Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflichtverletzung eines Ergänzungspflegers bei der Veräußerung von Grundeigentum

 

Leitsatz (amtlich)

  1. Der Testamentsvollstrecker kann über Miterben-Anteile an dem Nachlaß, der seiner Verwaltung unterliegt, nicht verfügen; das gilt aber nicht für den Erbteil an einem anderen Nachlaß, der bereits dem Erblasser zugestanden hatte.
  2. Ist der Testamentsvollstrecker durch Anordnungen des Erblassers gehalten, über Nachlaßgegenstände in bestimmter Weise zu verfügen, dann ist seine Befugnis zu Verfügungen, die dazu in Widerspruch stehen, in der Regel auch dinglich ausgeschlossen (Anschluß an BGHZ 56, 275, 278; 40, 115, 118).
 

Normenkette

BGB § 2208 Abs. 1, §§ 2205, 2033 Abs. 1, §§ 1915, 1833, 181

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Grundurteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts zu Hamburg, 4. Zivilsenat, vom 1. September 1982 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der im dritten Rechtszug entstandenen Kosten der Nebenintervention hat der Beklagte zu tragen.

 

Tatbestand

Die am 1. Dezember 1965 geborene Klägerin nimmt den Beklagten, ihren Stiefvater, auf Schadensersatz in Anspruch, weil dieser seine Pflichten als ihr gerichtlich bestellter Ergänzungspfleger im Zusammenhang mit der Erbauseinandersetzung vom 23. Juni 1977 nach ihren Großeltern mütterlicherseits verletzt habe.

Diese Großeltern hatten 1960 das Eigentum an einem in H. belegenen und mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstück "in Gesellschaft bürgerlichen Rechts" erworben. Der am 4. September 1967 verstorbene Großvater wurde zur Hälfte von der Großmutter und je zu einem Viertel von der Mutter der Klägerin und deren Bruder (Onkel der Klägerin) beerbt. Erben der am 13. August 1974 verstorbenen Großmutter sind aufgrund Testaments vom 15. Juli 1968 zu je einem Viertel die Mutter der Klägerin und deren Bruder, sowie die Klägerin zu ein Halb. In ihrem Testament ordnete die Großmutter Testamentsvollstreckung an und bestimmte weiter:

"Zu meinem Nachlaß gehört Drei-Viertel-Anteil des Grundstücks ... Ich wünsche, daß das vorbezeichnete Grundstück durch den Testamentsvollstrecker verkauft wird und der Erlös entsprechend meinem letzten Willen aufgeteilt wird."

Durch notariellen Vertrag vom 19. April 1977 verkaufte und übertrug der Onkel der Klägerin seinen Ein-Viertel-Erbteil am Nachlaß des Großvaters und seinen Ein-Viertel-Erbteil am Nachlaß der Großmutter auf die Mutter der Klägerin; dabei sahen beide Teile das genannte Grundstück als den "einzigen Nachlaßgegenstand" an und berechneten den Kaufpreis nach dessen auf 250.000,- DM geschätzten Verkehrswert.

Durch notariellen Vertrag vom 23. Juni 1977 übertrug der Testamentsvollstrecker nach der Großmutter "im Wege der Teilauseinandersetzung" einmal den Ein-Halb-Erbteil der Großmutter am Nachlaß des Großvaters und zum anderen die Beteiligung der Großmutter an der Grundstücksgesellschaft auf die Mutter der Klägerin. Dadurch, so heißt es in dem Vertrag weiter, werde die Mutter der Klägerin Alleineigentümerin des Grundstücks. Vorsorglich erklärten die Vertragspartner ferner die Auflassung des Grundstücks an die Mutter der Klägerin. Als Gegenleistung hatte die Mutter der Klägerin 93.750,- DM zu zahlen. Diese war berechnet nach einem Grundstückswert von 250.000,- DM (250.000,- DM: 8 × 3 = 93.750,- DM) und sollte an die Klägerin fließen. Das Grundbuchamt war zur Umschreibung des Eigentums nicht bereit. Darauf wurde für die damals noch minderjährige Klägerin, die bis dahin allein von ihrer Mutter gesetzlich vertreten wurde, ein Ergänzungspfleger bestellt mit dem Wirkungskreis: "Vertretung der Minderjährigen beim Abschluß eines Rechtsgeschäfts; hier: Abschluß eines Übertragungsvertrages zum Zwecke der Auseinandersetzung". Pfleger wurde der Beklagte, der damals mit der Mutter der Klägerin zusammenlebte und mit dieser seit November 1977 verheiratet ist. Mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erteilte der Pfleger seine Zustimmung zu dem Vertrag vom 23. Juni 1977, obwohl ihm unstreitig bekannt war, daß die Mutter der Klägerin das Grundstück schon am 24. August 1977 für einen Kaufpreis von 360.000,- DM verkauft hatte.

Die elterliche Gewalt über die Klägerin wurde 1978 auf deren Vater übertragen. Die Klägerin hat, vertreten durch ihren Vater, Klage erhoben. Sie verlangt von dem Beklagten 43.000,- DM Schadensersatz nebst Zinsen, weil er seiner Verpflichtung, ihre wirtschaftlichen Interessen wahrzunehmen, schuldhaft nicht nachgekommen sei. Der Beklagte behauptet, der am 24. August 1977 erzielte Kaufpreis habe erheblich über dem Wert des Grundstücks gelegen und stelle einen Phantasiepreis dar. Überdies sei der Vertrag vom 23. Juni 1977 nicht von seiner Zustimmung als Pfleger abhängig gewesen.

Das Landgericht hat der Klage bis auf einen Teil der begehrten Zinsen stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Mit der Revision erstrebt der Beklagte die Abweisung der Klage.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

1.

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Beklagte sei als Pfleger gehalten gewesen, die Vermögensinteressen der Klägerin bei der Auseinandersetzung zu wahren. Er habe selbständig prüfen müssen, ob der Vertrag vom 23. Juni 1977 für die Klägerin wirtschaftlich angemessen war. Der Kaufvertrag vom 24. August 1977 mit dem darin vereinbarten Kaufpreis von 360.000,- DM hätte ihn dazu veranlassen müssen, Erhebungen über den wirklichen Verkehrswert des Grundstücks anzustellen. Diese Pflichten habe der Beklagte verletzt. Die Pflichtverletzung sei als schuldhaft zu werten; hier hätten sich Zweifel im Hinblick auf die signifikante, dem Beklagten bekannte Diskrepanz zwischen dem der Auseinandersetzung zugrunde gelegten Wert und dem dafür noch vor der Einrichtung der Pflegschaft erzielten Erlös geradzu aufdrängen müssen.

Diese Begründung enthält keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beklagten. Auch die Revision hat insoweit nichts zu erinnern. Demgemäß ist der Beklagte gemäß §§ 1915, 1833 BGB für den durch seine Pflichtverletzung entstandenen Schaden verantwortlich.

2.

Das Berufungsgericht sieht die Pflichtverletzung des Beklagten als ursächlich für den geltend gemachten Schaden an. Ausweislich des Auseinandersetzungsvertrages habe der Testamentsvollstrecker "die Hälfte des Erbanteils der ... (Großmutter)" (am Nachlaß des Großvaters) auf die Mutter der Klägerin übertragen, von dem ein Teil auf die Klägerin überkommen sei. Über diesen Erbteil habe der Testamentsvollstrecker nicht verfügen dürfen. Die Befugnis des Testamentsvollstreckers, die Auseinandersetzung unter den Miterben zu betreiben, berechtige diesen nicht zur Übertragung eines Erbanteils. Der Vertrag vom 23. Juni 1977 habe im Hinblick auf § 181 BGB der Mitwirkung eines Ergänzungspflegers und gemäß § 1822 Nr. 1 BGB der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bedurft.

Diese Ausführungen sind, wie der Revision zuzugeben ist, rechtlich nicht einwandfrei.

Nicht richtig ist es zunächst, wenn es in dem angefochtenen Urteil heißt, der Testamentsvollstrecker habe "die Hälfte des Erbanteils der Großmutter" (am Nachlaß des Großvaters) auf die Mutter der Klägerin übertragen. Das ist indessen unschädlich; denn das Berufungsgericht meint hier, wie der Zusammenhang ergibt, nicht die "Hälfte" dieses Erbanteils, sondern den ganzen "Ein-Halb"-Erbanteil der Großmutter, über den der Testamentsvollstrecker am 23. Juni 1977 verfügt hatte. Das ist zutreffend.

Zutreffend ist es auch, daß sich die Verfügungsbefugnis, die dem Testamentsvollstrecker gemäß § 2205 Satz 2 BGB - von den Ausnahmefällen des § 2208 Abs. 1 Satz 1 BGB abgesehen - im allgemeinen zusteht, nur auf die zum Nachlaß gehörenden Gegenstände und nicht auch auf die Anteile der Miterben am Nachlaß (§ 2033 Abs. 1 BGB) erstreckt (zum Beisp. Johannsen WM 1969, 140A; MK-Brandner, BGB § 2205 Rdn. 32). Diese dem Testamentsvollstrecker gezogene Grenze betrifft aber nur die Miterben-Anteile gerade an demjenigen Nachlaß, der seiner Verwaltung unterliegt; über diese kann er nicht verfügen. Für den Erbteil an einem anderen Nachlaß, der bereits dem Erblasser zugestanden hatte und der deshalb als einzelner Nachlaßgegenstand selbst zu dem vom Testamentsvollstrecker verwalteten Nachlaß gehört, gilt sie dagegen nicht. Eine Verfügung des Testaments-Vollstreckers der Großmutter über ihren Anteil am Nachlaß des Großvaters war daher entgegen der Meinung des Berufungsgerichts nicht schon aus diesem Grunde ausgeschlossen; ihren Anteil am Nachlaß des Großvaters insoweit anders zu behandeln als die übrigen Nachlaßgegenstände, besteht kein Anlaß.

Dennoch trifft die Auffassung des Berufungsgerichts im Ergebnis zu.

Das Berufungsgericht hat nicht beachtet, daß die Großmutter in ihrem Testament bestimmte Anordnungen dafür getroffen hat, wie der Testamentsvollstrecker bei der Auseinandersetzung vorzugehen hatte: Der Testamentsvollstrecker sollte das Grundstück verkaufen und den Erlös in bestimmter Weise aufteilen. An diese Anordnungen für die Auseinandersetzung und die Verwaltung (§§ 2203, 2204, 2048, 2216 BGB) war der Testamentsvollstrecker schuldrechtlich gebunden; sie nahmen ihm überdies gemäß § 2208 Abs. 1 Satz 1 BGB auch dinglich das Recht, über die Nachlaßgegenstände in einer Weise zu verfügen (§ 2205 Satz 2 BGB), die zu den Anordnungen der Großmutter in Widerspruch standen (BGHZ 56, 275, 278; 40, 115, 118). Ein derartiger Widerspruch lag hier vor.

Das Berufungsgericht hat den Vertrag vom 23. Juni 1977 ohne Rechtsverstoß als Auseinandersetzungsvertrag verstanden. Dabei handelt es sich um die (Teil-)Auseinandersetzung der Erbengemeinschaften nach dem Großvater und der Großmutter sowie der (gemäß § 727 Abs. 1 BGB spätestens seit dem Tod der Großmutter aufgelösten) Grundstücksgesellschaft. Dafür, daß es sich entgegen dem Wortlaut um den Verkauf des Grundstücks oder von Anteilen daran handelt, wie die Revision meint, boten die Feststellungen des Berufungsgerichts und der Sachvortrag der Parteien keinen hinreichenden Anhalt.

Eine derartige Auseinandersetzung durfte der Testamentsvollstrecker nicht vornehmen. Er hätte das Grundstück gemäß dem Testament der Großmutter vielmehr verkaufen und den Erlös in bestimmter Weise verteilen müssen. Der Verkauf und die Übereignung durch den Testamentsvollstrecker waren allerdings mit gewissen Schwierigkeiten verbunden, weil die Mutter der Klägerin als Erbin des Großvaters und als Rechtsnachfolgerin des Onkels der Klägerin auch außerhalb der Zuständigkeit des Testamentsvollstreckers mitbeteiligt war. Dieses Hindernis war aber nicht unüberwindlich: Entweder erklärte die Mutter der Klägerin sich damit einverstanden, daß der Testamentsvollstrecker das Grundstück veräußerte, dazu war sie möglicherweise aufgrund des Testaments gehalten; oder der Testamentsvollstrecker versetzte die Mutter der Klägerin in die Lage, das Grundstück im Sinne des Testaments zu verkaufen. Indem der Testamentsvollstrecker sich an diese Anordnungen der Erblasserin nicht hielt, überschritt er zugleich seine Befugnisse. Die tatsächlich vorgenommene Verfügung konnte er daher nicht ohne die Zustimmung aller Mitglieder der Miterbengemeinschaft treffen (BGHZ 56, 275, 281). Bei der hiernach notwendigen Mitwirkung auch der Klägerin konnte deren Mutter, obwohl sie damals der alleinvertretungsberechtigte Elternteil war, im Hinblick auf ihre eigene Beteiligung an dem Rechtsgeschäft gemäß § 181 BGB die Klägerin nicht vertreten (BGHZ 50, 8, 11 f; 21, 229, 231 f). Der Vertrag vom 23. Juni 1977 konnte daher nur zustande kommen, wenn für die Klägerin ein Ergänzungspfleger (§ 1909 BGB) bestellt wurde und wenn dieser - mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts (§§ 1915 Abs. 1, 1822 Nr. 2 BGB - Erbteilungsvertrag) - zustimmte (§§ 1915 Abs. 1, 1793 Satz 1 BGB). Die Kausalität der Pflichtverletzung des Beklagten für den geltend gemachten Schaden ist demnach nicht zweifelhaft.

3.

Die Revision meint weiter, das Berufungsgericht habe hier kein Grundurteil erlassen dürfen, weil nicht feststehe, daß das Grundstück einen höheren Verkehrswert als 250.000,- DM gehabt habe. Wenn das Berufungsgericht davon ausgehe, der Klageanspruch bestehe mit hoher Wahrscheinlichkeit in irgendeiner Höhe, dann reiche das nicht aus; auf welche Tatsachen es diese Überzeugung stütze, habe es nicht näher dargelegt.

Auch dieser Revisionsangriff geht fehl.

Ein Grundurteil setzt nicht die positive Feststellung voraus, daß der Klageanspruch in irgendeiner Höhe besteht. Dafür reicht vielmehr die hohe Wahrscheinlichkeit aus, die das Berufungsgericht hier annimmt (zum Beisp. BGH, Urteil vom 27.4.1956 - VI ZR 23/55 - NJW 1956, 1236; Urteil vom 29.5.1967 - VII ZR 297/64 = NJW 1967, 2153, 2154; Urteil vom 28.5.1968 - VI ZR 37/67 = NJW 1968, 2105 und ständig). Daß das Berufungsgericht diese Annahme nicht näher begründet, ist schon deshalb unschädlich, weil die Annahme eines Schadens der Klägerin sich hier aufdrängt und sozusagen auf der Hand liegt.

Zur Vermeidung von Unklarheiten weist der Senat darauf hin, daß die Pflichten des Beklagten als Ergänzungspfleger sich nicht etwa darauf beschränkten zu verhindern, daß der Zahlung an die Klägerin ein Betrag zugrunde gelegt wurde, der unter dem damaligen Grundstückswert lag. Vielmehr war der Beklagte schon im Hinblick auf das Testament der Großmutter gehalten ("Erlös"), den Vertrag vom 23. Juni 1977 nicht wirksam werden zu lassen, wenn die Abfindung der Klägerin ohne Rücksicht auf den damaligen Wert des Grundstücks nicht mindestens nach dem Kaufpreis bemessen wurde, der seinerzeit für das Grundstück tatsächlich zu erzielen war.

 

Unterschriften

Dr. Hoegen

Dr. Lang

Dehner

Dr. Schmidt-Kessel

Dr. Ritter

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456173

JR 1985, 104

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