Entscheidungsstichwort (Thema)
Mord
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hannover vom 6. Mai 1999 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern hierdurch erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er eine Verfahrensrüge erhebt und die Verletzung sachlichen Rechts geltend macht. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Nach den Feststellungen lernte der Angeklagte, der seit 1981 in Deutschland lebt, 1987 A. kennen, die er im Februar 1988 heiratete und mit der er eine im Dezember 1988 geborene gemeinsame Tochter hat. Nach anfänglich harmonischem Verlauf kam es ab Anfang der neunziger Jahre zunehmend zu Spannungen in der Ehe, vor allem weil der Angeklagte aggressiv wurde und mit körperlicher Gewalt gegen seine Ehefrau vorging, die sich deshalb mehrfach in ärztliche Behandlung begeben mußte. Sie ließ sich im September 1992 von ihm scheiden. Wegen des großzügig eingeräumten Besuchs- und Umgangsrechts des Angeklagten mit der gemeinsamen Tochter, kam es zu häufigen, auch intimen Kontakten der geschiedenen Eheleute, die der Angeklagte seiner zweiten Ehefrau, die er im Mai 1993 geheiratet hatte, verschwieg. Die Beziehung zwischen dem Angeklagten und A. verlief in den folgenden Jahren ambivalent, weil es einerseits zwar häufige Kontakte gab, die auch dazu führten, daß beide Anfang 1997 einen Neuanfang planten, andererseits A. Angst vor dem Angeklagten empfand, der sich in ihren Augen nicht geändert hatte und nach wie vor gewalttätig war. Nach einem gemeinsamen Urlaub in der Türkei im Mai 1998 war A. von dem Ergebnis enttäuscht. Das Verhältnis zwischen beiden kühlte ab und man sah sich nur noch wenig. Am 7. Juli 1998 erklärte A. dem Angeklagten, daß sie ihre Beziehung endgültig beenden wolle, als Begründung gab sie an, sie wolle seine zweite Ehe nicht zerstören.
Der Angeklagte war nicht bereit, diese Entscheidung zu akzeptieren. Am Vormittag des 11. Juli 1998 kaufte er sich für 1.100 DM auf dem Flohmarkt in H. eine Pistole der Marke „Firestar”, Kaliber 9 mm, im Preis inbegriffen waren drei Schuß Munition. Gegen zusätzliche Bezahlung angebotene weitere Munition lehnte der Angeklagte ab. Später am Tag traf er sich in einer Gaststätte mit A., die sich trotz ihrer Angst vor dem Angeklagten dazu bereiterklärt hatte, weil sie hoffte, ihn dazu bewegen zu können, daß er ihre Trennungsentscheidung akzeptieren werde. Dies gelang ihr nicht. Am folgenden Tag, Sonntag den 12. Juli 1998, rief der Angeklagte A. morgens an und bat noch einmal um ein Treffen mittags am Maschsee. A. sagte zu und brachte zu dem Treffen ihre gemeinsame Tochter mit. Der Angeklagte nahm, anders als am Vortag, zu diesem Treffen seine mit drei Schuß Munition geladene Pistole mit. Er hatte vor, A. damit zu bedrohen und zu zwingen, zu ihm zurückzukommen; für den Fall, daß A. erneut ablehnen würde, hatte er vor, sie zu töten. Gegen 13 Uhr traf man am Maschsee zusammen. Nachdem A. noch eine Tasche mit Kleidungsstücken übergeben hatte, die der Angeklagte zunächst zu seinem Auto brachte, gingen beide am Ufer des Sees entlang, die gemeinsame Tochter folgte im Abstand von wenigen Metern. Während des Gesprächs, bei dem der Angeklagte A. aufforderte, zu ihm zurückzukehren und dabei – von A. unbemerkt – mehrfach die im Hosenbund steckende Pistole leicht herauszog und wieder wegsteckte, gab A. klar zu verstehen, daß ihre Beziehung nicht wieder aufleben würde. Als sie jede weitere Diskussion mit den Worten „wenn Du wieder darüber redest, gehe ich sofort weg und zu meiner Schwester” ablehnte, zog der Angeklagte für A. völlig überraschend seine Waffe und gab aus einer Entfernung von zwei bis fünf Metern drei Schüsse auf sie ab, um sie zu töten. A. brach tödlich getroffen zusammen und verstarb innerhalb kürzester Zeit. Der Angeklagte entfernte sich zunächst vom Tatort; auf das Schreien seiner Tochter kehrte er zurück, hielt den Kopf von A., weinte und rief um Hilfe. In der Nähe befindliche Ruderer eilten herbei und die von Passanten gerufene Polizei traf in Kürze am Tatort ein. Auf dem Weg in das Polizeipräsidium und dort selbst äußerte der Angeklagte mehrfach, zunächst ungefragt, daß er seine geschiedene Frau getötet habe und dies bereits vor dem Treffen für den Fall beabsichtigt habe, daß A. nicht wieder zu ihm zurückkehren wolle.
Das Landgericht hat die Tat des die Tötungsabsicht bestreitenden Angeklagten als heimtückisch begangenen Mord gewertet und – sachverständig beraten – ihm als nicht ausschließbar eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit zugute gehalten, und zwar aufgrund einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung infolge einer wachsenden affektiven Spannung vor der Tat, aus der heraus er die Tat begangen habe.
2. Die Revision zeigt zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler auf.
a) Der Angeklagte macht mit seiner Verfahrensrüge geltend, das Landgericht habe seine Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO dadurch verletzt, daß es den Sachverständigen Professor Dr. V. nicht dazu gefragt habe, welche Folgen die affektive Spannung des Angeklagten auf seine Fähigkeit, die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers zu erkennen und auszunutzen, gehabt habe. Wenn aber dennoch davon ausgegangen werden müsse, daß der Sachverständige auch zur subjektiven Seite des Mordmerkmals der Heimtücke befragt worden sei, habe das Landgericht gegen § 261 StPO verstoßen, weil dieses wichtige Beweisergebnis im Urteil keine Erwähnung finde und deshalb übergangen worden sei. Die auf § 244 Abs. 2 StPO gestützte Rüge ist unzulässig, weil sie auf die Beanstandung hinausläuft, das Landgericht habe ein Beweismittel nicht voll ausgeschöpft. Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe zudem ohne weiteres, wie bereits der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, daß die geistige Verfassung des Angeklagten vor bzw. bei der Tat und insbesondere auch die subjektive Seite der Heimtücke Gegenstand der Erörterungen in der Hauptverhandlung waren. Daß sich das Urteil nicht zu einer von der Wertung des Landgerichts abweichenden Auffassung des Sachverständigen Professor Dr. V. verhält, liegt möglicherweise daran, daß der Sachverständige nur bei seinem – vorläufigen – schriftlichen Gutachten zur in diesem Zusammenhang relevanten Tatvorgeschichte von anderen Tatsachen ausgegangen ist, als das Landgericht aufgrund der Hauptverhandlung festgestellt hat, und die dann auch der Sachverständige anders bewertet haben kann als in seinem vorläufigen schriftlichen Gutachten.
b) Auch die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei dargelegt, warum es davon überzeugt ist, daß A. zum Zeitpunkt der Tat arg- und wehrlos war, und daß der Angeklagte dies trotz seiner erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit erkannt hat und sich bewußt war, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. zu den Voraussetzungen des sog. Ausnutzungsbewußtseins BGHSt 6, 120, 121 f.; 11, 139, 144; BGHR StGB § 211 II Heimtücke 26 m.w.Nachw.). Denn nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung hindert einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen (BGH NStZ 1984, 20, 21 m.w.Nachw.). Es bedarf zwar dann in der Regel der Darlegung der Beweisanzeichen, aus denen der Tatrichter folgert, daß der Täter trotz seiner Erregung die für die Heimtücke maßgeblichen Umstände in sein Bewußtsein aufgenommen hat. Das hat das Landgericht jedoch getan. Es hat aus dem vom Angeklagten gegenüber den Polizeibeamten im Ermittlungsverfahren eingeräumten und deshalb auch festgestellten Umstand, daß er während des Gesprächs mit A. von dieser unbemerkt die Waffe mehrfach leicht aus dem Hosenbund gezogen und wieder weggesteckt hatte, gefolgert, daß er in der Lage war, die Situationen zu erfassen und abzuwägen, um den günstigsten Zeitpunkt für die Ausführung der beabsichtigten Tat zu bestimmen. Deshalb wirkt sich die weitere Erwägung des Landgerichts, daß der Angeklagte sich „auch lediglich in einem Zustand befunden hat, in dem nicht ausgeschlossen werden konnte, daß seine Schuldfähigkeit beeinträchtigt gewesen ist” (UA S. 24) hier nicht zum Nachteil des Angeklagten aus, weil es in diesem Zusammenhang nicht auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen der rechtlichen Voraussetzungen einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB ankommt, sondern darauf, ob und gegebenenfalls welche tatsächlichen Auswirkungen die affektive Erregung auf die Erkenntnisfähigkeit des Angeklagten in der Tatsituation und auf sein Bewußtsein hatte. Eine in diesem Sinne relevante tatsächliche Beeinträchtigung des Ausnutzungsbewußtseins des Angeklagten hat das Landgericht, gestützt auf objektive Umstände vor und bei der Tatausführung, rechtsfehlerfrei verneint; hinzu kommt, daß es sich nicht um eine spontane, sondern um eine vorbedachte und vorbereitete Tat gehandelt hat.
3. Auch der Strafausspruch hält im Ergebnis rechtlicher Überprüfung stand.
Das Landgericht hat bei der Zumessung der Strafe innerhalb der nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafdrohung des § 211 StGB im Rahmen der Darlegung der straferschwerenden Strafzumessungsgründe ausgeführt, es müsse weiter bedacht werden, „daß lediglich nicht ausgeschlossen werden konnte, daß er im Tatzeitpunkt erheblich vermindert (schuldfähig) im Sinne des § 21 StGB gewesen ist” (UA S. 28). Dies beanstandet die Revision letztlich ohne Erfolg.
Zwar ist es anerkannt, daß es – jedenfalls bei der Strafrahmenwahl – rechtsfehlerhaft ist, der erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit deswegen ein geringeres Gewicht beizumessen, weil sie nicht erwiesen ist, sondern nach dem Zweifelssatz lediglich unterstellt wurde oder nicht sicher ausgeschlossen werden konnte (BGH bei Holtz MDR 1986, 622; BGHR StGB § 21 in dubio pro reo 1 und Strafrahmenverschiebung 4, 17), denn auch in den Fällen, in denen unter Anwendung des Zweifelssatzes von einem bestimmten Sachverhalt auszugehen ist, ist dieser Sachverhalt bei der rechtlichen Würdigung von der gleichen Bedeutung, wie ein zur Überzeugung des Gerichts festgestellter. Das Landgericht hat die erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit auch insoweit korrekt gehandhabt, als es die Strafdrohung des § 211 StGB von lebenslanger Freiheitsstrafe gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert hat, so daß ihm ein Strafrahmen von drei Jahren bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe für die eigentliche Strafzumessung zur Verfügung stand. Unter diesen Umständen kommt einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit oder einem anderen vertypten Milderungsgrund bei der konkreten Straffindung im Zusammenhang mit den übrigen, ebenfalls zu würdigenden Strafzumessungsgründen nach der ständigen Rechtsprechung aber nur noch eine geringere Bedeutung zu (vgl. BGHSt 26, 311; BGH NStZ 1984, 548; BGHR StGB § 50 Strafhöhenbemessung 2 bis 5; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 50 Rdn. 2 c). Als strafzumessungsrelevanter Umstand kommt bei der im Rahmen der Strafhöhenbemessung vorzunehmenden Gesamtwürdigung dann nicht mehr das abstrakt-rechtliche Wertungsergebnis als solches, daß z. B. die Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert ist oder die Tat nur versucht wurde, in Betracht. Von Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die jeweiligen konkret-tatsächlichen Besonderheiten, etwa einer Versuchstat (BGHR StGB § 46 II Gesamtbewertung 5) oder die den jeweiligen vertypten Milderungsgrund näher konkretisierenden Tatumstände. Im Zusammenhang mit einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB ist es für die konkrete Strafzumessung als zulässig – weil bedeutsam für ihr Gewicht – erachtet worden zu erwägen, ob sie mehr oder weniger verschuldet ist (BGHSt 26, 311, 312) oder welchen Grad sie erreicht hat (BGH NStZ 1984, 548; 1992, 538; Stree in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 46 Rdn. 49 m.w.Nachw.).
Eine solche Gewichtung hat das Landgericht der Sache nach mit seinen möglicherweise mißverständlichen Wendungen vorgenommen. Es hat die verminderte Steuerungsfähigkeit infolge der affektiven Spannung und Erregung des Angeklagten als gerade noch die Erheblichkeitsschwelle der §§ 20, 21 StGB überschreitend gewertet und ihr deshalb bei der Strafzumessung gegenüber den näher dargelegten Straferschwerungsgründen, insbesondere den Folgen der Tat für das Kind, das diese miterlebt hatte, nur noch eine geringe Bedeutung beigemessen. Allerdings hätte es angesichts der getroffenen Feststellungen, vor allem zur Vorbereitung der Tat, eher nahegelegen, der – vom Angeklagten verschuldeten – affektiven Spannung und seinem Erregungszustand schon die Qualität einertiefgreifenden Bewußtseinsstörung abzusprechen (vgl. zu den Voraussetzungen u.a. BGH NStZ 1984, 259; 1990, 231; Theune NStZ 1999, 273) und die rechtlichen Voraussetzungen des § 21 StGB zu verneinen; die Erheblichkeit einer Beeinträchtigung im Sinne des § 21 StGB ist eine Rechtsfrage und vom Tatrichter in eigener Verantwortlichkeit zu beanworten (vgl. BGHSt 43, 66, 77 m.w.Nachw.).
Unterschriften
Kutzer, Rissing-van Saan, Miebach, Winkler, von Lienen
Fundstellen
Haufe-Index 556749 |
NStZ-RR 2000, 166 |