Verfahrensgang

KG Berlin (Entscheidung vom 18.03.1958)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Kammergerichts vom 18. März 1958 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin hatte gegen die Beklagte eine nach Grund und Betrag unstreitige Forderung von mindestens 1.383,11 DM. Die Beklagte hat gegen diese Forderung mit einem Anspruch aufgerechnet, der ihr nach ihrer Auffassung aus einer von der Klägerin übernommenen Bürgschaft zusteht. Die Parteien streiten über die Berechtigung dieser von der Beklagten zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung. Mit ihr hat es folgende Bewandtnis:

Die Klägerin und zwei ihr angeschlossene Gesellschaften betrieben in Oberschlesien Steinkohlengruben. Sie hatten sich mit der Gräflich Scha.'schen Werke GmbH und der Fürst von D.'schen Bergwerksdirektion zu einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossen, die den Absatz der gemeinsamen Erzeugnisse besorgte. Diese Interessengemeinschaft hatte mit bestimmten Werkshändlern Bezugsverträge abgeschlossen.

Am 1. April 1940 übernahm die Oberschlesische Steinkohlensyndikat GmbH, die Beklagte, den alleinigen Verkauf an die Brennstoffhändler. Der Absatz geschah nunmehr in der Weise, daß die Zechen ihre Werkshandlungen benannten, denen die Beklagte bestimmte Mengen weiterzuverkaufen hatte. Die oben genannte Interessengemeinschaft bezeichnete als ihre Werkshändlerin u.a. die Firma Be., K. & Co in B., die darauf von der Beklagten beliefert wurde. Die Mitglieder der Interessengemeinschaft übernahmen für diese Firma gegenüber der Beklagten die selbstschuldnerische Bürgschaft für alle Forderungen, die der Beklagten aus jener Geschäftsverbindung erwachsen würden.

Außer an die Werkshändler der Zechen verkaufte die Beklagte Grubenerzeugnisse auch an freie Händler. Zu ihnen gehörte u.a. die Firma Bec. & Sohn in Br.; die Mitglieder der Interessengemeinschaft und damit auch die Klägerin übernahmen ebenfalls für diese Firma am 12. Oktober 1940 die selbstschuldnerische Bürgschaft.

Am 1. April 1942 schieden die Klägerin und die ihr angeschlossenen Gesellschaften aus der Interessengemeinschaft aus und benannten der Beklagten andere Werkshändler, für die sie erneut die Bürgschaft übernahmen.

Die Beklagte lieferte auch nach diesem Zeitpunkt Grubenerzeugnisse an Bec. & Sohn; sie erhielt jedoch keine volle Bezahlung, so daß eine auf 6.915,56 DM umgestellte Restschuld dieser Firma verblieb. Die Beklagte hat für diesen Ausfall die Mitglieder der früheren Interessengemeinschaft aus der Bürgschaft vom 12. Oktober 1940 in Anspruch genommen; auf die Klägerin entfiel hiervon ein Betrag von 1.383,11 DM. Mit dieser Forderung hat die Beklagte gegen den der Klägerin unstreitig in gleicher Höhe zustehenden Anspruch aufgerechnet.

Die Klägerin erkennt die Berechtigung der Beklagten zur Aufrechnung nicht an, weil sie der Ansicht ist, daß sie aus der Bürgschaft nicht mehr hafte. Sie macht in erster Linie geltend, daß sie von der Beklagten aus ihrer Verpflichtung entlassen worden sei. Hilfsweise beruft sie sich darauf, daß durch ihr. Aus scheiden aus der Interessengemeinschaft und die Benennung anderer Werkshändler dis Geschäftsgrundlage für die Bürgschaft weggefallen sei. Die Firma Bec. & Sohn habe "zum Interessenkreis" der früheren Werkshändlerin der Klägerin, Be., K. & Co., gehört; mit der Lösung der Beziehungen zu dieser seien auch die Bindungen zu Bec. & Sohn entfallen.

Die Klägerin hat daher die Bezahlung ihrer im Übrigen unstreitigen Forderung in Höhe von 1.383,11 DM nebst Zinsen verlangt.

Die Beklagte bittet um Abweisung der Klage. Sie bestreitet, daß sie die Klägerin aus der Bürgschaft für Bec. & Sohn entlassen habe. Nach ihrer Auffassung ist die Geschäftsgrundlage für die Bürgschaftsübernahme durch die Benennung neuer Werkshändler seitens der Klägerin unberührt geblieben.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Kammergericht hat sie abgewiesen.

Mit der von dem Kammergericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte bittet um Zurückweisung des Rechtsmittels.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Kammergericht stellt fest, daß die Klägerin am 12. Oktober 1940 die selbstschuldnerische Bürgschaft für alle Forderungen übernommen hat, die der Beklagten aus der Geschäftsverbindung mit der Firma Bec. & Sohn zustehen würden. Die Bürgschaftserklärung habe den Zusatz enthalten, daß sie auch bei einem etwaigen Wechsel der Inhaber oder der Rechtsform der Hauptschuldnerin unverändert in Kraft bleiben sollte (S. 2 d. Urteils). Eine Beschränkung der Bürgschaft auf die Dauer der Vertragsbeziehungen zwischen der Klägerin und der Firma Bec. & Sohn sei nicht vereinbart worden (S. 8/9 d. Urteils).

Die Revision wendet sich gegen diese Feststellungen mit dem Hinweis, daß die Klägerin den Inhalt der Bürgschaftserklärung mit Schriftsatz vom 7. September 1957 bestritten habe. Sie meint, das Kammergericht hätte ihn deswegen nicht S. 8/9 des Urteils als unstreitig bezeichnen dürfen.

Die Rüge geht fehl. Die Feststellung des Berufungsgerichts, daß der maßgebende Inhalt der Bürgschaft zwischen den Parteien nicht mehr streitig gewesen ist, bindet das Revisionsgericht (§314 ZPO). Einen Berichtigungsantrag nach §320 ZPO hat die Klägerin nicht gestellt.

Das Kammergericht konnte mit Recht davon ausgehen, daß die Klägerin an ihrem Bestreiten nicht festhalten oder es mindestens nicht auf die hier wesentliche Frage bezogen wissen wollte, ob die Bürgschaft zeitlich beschränkt war. Denn die ganzen Erörterungen der Parteien im zweiten Rechtszuge über den Wegfall der Geschäftsgrundlage hätten sich erübrigt, wenn eine solche Beschränkung ausdrücklich vereinbart worden wäre. Es hätte danach mindestens eines Hinweises der Klägerin bedurft, daß es sich insoweit nur um Hilfserwägungen handeln sollte.

II.

Wie das Kammergericht weiter feststellt, hat die Klägerin nicht bewiesen, daß ihre Bürgschaftsverpflichtung durch vertragliche Vereinbarung aufgehoben worden ist.

Die Revision macht demgegenüber geltend, das Berufungsgericht habe dem Prüfungsbericht, den die Treuhandgesellschaft über den Jahresabschluß der Klägerin für 1943 erstattet habe und in dem die Bürgschaft für Bec. & Sohn nicht mehr aufgeführt worden sei, keine hinreichende Bedeutung zuerkannt.

Auch diese Rüge ist unbegründet. Das Kammergericht befaßt sich mit dem Prüfungsbericht; es hält seinen Inhalt aber nicht für ausreichend, um eine vertragliche Aufhebung der Bürgschaft darzutun. Diese Beurteilung liegt auf tatsächlichem Gebiet und bindet das Revisionsgericht. Die Angriffe der Beschwerdeführerin richten sich insoweit allein gegen die aus Rechtsgründen nicht zu beanstandende Beweiswürdigung des Berufungsgerichts.

III.

Das Kammergericht ist - entgegen der Auffassung des Landgerichts - der Ansicht, daß die Geschäftsgrundlage für die Bürgschaft nicht dadurch weggefallen ist, daß die Klägerin im Jahre 1943 ihre Beziehungen zu der Firma Be., K. & Co. gelöst hat. Es führt hierzu unter Verweisung auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts aus:

Die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage seien auf eine Bürgschaft nur dann anwendbar, wenn die Geschäftsgrundlage "bedingungsähnlicher Vertragsbestandteil" geworden sei. Das sei hier nicht erwiesen. Die Hauptschuldner in Bec. & Sohn sei niemals Werkshändlerin der Klägerin gewesen. Hieraus und aus dem Inhalt der Bürgschaftserklärung sei zu entnehmen, daß sich mindestens die Beklagte nicht von der Vorstellung habe leiten lassen, die Bürgschaft solle entfallen, wenn die Klägerin ihre Beziehungen zu Be., K. & Co, lösen würde.

Dieser Beurteilung ist im Ergebnis zuzustimmen, ohne daß es eines Eingehens auf die Frage bedarf, welche besonderen Anforderungen zu stellen sind, um den Burgen wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage aus seiner Verbindlichkeit zu entlassen (vgl. insoweit RGZ 146, 376, 379 f; 158, 166, 172; 163, 91, 99).

1.)

Die Lösung eines Vertrags mit der Begründung, daß die Geschäftsgrundlage weggefallen sei, kann nur in Ausnahmefällen zugelassen werden. Es genügt nicht, daß wesentliche Umstände, die für die Entschliessung der Parteien maßgebend und beiden bekannt waren, sich grundlegend geändert haben. Vielmehr ist zusätzlich zu verlangen, daß dem betroffenen Teil die Erfüllung des Vertrags nach Treu und Glauben nicht mehr zugemutet werden kann (u.a. BGHZ 2, 177, 188 f; Urteil des Bundesgerichtshofs vom 29. Januar 1957 - VIII ZR 204/56 = BB 1957, 196).

Für die Frage der Zumutbarkeit in diesem Sinne kann es von entscheidender Bedeutung sein, ob der Klägerin andere Möglichkeiten offenstanden, mit deren Hilfe sie sich von ihrer Haftung befreien konnte. Denn wenn dies der Fall gewesen sein sollte, dann wäre sie nach Treu und Glauben gehalten gewesen, in erster Linie auf diese Rechtsbehelfe zurückzugreifen. Hat sie dies versäumt, so kann sie nicht die Befreiung von ihrer Verbindlichkeit unter Hinweis auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage verlangen; denn die Lage, in die sie geraten ist, ist dann nicht auf eine solche Änderung der Verhältnisse, sondern vorwiegend auf ihre eigene Unterlassung zurückzuführen (vgl. hierzu BGH LM §242 Bb Nr. 15). Aus den gleichen Erwägungen hat der erkennende Senat in dem Urteil vom 11. April 1957 - VII ZR 280/56 - ausgesprochen, daß bei einem Dienstvertrag für den Einwand des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in der Regel kein Raum ist, weil die Beteiligten gemäß §626 BGB die Möglichkeit haben, den Vertrag aus wichtigem Grund zu kundigen.

2.)

Das Kammergericht hat zwar den Sachverhalt nicht nach diesen Grundsätzen geprüft. Seine Feststellungen ergeben aber, daß sich die Klägerin durch Kündigung von ihrer Bindung hatte befreien können.

Sie hatte sich zwar diese Befugnis nicht ausdrücklich vorbehalten; trotzdem hätte ihr ein solches Recht nicht versagt werden können. Auch dem Bürgen, der es auf unbestimmte Zeit übernommen hat, für den einem Dritten öffneten Kredit einzustehen, muß, wie bei jedem zeitlich nicht begrenzten Dauerschuldverhältnis, nach Treu und Glauben das Recht zugestanden werden, die Bürgschaft nach Ablauf eines gewissen Zeitraums oder bei Eintritt besonders wichtiger Umstände mit Wirkung für die Zukunft zu kündigen (vgl. u.a. RG JW 1911, 447; Warn 1913, 289; 1914, 158; RGRK §765 Anm. 1 c). Hierbei wird er zwar auf die berechtigten Interessen sowohl des Gläubigers wie auch des Hauptschuldners Rücksicht zu nehmen und eine angemessene Frist einzuhalten haben, damit diese sich auf die veränderte Lage einstellen können. Das Kündigungsrecht als solches kann ihm aber nicht genommen werden.

Von dieser Kündigungsmöglichkeit hätte die Klägerin auch vorliegend Gebrauch machen können, als sich herausstellte, daß ihr Interesse an der Belieferung der Firma Bec. & Sohn durch die Beklagte geschwunden war. Nach den Feststellungen des Kammergerichts ist jedoch nicht erwiesen, daß sie dies getan hat. Auch in der Benennung neuer Werkshändler durch die Klägerin kann - entgegen der von ihr in der mündlichen Verhandlung vor dem Revisionsgericht vertretenen Ansicht - keine solche Kündigung erblickt werden. Denn dieser Wechsel bezog sich nur auf die Werkshändler selbst. Sollte er auch die freie Händlerin Bec. & Sohn betreffen, so hätte die Klägerin dies eindeutig zum Ausdruck bringen müssen. Das gilt umsomehr, als die Firma Bec. & Sohn von der Beklagten, wie sich aus deren insoweit unstreitigen Geschäftsbericht vom 31. Dezember 1941 (S. 8/9) ergibt, auf Wunsch des Reichswirtschaftsministers, nicht jedoch auf Verlangen der Klägerin beliefert wurde.

Bei einer solchen Sach- und Rechtslage ist es der Klägerin von vornherein verwehrt, sich auf einen etwaigen Wegfall der Geschäftsgrundlage zu berufen, wie bereits dargelegt worden ist. Die Beklagte konnte erwarten, daß sie von der Klägerin auf eine etwaige Beendigung der Bürgschaft hingewiesen wurde. Geschah dies nicht, so konnte sie sich darauf verlassen, daß deren Haftung fortdauerte. Gerade die Grundsätze von Treu und Glauben, die allein die Befreiung von einer Verbindlichkeit wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage rechtfertigen können, verbieten es daher der Klägerin, sich auf die angeblich veränderten Umstände zu berufen.

Da ihrem Vorbringen auch nicht zu entnehmen ist, daß etwa ihre Verpflichtung in entsprechender Anwendung des §777 BGB von vornherein zeitlich begrenzt gewesen ist, hat das Kammergericht ihre Haftung zutreffend bejaht.

IV.

Die Revision macht schließlich geltend, die Beklagte könne gemäß §§82, 85 BVFG von der Firma Bec. & Sohn als Hauptschuldnerin keine Zahlung mehr verlangen. Demnach sei, so meint sie, nach §768 BGB auch die Verpflichtung der Klägerin als Bürgin entfallen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Bürge das Recht hat, sich auf eine solche Beschränkung der Hauptschuld zu berufen. Denn die Klägerin kann hiermit gemäß §561 ZPO in diesem Rechtszuge nicht mehr gehört werden.

Aus dem unstreitigen Parteivorbringen ergibt sich zwar, daß die Firma Bec. & Sohn ihren Sitz in den in §1 BVFG bezeichneten Gebieten gehabt hat, und daß die Schuld vor der Vertreibung begründet worden ist. Zur Anwendung der §§82 ff BVFG hätte es aber weiter der Behauptung und des Nachweises bedurft, welche Rechtsform die Hauptschuldnerin gehabt, ob und wann sie ihren Sitz in die Bundesrepublik oder nach Westberlin verlegt hat (§85 BVFG) oder wer sonst für die Verbindlichkeiten dieser Firma persönlich haftete. Auch hinsichtlich dieses persönlich haftenden Gesellschafters hätte im einzelnen dargetan werden müssen, daß er die Voraussetzungen der §§9 ff BVFG erfüllte. Das ist in den Tatsacheninstanzen nicht geschehen. Das Fehlende kann im Revisionsrechtszug nicht mehr nachgeholt werden.

V.

Die Revision der Klägerin ist daher mit der sich aus §97 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3018563

DB 1959, 789 (Kurzinformation)

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