Leitsatz (amtlich)
Zu den Pflichten des Rechtssekretärs einer gewerkschaftlichen Rechtsstelle, der einen der Gewerkschaft angehörenden ausländischen Gastarbeiter in einer Kündigungsangelegenheit berät.
Normenkette
BGB § 662
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Urteil vom 19.01.1984) |
LG Düsseldorf |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 19. Januar 1984 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger nimmt den Beklagten wegen verspäteter Einreichung einer Kündigungsschutzklage auf Zahlung von 10.000 DM Schadensersatz nebst Zinsen in Anspruch.
Der türkische Kläger war seit 1966 bei einem Polsterwarenhersteller in G. beschäftigt. Am 19. April 1979 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis in Gegenwart eines Dolmetschers mündlich zum 30. Juni 1979. Eine Woche später suchte der Kläger – begleitet von einem Sozialhelfer für Türken – den Rechtssekretär T. der Beklagten in deren Rechtsstelle in O. wegen eines arbeitsgerichtlichen Rechtsstreits auf, den er gegen seinen Arbeitgeber über die Lohnfortzahlung in einem Krankheitsfall führte. In dem Rechtsstreit vertrat T. den Kläger. Dieser behauptet, anläßlich des Besuches am 26. April 1979 T. von der Kündigung seitens des Arbeitgebers berichtet zu haben. T. habe ihm geraten, sich die Kündigung schriftlich geben zu lassen. Hingegen habe er ihn weder auf die Möglichkeit hingewiesen gerichtlich gegen die Kündigung vorzugehen, noch ihn Über die dreiwöchige Klagefrist des § 4 KSchG unterrichtet. Infolgedessen sei es zu einer verspäteten Einreichung der Kündigungsschutzklage gekommen. Dadurch sei ihm ein Schaden von mindestens 10.000 DM entstanden.
Demgegenüber hat der Beklagte vorgetragen: Der Kläger habe T. bei der Unterredung an 26. April 1979 lediglich mitgeteilt, daß sein Arbeitgeber von der Möglichkeit einer einverständlichen Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni 1979 gesprochen habe. Die Frage, ob er einer solchen zugestimmt habe oder ob ihm bereits gekündigt worden sei, habe der Kläger verneint. Allerdings sei es T. nach den Erklärungen des Klägers zweifelhaft gewesen, ob diesem nicht doch schon gekündigt worden sei. Er habe ihn deshalb aufgefordert, mit dem Sozialbetreuer zu seinem Arbeitgeber zu gehen und diese Frage zu klären. Außerdem habe er den Kläger auf die dreiwöchige Klagefrist für den Fall einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses hingewiesen. Erst am 16. Mai 1979 habe er wieder von der Sache gehört und erfahren, daß der Arbeitgeber dem Kläger schon am 19. April 1979 gekündigt habe. Darauf habe er am nächsten Tage eine Kündigungsschutzklage eingereicht.
Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger den Klageanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Mit den Vorinstanzen kann zu Gunsten des Klägers davon ausgegangen werden, daß die Sachlegitimation des Beklagten gegeben ist und der Kläger bei dem Gespräch am 26. April 1979 von T. auch in der Kündigungsangelegenheit rechtlich beraten werden sollte. Dennoch kann die Revision keinen Erfolg haben.
1. Das Berufungsgericht hat nicht feststellen können, daß T. bei der Unterredung am 26. April 1979 die Kündigungserklärung vom 19. April 1979 bekannt geworden ist. Die hiergegen gerichteten verfahrensrechtlichen Rügen der Revision erachtet der Senat nicht für durchgreifend. Von einer näheren Begründung sieht er gemäß § 565 a ZPO ab. Bemerkt sei lediglich, daß die widersprüchlichen Angaben der Zeugen E. und T. zum Inhalt der Besprechung vom 26. April 1979 bei ihrer erstinstanzlichen Vernehmung das Berufungsgericht nicht nötigten, sie erneut zu vernehmen, zumal auch nicht ersichtlich ist, daß dadurch eine bessere Aufklärung des Sachverhalts zu erzielen gewesen wäre.
2. Das Berufungsgericht ist auf Grund der Aussage des Zeugen T. davon ausgegangen, daß der Kläger dem Zeugen bei dem Gespräch am 26. April 1979 erklärt hat, er sei von seinem Arbeitgeber auf die Möglichkeit hingewiesen worden, „zum 30. Juni 1979 zu kündigen oder das Arbeitsverhältnis zu beenden”. Das Berufungsgericht hat außerdem festgestellt, daß T. dem Kläger aufgetragen hat, sofort durch Rückfrage beim Arbeitgeber zu klären, ob eine Kündigung ausgesprochen worden sei, und daß er, falls das zutreffend sein sollte, sofort wiederkommen solle, weil die Kündigungsschutzklage binnen drei Wochen erhoben werden müsse. Hiervon ausgehend meint das Berufungsgericht, daß T. damit seinen Pflichten genügt habe. Er sei nicht gehalten gewesen, die Frage einer Kündigung selbst durch eine Rückfrage beim Arbeitgeber zu klären. Der Rechtssekretär einer Gewerkschaft müsse – ebensowenig wie ein Rechtsanwalt – sich nicht selbst die für den Rechtsschutz eines Mitglieds bedeutsamen Informationen beschaffen, sondern lediglich auf eine notwendige Sachverhaltsklärung durch dieses hinwirken. Auch habe T. sicher sein dürfen, daß der von einem sprachkundigen Sozialbetreuer begleitete Kläger seine Hinweise verstanden habe und sich erforderlichenfalls wieder rechtzeitig melden werde.
Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, T. habe seinen Pflichten als Rechtsberater genügt. Daß sich aus der Satzung oder einer etwaigen Rechtsschutzordnung der IG M., die dem ihr angehörenden Kläger Rechtsschutz gewährt hatte, für T. ganz bestimmte Einzelpflichten ergeben haben, vermag auch die Revision nicht vorzutragen. Allerdings kann ein Gewerkschaftsmitglied, dem seine Gewerkschaft Rechtsschutz als Vereinsleistung anbietet und gewährt, von dieser oder einem eingeschalteten Rechtssekretär erwarten, daß es sorgfältig beraten wird und seine Interessen in gleicher Weise wahrgenommen werden. Auch kann es davon ausgehen, daß Schäden und Nachteile im Rahmen des Möglichen von ihm abgewendet werden. Jedoch hängt es grundsätzlich von den Umständen ab, was im Einzelfall von der Gewerkschaftsseite zumutbarer Weise zu verlangen ist. Hier brauchte Tetzlaff nach Lage der Dinge nicht, wie die Revision meint, selbst beim Arbeitgeber des Klägers Rückfrage wegen einer etwaigen Kündigung des Arbeitsverhältnisses am 19. April 1979 zu halten. Denn auch für den Rechtssekretär der Rechtsstelle einer Gewerkschaft, der ein Gewerkschaftsmitglied in einer Rechtsangelegenheit berät, besteht ohne besonderen Anlaß nicht die Pflicht, eigene Ermittlungen tatsächlicher Art zu dein ihm von dem Rechts suchenden unterbreiteten Sachverhalt durchzuführen. Seine Aufgabe ist es in erster Linie, diesen Sachverhalt rechtlich zu beurteilen und das rechtssuchende Mitglied danach zu beraten. Allerdings hat er dort, wo Unklarheiten tatsächlicher Art bestehen, auf deren Klärung hinzuwirken, soweit das für die von ihm übernommene Rechtsberatung bedeutsam ist. Das ist hier aber ausreichend dadurch geschehen, daß T. den Kläger aufgefordert hat, sofort die – zweifelhafte – Kündigungsfrage durch Vorsprache bei dem Arbeitgeber zu klären und bei einer schon ausgesprochenen Kündigung sofort wieder zu ihm zu kommen, damit die dem Kläger ebenfalls aufgezeigte dreiwöchige Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage nicht versäumt wird. Auch konnte T., wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei ausgeführt hat, wegen der Mitwirkung eines als Sozialarbeiter tätigen Landsmannes des Klägers und dessen unbestritten genügende Kenntnis der deutschen und türkischen Sprache davon ausgehen, daß ihn der Kläger voll verstanden habe. Dann war er aber nicht, wie die Revision meint, zu einer eigenen Initiative gegenüber dem Arbeitgeber des Klägers verpflichtet, zumal es sich um die Klärung eines einfachen Sachverhalts gehandelt hat und die gesamten Umstände dafür sprachen, daß diese dem Kläger zumindest mit Hilfe des ihn begleitenden Sozialarbeiters ohne weiteres möglich war. Damit, daß der Kläger seine eigenen Interessen trotz sachgerechter Unterrichtung grob vernachlässigte, brauchte T. nicht zu rechnen.
Unterschriften
Stimpel, Dr. Bauer, Dr. Kellermann, Bundschuh, Dr. Seidl
Fundstellen
Haufe-Index 1237629 |
NJW 1985, 44 |
Nachschlagewerk BGH |
ZIP 1984, 1233 |