestellt worden. Die Betreuerin hat am 19. September 2005 Kenntnis von dem gegen die Beklagte ergangenen Versäumnisurteil erlangt und am 21. September 2005 Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt. Gleichzeitig hat sie unter Hinweis auf die mindestens seit Juni 2004 bestehende, durch eine Erkrankung und Persönlichkeitsstörung verursachte Geschäftsunfähigkeit der Beklagten vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist beantragt.
Das Amtsgericht hat das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage durch Prozessurteil abgewiesen, das Landgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht (LG Hamburg, ZMR 2007, 197) hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Zu Recht habe das Amtsgericht das zuvor ergangene Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe die Prozessunfähigkeit der Beklagten nicht weiter in Abrede gestellt. Mithin sei in der Berufungsinstanz allein die Rechtsfrage zu entscheiden, ob die Zustellung eines Versäumnisurteils an eine nicht erkennbar prozessunfähige Partei die Einspruchsfrist in Gang setze. Diese Frage sei zu verneinen. Der gegenteiligen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 104, 109 ff.) könne nach der Neufassung des § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht mehr gefolgt werden. Diese Vorschrift sei vom Wortlaut her eindeutig und diene auch nach den Gesetzesmaterialien der Klarstellung, dass die Zustellung an eine nicht prozessfähige Person unwirksam sei. Eine teleologische Reduktion des § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO sei auch aus dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit nicht geboten. Die Einschränkung des Anspruchs auf rechtliches Gehör werde durch das Verfahren der Nichtigkeitsklage nicht ausreichend kompensiert.
II. Die - unbeschränkt zugelassene - Revision hat Erfolg.
Das Berufungsgericht hat verkannt, dass eine Abweisung der Klage durch Prozessurteil nur in Betracht kommt, wenn die Sachurteilsvoraussetzungen im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht vorliegen. Die vom Berufungsgericht allein für entscheidungserheblich gehaltene Frage, ob die Zustellung des Versäumnisurteils an die geschäftsunfähige Beklagte am 10. März 2005 die Einspruchsfrist in Gang gesetzt hat, betrifft nicht die Zulässigkeit der Klage, sondern die Zulässigkeit (Rechtzeitigkeit) des am 21. September 2005 eingelegten Einspruchs.
1. Ob die gemäß § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO unwirksame Zustellung des Versäumnisurteils an die unerkannt geschäftsunfähige Beklagte die Einspruchsfrist in Gang gesetzt hat, so dass diese bei Einlegung des Einspruchs gegen das Versäumnisurteil bereits abgelaufen war, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn der Beklagten ist jedenfalls auf ihren schon in der Einspruchsschrift vorsorglich gestellten Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist zu gewähren. Die Wiedereinsetzung kann auch das Revisionsgericht im Rahmen des bei ihm anhängigen Verfahrens aussprechen, wenn die Wiedereinsetzung nach dem Aktenstand ohne weiteres zu gewähren ist (BGH, Urteil vom 4. November 1981 - IVb ZR 625/80, NJW 1982, 1873, unter II 1; Beschluss vom 22. September 1992 - VI ZB 22/92, VersR 1993, 500, unter 1). Diese Voraussetzung ist hier gegeben. Die geschäftsunfähige Beklagte war ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Einspruchsfrist verhindert, denn ihre am 11. Juli 2005 bestellte Betreuerin hat erst durch die am 19. September 2005 erfolgte Akteneinsicht Kenntnis von dem Versäumnisurteil erlangt. Die Betreuerin hat innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO Wiedereinsetzung beantragt und die versäumte Prozesshandlung nachgeholt.
2. Zu Recht macht die Revision geltend, dass die mangelnde Prozessfähigkeit der Beklagten der Zulässigkeit der gegen sie erhobenen Klage nicht entgegensteht.
a) Zwar führt die Klagezustellung an eine Partei, die im Zeitpunkt der Zustellung nicht prozessfähig oder deren Prozessfähigkeit für diesen Zeitpunkt nicht feststellbar ist, nicht zu einer wirksamen Erhebung der Klage. Fehlende Sachurteilsvoraussetzungen können jedoch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nachgeholt werden. Das Gericht ist darüber hinaus auch verpflichtet, den Parteien Gelegenheit zur Behebung von Verfahrensmängeln zu geben. Dies gilt auch dann, wenn der Mangel darauf beruht, dass die beklagte Partei prozessunfähig ist und deshalb der gesetzlichen Vertretung bedarf (BGH, Urteil vom 9. April 1986 - IVb ZR 10/85, NJW-RR 1986, 1119, unter II 2). Der in der fehlenden Prozessfähigkeit der Beklagten liegende Verfahrensmangel ist durch die am 11. Juli 2005 erfolgte Bestellung von Rechtsanwältin M. zur Betreuerin der Beklagten behoben worden.
b) Der Revision ist ferner darin beizupflichten, dass die fehlende Zustellung der Klageschrift an die gesetzliche Vertreterin der Beklagten einer Sachentscheidung des Berufungsgerichts nicht entgegengestanden hat. Der Verfahrensmangel der fehlenden Klagezustellung wird durch rügelose Einlassung gemäß § 295 ZPO geheilt (BGHZ 25, 66, 72 ff., BGH, Beschluss vom 21. Dezember 1983 - IVb ZB 29/82, NJW 1984, 926, unter II 2; BGH, Urteil vom 8. Februar 1996 - IX ZR 107/95, NJW 1996, 1351, unter 3 b). Die Beklagte ist hier bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht am 21. Dezember 2005 - ebenso wie in den folgenden Verhandlungsterminen und im Berufungsrechtszug - durch Rechtsanwältin M. als amtlich bestellte Betreuerin wirksam vertreten worden. Spätestens durch die am 21. Dezember 2005 erfolgte rügelose Verhandlung der Betreuerin zur Sache sind auch etwaige Mängel der Klagezustellung nach § 295 ZPO geheilt worden. Das Berufungsgericht hätte deshalb die Klage als zulässig behandeln und in der Sache entscheiden müssen.
III. Da die Revision Erfolg hat, ist das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die nicht entscheidungsreife Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Fundstellen