Leitsatz (amtlich)
1.) § 4 Ziff 2 AFVB bezieht sich nur auf die Feuerversicherung eines Haushalts, nicht auf die Versicherung gewerblicher Risiken.
2.) Ist dem Vermittlungsagenten erkennbar, dass sich der Versicherungsnehmer über einen wesentlichen Punkt des Versicherungsvertrages unrichtige Vorstellungen macht, so ist er verpflichtet, diese richtigzustellen. Tut er das nicht oder gibt er dem Versicherungsnehmer in anderer Weise eine unrichtige Auskunft über einen vertragswesentlichen Punkt, so muss der Versicherer für diese Erklärungen einstehen und sie gegen sich gelten lassen.
3.) Erweckt der Versicherungsagent bei dem Versicherungsnehmer den Eindruck, dass der Versicherungsschutz aus einem früher abgeschlossenen Versicherungsvertrag bis zum Abschluss des vom Versicherungsnehmer beantragten neuen Versicherungsvertrages ohne Unterbrechung weiterlaufe, so liegt hierin keine Deckungszusage, sondern eine Aufklärung über den Geltungsbereich der alten Versicherung, für die der Versicherer einzustehen hat.
Normenkette
AFVB § 4 Ziff. 2; VVG § 43
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Urteil vom 20.12.1950) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart, Nebensitz Karlsruhe, vom 20. Dezember 1950 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin hatte ihren Fabrikationsbetrieb, der die Herstellung von chemisch-technischen Artikeln zum Gegenstand hat und nach den Luftangriffen im Kriege im Kellergeschoss des Hauses V.str. 34 in M. untergebracht war, seit vielen Jahren bei der Beklagten gegen Feuerschäden versichert. Für die Zeit vom 1. August 1946 bis 1. August 1952 lief gemäss dem Versicherungsschein vom 14. August 1946 ein Feuerversicherungsvertrag für „Betriebs- und Büroeinrichtung einschliesslich Elektromotor, Maschinen, Geräte und Utensilien” mit einer Versicherungssumme von 5.000 RM sowie für Vorräte an chemisch-technischen Artikeln in Höhe von 15.000 RM. Als Versicherungsort war in diesem Versicherungsschein M., V.strasse 32 angegeben. Am 26. Januar 1949 begann die Klägerin mit der Verlegung ihres Betriebes in ein neuerrichtetes Gebäude in M.-K.. Als am 28. Januar 1949 der Vermittlungsagent der Beklagten K., zum Einkassieren von Prämien aus einem anderen Versicherungsvertrag bei ihr erschien, dass sie die Versicherungssumme auf 65.000 DM erhöhen wolle. K. nahm daraufhin einen Antrag auf Abschluss einer Ersatzversicherung für den Betrieb in K. auf. Noch bevor er diesen an die Beklagte weitergeleitet hatte, brach am Vormittag des 31. Januar 1949 in dem neuen Betriebsgebäude der Klägerin in K. Feuer aus.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Ersatz des ihr hierdurch an den versicherten Gegenständen entstandenen Schadens, den sie mit 13.929 DM beziffert. Sie ist der Auffassung, dass die verbrannten Gegenstände auch nach ihrer Verbringung nach K. auf Grund des alten Vertrages von 1946 weiter versichert geblieben seien. Ausserdem hält sie die Beklagte deshalb für erstattungspflichtig, weil deren Agent nach Aufnahme des Antrages vom 28. Januar 1949 auf Befragen ausdrücklich bestätigt habe, dass die Sache nunmehr in Ordnung sei. Die Beklagte lehnt den Versicherungsschutz mit der Begründung ab, dass sich die Versicherung aus der alten Police von 1946 nicht mehr auf die aus dem Betrieb in der V.strasse entfernten Gegenstände erstrecke, dass insoweit vielmehr der alte Antrag erloschen sei und dass der von der Klägerin beantragte neue Versicherungsvertrag nicht zustande gekommen sei. Etwaige Erklärungen ihres Agenten über das Bestehen eines Versicherungsschutzes seien unerheblich, weil dieser – auch für die Klägerin erkennbar – nicht berechtigt gewesen sei, eine Deckungszusage zu geben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Mit der Revision, um deren Zurückweisung die Klägerin bittet, erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, dass nach § 4 Ziff 1 AFVB die Versicherungsgegenstände nur in den im Versicherungsschein vom 14. August 1946 als Versicherungsort bezeichneten alten Betriebsräumen der Klägerin in der V.strasse versichert waren und dass dieser Versicherungsvertrag beim Fehlen einer besonderen Vereinbarung mit der dauernden Entfernung der Sachen von dort insoweit von selbst erlosch. Die von der Klägerin vertretene Auffassung, dass diese Bestimmung gemäss § 4 Ziff 2 AFVB hier deshalb nicht anwendbar sei, weil es sich im vorliegenden Fall bei den Versicherungsgegenständen um Hausrat und Arbeitsgerät gehandelt habe, lehnt das Berufungsgericht mit Recht ab. Die Ausnahmebestimmung des § 4 Ziff 2 AFVB bezieht sich, wie schon das Wort „Wohnungswechsel” zeigt und wie auch aus einem Vergleich mit § 2 Ziff 1 Satz 3 AFVB und § 85 VVG hervorgeht, nur auf die Feuerversicherung eines Haushaltes, nicht aber auf die Versicherung gewerblicher Risiken (Raiser AFVB § 2 Anm. 8). Eine Feuerversicherung des Haushaltes der Klägerin kommt hier schon deshalb nicht in Betracht, weil diese ihre Privatwohnung nicht in dem im Versicherungsschein bezeichneten Haus in der Veschaffeltstrasse hatte. Es handelte sich vielmehr zweifelsfrei um eine Feuerversicherung für ihren gewerblichen Betrieb. Ausserdem können die Versicherungsgegenstände auch nicht unter den Begriff „Hausrat und Arbeitsgeräte” gebracht werden, weil ihnen die hierzu erforderliche räumliche Beziehung zu einer Privatwohnung fehlt und weil auch die massgebende Verkehrsanschauung sie nicht als solche erscheinen lässt (vgl Raiser a.a.O. § 1 Anm. 34, § 2 Anm. 9; Domizplatz – Liebig – Berliner AFVB 9. Aufl § 2 Anm. 7; Bruck VVG § 85 Anm. 2).
II. Die vom Berufungsgericht offengelassene Frage, ob die in dem Versicherungsschein vom 14. August 1946 unter „Besondere Bedingungen und Vereinbarungen” aufgeführte Abrede der Parteien über eine Betriebserweiterung etwa eine Abänderung des § 4 Ziff 1 AFVB enthält, bedarf, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, dann keiner Entscheidung, wenn die Beklagte den begehrten Versicherungsschutz schon auf Grund des Verhaltens ihres Agenten K. bei Aufnahme des neuen Antrages am 28. Januar 1949 zu gewähren hat.
Dies hat das Berufungsgericht deshalb bejaht, weil Kast der bei jenen Verhandlungen zutage getretenen Auffassung der Klägerin, der Versicherungsschutz für den Betrieb in den neuen Räumen laufe ab sofort ohne Unterbrechung weiter, nicht entgegengetreten sei, sondern die Klägerin in ihrem Glauben an die Richtigkeit dieser Ansicht auch noch durch seine ausdrückliche Bestätigung, die Sache sei jetzt in Ordnung, bestärkt habe. Die Beklagte müsse diese von ihrem Vermittlungsagenten gegebene Aufklärung über den Umfang des zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrages von 1946, auf die sich die Klägerin ohne ihr Verschulden habe verlassen dürfen, gegen sich gelten lassen.
Diese Ausführungen lassen einen Rechtsirrtum nicht erkennen. Nach der rechtlich bedenkenfreien Feststellung des Berufungsgerichts brachte die Klägerin bei der Aufnahme des Antrages vom 28. Januar 1949 ihre Auffassung zum Ausdruck, dass der Versicherungsschutz aus dem bisherigen Versicherungsvertrag trotz der Betriebsverlegung ohne Unterbrechung fortbestehe. Wenn diese Auffassung nach der Meinung der Beklagten unzutreffend war, so war ihr Agent verpflichtet, sie richtigzustellen (vgl Prölss VVG § 43 Anm. 7 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dies hat er unstreitig nicht getan. Nach der Feststellung des Berufungsgerichts hat er vielmehr die Klägerin sogar noch in ihrer Auffassung bestärkt, indem er ausdrücklich erklärt hat, es sei nun alles in Ordnung. Die Revision will diese Erklärung allerdings nur so verstanden wissen, dass der Agent damit gemeint habe, die Ausfüllung des neuen Antrages sei in Ordnung. Hierin liegt ein Angriff gegen die tatrichterliche Auslegung der Erklärung des Agenten durch das Berufungsgericht, der in der Revisionsinstanz nicht beachtet werden kann. Die Würdigung der Erklärung des Agenten durch das Berufungsgericht gibt zu rechtlichen Beanstandungen keinen Anlass. Sie steht auch mit Denkgesetzen und den allgemeinen Erfahrungssätzen im Einklang; denn nach der allgemeinen Lebenserfahrung liegt die Bedeutung, die das Berufungsgericht der genannten Erklärung des Agenten beilegt, durchaus nahe, zumal sich die Klägerin mit der Befragung des Agenten erkennbar Gewissheit darüber hatte verschaffen wollen, ob ihr Versicherungsschutz ununterbrochen weiterlaufe.
Dem Berufungsgericht ist auch darin beizutreten, dass die angeführte Erklärung des Agenten die rechtliche Bedeutung einer Aufklärung über die zeitliche Dauer des aus dem Versicherungsvertrag von 1946 erwachsenden Versicherungsschutzes hat und nicht etwa, wie die Revision meint, eine Deckungszusage darstellt, zu deren Erteilung der Agent nicht befugt war. Eine Deckungszusage ist ein rechtlich von dem eigentlichen Versicherungsvertrag losgelöster, selbständiger Vertrag, der dem Versicherungsnehmer bis zum Abschluss oder bis zur Ablehnung des endgültigen Vertrages Versicherungsschutz auch dann gewährt, wenn der Versicherer den Abschluss des endgültigen Vertrages verweigert (RGZ 107, 198 [200]; 113, 152; 140, 318). Für die Annahme einer Deckungszusage ist also dann kein Raum, wenn die an der Verhandlung Beteiligten davon ausgehen, dass der begehrte Versicherungsschutz bereits auf Grund eines abgeschlossenen Versicherungsvertrages besteht. Gerade diese Voraussetzung ist hier aber nach der Feststellung des Berufungsgerichts gegeben, denn die Klägerin nahm hiernach bei den Verhandlungen anlässlich der Aufnahme des neuen Antrages erkennbar an, dass der Versicherungsschutz aus dem bisherigen Vertrag ohne Unterbrechung weiterlaufe. Wenn der Agent der Beklagten sie in dieser Auffassung bestärkte, so liegt hierin keine Deckungszusage, sondern eine Aufklärung über den zeitlichen und materiellen Geltungsbereich der alten Versicherung. Dass auch der Agent selbst seine Erklärung tatsächlich so und nur so gemeint hat, ergibt sich daraus, dass er den am 28. Januar 1949 aufgenommenen Antrag über den Betrieb in K. nicht als Neu- sondern ausdrücklich als Ersatzversicherung für den alten Vertrag bezeichnet und demgemäss folgerichtig auch den letzten Satz des Antrags: „Mit der Einlösung des neuen Versicherungsscheins soll die alte Versicherung Nr. … erlöschen” nicht gestrichen hat, wobei der Tatsache, dass in diesem Satz die Nummer des alten Versicherungsscheins nicht noch einmal eingesetzt ist, deshalb keine Bedeutung beigemessen zu werden braucht, weil diese Nummer bereits im Eingang des Antrages vermerkt war. Mit einer derartigen Gestaltung des Antrages hat auch der Agent seinerseits seine Auffassung zum Ausdruck gebracht, dass die alte Versicherung auch für die neuen Betriebsräume bis zur Einlösung des neuen Versicherungsscheins weiterlaufe, und dass neue Versicherung nur als Ersatz für den alten Vertrag dienen solle, was nur möglich war, wenn sich der alte Vertrag auf dasselbe Risiko wie der neue erstreckte. Wenn diese Auffassung auch nach der Meinung der Beklagten falsch war, so durfte die Klägerin nach anerkannten Gewohnheitsrechtssatz doch auf die Richtigkeit einer solchen Auskunft des Agenten über den Umfang der Versicherung vertrauen, weil dessen Aufgabe gerade darin besteht, dem Versicherungsnehmer für die Versicherungsgesellschaft die erforderliche Belehrung und Aufklärung über den Inhalt und die Bedeutung der Versicherungsbedingungen und der sonstigen Anforderungen der Gesellschaft zu gewähren. Wenn die Versicherungsgesellschaft ihre Agenten mit solchen Aufgaben betrauen, müssen sie auch für deren Erklärungen einstehen und diese gegen sich gelten lassen (RGZ 147, 186 [188] und die dort angeführte Rechtsprechung; OLG Kiel VA 1923 Anh S 37; OLG Hamburg HRGZ 1933 A, 434; Prölss § 43 Anm. 7 A; Möller, Recht und Wirklichkeit der Versicherungsvermittlung S 139 ff; Gierke, Versicherungsrecht II, 121).
Dieser Rechtsfolge kann sich die Beklagte nicht mit dem Hinweis auf den in dem Antragsformular enthaltenen Vermerk entziehen, dass für den Versicherungsvertrag nur die AFVB massgebend seien. Gegenüber einer falschen Aufklärung über den Inhalt und die Bedeutung der Versicherungsbedingungen durch den Vermittlungsagenten kann sich der Versicherer nur dann auf den der Aufklärung entgegenstehenden Wortlaut der Bedingungen selbst berufen, wenn dieser so klar ist, dass der Widerspruch dem Versicherungsnehmer erkennbar war und ihm damit ein erhebliches eigenes Verschulden zur Last fällt (vgl Prölss § 43 Anm. 7 A und die dort angeführte Rechtsprechung). Das Vorliegen dieser Voraussetzung hat das Berufungsgericht für den vorliegenden Fall zutreffend verneint. Die im Versicherungsrecht nicht erfahrene Klägerin brauchte auch bei genauer Durchsicht der Versicherungsbedingungen nicht zu erkennen, dass die von dem Agenten gegebene Aufklärung im Widerspruch zu § 4 Ziff 1 AFVB stand. Sie konnte vielmehr durchaus annehmen, dass die dort festgesetzte Rechtsfolge des Erlöschens des Versicherungsvertrages nur dann eintrete, wenn die bei der Verlegung des Betriebs notwendige Veränderungsvereinbarung mit dem Versicherer nicht zustande komme, dass aber der Versicherungsschutz aus dem alten Vertrag jedenfalls bis zum Abschluss der von ihr eingeleiteten Verhandlungen über die Umstellung der Versicherung weiterlaufe. Dass der Verwirklichung ihres Wunsches, keine Unterbrechung des Versicherungsschutzes eintreten zu lassen, keine versicherungsrechtlichen Bedenken entgegenstehen würden, konnte die Klägerin nach der ihr von dem Agenten gegebenen Aufklärung umsomehr annehmen, als diese Möglichkeit in dem von dem Agenten stehengelassenen letzten Satz des gedruckten Antragsformulars ausdrücklich vorgesehen war und der Fall einer Ersatzversicherung, für die dieser Satz bestimmt war, nach der in dem Antragsentwurf niedergelegten Auffassung des Agenten hier gerade vorlag. Dass die Auffassung unzutreffend war, weil der Antrag in Wahrheit nicht auf eine Ersatzversicherung, sondern nur auf eine Veränderungsvereinbarung oder Neuversicherung abzielen konnte, brauchte die Klägerin als eine in solchen schwierigen versicherungstechnischen Fragen unerfahrene Frau nicht zu erkennen. Hinzu kommt, dass die von ihr erstrebte sofortige Umstellung der Versicherung auf den neuen Betriebsort in der Praxis ja auch in aller Regel durch entsprechende Vereinbarungen der Beteiligten vorgenommen wird, und zwar regelmässig unter Anrechnung der an sich nach § 9 Ziff 4 AFVB verfallenden laufenden Prämien des alten Vertrages auf die neue Versicherung und ohne Unterbrechung des Versicherungsschutzes. Die rechtliche Konstruktion, wonach mit der Verlegung des Betriebes auch bei Stellung eines Veränderungsantrags die alte Versicherung erlischt, die neue Versicherung erst mit der Annahme des Antrages durch den Versicherer in Kraft tritt und in der Zwischenzeit kein Versicherungsschutz besteht, musste hiernach der lebensnahen Betrachtungsweise der Beklagten durchaus fern liegen, so dass sie hieraus auch keine Bedenken gegen die gegenteilige Aufklärung durch den Agenten schöpfen konnte. Das Berufungsgericht hat deshalb mit Recht auf Grund der Erklärungen des Agenten die Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung des Versicherungsschutzes für den am 31. Januar 1949 eingetretenen Schaden bejaht.
Die Revision der Beklagten war hiernach mit Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.
Unterschriften
Dr. Canter, Dr. Drost, Dr. Selowsky, Dr. Haidinger, Dr. Fischer
Fundstellen
Haufe-Index 1535264 |
BGHZ, 87 |