Entscheidungsstichwort (Thema)
Verspätetes Vorbringen im frühen ersten Termin. Ausschluss einer Streitbeendigung nach Sach- und Rechtslage
Leitsatz (amtlich)
Ein Vorbringen darf im frühen ersten Termin nicht als verspätet zurückgewiesen werden, wenn nach der Sach- und Rechtslage eine Streitbeendigung in diesem Termin von vornherein ausscheidet.
Normenkette
ZPO § 275 Abs. 1, § 296 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des OLG Frankfurt v. 14.1.2004 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als hinsichtlich eines Betrages von 38.625,50 EUR und Zinsen zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von den Beklagten restlichen Werklohn aus einem Bauvertrag über die Errichtung eines Einfamilienhauses.
Am 18.12.2000 wurden die erbrachten Leistungen gemeinschaftlich unter Feststellung von im Einzelnen bezeichneten Mängeln abgenommen. Am 29.12.2000 stellte die Klägerin Schlussrechnung über 152.267,60 DM. Die Beklagten zahlten darauf 70.000 DM. Am 12.4.2001 erfolgte eine "Nachabnahme", in der die strittigen und unstrittigen Punkte zwischen den Parteien festgehalten wurden.
Nachdem die Klägerin einen Teil der dort festgehaltenen Mängel beseitigt hatte, verlangte sie klageweise die Zahlung eines Restbetrages von 43.329,07 EUR. In der Klagebegründung führte sie aus, ein Teil der Mängel sei weiterhin streitig, teilweise habe man sich auf Minderung geeinigt, die Beklagten rügten zwar angebliche neue Mängel, die jedoch nicht vorlägen.
Das LG hat am 10.1.2003 Termin zur "Güteverhandlung und frühen ersten Termin" auf 12.3.2003 bestimmt. Die Beklagten wurden unter Hinweis auf die Folgen der Fristversäumnis aufgefordert, für den Fall der Verteidigung gegen die Klage durch einen Rechtsanwalt innerhalb von drei Wochen nach Zustellung schriftlich zu erwidern. Die Beklagten beantragten durch ihren Prozessbevollmächtigten am 17.1.2003, die Klage abzuweisen. Sie kündigten ferner an, dass die Klageerwiderung fristgerecht nachgereicht werde. Auf ihren Antrag wurde die Klageerwiderungsfrist bis 15.2.2003 verlängert und der Verhandlungstermin wegen ihrer Verhinderung auf den 4.6.2003 verlegt. In diesem Termin überreichten die Beklagten die Klageerwiderung. Sie berufen sich auf ein Leistungsverweigerungsrecht mindestens in Höhe der geltend gemachten Forderung. Es lägen weiterhin zahlreiche Mängel vor, die in der Klageerwiderung im Einzelnen dargelegt werden. Vereinbarte Minderungsbeträge seien zudem nicht berücksichtigt.
Das LG hat die Beklagten unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Zahlung von 38.625,50 EUR verurteilt. Soweit der Klage stattgegeben wurde, hat das LG das Vorbringen der Beklagten gem. § 296 ZPO ausgeschlossen, weil hierdurch eine Verzögerung des Rechtsstreits eingetreten wäre. Bei Beachtung der Frist, deren Überschreitung die Beklagten nicht entschuldigt hätten, hätten richterliche Hinweise zu den von den Beklagten nicht hinreichend substantiierten Mängeln erfolgen können. Im Termin v. 4.6.2003 hätte der gesamte Sach- und Streitstand aufbereitet und hierüber verhandelt werden können. Wenn nunmehr das verspätete Vorbringen zugelassen würde, wären erst nach der mündlichen Verhandlung entsprechende Hinweise möglich. Hierauf müsste den Beklagten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden, ebenfalls der Klägerin, so dass es erforderlich gewesen wäre, zumindest einen weiteren Termin abzuhalten, bei dem die konkrete Situation hätte verhandelt werden können.
Hinsichtlich eines Betrages von 3.766,57 EUR sei die Klage abzuweisen, da nach dem insoweit nicht bestrittenen Vortrag der Beklagten eine Minderung vereinbart worden sei.
Nach beiderseitiger Berufung hat das Berufungsgericht die Beklagten zur Zahlung auch dieses Betrages verurteilt. Nachdem der Senat die Revision der Beklagten, soweit hinsichtlich des Betrages von 38.625,50 EUR zu ihrem Nachteil entschieden worden ist, zugelassen hat, verfolgen diese ihren Anspruch auf Klageabweisung in diesem Umfang weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt im Umfang der Zulassung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht ist der Ansicht, das Vorbringen der Beklagten sei zu Recht überwiegend als verspätet zurückgewiesen worden. Die Zulassung hätte zu einer Verzögerung geführt und zwar sowohl, soweit das LG noch Hinweise an die Beklagten für nötig gehalten habe, als auch im Hinblick auf den Vortrag der Klägerin. Da die Klägerin bereits vor dem Vorbringen der Beklagten das Vorhandensein weiterer Mängel bestritten habe, hätte nur auf Grund der verspäteten Behauptungen über weitere Mängel, soweit sie ausreichend substantiiert beschrieben und unter Sachverständigenbeweis gestellt seien, weiterverhandelt und Beweis erhoben werden müssen, was jedenfalls zu einer Verzögerung des Rechtsstreits geführt hätte. Es habe daher nicht einmal eines Schriftsatznachlasses zu Gunsten der Klägerin bedurft.
Hinsichtlich des Betrages von 3.766,57 EUR seien die Mängel nicht unstreitig. Das Urteil unterliege insofern der Änderung, weil die Beklagten über die Minderungsbeträge zu Mängeln von insgesamt 3.766,57 EUR weder in Erster noch in zweiter Instanz Beweis angetreten hätten.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Das Berufungsgericht geht zu Unrecht davon aus, dass die Beklagten mit ihrem Vorbringen in der Klageerwiderung v. 3.6.2003 gem. § 531 Abs. 1 ZPO ausgeschlossen sind. Das LG hat diesen Vortrag rechtsfehlerhaft als verspätet behandelt.
1. Eine Zurückweisung unentschuldigten verspäteten Vorbringens ist auch im frühen ersten Termin möglich (BGH, Urt. v. 2.12.1982 - VII ZR 71/82, BGHZ 86, 31 = MDR 1983, 393). Das Vorbringen darf im frühen ersten Termin jedoch dann nicht zurückgewiesen werden, wenn nach der Sach- und Rechtslage eine Streitbeendigung in diesem Termin von vornherein ausscheidet (BGH, Urt. v. 21.10.1986 - VI ZR 107/86, BGHZ 98, 368 = MDR 1987, 225), etwa weil es sich erkennbar um einen Durchlauftermin handelt (BGH, Urt. v. 2.12.1982 - VII ZR 71/82, BGHZ 86, 31 = MDR 1983, 393) oder es sich um einen offensichtlich schwierigen Prozess handelt (BGH, Urt. v. 21.10.1986 - VI ZR 107/86, BGHZ 98, 368 = MDR 1987, 225). Die Zurückweisung von Vorbringen als verspätet verstößt gegen den Anspruch des Prozessbeteiligten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 GG, wenn sich ohne weitere Erwägungen aufdrängt, dass die Verzögerung auch bei rechtzeitigem Vorbringen eingetreten wäre. Die Präklusionsvorschriften der Zivilprozessordnung dürfen nicht dazu benutzt werden, verspätetes Vorbringen auszuschließen, wenn ohne jeden Aufwand erkennbar ist, dass die Pflichtwidrigkeit - die Verspätung allein - nicht kausal für die Verzögerung ist (BVerfG, Beschl. v. 27.1.1995 - I BvR 1430/94, NJW 1995, 1417, m.w.N.).
2. Nach diesen Grundsätzen durfte das LG das Vorbringen der Beklagten nicht als verspätet zurückweisen.
Bereits aus der Klagebegründung ergab sich, dass es zwischen den Parteien auch nach der "Nachabnahme" v. 12.4.2001 noch eine Vielzahl von streitigen Positionen gab. Danach bestand zum einen Streit um noch zu erledigende Arbeiten, zum anderen um das Vorhandensein weiterer im Nachabnahmeprotokoll festgehaltener Mängel, sowie darum, ob und in welcher Höhe Abzüge wegen vereinbarter Minderungen vorgenommen werden durften. Darüber hinaus wies die Klägerin in der Klagebegründung darauf hin, dass noch weitere, bei der Abnahme nicht angegebene neue Mängel gerügt worden seien sowie dass alle weiteren Versuche einer gütlichen Einigung gescheitert seien. Bereits danach war klar, dass die Beklagten diese Rügen auch im Prozess erheben würden, also eine Beweisaufnahme mit Zeugenvernehmung und Sachverständigengutachten erforderlich sein werde und deshalb die Streiterledigung im frühen ersten Termin von vornherein ausschied. Das verspätete Vorbringen zu den erheblichen Streitpunkten ist mithin nicht ursächlich geworden, weil diese Beweiserhebung auch bei rechtzeitigem Vorbringen erforderlich gewesen wäre.
Nicht gefolgt werden kann im Übrigen der Ansicht des LG, nach richterlichen Hinweisen zur fehlenden Substantiierung von Mängeln in der Klageerwiderung hätte im Termin v. 4.6.2003 der gesamte Sach- und Streitstand aufbereitet werden können. Das LG äußert sich nicht dazu, zu welchen Mängeln nicht substantiiert vorgetragen sein soll. Diese sind im Einzelnen im Schriftsatz v. 3.6.2003 substantiiert vorgetragen. Unzutreffend ist die Erwägung des Berufungsgerichts, von Bedeutung sei, dass die Klägerin das Vorhandensein der von den Beklagen behaupteten Mängel bereits in der Klagebegründung als bestritten dargestellt habe. Dies belegt gerade, dass eine Streiterledigung im frühen ersten Termin von vornherein ausschied.
Fundstellen
Haufe-Index 1392720 |
BB 2005, 1818 |
BGHR 2005, 1347 |
BauR 2005, 1508 |
EBE/BGH 2005, 246 |
NJW-RR 2005, 1296 |
IBR 2005, 647 |
JurBüro 2005, 613 |
ZAP 2005, 1226 |
MDR 2005, 1366 |
MDR 2006, 555 |
WuM 2005, 606 |
BrBp 2005, 465 |
NZBau 2005, 516 |
JbBauR 2006, 401 |
ProzRB 2005, 285 |