Leitsatz (amtlich)
a) Führt die im Zuge von Sanierungsmaßnahmen erhöhte Gradiente einer Straße dazu, dass der Abfluss von Niederschlagswasser von einem höher gelegenen Grundstück behindert wird, kann darin ein Nachteil i.S.v. § 37 Abs. 1 Satz 1 WHG liegen.
b) Es genügt jedoch nicht, wenn die Gefahr der Überflutung des betroffenen Grundstücks nur in extremen Ausnahmefällen (Katastrophenregen) zu erwarten ist.
Normenkette
BGB § 1004 Abs. 1 S. 2; WHG § 37 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
OLG Rostock (Beschluss vom 04.01.2017; Aktenzeichen 3 U 21/16) |
LG Rostock (Entscheidung vom 26.01.2016; Aktenzeichen 9 O 329/14 (4)) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des OLG Rostock - 3. Zivilsenat - vom 4.1.2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des dritten Rechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die beklagte Gemeinde aus eigenem und abgetretenem Recht seiner Ehefrau darauf in Anspruch, "durch geeignete Maßnahmen" zu verhindern, dass sich abfließendes Niederschlagswasser von einer Gemeindestraße auf sein Grundstück zurückstaut.
Rz. 2
Der Kläger ist seit 2005 gemeinsam mit seiner Ehefrau Eigentümer eines im Gebiet der Beklagten belegenen Grundstücks. Dieses liegt zwischen landwirtschaftlichen Flächen im Südosten und der Gemeindestraße "S. F." im Nordwesten. Jenseits der Straße schließen sich in nordwestlicher Richtung weitere Felder an. Ob ein von Südosten nach Nordwesten verlaufendes Gefälle besteht, ist zwischen den Parteien ebenso streitig wie die Bodenbeschaffenheit.
Rz. 3
Der Kläger behauptet, bei stärkeren Regenfällen seien die Böden der oberhalb seines Grundstücks belegenen Felder insb. im Winter regelmäßig nicht mehr in der Lage, anfallendes Wasser aufzunehmen, das dann über sein Grundstück und die Gemeindestraße auf die tiefer gelegenen nordwestlichen Felder abfließe. Um sich vor Hochwasser zu schützen, habe er das Fußbodenniveau des von ihm errichteten Bungalows rund 15 cm über dem Scheitelpunkt des Straßenniveaus anlegen lassen. Aus diesem Grund sei sein Eigentum von starken Hochwassern Ende Januar/Anfang Februar 2006 und im Sommer 2011 kaum betroffen gewesen. Allerdings habe die Beklagte im Zuge der Beseitigung der bei dem Sommerhochwasser 2011 entstandenen Schäden an der Straße "S. F." entgegen einer anders lautenden Zusicherung die Gradiente der Straße im Jahr 2012 um 14,5 cm erhöht. Faktisch sei dadurch ein Damm errichtet worden, der den Abfluss des Niederschlagswassers auf die benachbarten Felder behindere. Zwar sei es seitdem noch nicht zu einer Überflutung seines Grundstücks gekommen, dies sei jedoch nur den günstigen Witterungsbedingungen geschuldet.
Rz. 4
Die Beklagte behauptet, die Grundstücke diesseits der Straße lägen seit jeher tiefer als der Straßenkörper. Im Zuge der Straßenerneuerung sei das ursprünglich vorhandene Entwässerungsrohr durch ein größeres ersetzt worden, das den Abfluss von Niederschlagswasser ausreichend gewährleiste. Die Straße sei überdies mit einem Gefälle in Richtung der auf der anderen Straßenseite gelegenen Straßengräben und Felder versehen worden. Niederschlagswasser könne nicht in Richtung der Wohngrundstücke fließen.
Rz. 5
Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat die Berufung des Klägers durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen.
Rz. 6
Dagegen wendet sich der Kläger mit der vom Senat zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe
Rz. 7
Die Revision des Klägers hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Rz. 8
Das OLG hat ausgeführt, der Kläger könne den geltend gemachten Anspruch weder auf § 1004 i.V.m. § 907 oder § 823 BGB noch auf einen öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch stützen. Durch die (behauptete) Veränderung der Straßengradiente habe die Beklagte nicht in unzulässiger Weise auf das Grundstück des Klägers eingewirkt. Die Beklagte sei als Unterliegerin in Ermangelung anderweitiger landesrechtlicher Bestimmungen grundsätzlich berechtigt, das von höher liegenden Grundstücken auf ihr Grundstück abfließende wilde Niederschlagswasser abzuwehren. Der Kläger sei als Oberlieger spiegelbildlich verpflichtet, einen Rückstau des abfließenden wilden Niederschlagswassers hinzunehmen, selbst wenn sein eigenes Grundstück nicht dasjenige sei, auf dem das Niederschlagswasser primär angefallen sei. Nichts anderes ergebe sich daraus, dass die Rückstaugefahr nach der Behauptung des Klägers durch den Ausbau der Gemeindestraße entstanden sei. Die Rücksichtnahme auf den Unterlieger führe nicht dazu, dass der Oberlieger an der Bewirtschaftung seines Grundstücks gehindert sei. Auch der Unterlieger sei mit Blick auf das auf sein Grundstück fließende Niederschlagswasser nicht gehindert, dieses nach seinem Gutdünken zu bewirtschaften. Die Anlegung einer Straße mit erhöhter Gradiente werde durch das Recht auf eigenständige Bewirtschaftung des Unterlieger-Grundstücks gedeckt. Die veränderte wirtschaftliche Nutzung des Grundstücks der Beklagten entspreche der Planfeststellung und damit einer rechtmäßig geänderten wirtschaftlichen Nutzung des Unterlieger-Grundstücks. Bei dieser Sachlage stelle sich das geänderte Abflussverhalten von wildem Niederschlagswasser nicht als "künstliche Veränderung des Wasserlaufs" zum Nachteil des Klägers und eine der Beklagten zurechenbare Störung dar, sondern als mittelbare Folge einer zulässigen Grundstücksnutzung. Die Beklagte sei nicht Störerin i.S.d. § 1004 BGB. Es handele sich um Niederschlagswasser, das nicht auf dem Grundstück der Beklagten anfalle. Die Störung gehe von den oberhalb gelegenen Grundstücken aus. In Bezug auf das von fremden Grundstücken abgeleitete Niederschlagswasser treffe die Beklagte nach § 40 Abs. 3 Satz 2 Landeswassergesetz Mecklenburg-Vorpommern keine originäre Beseitigungspflicht. Danach sei nur derjenige zur Beseitigung des Niederschlagswassers verpflichtet, bei dem es anfalle. Außerdem fehle es an der von § 907 BGB vorausgesetzten "sicheren" Gefährdung des klägerischen Grundstücks.
II.
Rz. 9
Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Rz. 10
Auf der Grundlage des für die Revisionsinstanz zugrunde zu legenden Sachvortrags des Klägers ist ein gegen die Beklagte gerichteter Anspruch auf Vornahme von Maßnahmen zur Verhinderung einer zusätzlichen Belastung seines Grundstücks mit wild abfließendem Niederschlagswasser nicht auszuschließen.
Rz. 11
1. Bedenken gegen die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten bestehen nicht. Die Beklagte erhebt im Revisionsrechtszug insoweit mit Recht keine Einwendungen mehr, mit denen sie allerdings nicht gem. § 17a Abs. 5 GVG ausgeschlossen wäre, da die Vorinstanzen über ihre entsprechende vor dem LG erhobene Rüge nicht gem. § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG vorab entschieden haben (vgl. BGH, Urt. v. 25.2.1993 - III ZR 9/92, BGHZ 121, 367, 370 ff.).
Rz. 12
2. Die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien beurteilen sich nach §§ 903 ff., § 1004 BGB i.V.m. § 37 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung des Wasserrechts vom 31.7.2009 (BGBl. I 2585), der die frühere landesrechtliche Vorschrift des § 80 Abs. 2 bis 5 des Wassergesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 30.11.1992 (GVBl. S. 669, im Folgenden: WG Mecklenburg-Vorpommern) ersetzt hat (vgl. Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD eines Gesetzes zur Neuregelung des Wasserrechts, BT-Drucks. 16/12275, 82; Czychowski/Reinhardt, Wasserhaushaltsgesetz, 11. Aufl., § 37 Rz. 8). Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand lässt sich der geltend gemachte vorbeugende (verschuldensunabhängige) Abwehranspruch des Klägers gegen die Beklagte nicht verneinen. Da das Berufungsgericht vom Tatsachenvortrag des Klägers abweichende Feststellungen nicht getroffen hat, ist dieser im Revisionsverfahren als richtig zu unterstellen. Auf der Grundlage der Behauptungen des Klägers ist der geltend gemachte Anspruch gegen die Beklagte begründet.
Rz. 13
a) Der Eigentümer eines Grundstücks kann sich gegen Einwirkungen hierauf - auch durch wild abfließendes Niederschlagswasser -, die von einem Nachbargrundstück ausgehen und sein Eigentum (§ 903 BGB) beeinträchtigen, grundsätzlich mit dem auf Unterlassung gerichteten Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB zur Wehr setzen (z.B. BGH, Urt. v. 18.4.1991 - III ZR 1/90, BGHZ 114, 183, 185 f.). Mit dem vorbeugenden Unterlassungsanspruch können auch künftige Störungen abgewehrt werden, sofern die erstmalige Beeinträchtigung ernsthaft droht (vgl. BGH, Urt. v. 17.9.2004 - V ZR 230/03, NJW 2004, 3701, 3702; v. 19.6.1951 - I ZR 77/50, BGHZ 2, 394, 395). Lässt sich die drohende Beeinträchtigung nicht anders verhindern, kann unter Umständen auch ein aktives Eingreifen des Anspruchsgegners in Form "geeigneter Maßnahmen" - wie vom Kläger beantragt - geboten sein (vgl. BGH, Urt. v. 12.6.2015 - V ZR 168/14, NJW-RR 2016, 24 Rz. 27; v. 12.12.2003 - V ZR 98/03, NJW 2004, 1035, 1037).
Rz. 14
Inhalt und Umfang des Anspruchs im Einzelnen ergeben sich aus der gesetzlichen Regelung des Nachbarrechts, das durch den Ausgleich der einander widerstreitenden Interessen der Nachbarn gekennzeichnet ist und sich nicht nur im Bürgerlichen Gesetzbuch selbst findet (§§ 906 ff. BGB), sondern auch in den die allgemeinen nachbarrechtlichen Bestimmungen ändernden und sie ergänzenden Rechtsvorschriften enthalten ist. Die jeweilige Eigentümerstellung wird durch die Zusammenschau aller sie regelnden gesetzlichen Vorschriften bestimmt, die zugleich ihren Inhalt wie ihre Schranken ausmachen. In dem hiernach gegebenen Rahmen kann sich der Eigentümer gegen die Beeinträchtigungen seines Eigentums zur Wehr setzen (Senat, a.a.O., S. 186 m.w.N.).
Rz. 15
b) Die Annahme des Berufungsgerichts, der Unterlieger sei in Ermangelung landesrechtlicher Vorschriften berechtigt, das Niederschlagswasser abzuwehren, während der Oberlieger dies "spiegelbildlich" auch für den Fall der Beeinträchtigung seines Grundstücks durch einen Rückstau des Wassers hinzunehmen habe, selbst wenn das Niederschlagswasser dort nicht primär angefallen sei, beruht darauf, dass die Vorinstanz § 37 Abs. 1 Satz 1 WHG verkannt hat.
Rz. 16
Nach dieser Bestimmung darf der natürliche Ablauf wild abfließenden Wassers auf ein tiefer liegendes Grundstück nicht zum Nachteil des höher liegenden Grundstücks behindert werden. Mit dem hier maßgeblichen Inhalt ist die Vorschrift am 1.3.2010 in Kraft getreten (Art. 24 Abs. 2 des Gesetzes zur Neuregelung des Wasserrechts vom 31.7.2009, a.a.O.; s. i.Ü. zuvor auch § 80 Abs. 2 WG Mecklenburg-Vorpommern) und betrifft solche Fallgestaltungen, in denen die tatbestandliche Ablaufbehinderung - wie hier die vom Kläger behauptete Erhöhung der Straßengradiente im Jahr 2012 - nach diesem Zeitpunkt vorgenommen worden ist (Senat, Urt. v. 26.1.2017 - III ZR 465/15, NJOZ 2018, 29 Rz. 8).
Rz. 17
c) Nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Klägervortrag ist die Beklagte als Störerin i.S.v. § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB anzusehen, weil sie bei der Planung und Ausführung der Sanierung der Straße "S. F." § 37 Abs. 1 Satz 1 WHG nicht hinreichend beachtet hat.
Rz. 18
aa) Bei der Planung und dem Bau von Straßen hat der Träger der Straßenbaulast die anerkannten Regeln der Straßenbautechnik und der Wasserwirtschaft zu beachten. Zu diesen gehören auch die Vorschriften des Wasser- und Nachbarrechts über Veränderungen des Ablaufs wild abfließenden Wassers (BGH, Urt. v. 23.4.2015 - III ZR 397/13, NVwZ 2015, 1317 Rz. 17 und BGH, Beschl. v. 29.6.2006 - III ZR 269/05, NVwZ-RR 2006, 758 Rz. 8 m.w.N.).
Rz. 19
(1) Zum wild ablaufenden, d.h. ungefassten, nicht in einem Bett fließenden Oberflächenwasser gehört grundsätzlich auch Niederschlagswasser (s. § 37 Abs. 4 WHG), solange es nicht - wie es hier nicht der Fall ist - nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WHG aus dem Bereich von bebauten oder befestigten Flächen gesammelt abfließt und daher dem Regime der Abwasserbeseitigung nach den §§ 54 ff. WHG unterfällt (vgl. Czychowski/Reinhardt, WHG, 11. Aufl., § 37 Rz. 12; zur - hier nicht einschlägigen - landesrechtlichen Regelung vgl. § 40 WG Mecklenburg-Vorpommern).
Rz. 20
(2) Verboten ist eine künstliche Veränderung des natürlichen Ablaufs von wild abfließendem Wasser zum Nachteil des höher liegenden Grundstücks. Ausgangspunkt ist insoweit das natürliche Geländegefälle. Maßgeblich sind hier die vorhandenen Geländeverhältnisse vor der Sanierung der Straße "S. F.". Der natürliche Abflusszustand ist nach den Rechtsverhältnissen zu beurteilen, die im Zeitpunkt der Geltendmachung von Abwehransprüchen des Nachbarn bestehen (vgl. Senatsurteil vom 26.1.2017, a.a.O., Rz. 16 zu Art. 63 BayWG; Grziwotz, Nachbarrecht, 3. Teil Rz. 281; Drost, Das Wasserrecht in Bayern, Art. 63 Rz. 4 [Stand: Januar 2009]). Ein natürlicher Ablauf ist daher auch dann gegeben, wenn der natürliche Ursprungszustand in der Vergangenheit durch künstliche Eingriffe verändert worden ist, sofern dies mit Einwilligung der Betroffenen erfolgt oder über einen längeren Zeitraum widerspruchslos hingenommen worden ist. Es ist darauf abzustellen, ob der vorhandene Zustand in seiner Gesamtheit rechtmäßig besteht und damit zugleich den Zustand des natürlichen Gefälles mitbestimmt (Senat und Drost jew., a.a.O.). Der natürliche Ablauf richtet sich also nach den vorhandenen Boden- und Geländeverhältnissen, auch wenn diese zuvor nach der vorstehenden Maßgabe (künstlich) verändert wurden (Niesen in Berendes/Frenz/Müggenborg, WHG, 2. Aufl., § 37 Rz. 9).
Rz. 21
(3) Ob ein "Nachteil" i.S.d. § 37 Abs. 1 Satz 1 WHG vorliegt, ist objektiviert grundstücksbezogen (und nicht nur subjektiv) zu beurteilen. Die Nutzbarkeit des betroffenen Grundstücks muss gegenüber dem bisherigen Zustand eingeschränkt sein; es muss eine "Belästigung" für den Grundstückseigentümer entstanden sein, die von einigem Gewicht und spürbar ist, und dadurch sein Grundstück erheblich beeinträchtigt werden (BGH, Urt. v. 13.5.1982 - III ZR 180/80, NVwZ 1982, 700, 701). Nur drohende Nachteile reichen nicht aus, sie müssen tatsächlich eintreten oder doch mit Sicherheit zu erwarten sein (Senat, Urt. v. 17.1.2017, a.a.O., Rz. 11). Ausreichend ist aber, dass sich die Wasserzufuhr nur bei stärkerem Regen nachteilig auswirkt (Grziwotz, a.a.O., Rz. 285; vgl. auch Senatsurteil vom 13.5.1982, a.a.O.).
Rz. 22
Ein Nachteil in diesem Sinn ist allerdings zu verneinen, wenn eine Beeinträchtigung des betroffenen Grundstücks nur bei einem ganz ungewöhnlichen und seltenen Starkregen (Katastrophenregen) zu erwarten ist (vgl. dazu etwa BGH, Urt. v. 5.6.2008 - III ZR 137/07, NVwZ-RR 2008, 672 Rz. 10; v. 19.1.2006 - III ZR 121/05, BGHZ 166, 37 Rz. 7; v. 22.4.2004 - III ZR 108/03, BGHZ 159, 19, 22 f.). Ebenso wie beispielsweise bei der Anlagenhaftung gem. § 2 Abs. 3 Haftpflichtgesetz oder der Haftung aus enteignendem Eingriff verwirklicht sich in einem solchen Fall weniger die durch den Rückstau von Niederschlags- oder sonstigem wild abfließendem Wasser geschaffene latente Gefahr, sondern die in einem Katastrophenregen zum Ausdruck kommende höhere Gewalt (Senatsurteile vom 5.6.2008; vom 19.1.2006 und vom 22.4.2004; jeweils a.a.O.). Ein Nachteil, der letztlich nicht mehr auf dem Eingriff des Anspruchsgegners, sondern auf den Wirkungen höherer Gewalt beruht, kann einen Unterlassungsanspruch nicht begründen. Bei der Beurteilung wird es indes ebenfalls eine Rolle spielen, ob ein (drohendes) Schadensereignis nicht gleichwohl mit wirtschaftlich zumutbaren Mitteln abgewendet werden kann (vgl. Senatsurteil vom 19.1.2006, a.a.O., Rz. 8).
Rz. 23
bb) Dies zugrunde gelegt, ist es nach dem bisherigen Sach- und Streitstands nicht ausgeschlossen, dass sich die Straßenbaumaßnahmen der Beklagten i.S.d. § 37 Abs. 1 Satz 1 WHG nachteilig auf das klägerische Grundstück ausgewirkt haben.
Rz. 24
(1) Ein Verstoß gegen § 37 Abs. 1 Satz 1 WHG kann darin liegen, dass durch Straßenbaumaßnahmen der Abfluss des Wassers auf die Nachbargrundstücke verstärkt wird (z.B. Senat, Urt. v. 6.12.1973 - III ZR 49/71, BeckRS 1973, 30381350 unter II.3.b zu § 81 Abs. 2 Wassergesetz für Baden-Württemberg vom 25.2.1960, Gesetzbl. S. 17). Ebenso darf der Straßenbaulastpflichtige etwa im Zusammenhang mit dem Ausbau einer Straße einen den natürlichen Wasserabfluss verhindernden Damm nicht errichten (Senat, Beschl. v. 29.6.2006, a.a.O., zu einem Lärmschutzwall). Nichts anderes kann für die behauptete Erhöhung der Gradiente einer zu sanierenden Straße um 14,5 cm gelten, sofern sie dazu führt, dass hierdurch das Oberlieger-Grundstück durch den Rückstau des abfließenden Wassers im vorstehend genannten Sinn beeinträchtigt wird.
Rz. 25
(2) Eine bei einem heftigen Regen zu erwartende im Vergleich zu dem Zustand vor der Sanierungsmaßnahme stärkere Überschwemmung eines Grundstücks, insb. der darauf errichteten und bislang von Überflutungen nicht oder nicht nennenswert betroffenen Gebäude, stellt einen deutlich spürbaren Nachteil i.S.v. § 37 Abs. 1 Satz 1 WHG dar, der das Grundstück erheblich beeinträchtigt, sofern dies nicht nur in extremen Ausnahmefällen, sondern regelmäßig wiederkehrend zu befürchten ist. Zugleich liegt darin eine ernsthaft drohende Beeinträchtigung i.S.v. § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB. Dass die bestehende Gefahr sich verwirklicht, braucht der Betroffene nicht abzuwarten.
Rz. 26
§ 907 BGB ist wegen der spezielleren Regelung in § 37 WHG nicht anwendbar (vgl. BGH, Urt. v. 12.11.1999 - V ZR 229/98, NJW-RR 2000, 537, 538 m.w.N. zu § 21 HessNachbG). Die wassernachbarrechtlichen Vorschriften bestimmen insoweit sondergesetzlich und abschließend, was als unzulässige Einwirkung i.S.v. § 907 BGB anzusehen ist (BGH, a.a.O.).
Rz. 27
cc) Einem Anspruch des Klägers lässt sich nach bisherigem Sach- und Streitstand ein etwaiges die Gemeindestraße "S. F." betreffendes Planfeststellungsverfahren nicht entgegenhalten. Es besteht derzeit kein Anlass für die Annahme, der Kläger könnte angesichts eines planfestgestellten Vorhabens, in dem er seine Rechte hätte geltend machen und ggf. durchsetzen können, mit zivilrechtlichen Ansprüchen gem. § 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG ausgeschlossen sein (vgl. dazu BGH, Urt. v. 21.1.1999 - III ZR 168/97, BGHZ 140, 285, 296, 300 f.; BGH, Urt. v. 30.10.2009 - V ZR 17/09, NJW 2010, 1141 Rz. 18; v. 10.12.2004 - V ZR 72/04, BGHZ 161, 323, 329 ff.; s. auch Senatsurteil vom 23.4.2015, a.a.O., Rz. 11). Zwar ist in dem Hinweisbeschluss des OLG davon die Rede, die veränderte wirtschaftliche Nutzung des Grundstücks der Beklagten entspreche der "Planfeststellung". Feststellungen dazu, wann und in welchem Zusammenhang und mit welchem Gegenstand ein Planfeststellungsverfahren stattgefunden hat und welchen Inhalt ein etwaiger Planfeststellungsbeschluss hatte, hat das Berufungsgericht aber nicht getroffen. Tatsächliche Anhaltspunkte ergeben sich auch weder aus dem Parteivortrag noch sind sie sonst ersichtlich.
Rz. 28
d) Zu den von der Beklagten bestrittenen Behauptungen des Klägers, dass die Sanierungsmaßnahmen an der Straße "S. F." zu einer Erhöhung der Gradiente von 14,5 cm geführt haben und dass eine solche Erhöhung geeignet ist, einen so erheblichen Rückstau von Niederschlagswasser auf das klägerische Grundstück zu bewirken, dass es bei künftig auftretendem Starkregen und/oder Tauwetter absehbar zu Schäden, insb. am Wohnhaus, kommen kann, hat das Berufungsgericht, von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig, bislang keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Dies ist unter Berücksichtigung des Sachvortrags beider Parteien und der Streithelferin der Beklagten nachzuholen.
III.
Rz. 29
Das Berufungsurteil ist daher gem. § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Da weitere Feststellungen zu treffen sind, ist der Senat an einer eigenen Sachentscheidung nach § 563 Abs. 3 ZPO gehindert.
Fundstellen
Haufe-Index 13177595 |
NJW-RR 2019, 1035 |
NZM 2019, 901 |
ZfIR 2019, 465 |
JZ 2019, 511 |
MDR 2019, 11 |
MDR 2019, 990 |
NJW-Spezial 2019, 483 |
FSt 2019, 753 |
Jura 2019, 1215 |
W+B 2019, 186 |