Leitsatz (amtlich)
Das in Art. 25 Abs. 7 Satz 1 des Einigungsvertrages für die sogenannten Altkredite der früheren Treuhandunternehmen normierte Moratorium ist mit Ablauf der für die Feststellung der DM-Eröffnungsbilanzen gemäß §§ 35 Abs. 1 Satz 3, 4 Abs. 1 Satz 2 DMBilG vorgeschriebenen Fristen entfallen.
Normenkette
EinigVtr Art. 25 Abs. 7 S. 1; DMBilG § 35
Verfahrensgang
Thüringer OLG (Aktenzeichen 5 U 17/97) |
LG Erfurt |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 21. Oktober 1997 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Erfurt vom 27. November 1996 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die klagende Bank verlangt die Rückzahlung der nach mehreren Teilentschuldungen verbliebenen Restverbindlichkeit aus Altkrediten, die der Rechtsvorgängerin der Beklagten vor Eintritt der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion gewährt worden sind.
Die beklagte GmbH ist im Wege der Umwandlung aus dem ehemaligen VEB I. hervorgegangen. Inhaber der Geschäftsanteile war bis zum Jahr 1993 die Treuhandanstalt. Durch Vertrag vom 15. November 1993 wurde die Beklagte mit Wirkung zum 1. Januar 1993 reprivatisiert.
Im Jahre 1991 erstellte die Firma e. GmbH im Auftrag der Beklagten deren DM-Eröffnungsbilanz und testierte sie. Im Anschluß daran wurde die Eröffnungsbilanz von der Treuhandanstalt innerhalb der nach §§ 35 Abs. 1 Satz 3, 4 Abs. 1 Satz 2 DMBilG vorgeschriebenen Frist festgestellt.
Im November 1995 beschloß die Gesellschafterversammlung der Beklagten, die DM-Eröffnungsbilanz sei wegen erheblicher Überbewertung des Anlagevermögens nichtig. Die Gesellschafterin P. & Co. KG klagte daraufhin in Anlehnung an die Vorschriften der §§ 249 Abs. 1 Satz 1, 256 Abs. 5 AktG auf Feststellung der Nichtigkeit der DM-Eröffnungsbilanz und erwirkte vor dem Landgericht Erfurt am 9. Juli 1996 ein entsprechendes Urteil, das rechtskräftig geworden ist.
Die Staatsbank der DDR hatte dem früheren VEB I. einen Grundmittel- und einen Umlaufmittelkredit eingeräumt. Nach einer Teilentschuldung durch die Treuhandanstalt waren die Darlehen am 1. Januar 1992 bis auf einen Betrag von 500.000 DM zurückgeführt. Da die Beklagte in der Folgezeit keine weiteren Zahlungen leistete und auch zu keinen Gesprächen über eine Neuordnung der Kreditverträge bereit war, kündigte die Klägerin im April 1995 die Geschäftsverbindung und forderte die Beklagte zur Rückzahlung eines die Zinsen einschließenden Gesamtbetrages von 687.491,33 DM auf. Mit der Klage macht sie diese Summe nebst 12% Verzugszinsen seit dem 14. April 1995 geltend.
Die Beklagte hält dem entgegen: Die Klage sei jedenfalls derzeit nicht begründet, weil die Tilgungs- und Zinsleistungen für die Altkredite gemäß Art. 25 Abs. 7 Satz 1 des Einigungsvertrages (EV) bis zu einer wirksamen Feststellung der DM-Eröffnungsbilanz ausgesetzt seien.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat sie abgewiesen und lediglich auf den von der Klägerin erst im zweiten Rechtszug gestellten Hilfsantrag festgestellt, daß die Beklagte ab Feststellung der DM-Eröffnungsbilanz einen Betrag in Höhe von 500.000 DM schuldet. Mit der Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; sie führt zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
I.
Das Berufungsgericht hat eine Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs der Klägerin verneint und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt:
Auch wenn zwischen der in Art. 25 Abs. 7 Satz 1 EV bis zur Feststellung der DM-Eröffnungsbilanz normierten Aussetzung der Tilgungs- und Zinsleistungen für die vor dem 30. Juni 1990 eingeräumten Geschäftskredite und den für die Erstellung der DM-Eröffnungsbilanz geltenden §§ 21, 22 TreuhG und § 35 DMBilG ein innerer Zusammenhang bestehe, so bedeute dies nicht, daß die Zins- und Tilgungsleistungen spätestens nach dem 30. Juni 1991 wieder aufzunehmen gewesen seien. Denn während nach § 35 Abs. 1 DMBilG die DM-Eröffnungsbilanzen für die früheren volkseigenen Betriebe bis zu diesem Termin von der Treuhandanstalt hätten festgestellt werden müssen, enthalte Art. 25 Abs. 7 Satz 1 EV keine derartige oder vergleichbare Fristbestimmung. Vielmehr sei vor allem § 35 Abs. 2 Satz 3 DMBilG ein Beleg dafür, daß das Moratorium nach dem erkennbaren Willen der Parteien des Einigungsvertrages erst mit der Feststellung einer von dem Abschlußprüfer uneingeschränkt bestätigten, d.h. die Vermögens- und Ertragslage des Unternehmens „richtig” wiedergebenden Eröffnungsbilanz entfallen solle. Diese Bedingung sei hier indes noch nicht eingetreten, weil das Landgericht Erfurt die Feststellung der DM-Eröffnungsbilanz der Beklagten wegen erheblicher Bewertungsfehler für nichtig erklärt habe und das Urteil aufgrund der nach § 37 DMBilG bestehenden Pflicht zur Veröffentlichung der Eröffnungsbilanz im Handelsregister nicht nur zwischen den Prozeßparteien, sondern auch gegenüber Dritten wirke.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung im entscheidenden Punkt nicht stand.
Die der Klägerin zustehenden Forderungen sind fällig, weil das in Art. 25 Abs. 7 Satz 1 EV normierte Moratorium nach seinem Sinn und Zweck jedenfalls mit Ablauf der gemäß §§ 35 Abs. 1 Satz 3, 4 Abs. 1 Satz 2 DMBilG für die Feststellung der DM-Eröffnungsbilanz vorgesehenen und spätestens am 30. September 1991 abgelaufenen Frist entfallen ist.
a) Mit dem Erfordernis der Erstellung einer DM-Eröffnungsbilanz als Handelsbilanz nach dem DMBilG sollte außer dem Einstieg in das Bilanzierungssystem der neuen Bundesländer ein tragfähiges Fundament für die Beurteilung der Sanierungsfähigkeit der ehemaligen volkseigenen Unternehmen und die Entscheidung über etwaige Entschuldungsmaßnahmen geschaffen werden (vgl. Ströfer DtZ 1991, 68, 69). Dieses Ziel ließ sich nur mit Hilfe der in Art. 25 Abs. 7 Satz 1 EV getroffenen Stundungsregelung erreichen, weil die Existenz zahlreicher Betriebe ohne die Aussetzung der Tilgungs- und Zinsleistungen für die Altkredite mehr oder weniger stark gefährdet gewesen wäre und etwaige Sanierungsmaßnahmen möglicherweise zu spät gekommen wären. Aus diesem Grund (vgl. Denkschrift zum Einigungsvertrag, BT-Drucks. 11/7760 S. 355, 368; Senatsbeschluß vom 2. Dezember 1997 - XI ZR 64/97, WM 1998, 494, 495) wurde der Gläubigerbank die Stundung der Tilgungsleistungen zugemutet und der Treuhandanstalt lediglich die Verpflichtung zur Zahlung der Zinsen für die Dauer des Moratoriums unter Aufrechterhaltung der Haftung der Kreditnehmer auferlegt (Art. 25 Abs. 7 Satz 2 EV).
b) Mit Ablauf der für die Feststellung der DM-Eröffnungsbilanz vorgesehenen Frist waren die vertraglich geschuldeten Zins- und Tilgungsleistungen von den betroffenen Kreditnehmern wieder aufzunehmen.
Zwar enthält Art. 25 Abs. 7 Satz 1 EV keine ausdrückliche Bestimmung über den Stundungszeitraum, sondern macht die Beendigung des Moratoriums allein von der Feststellung der Eröffnungsbilanz abhängig. Eine andere Regelung wäre aber auch nicht sinnvoll gewesen, weil die DM-Eröffnungsbilanzen für die sanierungsfähigen ehemaligen volkseigenen Betriebe innerhalb der gemäß §§ 35 Abs. 1 Satz 3, 4 Abs. 1 Satz 2 DMBilG bestimmten Frist festzustellen waren und zum damaligen Zeitpunkt mit einer Verlängerung der selbst in ihrer Endfassung offenbar zu knapp bemessenen Fristen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 7. Dezember 1998 - II ZR 266/97, WM 1999, 180, 183 m.w.Nachw.) gerechnet werden mußte. Infolgedessen lag es nahe, den Fälligkeitstermin noch nicht endgültig festzulegen.
Dagegen ist kein Grund ersichtlich, der die Annahme rechtfertigt, daß nach Art. 25 Abs. 7 Satz 1 EV die Fälligkeitssperre nur bei einer wirksamen Feststellung der DM-Eröffnungsbilanz entfallen soll. Eine derartige Auslegung würde unberücksichtigt lassen, daß die Treuhandanstalt nach der Feststellung der Eröffnungsbilanz die oft schwerwiegenden Entscheidungen über die Sanierung der damaligen volkseigenen Unternehmen zu treffen hatte und damit der mit dem Moratorium verfolgte Zweck erreicht war. Darüber hinaus wäre eine mit der Ungewißheit über die Wirksamkeit der Bilanzfeststellung belastete Fälligkeitsregelung der Gläubigerbank nicht zuzumuten gewesen und auch aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit nicht in Betracht gekommen.
c) Davon abgesehen geht das Berufungsgericht von falschen Voraussetzungen aus, wenn es der Auffassung ist, daß die Parteien des Einigungsvertrages die Beendigung des Moratoriums erkennbar von der Feststellung einer vom Abschlußprüfer uneingeschränkt bestätigten und die Vermögens- und Ertragslage des Unternehmens „richtig” wiedergebenden Eröffnungsbilanz abhängig gemacht hätten. Denn wie vor allem aus § 36 DMBilG deutlich hervorgeht, hat der Gesetzgeber mit wesentlichen Fehleinschätzungen gerechnet und daher ein vereinfachtes Berichtigungsverfahren geschaffen.
Die Aufstellung der Eröffnungsbilanz in Deutscher Mark, die ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögenslage im Sinne des § 246 Abs. 2 Satz 1 HGB vermitteln sollte, war wegen verschiedener Umstände und rechtlicher Unsicherheiten erheblich erschwert. Es war daher nicht auszuschließen, daß wesentliche Beträge nicht oder zu Unrecht oder mit einem zu hohen oder zu niedrigen Wert in der Eröffnungsbilanz angesetzt werden. Aus diesem Grund ließ die Vorschrift des § 36 DMBilG zur Vermeidung nachteiliger Auswirkungen unrichtiger Bilanz- und Wertansätze auf die künftigen Bilanzen nach dem Vorbild des § 47 DMBilG aus dem Jahre 1949 eine entsprechende Wertberichtigung in mehreren darauffolgenden Jahresabschlüssen zu, ohne daß es einer förmlichen Änderung der Eröffnungsbilanz bedurfte (vgl. amtliche Begründung abgedruckt in: Budde/Forster DMBilG § 36). Zwar hat dies das Landgericht Erfurt nicht davon abgehalten, in der genannten Entscheidung vom 9. Juli 1996 die erhobene Nichtigkeitsklage in entsprechender Anwendung des § 249 Abs. 1 Satz 1 AktG für zulässig zu erachten und die Feststellung der Eröffnungsbilanz der Beklagten wegen „ins Gewicht fallender” Überbewertungen des Anlagevermögens gemäß § 256 Abs. 5 AktG (analog) für nichtig zu erklären. Sowohl die Norm des § 36 DMBilG als auch die Tatsache, daß das DMBilG keine dem § 256 Abs. 5 AktG vergleichbare materielle Nichtigkeitsregelung enthält, schließen es aber aus, diesem Urteil irgendeine Wirkung in bezug auf die hier in Rede stehende Fälligkeitssperre beizumessen.
Aus dem vom Berufungsgericht zur Stützung seiner Ansicht herangezogenen § 35 Abs. 2 Satz 3 DMBilG folgt nichts anderes. Zwar war nach dieser Vorschrift bei einer späteren Änderung der Eröffnungsbilanz ein Beschluß über deren Feststellung erst wirksam, wenn hinsichtlich der Änderungen ein uneingeschränkter Bestätigungsvermerk des Abschlußprüfers vorgelegen hatte. Diese Regelungen haben aber im Gegensatz zu § 36 DMBilG nichts mit einer falschen Bewertung der Vermögens- und Wirtschaftslage der ehemaligen Treuhandunternehmen und den sich daraus ergebenden Rechtsfolgen zu tun, sondern betreffen das Prüfungsverfahren.
III.
Das Berufungsurteil mußte daher aufgehoben werden. Da die Beklagte gegen die Höhe der von der Klägerin geltend gemachten Forderungen keine Einwendungen erhoben hat, konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) und das der Klage stattgebende Urteil des Landgerichts wiederherstellen.
Unterschriften
Schimansky, Dr. Schramm, Dr. Bungeroth, Dr. van Gelder, Dr. Müller
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 09.03.1999 durch Weber, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 539499 |
BGHR |
EWiR 1999, 507 |
NZG 1999, 732 |
Nachschlagewerk BGH |
VIZ 1999, 429 |
WM 1999, 902 |
ZAP-Ost 1999, 297 |
NJ 2000, 39 |
ZBB 1999, 173 |
OVS 1999, 382 |