Leitsatz (amtlich)
a) Die von der Witwe eines getöteten sozialversicherten Altersrentners bezogene Witwenrente ist auf ihren Unterhaltsschaden nicht anzurechnen (Bestätigung von BGHZ 9, 179).
b) Der gesetzliche Forderungsübergang nach § 1542 RVO hängt nicht davon ab, ob auch dem Sozialversicherungsträger ein Schaden entstanden ist.
Normenkette
RVO § 1542; BGB § 844 Abs. 2
Verfahrensgang
OLG Hamm (Urteil vom 14.05.1969) |
LG Paderborn |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 14. Mai 1969 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision fallen den Beklagten zur Last.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin nimmt gegen die Beklagten als Halter und Fahrer des bei einem Verkehrsunfall vom 1. Mai 1968 beteiligten Personenkraftwagens Rückgriff. Der bei der Klägerin sozialversicherte Rentner Aloysius R. war durch den vom Zweitbeklagten allein verschuldeten Unfall getötet worden. Er war am 30. Juli 1890 geboren und bezog eine Altersruhegeldrente von monatlich 1.060,10 DM. Die Klägerin zahlt seiner am … 1893 geborenen Ehefrau eine Witwenrente von monatlich 623,40 DM. Der eingeklagte Betrag von 2.597,25 DM betrifft den Zeitraum vom 1. Juni bis 30. September 1968.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Witwe habe durch den Tod ihres Ehemannes den gegen ihn gerichteten Unterhaltsanspruch verloren. Sie geht davon aus, daß der Unterhaltsanspruch der Witwe wegen deren Hilfsbedürftigkeit und Gehunfähigkeit mit 50 v.H. des Renteneinkommens des Getöteten anzusetzen sei. Dieser Schadensersatzanspruch sei nach §§ 77 Abs. 2 AVG, 1542 RVO insoweit auf die Klägerin übergegangen, als sie der Witwe Leistungen zu gewähren habe.
Die Beklagten sind demgegenüber der Meinung, es liege kein übergangsfähiger Schadensersatzanspruch vor. Die Witwenrente gründe sich auf die vom Sozialversicherten geleisteten Beiträge, so daß es sich nicht um einen selbständigen Anspruch handele.
Die Beklagten haben Klageabweisung und widerklagend die Feststellung begehrt, daß der Klägerin auch über die mit der Klage geltend gemachten Beträge hinaus keinerlei Ansprüche gegen die Beklagten zustehen.
Beide Instanzen haben der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihre erstinstanzlichen Anträge weiter.
Entscheidungsgründe
I. Ohne Rechtsirrtum und von der Revision nicht angegriffen, geht das Berufungsgericht davon aus, daß der Getötete während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens zur Gewährung des Unterhalts in der geltend gemachten Höhe an seine Ehefrau nach §§ 1360, 1360 a BGB verpflichtet gewesen sein würde. Deshalb ist der Witwe nach §§ 7 Abs. 1, 10 Abs. 2 StVG, 823, 844 Abs. 2 BGB ein Anspruch gegen die Beklagten auf Ersatz des Unterhaltsschadens entstanden. Das Berufungsgericht steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf dem Standpunkt, daß dieser Unterhaltsschaden nicht deshalb zu verneinen ist, weil die Klägerin der Witwe eine Witwenrente gewährt. Der Bundesgerichtshof hat in der Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen vom 30. März 1953 – GSZ 1 – 3/53 (BGHZ 9, 179 = LM RVO § 1542 Nr. 4 mit Anm. Delbrück = NJW 1953, 821 = VersR 1953, 229) folgenden Standpunkt vertreten:
Der Unterhaltsschaden der Witwe bei Tötung des Ehemanns entfällt im Rechtssinn nicht dadurch, daß ihr zugleich ein Anspruch auf Zahlung der Witwenrente gegen den Sozialversicherungsträger (SVT) entsteht. Der Forderungsübergang nach § 1542 RVO setzt nicht voraus, daß dem Versicherungsträger ein Schaden entstanden ist; es ist deshalb gleichgültig, daß er ohne den Unfall mehr, nämlich eine höhere Invalidenrente, zu zahlen gehabt hätte. Aus den Gesetzesmaterialien zu den der Reichsversicherungsordnung vorausgegangenen Versicherungsgesetzen ergeben sich zwei vorrangige Gesichtspunkte: Der Schädiger soll trotz der Leistung der öffentlichen Versicherung weiter haften und der Verletzte soll nicht doppelt entschädigt werden. Dieses Ziel wird durch einen gesetzlichen Übergang des Schadensersatzanspruches des Betroffenen auf den Versicherungsträger nach § 1542 RVO bewirkt. Den Schädiger soll es nicht entlasten, wenn der von ihm angerichtete Schaden durch Leistungen der öffentlichen Versicherung ausgeglichen wird; denn diese Leistungen sind generell durch Arbeit und Beiträge verdient und in weiten Zweigen der Sozialversicherung nur mit erheblichen Zuschüssen des Staates, d.h. der Allgemeinheit möglich. § 1542 RVO liegt ein ähnlicher Gedanke zugrunde wie § 843 Abs. 4 BGB, wonach der Schadensersatzanspruch nicht dadurch ausgeschlossen wird, daß ein anderer dem Verletzten Unterhalt zu gewähren hat.
Diese Rechtsansicht ist vom erkennenden Senat und vom III. Zivilsenat wiederholt bestätigt worden (Urt. v. 25. Oktober 1960 – VI ZR 191/59 – VersR 1960, 1100; Urt. v. 30. Januar 1961 – III ZR 227/59 – VersR 1961, 437; Urt. v. 7. März 1961 – VI ZR 172/60 – VersR 1961, 539; Urt. v. 19. Februar 1962 – III ZR 217/60 – VersR 1962, 475; Urt. v. 4. Oktober 1963 – VI ZR 109/62 – VersR 1964, 94; Urt. v. 24. Mai 1966 – VI ZR 273/64 – VersR 1966, 779; Urt. v. 29. Oktober 1968 – VI ZR 280/67 – VersR 1968, 1182; Urt. v. 27. Oktober 1970 – VI ZR 47/69 – VersR 1971, 149 = BGHZ 54, 377). Auch bat sie in § 4 des Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgeltes im Krankheitsfalle und über Änderungen des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung (Lohnfortzahlungsgesetz) vom 27. Juli 1969 (BGBl I 946) erneut ihren Niederschlag gefunden. Sie ist allerdings auf den Widerspruch eines Teiles des Schrifttums gestoßen (vgl. zum Meinungsstand: Zeuner in Soergel, BGB 10. Aufl. § 843 Rdz. 22; Neumann – Duesberg VersR 1968, 709; Cantzler AcP 156, 29 ff.; Seitz, Ersatzansprüche der SVT nach §§ 640, 1542 RVO 2. Aufl. S. 148 – H 38 – ff.; Marschall von Bieberstein, Reflexschäden und Regreßrechte 1967 Kap. 7 IV). Ihre Gegner verneinen zum Teil bereits den Eintritt eines Unterhaltsschadens in der Person der Witwe; andere lehnen nur den in § 1542 RVO gesetzlich angeordneten Übergang der Schadensersatzforderung der Witwe auf den SVT mit der Begründung ab, der Forderungsübergang sei lediglich das rechtstechnische Mittel, einen beim SVT eingetretenen Schaden ersetzen zu lassen; fehle es im Einzelfall an einem Schaden des SVT, dann entfalle der dem § 1542 RVO zugrundeliegende Zweck und damit bereits die Anwendung dieser Vorschrift. Bei Zugrundelegung der von diesem Teil der Gegenmeinung befürworteten wirtschaftlichen Betrachtungsweise, so wird weiter gefolgert, werde der SVT aber nicht geschädigt, denn infolge des Todes eines Altersrentners brauche er nur noch die niedrigere, wirtschaftlich in der Altersrente bereits enthalten gewesene Witwenrente zu zahlen.
II. Diese Meinungen geben keinen Anlaß, die bisherige Rechtsprechung zu ändern.
1. Was die erste Frage betrifft (ob die Witwe des Altersrentners einen Schaden im Rechtssinne erleidet), so liegt die in BGHZ 9, 179, 186 gefundene Lösung in der Linie anderer Entscheidungen, die sich mit der Frage der Vorteilsausgleichung im Falle der Leistung Dritter an den Geschädigten befassen. Die Vorteilsausgleichung will verhindern, daß dem Geschädigten nach Behebung des Schadens Vorteile verbleiben, die ohne das schädigende Ereignis nicht eingetreten wären (Esser MDR 1957, 522). Sie muß die gesamte Rechtslage berücksichtigen, wie sie durch den Unfall zwischen dem Schädiger, dem Geschädigten und dem leistenden Dritten besteht (BGHZ 8, 325, 329; 10, 107, 108). Im allgemeinen hat der Schädiger nach dem Willen der Rechtsordnung die Folgen seiner Tat zu tragen; nur ausnahmsweise soll er durch Vorteile, die der Geschädigte erlangt, entlastet werden. Es muß als ein im bürgerlichen Recht auch sonst zum Ausdruck gelangter Grundsatz angesehen werden, daß für die Wirkung einer Leistung in erster Linie auf die ihr vom Leistenden beigelegte Zweckrichtung abzustellen ist (§ 366 BGB). Hierauf ist auch in dem vorliegenden Zusammenhang zutreffend mit der Begründung hingewiesen worden, daß der gesetzlichen Anordnung des Forderungsübergangs auf die SVT eine ähnliche Wertung zugrundeliegt (Esser, Schuldrecht 4. Aufl. S. 341, 342; Reimer. & Schmidt in Soergel a.a.O. §§ 249 – 253 Rdz. 64, 65). Die Heranziehung dieses Grundsatzes im Falle der Leistung eines Dritten an einen durch unerlaubte Handlung Unterhaltsgeschädigten entspricht auch durchaus dem Rechtsempfinden. Das ist, wie Wilburg (Iher. Jahrb. 82, 51, 76, 77) dargelegt hat, auch bereits vor Jahrzehnten von einer Reihe der angesehensten Rechtslehrer wie Rümelin, Heck, Rabel, Leonhard und Siber ausgesprochen worden. Treffend hat Heck diesen Grundsatz dahin formuliert: „Die Rechtsordnung hat keinen Anlaß, die Mißhandlung versicherter Leute günstiger anzusehen, als das gleiche Vorgehen gegen andere” (Grundriß des Schuldrechts § 15). Es ist deshalb nicht billig und nicht gerechtfertigt, die Rechtsfigur der Vorteilsanrechnung heranzuziehen, um über den Begriff des Schadens den Ersatzanspruch der Witwe dennoch zu Fall zu bringen.
Die Revision meint hierzu noch, wirtschaftlich betrachtet habe der Getötete – seiner Unterhaltspflicht gegenüber der Ehefrau entsprechend – die für die Witwenrente erforderlichen Beitragsteile schon zu Lebzeiten angesammelt.
Selbst wenn das richtig wäre, würde daraus für die vorliegende Frage nichts Gegenteiliges abzuleiten sein; denn auch die Rente, die der Witwe eines Freiberuflichen auf Grund der von diesem zu Lebzeiten aufgebrachten Leistungen auf privater Grundlage gezahlt wird, ist nicht im Wege der Vorteilsausgleichung auf den Unterhaltsschaden der Witwe anzurechnen. Im übrigen trifft es nicht zu, daß die für Witwenrenten erforderlichen Mittel im Rahmen der Sozialversicherung von den einzelnen Ehemännern oder auch nur von deren Gesamtheit allein aufgebracht würden. An der Aufbringung dieser Mittel sind vielmehr auch die unverheirateten Sozialversicherten beteiligt.
Der Revision kann auch nicht darin zugestimmt werden, wirtschaftlich betrachtet sei die Witwenrente bereits in der Altersrente enthalten gewesen und als der auf die Ehefrau entfallende Teil dieser Rente zu betrachten. Daß dies nicht zutrifft, ergibt sich schon daraus, daß die Witwenrente 60 v.H. der Altersrente beträgt und daß der Altersrentner seine Rente voll bezieht, wenn er allein steht.
2. Ist aber ein Unterhaltsschaden der Witwe eines getöteten sozialversicherten Altersrentners hiernach zu bejahen, so ergibt sich der Forderungsübergang auf den SVT aus § 1542 RVO, denn diese Vorschrift stellt nicht darauf ab, ob auch dem SVT ein Schaden entstanden ist, knüpft vielmehr nur an dessen Leistungspflicht an. Wenn demgegenüber in wirtschaftlicher Betrachtungsweise darauf hingewiesen wird, der SVT sei vermögensmäßig durch den Tod des Altersrentners sogar entlastet (so u.a. von Neumann-Duesberg a.a.O. und Seitz a.a.O.), so steckt darin das Anliegen, eine gesetzliche Vorschrift gegen ihren klaren Wortlaut einzuengen. Das ist nur statthaft, soweit der Wortlaut in dem fraglichen Teilbereich nicht mehr durch den Sinn des Gesetzes gedeckt wird. Das aber läßt sich für die hier zu beurteilende Fallgruppe – abweichend von dem im Urteil vom 27. Oktober 1970 – VI ZR 47/69 – vorgesehen für BGHZ 54, 377 = VersR 1971, 149 entschiedenen Fall – nicht feststellen.
Daß bei der Frage nach dem Sinn des Forderungsübergangs nicht auf den Einzelfall abgestellt werden darf, ergibt sich schon daraus, daß das System der Sozialversicherung, soweit es hier in Frage steht, auf die Sicherung einer ganzen Gruppe – der Witwen – ausgerichtet ist. Nun läßt sich zwar nicht bestreiten, daß auch in der Gruppe gesehen die Tötung verheirateter Altersrentner eine Entlastung des SVT bedeutet, da die Witwen auch in ihrer Gesamtheit weniger an Witwengeld erhalten als zuvor die Getöteten an Altersrenten. Die Meinung aber, der Vorteil des Wegfalls der Altersrenten müsse auf die Belastung des SVT durch die Witwenrente angerechnet werden, läuft der Sache nach auf eine Übertragung des im Schadensersatzrecht entwickelten Rechtsgedankens der Vorteilsausgleichung auf die Tragweite des gesetzlichen Forderungsüberganges und damit auf die beim SVT infolge der Tötung des Altersrentners eintretende Vermögenslage hinaus. Wenn man aber eine solche Übertragung. überhaupt für angängig halten wollte, müßten ihr dieselben Schranken gesetzt werden wie bei der unmittelbaren Anwendung im Bereich des Schadensbegriffs. Danach käme es entscheidend auf die Billigkeit einer solchen Anrechnung und ihre Vereinbarkeit mit dem Sinn des Forderungsüberganges an. Unter beiden Gesichtspunkten muß die Anrechnung jedoch verneint werden. Auch hier greift der bei der Frage nach dem Eintritt eines Unterhaltsschadens der Witwe herangezogene Gesichtspunkt durch, daß es nicht dem Sinn und Zweck der Sozialversicherungsbeiträge entspricht, mittelbar zur Entlastung der aus unerlaubter Handlung Ersatzpflichtigen herangezogen zu werden. Nicht der Haftpflichtige, sondern andere haben durch wirtschaftliche Opfer (Sozialversicherungsbeiträge und u.U. staatliche Zuschüsse) die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß ein Versicherungsfonds zur Bezahlung der Witwenrenten vorhanden ist. Auch wenn trotz der aus diesem Fonds zu bewirkenden Leistungen auf Seiten des SVT im Einzelfall konkret kein Schaden entsteht, ist es unter Berücksichtigung der Interessen aller an dem beschriebenen Dreiecksverhältnis Beteiligten nur recht und billig, diesen Vorteil – sofern keine besonderen Beziehungen zum Haftpflichtigen bestehen –, nicht diesem, sondern dem SVT zukommen zu lassen (so schon RGZ 146, 287, 289). Gerade bei Zugrundelegung einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise kann man nicht übersehen, daß es praktisch um die Frage geht, ob es sachgerechter ist, die Vorsorge gegen Todesfälle im wirtschaftlichen Endergebnis den Gefährdeten (oder der von ihnen gebildeten Gruppe) oder aber den Gefährdenden (oder deren Gruppe bzw. Versicherern) aufzuerlegen. Nach Auffassung des Senats liegt es unzweifelhaft näher, die zuletzt genannte Gruppe zu belasten.
Es besteht daher kein Anlaß, die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu ändern.
III. Damit erübrigen sich Ausführungen zur Widerklage.
Unterschriften
Pehle, Dr. Bode, Nüßgens, Sonnabend, Scheffen
Fundstellen
Haufe-Index 1502201 |
NJW 1971, 936 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 1971, 472 |