Entscheidungsstichwort (Thema)
Verstoße gegen das MRG Nr. 53
Leitsatz (amtlich)
Zur Anwendbarkeit von Artikel VIII MRG Nr. 53 bei Embargoverstößen von Bürgern der DDR (Fortentwicklung von BGHSt 40, 378; 42, 113).
Normenkette
MRG Nr. 53 Art. VIII
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 31.01.1996) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 31. Januar 1996 wird der Schuldspruch dahin gefaßt, daß der Angeklagte wegen Verstoßes gegen Artikel VIII Abs. 1 (i.V.m. Artikel I Abs. 1 Buchstabe d, Abs. 2) des Militärregierungsgesetzes Nr. 53 (MRG Nr. 53) in 36 Fällen verurteilt ist.
II. Die weitergehende Revision wird verworfen.
III. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
– Von Rechts wegen –
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen tateinheitlicher Vergehen gegen Artikel I Nr. 1 d und gegen Artikel I Nr. 2 des Militärregierungsgesetzes Nr. 53 (MRG Nr. 53) in 36 Fällen – unter Freisprechung im übrigen – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt. Die Revision des Angeklagten, der Verfahrenshindernisse geltend macht und die Verletzung förmlichen sowie sachlichen Rechts rügt, führt zur Neufassung des Schuldspruchs. Die weitergehende Revision hat keinen Erfolg.
A.
Der Angeklagte, der bis zu seiner Ausreise aus der DDR im Dezember 1989 Staatssekretär im Ministerium für Außenhandel der DDR und Leiter des Bereichs „Kommerzielle Koordinierung” (KoKo) sowie Offizier im besonderen Einsatz des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) war, wurde Anfang der 80 er Jahre vom Sekretär für Wirtschaft des Zentralkomitees der SED und Mitglied des Politbüros Günter M. beauftragt, Handfeuerwaffen und Nachtsichtgeräte aus dem „nichtsozialistischen Ausland” zu beschaffen. Er hatte als Leiter des Bereiches KoKo und als Devisenhändler außerordentliche Rechte und Vollmachten – auch gegenüber anderen staatlichen Organen – und hatte in der Wahl der Mittel und Wege zur Beschaffung der gewünschten Geräte freie Hand. Bei den nachfolgenden Tatbeitragen handelte der Angeklagte selbst nur im Gebiet der DDR.
Zunächst ließ der Angeklagte, dem bewußt war, daß die beabsichtigte Beschaffung von Waffen und militärischem Gerät aus dem „nichtsozialistischen Ausland” nicht auf legalem Wege erfolgen konnte, durch einen KoKo-Mitarbeiter den Markt sondieren, bevor die Entscheidung für eine „breit angelegte Importmaßnahme” fallen sollte. Dieser Mitarbeiter stellte den Kontakt zu dem im niedersächsischen S. ansässigen Waffenhändler Edgar K. her, der sich zur Lieferung der gewünschten Gegenstände bereiterklärte.
Insgesamt wurden von K. in der Zeit von November 1987 bis Oktober 1989 in 28 Fällen 246 (überwiegend für die Luftwaffe der NVA bestimmte) Nachtsichtgeräte der Marke Philips an den Angeklagten nach dessen vorangegangener (von dem KoKo-Kurier D. übermittelter) Bestellung geliefert; der Beschaffungswert betrug 4,8 Mio. DM. K. oder seine damalige Lebensgefährtin fuhren von S. aus mit den Geräten im Transit nach Berlin (West), da Transitreisende bei der Einreise grundsätzlich keinen Kontrollen der Bundesrepublik Deutschland unterlagen. Die Nachtsichtbrillen wurden dann jeweils auf dem vor dem ehemaligen Grenzübergang S. bei B. gelegenen Parkplatz V. dem KoKo-Kurier D. gegen Bezahlung (jeweils das Doppelte des Einkaufspreises) übergeben. D. brachte die Geräte zur Zentrale der KoKo. Damit K. oder seine Lebensgefährtin ungehindert die DDR-Grenzkontrollen passieren konnten, veranlaßte der Angeklagte durch Unterzeichnung einer entsprechenden Anweisung über die Avisierungskartei der Hauptabteilung VI des MfS vor jeder Einreise die Freimachung der Grenze und die Ausschaltung der Kontrolle des Parkplatzes V..
In der Zeit von Mai 1986 bis Oktober 1989 lieferte K. (auf Bestellung des Angeklagten) in acht Fällen insgesamt 69 Revolver und Pistolen der Marken Erma, I.M.I., Beretta, Browning, Manhurin sowie Smith & Wesson; der Beschaffungswert betrug ca. 50.000 DM. Die Waffen ließ sich K. zunächst von verschiedenen Großhändlern nach S. liefern. Sodann führte er sie zum Schein unter mißbräuchlicher Verwendung von Ausfuhrpapieren per Luftfracht nach Österreich aus. Als Empfänger waren österreichische Firmen deklariert, obwohl die Waffen tatsächlich sofort per Luftfracht mit Hilfe einer in W./Flughafen ansässigen Spedition sowie in der DDR ansässigen Spedition D. an eine am Flughafen S. ansässige Scheinfirma der KoKo übersandt wurden. Sobald die Lieferungen in Schönefeld ankamen, wurden sie vom Fahrer des Angeklagten abgeholt und zur KoKo-Zentrale verbracht. Der Angeklagte besah in jedem Fall die gelieferten Waffen und traf Anordnungen, wer welche Waffe bekommen sollte. Verschiedene Pistolen und Revolver aus diesen Lieferungen konnten Ende 1989 in der Waffenkammer der KoKo sichergestellt werden. Die Beschlagnahmen wurden durch Beschluß des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 14. März 1991 bestätigt.
Die nach Artikel I Abs. 1 Buchstabe d und Abs. 2 MRG Nr. 53 erforderlichen Genehmigungen für den Geschäftsabschluß über die gelieferten Geräte und Schußwaffen sowie für das Verbringen dieser Gegenstände in die DDR waren weder vom Angeklagten noch von K. eingeholt werden. Diese Genehmigungen wären angesichts des militärischen Charakters der Nachtsichtgeräte und Handfeuerwaffen, die unter das CoCom-Embargo der westlichen Staatengemeinschaft gegen Länder des Warschauer Paktsystems fielen, auch nicht erteilt worden.
Entscheidungsgründe
B.
Verjährung ist nicht eingetreten.
Die Verjährungsfrist für die nach dem 3. Juni 1988 liegenden Taten (Fälle III. 22 bis III. 28 und Fälle IV. 35, 36) wurde durch die staatsanwaltschaftliche Anordnung der Vernehmung des Angeklagten als Beschuldigtem vom 3. Juni 1993 (Bd. 4, Bl. 242 d.A.) unterbrochen. Diese Taten sind deshalb schon aus diesem Grunde nicht verjährt. Für die sonstigen Fälle gilt folgendes: Das Doppelte der Verjährung (zehn Jahre) ist in keinem Falle abgelaufen. Sämtliche Fälle sind unverjährt, wenn, wie das Landgericht meint, die Vernehmung des Angeklagten vom 9. September 1992 (Bd. 3, Bl. 45 d.A.) geeignet wäre, den Lauf der Verjährungsfrist zu unterbrechen.
Dies braucht der Senat nicht zu entscheiden. Diese Vernehmung betraf den Verdacht der Untreue, den der Angeklagte unter anderem unter Hinweis darauf bestritten hat, daß er – angeblich veruntreute – Gelder für den Ankauf von Waffen verwandt hat. Die Staatsanwaltschaft hat diese Einlassung in dem Verfahren wegen Untreue nicht aufgegriffen, dieses vielmehr eingestellt und in dem Einstellungsvermerk vom 10. September 1992 (Bd. 3, Bl. 56 d.A.) darauf hingewiesen, daß der etwa in dem Erwerb von Waffen liegende strafrechtliche Vorwurf in dem Verfahren 2 Js 8/91 geprüft wurde. In diesem Ermittlungsverfahren hat das Amtsgericht Tiergarten am 14. März 1991 (Bd. 12 a, Bl. 167 d.A.) wegen Verdachts des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz Waffen beschlagnahmt, deren Lieferung zum Teil Gegenstand des hier anhängigen Verfahrens ist. Jedenfalls dieser Beschluß hat die Verjährung unterbrochen: Das Verfahren 2 Js 8/91 war nicht auf Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz beschränkt. Es betraf vielmehr insgesamt den illegalen Besitz und die illegale Einfuhr von Waffen (vgl. Vermerk über den Verfahrensgegenstand des Ermittlungsverfahrens 2 Js 8/91 vom 13. März 1991; Bd. 1, Bl. 19 d.A.). Die dem Angeklagten in den Fällen IV. 29 bis IV. 34 zur Last gelegten Taten (ungenehmigte Einfuhr von Handfeuerwaffen) waren damit auch Gegenstand des Verfahrens 2 Js 8/91, das nach der Abtrennung (durch Verfügung vom 22. Februar 1993; Bd. 1, Bl. 1 d.A.) in dem hier anhängigen Verfahren fortgeführt worden ist. Die verjährungsunterbrechende Wirkung des Beschlagnahmebeschlusses des Amtsgerichts Tiergarten vom 14. März 1991 erstreckt sich somit auf das anhängige Verfahren, und zwar, wie eine Gesamtschau der Ermittlungen gegen den Angeklagten zeigt (vgl. die Anlage des Beschlusses vom 14. März 1991), über den Vorwurf des illegalen Erwerbes von Waffen hinaus auch auf den illegalen Erwerb sonstiger Geräte von militärischer Bedeutung, also auch auf die ungenehmigte Beschaffung von Nachtsichtbrillen. Auch die Taten III. 1 bis III. 21 sind damit unverjährt.
C.
Der auf den Verstoß gegen Artikel VIII Abs. 1 (i.V.m. Artikel I Abs. 1 Buchstabe d, Abs. 2) des Militärregierungsgesetzes Nr. 53 (MRG Nr. 53) gestützte Schuldspruch hält rechtlicher Prüfung stand.
Die Strafkammer hat ausgeführt, daß das Verhalten des Angeklagten einen Sachverhalt darstellt, der (bei gedachter Anwendung des Außenwirtschaftsgesetzes – AWG) strafbar gewesen wäre (§ 34 AWG i.V.m. § 33 AWG i.V.m. § 5 Außenwirtschaftsverordnung – AWV – i.V.m. Positionen 0001 [Handfeuerwaffen und Maschinenwaffen] und 0015 [militärische Infrarotgeräte] des Teiles I, Abschnitt A der zu den Tatzeiten geltenden Ausfuhrlisten [Bundesanzeiger Nr. 213 vom 10. November 1984, Nr. 68 a vom 12. April 1988, Nr. 136 vom 26. Juli 1988, Nr. 233 vom 15. Dezember 1990]).
Diese Auffassung ist rechtlich nicht zu beanstanden: Nach der zur Tatzeit geltenden Passung des § 34 Abs. 1 AWG (zur Zeit § 34 Abs. 2 AWG) machte sich strafbar, wer Waffen und Geräte, wie sie hier Gegenstand des Verfahrens sind, ausführt, und zwar in einer Weise, die (unter anderem) geeignet ist, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Solches liegt hier vor, und zwar bei Berücksichtigung des Umstandes, daß die Bundesrepublik Deutschland aufgrund des Cocom-Embargos anderen Embargopartnern gegenüber zugesagt hatte, militärisches Gerät (Waffen, aber auch militärisch einsetzbare Nachtsichtgeräte) nicht auszuführen. Jedenfalls war die Ausfuhr der in Frage stehenden Geräte verboten und nach § 33 AWG als Ordnungswidrigkeit zu ahnden. Diese Überlegung rechtfertigt die Verurteilung des Angeklagten nach dem MRG Nr. 53. Der Senat stellt den Schuldspruch dahin klar, daß die Verstöße nach Artikel VIII Abs. 1 (i.V.m. Artikel I Abs. 1 Buchstabe d, Abs. 2) MRG Nr. 53 zu ahnden sind.
I. Das MRG Nr. 53 ist nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom 2. April 1996 (BGHSt 42, 113) weiterhin anwendbar. Eine Einschränkung der Strafbarkeit bei Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über den Wirtschaftsverkehr mit den Währungsgebieten der Mark der Deutschen Demokratischen Republik auf Fälle, die auch bei der Anwendung des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) verboten gewesen wären, besteht, soweit es um die Verfolgung von (Alt-)Bundesbürgern geht, danach nicht. Allerdings hält der Senat in Fällen der vorliegenden Art, welche die Verfolgung eines ehemaligen Bürgers der DDR betreffen, eine abweichende Beurteilung im Sinne restriktiver Auslegung der Strafbestimmung des Artikel VIII MRG Nr. 53 für geboten. Hier ist es angezeigt, die Strafbarkeit insoweit auf Fälle zu beschränken, in denen ein vergleichbarer Sachverhalt bei Anwendung des Außenwirtschaftsgesetzes verboten wäre. Grund dafür sind nicht Billigkeitserwägungen, auf die sich der Senat in seiner Entscheidung vom 14. Dezember 1994 (BGHSt 40, 378, 383 ff.) berufen hat. Vielmehr sprechen zwingende verfassungsrechtliche Gründe für die Einschränkung der Strafbarkeit.
1. Das in MRG Nr. 53 seit dem Inkrafttreten des Außenwirtschaftsgesetz 1961 nur noch für den innerdeutschen Waren- und Geldverkehr geltende umfassende Verbot, das nur durch einen Erlaubnisvorbehalt gelockert war, trug den besonderen Umständen Rechnung, die mit der Teilung Deutschlands verbunden waren. Aus deutschlandpolitischen Gründen war das Bedürfnis unabweisbar, den innerdeutschen Handel trotz der handelshemmenden Unterschiede der verschiedenen Wirtschaftssysteme zu ermöglichen. Im innerdeutschen Handel stand auf der Gegenseite ein System mit zentral gesteuerter Planwirtschaft. Mit ihm war nur ein Handels- und Wirtschaftsverkehr auf Verrechnungsbasis möglich; die Behörden der Bundesrepublik Deutschland mußten in der Lage sein, auf eine Verletzung des Gegenseitigkeitsprinzips schnell mit Verboten zu reagieren (vgl. auch BGHSt 31, 323, 333 f., 339). In dieser Situation wurde ein System umfassender Kontrollen für notwendig gehalten, das der freiheitlichen Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland, wie sie im Außenwirtschaftsgesetz zum Ausdruck kam, weithin widersprach. Insbesondere gingen die im MRG Nr. 53 vorgesehenen strafbewehrten Verbote erheblich über die Beschränkungen hinaus, die im Außenwirtschaftsgesetz für den Handelsverkehr mit dem Ausland vorgesehen waren. Die umfassende Strafvorschrift des Artikel VIII MRG Nr. 53 hat im Außenwirtschaftsgesetz keine Parallele.
2. Wenn die bis zum Jahre 1990 bestehenden besonderen deutschlandpolitischen und die durch das Nebeneinander unterschiedlicher Wirtschaftssysteme begründeten Zwange außer Betracht blieben, begegnete der Umfang der Strafbarkeit nach Artikel VIII MRG Nr. 53 – wie die Revision zutreffend geltend macht – beachtlichen Einwänden.
a) Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen zum MRG Nr. 53 solche Bedenken erhoben (BVerfGE 12, 281, 293 ff.; 18, 353, 364; 62, 169, 181 ff.; vgl. auch die Entscheidungen des Vorprüfungsausschusses in NJW 1984, 39 und EuGRZ 1983, 438). Der Gesetzgeber muß, wenn er der Ausübung von Grundrechten ein Genehmigungsverfahren vorschaltet, selbst regeln, welche Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung bestehen sollen und aus welchen Gründen die Genehmigung versagt werden darf (BVerfGE 62, 169, 183). Das Gesetz muß danach die Tätigkeit der Verwaltung inhaltlich normieren und darf sich nicht darauf beschränken, allgemein gehaltene Grundsätze aufzustellen (BVerfGE 62, 169, 182 f.). Zum Fernmeldeanlagengesetz hat das Bundesverfassungsgericht in Konsequenz dieser Erwägungen festgestellt, daß es mit dem Bestimmtheitsgebot des Artikel 103 Abs. 2 GG unvereinbar sei, wenn Strafvorschriften es im Ergebnis der Exekutive überließen, „bestimmenden Einfluß auf Inhalt und Grenzen der Strafbarkeit zu nehmen” (BVerfGE 78, 374, 389).
b) Daneben sind die Anforderungen zu berücksichtigen, die das Verhältnismäßigkeitsgebot an die Rechtfertigung von Straftatbeständen stellt (vgl. zu diesem Gesichtspunkt – allerdings außerhalb des Strafrechts – BVerfGE 12, 281, 295; 18, 353, 364; insbesondere die im Jahre 1982 ergangene Entscheidung BVerfGE 62, 169, 185, in der die Versagung der devisenrechtlichen Genehmigung nach dem MRG Nr. 53 für verfassungswidrig erklärt wurde, weil die Sicherung der Gegenseitigkeit keine tragfähige Grundlage für den Eingriff in Grundrechte ist). Bei dieser Sachlage vermochten allein die Besonderheiten des Verhältnisses zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR das im MRG Nr. 53 vorgesehene Maß der Restriktion des Waren- und Geldverkehrs mit der daran anknüpfenden Strafbarkeit zu rechtfertigen (vgl. BGHSt 31, 323, 333 f.).
3. Bei der Verfolgung von Tätern, die – wie der Angeklagte – im Tatzeitpunkt ihren Lebensmittelpunkt in der DDR hatten, kommen Gesichtspunkte hinzu, die bei Beachtung des Übermaßverbotes – anders als in dem vom Großen Senat entschiedenen, die Strafbarkeit eines (Alt-)Bundesbürgers betreffenden Fall – zu einer Beschränkung des Anwendungsbereichs von Artikel VIII MRG Nr. 53 gegenüber diesem Personenkreis drängen.
a) Eine Strafverfolgung kann gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen, wenn feststeht, daß durch die Anwendung der einschlägigen Strafvorschriften keiner der gesetzlich anerkannten Strafzwecke mehr zu erreichen ist; Strafverfolgung wäre in einem solchen Fall sinnentleert und als ein Instrument zur Bekämpfung von Unrecht schon nicht (mehr) geeignet (vgl. BVerfGE 92, 277, 347). Mit der Herstellung der deutschen Einheit haben die Verbote und Gebote nach den Devisenbewirtschaftungsgesetzen ihre Geltung verloren. Ein weiterer Verstoß gegen diese Vorschriften und eine daran anknüpfende Strafbarkeit nach Artikel VIII MRG Nr. 53 sind seit dem 3. Oktober 1990 nicht mehr denkbar (vgl. BGHSt 42, 113).
b) Dieser Befund macht es erforderlich, Gesichtspunkte der Prävention und der Sühne gegenüber ehemaligen DDR-Bürgern bei Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften des (innerdeutschen) Wirtschaftsverkehrs in besonderem Maße zu rechtfertigen. Eine solche Rechtfertigung wäre zweifelhaft, wenn eine Strafverfolgung nur den Sinn hätte, diese Menschen zur Achtung obsoleter Gesetze anzuhalten, soweit diese Gesetze speziell und ausschließlich den Zweck hatten, das Land, dessen Bürger sie waren, besonders restriktiven Regelungen zu unterwerfen. Eine Sanktion ist dagegen gerechtfertigt, soweit das Verhalten eines Täters selbst bei Zugrundelegen der liberalen Maßstäbe des Außenwirtschaftsgesetzes als sanktionsbewehrtes Unrecht erscheint.
c) Der Strafrichter ist bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift des Artikel VIII MRG Nr. 53 nicht gehalten, von sich aus die Grenze zwischen unverhältnismäßiger und (noch) verhältnismäßiger Ausdehnung der Norm im Einzelfall zu ziehen. Vielmehr hat er – auch mit Rücksicht auf den Gleichheitssatz (Artikel 3 Abs. 1 GG) – denselben Maßstab heranzuziehen, den das Außenwirtschaftsgesetz für ein gleichwertiges Verhalten vorsieht; Voraussetzung ist, daß das Verhalten dort verboten ist und einer Sanktion unterliegt.
aa) Allerdings sind die Regelungen in §§ 33, 34 AWG und in Artikel VIII MRG Nr. 53 nach Bedeutung und Zielsetzung verschieden. Artikel VIII MRG Nr. 53 sanktionierte ein Regelungswerk, das sich als umfassendes Verbot des Handels mit Erlaubnisvorbehalt darstellte. Demgegenüber ist nach § 1 Abs. 1 AWG der Wirtschaftsverkehr mit dem Ausland „grundsätzlich frei”. Dieser Unterschied tritt indes bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung hinter den Gemeinsamkeiten der dieselben Lebenssachverhalte abdeckenden Regelungswerke zurück. Daß der Gesetzgeber den Warenverkehr mit der DDR nicht an den liberalen Grundsätzen des Außenwirtschaftsgesetzes gemessen hat, hatte ausschließlich (politische) Ursachen, die mit dem Untergang der DDR zudem endgültig weggefallen sind.
bb) Soweit das Verhalten eines DDR-Bürgers vor der Einigung Deutschlands bei fiktiver Annahme einer ungenehmigten Ausfuhr von Waren ins Ausland (und nicht in die DDR) nach dem Außenwirtschaftsgesetz nicht verboten wäre, kommt eine Strafverfolgung nach dem 3. Oktober 1990 aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht mehr in Betracht. Nur soweit ein Täter, der seine Lebensgrundlage in der DDR hatte, sich selbst bei Zugrundelegen der liberalen Maßstäbe des Außenwirtschaftsgesetzes staatlichen Sanktionen des Strafrechts oder jedenfalls des Ordnungswidrigkeitenrechts ausgesetzt gesehen hätte, kann er auf der Grundlage des Artikel VIII MRG Nr. 53 weiterhin verfolgt werden. Bei dem Vergleich ist auf den Handel mit demjenigen ausländischen Wirtschaftsgebiet abzustellen, dem gegenüber zur Tatzeit die strengsten Beschränkungen für den Waren- oder Geldverkehr galten.
d) Danach begegnet die Heranziehung des Artikel VIII MRG Nr. 53 hier keinen Bedenken. Bei der Verfolgung der vom Angeklagten vorgenommenen Embargoverstöße durch eine „breit angelegte Importmaßnahme” (UA S. 5) liegt der Strafgrund nicht im besonderen Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zur DDR. Das Ende der Teilung Deutschlands berührt die Strafzwecke damit nicht in einer Weise, daß sie unerreichbar würden.
II. Angesichts der beschriebenen restriktiven Anwendung des Artikel VIII MRG Nr. 53, die auch Artikel 103 Abs. 2 GG und dem speziell in ihm verankerten rechtsstaatlichen Gebot des Vertrauensschutzes Rechnung trägt, teilt der Senat die Bedenken der Revision gegen eine hinreichende Bestimmtheit dieser Strafnorm nicht. Eine Vorlegung nach Artikel 100 Abs. 1 Satz 1 GG an das Bundesverfassungsgericht kommt daher nicht in Betracht.
Daß Artikel VIII MRG Nr. 53, jedenfalls bei dieser restriktiven Auslegung, in Fällen der vorliegenden Art nicht verfassungswidrig ist, ergibt sich auch aus dem Beschluß der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 1997 – 2 BvR 408/95 –, durch den die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Senats vom 14. Dezember 1994 (BGHSt 40, 378) nicht zur Entscheidung angenommen wurde.
III. Völkerrechtliche Prinzipien stehen einer Bestrafung des Angeklagten nicht im Wege. Die Strafgewalt der Bundesrepublik Deutschland nach §§ 3, 9 StGB ist hier – entgegen der Auffassung der Revision – nicht „objektiv zweifelhaft”. Einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Artikel 100 Abs. 2 GG bedarf es daher nicht.
1. Die Revision macht geltend, die Gerichte der Bundesrepublik Deutschland hätten gegen den Angeklagten als ehemaliges Mitglied der Regierung eines fremden Staates keine Strafgewalt. Zwar sei die ungenehmigte Ausfuhr in der Bundesrepublik Deutschland begangen worden (§ 3 StGB – Territorialitätsprinzip –), der Angeklagte selbst habe aber als „Mittäter” nur in der DDR gehandelt. Seine Strafbarkeit über § 9 StGB (Ubiquitätsprinzip) bei Embargo-Verstößen der vorliegenden Art sei völkerrechtlich zweifelhaft:
Über die materielle Strafbarkeit solcher Taten bestehe kein internationaler Konsens. Die Tat sei nur im Exportland unter Strafe gestellt, die Strafbarkeit sei zudem nicht Ausdruck eines sozialethischen Unwerturteils. Für das mit dem Embargo belegte Land sei das Embargo rechtlich nicht verbindlich; nach dessen Rechtsordnung sei die Tat legal. Die Pönalisierung der Organe des Importlandes durch das Exportland verstoße daher gegen das Souveränitätsprinzip. § 9 StGB sei deshalb von Völkerrechts wegen – und damit von Verfassungs wegen (Artikel 25 GG) – eingeschränkt; etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Schutzprinzip. Weil somit wenigstens objektiv zweifelhaft sei, ob eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts ist, sei eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Artikel 100 Abs. 2 GG einzuholen.
2. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem Beschluß vom 15. Mai 1995 (BVerfGE 92, 277, 317 ff.) auch mit den Fragen des Territorialitäts-, des Ubiquitäts- und des Schutzprinzips befaßt:
a) Soweit die Strafvorschriften der §§ 94, 99 StGB aufgrund des strafrechtlichen Schutzprinzips (§ 5 Nr. 4 StGB) oder der Vorschriften über den Tatort (§ 9 StGB) die Strafbarkeit der Spionagetätigkeit von Mitarbeitern der Geheimdienste der DDR gegen die Bundesrepublik Deutschland auch dann begründeten, wenn diese Mitarbeiter ausschließlich im Gebiet der DDR oder im Ausland handelten, ist dies mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Erstreckung der Strafbarkeit derartiger Taten – und damit in Zusammenhang stehender Straftaten –, bei denen der Täter ausschließlich im Ausland gehandelt hat, verstößt weder gegen das Grundgesetz noch gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts, die nach Artikel 25 GG zu beachten wären.
b) Vor dem Grundgesetz legitimiert sich diese Erstreckung des Strafanspruchs auf Auslandstaten dadurch, daß die §§ 93 ff. StGB dem Schutz der freiheitlich verfaßten Bundesrepublik Deutschland nach außen dienen und damit den Freiraum verbürgen sollen, die Grundrechtsgarantien überhaupt erst ermöglicht und sich entfalten läßt. Bei der Verfolgung dieses legitimen Schutzzweckes gehen die genannten Strafvorschriften weder in der Abgrenzung ihrer Tatbestände noch in ihren Strafdrohungen über die durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gezogenen verfassungsrechtlichen Grenzen hinaus.
c) Zum Einfluß des Völkerrechts auf nationale Regelungen des räumlichen Geltungsbereiches hat das Bundesverfassungsgericht – nicht nur zu Spionagedelikten „Das gilt insbesondere für die vom Ausland aus betriebene Auslandsspionage”) – ausgeführt (BVerfGE 92, 277, 320 f.): „Grundsätzlich sind die Staaten von Völkerrechts wegen in der Gestaltung ihres Strafrechts frei. Die völkerrechtlich anerkannte und abgesicherte Gebietshoheit behält es jedem Staat vor, auf seinem Hoheitsgebiet Rechtsgüterschutz gegen Inlandstaten zu gewähren, indem er den Rechtsbruch strafrechtlich ahndet (Territorialitätsprinzip …). Darüber hinaus räumt das völkerrechtlich allgemein anerkannte Schutzprinzip den Staaten die Befugnis ein, im Ausland von In- oder Ausländern begangene Delikte zu bestrafen, welche die Existenz oder andere wichtige Rechtsgüter des Staates bedrohen.”
3. Diese allgemeinen Grundsätze kommen auch hier zum Tragen. Die Anwendung des Artikel VIII MRG Nr. 53 (im Umfang gedachter Verbote nach dem Außenwirtschaftsgesetz) gegen Täter, die ihre Tatbeiträge allein außerhalb der Bundesrepublik Deutschland geleistet haben, ist – jedenfalls bei der Anwendung der Strafbestimmung auf Fälle hier in Rede stehender Embargoverstöße – vom völkerrechtlich anerkannten Schutzprinzip gedeckt.
a) Aus den Genehmigungsvorbehalten des § 5 AWV ergibt sich, daß sanktionsbewehrte Ausfuhrbeschränkungen überwiegenden gesamtwirtschaftlichen Belangen, dem Interesse der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, ihrer auswärtigen Beziehungen und des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder der Erfüllung zwischenstaatlicher Vereinbarungen dienen. Es liegt auf der Hand, daß diese Anliegen, namentlich aber die Durchsetzung von Embargobestimmungen, die auf Vereinbarungen mit Verbündeten beruhen (hier: die sogenannte CoCom-Liste der westlichen Verteidigungsgemeinschaften), auch dem Schutz der freiheitlich verfaßten Bundesrepublik Deutschland nach außen dienen.
b) Hinzu kommt, daß der Export von (auch) militärisch nutzbaren Gütern „wichtige Rechtsgüter” der Bundesrepublik Deutschland bedroht. In Artikel 26 GG hat sich die Bundesrepublik Deutschland zur Friedensstaatlichkeit bekannt. Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, sind verfassungswidrig und unter Strafe zu stellen. Auch wenn hier eine solche Absicht nicht festgestellt ist, so ist doch schon der ungenehmigte Export militärisch nutzbarer Gegenstände geeignet, das hochrangige Rechtsgut der Friedens Staatlichkeit zu verletzen.
c) Der Umstand, daß die Verfolgbarkeit der Verletzung von Ausfuhrbestimmungen (sei es nach Artikel VIII MRG Nr. 53, sei es nach dem Außenwirtschaftsgesetz) keine Aufnahme in den Katalog der verfolgbaren Auslandstaten des § 5 StGB gefunden hat, steht der Annahme einer gemäß §§ 3, 9 StGB verfolgbaren Inlandstat nicht entgegen. Das völkerrechtlich anerkannte Schutzprinzip ist (entgegen der von der Revision geäußerten Auffassung) nicht zwingend auf die Fälle des § 5 StGB beschränkt. Zutreffend verweist der Generalbundesanwalt dazu auf den Beschluß der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Juli 1995 – 2 BvR 1180/94 –, in dem die Verurteilung eines ehemaligen MfS-Offiziers wegen Beihilfe zum versuchten Mord „aus den Gründen des Senatsbeschlusses vom 15. Mai 1995”) auch insoweit nicht beanstandet wurde, als seine ausschließlich in der DDR geleisteten Tatbeiträge nach § 9 StGB dem Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland unterworfen waren. Im übrigen bedurfte es bei Ausfuhrdelikten einer Erwähnung in § 5 StGB naheliegend deshalb nicht, weil diese Straftaten – anders als die in § 5 Nr. 4 StGB genannten §§ 93 ff. StGB – schon wegen ihrer tatbestandlichen Ausgestaltung als reine Auslandstaten kaum denkbar sind.
4. Schließlich besteht auch keine allgemeine Regel des Völkerrechts, wie ein Staat, nachdem ihm ein anderer Staat beigetreten ist, mit Personen verfahren darf, die Straftaten zugunsten des beigetretenen Staates begangen haben (vgl. BVerfGE 92, 277, 322 – auch zu Begleitdelikten).
IV. Ein unmittelbar aus der Verfassung herzuleitendes Verfolgungshindernis nach den Grundsätzen der Entscheidung BVerfGE 92, 277 besteht nicht. In der gegen den Angeklagten gerichteten Strafverfolgung liegt kein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
1. Zu dem aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entwickelten Verfolgungshindernis gab dem Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 92, 277, 328 ff.) der „besondere Charakter von Spionagestraftaten” Anlaß, soweit diese von Bürgern der ehemaligen DDR auf deren Gebiet begangen wurden, und die Bundesrepublik Deutschland Strafgewalt über diese Täter nur in Folge der Erstreckung ihrer Staatsgewalt auf das Gebiet der ehemaligen DDR erlangt hat. Die Strafbarkeit der Spionage weist eine Eigentümlichkeit „in ihrer Eigenart von anderen Delikten abgegrenzt”) auf, die sie von anderen strafbaren Delikten unterscheidet:
Im allgemeinen ahndet der Staat mit dem Strafrecht Handlungen, die einem ethischen Minimum widersprechen. Spionagehandlungen sind dem gegenüber rechtlich ambivalent. Dem aufklärenden Staat nützen sie; für ihn stellen sie eine erlaubte Tätigkeit dar, ohne daß er an dieser Bewertung durch allgemeine, international anerkannte Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte gehindert wird. Dem ausgespähten Staat schadet die Spionage; für ihn ist sie strafbares Unrecht. Da er selbst Spionage betreibt, rechtfertigt sich sein Strafanspruch gegenüber ausländischen Spionen nicht aus einem allgemeinen sozialethischen Unwerturteil über die Spionagehandlungen als solche, sondern allein aus dem – freilich sozialethisch nicht indifferenten – Schutz des eigenen Staates.
2. Der Revision ist zuzugeben, daß das Verhalten des Angeklagten im vorliegenden Fall eine Nähe zu nachrichtendienstlichen Straftaten ernennen läßt. Das zeigt vor allem folgende gedachte Fallvariante: Spionage-Organe der DDR veranlassen vom Boden der DDR aus, daß zunächst nur Informationen über die Konstruktion von Nachtsichtgeräten und sodann die Geräte selbst beschafft werden. Dennoch haben Embargoverstöße der vorliegenden Art nicht den „besonderen Charakter von Spionagestraftaten”.
a) Zwar bezieht Artikel VIII MRG Nr. 53 ebenso wie § 34 AWG – insoweit den nachrichtendienstlichen Straftaten vergleichbar – seinen Unrechtsgehalt, namentlich bei Embargoverstößen, wesentlich aus dem Schutz des strafenden Staates und seiner Verbündeten. Bei Embargoverstößen kommt aber hinzu, daß ihr Verbot und ihre Sanktionierung der Aufrechterhaltung und Sicherung von internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland dienen, und zwar solchen aus völkerrechtlichen Absprachen, welche die Friedenssicherung bezwecken. Die Nichtahndung solcher Embargoverstöße würde völkerrechtlich bindende Verpflichtungen des strafenden Staates seinen Verbündeten gegenüber verletzen.
b) Insoweit kommt dem oben angesprochenen Gebot der Friedensstaatlichkeit eine besondere Bedeutung zu. Nach Artikel 26 GG sind Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, verfassungswidrig und unter Strafe zu stellen. Auch wenn hier diese Voraussetzungen nicht festgestellt sind, so wäre es mit der ratio des Artikel 26 GG nicht zu vereinbaren, daß dann, wenn ungenehmigte Waffenexporte die Schwelle zur Verfassungswidrigkeit nicht erreichen, die strafrechtliche Verfolgung – quasi in Umkehrung der in Artikel 26 getroffenen Bewertung – von Verfassungs wegen (aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip) verboten wäre. Die strafrechtliche Ahndung ungenehmigter, zur Friedensstörung geeigneter Waffenexporte beruht auch auf einem allgemeinen sozialethischen Unwerturteil, das in der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der deutschen Geschichte im Grundgesetz einen konkreten Ausdruck gefunden hat.
3. Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entnimmt der Senat, daß das Verfolgungshindernis auf die Spionagedelikte begrenzt sein soll.
a) In dem Sondervotum der Richter K., K. und W. (BVerfGE 92, 277, 341 ff.) ist die hier relevante Frage angesprochen, ob sich etwa auch für andere DDR-Bürger und andere Taten der Wertungswiderspruch bei der Verfolgung von Spionagehandlungen aus dem Gebiet der DDR verwirkliche; dieses Problem ist also Gegenstand der Erörterungen des Bundesverfassungsgerichts gewesen. Wenn das Bundesverfassungsgericht das Verfolgungshindernis eng begrenzt und mit dem „besonderen Charakter von Spionagestraftaten” begründet, die „in ihrer Eigenart von anderen strafbaren Delikten” (BVerfGE 92, 277, 328) abgegrenzt sind, und wenn dies zur Folge hat, „daß es für den Bereich dieser Delikte nicht als geboten angesehen wird, Rechtsgüterschutz gerade durch Bestrafung konsequent zu verwirklichen” (BVerfGE 92, 277, 334), so versteht der Senat dies dahin, daß das Bundesverfassungsgericht nur insoweit eine – eng auszulegende – Ausnahmeregelung geschaffen hat.
b) Dafür spricht auch, daß das Verfolgungshindernis für Begleitdelikte (wie § 334 StGB) nicht gilt. Es bleibt der Prüfung der Strafgerichte überlassen, ob die Tat nach anderen Strafvorschriften, für die das verfassungsrechtliche Verfolgungshindernis von vornherein nicht in Betracht kommt, verurteilt werden kann (BVerfGE 92, 277, 339).
4. Unabhängig davon verbietet sich die Annahme eines unmittelbar verfassungsrechtlich begründeten Verfolgungshindernisses schon deshalb, weil der Angeklagte bereits im Dezember 1989 freiwillig aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt ist.
a) Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Beschluß vom 15. Mai 1995 (BVerfGE 92, 277) ausgesprochen, daß der rechtsstaatliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dann verletzt ist, wenn in der mit der Überwindung der deutschen Teilung entstandenen einzigartigen Situation der auf die Tatbestände der §§ 94, 99 StGB gegründete Strafanspruch gegenüber Bürgern der DDR durchgesetzt wird, die im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Einheit Deutschlands vom 3. Oktober 1990 in der ehemaligen DDR ihren Lebensmittelpunkt hatten (BVerfGE 92, 277, 325 f.). Zu solchen Erwägungen der Verhältnismäßigkeit gibt der besondere Charakter von Spionagestraftaten Anlaß, soweit diese von Bürgern der DDR auf deren Gebiet begangen wurden, und die Bundesrepublik Deutschland Strafgewalt über diese Täter nur infolge der Erstreckung ihrer Staatsgewalt auf das Gebiet der DDR erlangt hat (BVerfGE 92, 277, 328). Der Untergang der DDR – und damit auch der Wegfall des ihren Spionen gewährten Schutzes – bei gleichzeitiger Ablösung ihrer Rechtsordnung durch die der Bundesrepublik Deutschland und die damit erst möglich gewordene strafrechtliche Verfolgung führt zu einer besonderen Beeinträchtigung des Täterkreises, der seine Spionagetätigkeit zugunsten der DDR allein von deren Boden aus betrieben und den Bereich der Schutzmächtigkeit dieses Staates nicht verlassen hat (BVerfGE 92, 277, 330). Finden sich diese Täter infolge der Vereinigung ohne ihr Zutun als Bürger des Staates wieder, gegen den ihre nach dem Recht ihres Staates rechtmäßige und schutzwürdige Tätigkeit gerichtet war, so werden sie durch eine Strafverfolgung, die ihnen gegenüber nur möglich wird, weil die Strafgewalt der Bundesrepublik auf das Gebiet ihres bisherigen Lebensmittelpunktes erstreckt wird, in besonderem Maße betroffen (BVerfGE 92, 277, 332).
b) Das vom Bundesverfassungsgericht unmittelbar aus dem Grundgesetz hergeleitete Verfolgungshindernis käme danach auch im vorliegenden Fall allenfalls dann in Betracht, wenn der Angeklagte im Zeitpunkt des Beitritts (3. Oktober 1990) seinen Lebensmittelpunkt (noch) in der DDR gehabt hätte. Das war nach seiner freiwilligen Übersiedlung im Dezember 1989 nicht der Fall.
c) Ausschlaggebend für das (durch eine Gesamtbetrachtung aus dem Übermaßverbot herzuleitende) Verfolgungshindernis ist die im Zuge der Wiedervereinigung entstandene singuläre Staats- und strafrechtliche Situation, die ohne Vorbild ist und sich so nicht wiederholen kann (vgl. BVerGE 92, 277, 327). Das aber ist der am 3. Oktober 1990 wirksam gewordene Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland, und dieser Beitritt war für die Verfolgbarkeit des Angeklagten ohne Bedeutung.
d) Daß der Angeklagte (wie die Revision geltend macht) bei seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland darauf vertraut habe, für die von ihm organisierten Embargoverstöße nicht (mehr) strafrechtlich belangt zu werden, führt zu keiner anderen Beurteilung. Soweit eine solche Hoffnung des Angeklagten tatsächlich bestanden haben sollte, wäre sie durch nichts begründet und daher nicht schützenswert.
D.
Das angefochtene Urteil begegnet auch im übrigen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
I. Die Beanstandung, der Eröffnungsbeschluß sei unwirksam, und die Rüge, die Richterbank sei nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen, sind unbegründet, wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat. Dem Angeklagten war aufgrund der Anklageschrift klar, welche Taten ihm zum Vorwurf gemacht wurden, und er konnte sich auf seine Verteidigung einrichten. Die Entscheidung des Präsidiums des Landgerichtes, die Wirtschaftsstrafkammer 5 sei zuständig und nicht die Wirtschaftsstrafkammer 14 (weil deren Zuständigkeit begründende Verstöße gegen Devisenvorschriften nicht vorlägen), beruht auf einer vertretbaren Auslegung des Geschäftsverteilungsplanes des Landgerichtes und ist jedenfalls nicht willkürlich.
II. Die materiellrechtlichen Einwendungen sind ebenfalls unbegründet.
1. Daß der Tatrichter keine ausdrücklichen Feststellungen zu § 6 WiStG/1952 (vgl. zur Anwendbarkeit BGHSt 40, 378, 379 f.) getroffen hat, ist unschädlich. Aus den Urteilsgründen ergeben sich die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Nr. 2 WiStG/1952 zweifelsfrei. Das Gesamtverhalten des Angeklagten belegt, daß er die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland in einzelnen Bereichen mißachtet hat, jedenfalls dadurch, daß er verantwortungslos gehandelt hat, weil er die der Friedenssicherung dienenden Verbote der Bundesrepublik Deutschland, Waffen und militärische Geräte grundsätzlich nicht auszuführen, bedenkenlos mißachtet hat. Darüber hinaus liegt auch ein beharrlicher Verstoß gegen die Embargoverbote des Außenwirtschaftsrechts vor. Der Angeklagte hat hartnäckig die einschlägigen Vorschrift mißachtet und war von Anfang an zu verbotenen Embargoverstößen bereit. In Fällen dieser Art ist Beharrlichkeit – unabhängig von einer etwaigen vorhergehenden Abmahnung, die in anderen Fällen, in denen das Gesetz an das Merkmal der Beharrlichkeit anknüpft (BGHR GewO § 148 Beharrlich 1; vgl. Laufhütte in LK 11. Aufl. § 184 a Rdn. 4) unter Umständen Voraussetzung der Strafbarkeit ist – für sämtliche Taten zu bejahen, weil der Angeklagte von vornherein die Absicht hatte, wiederholt gegen Ausfuhrverbote zu verstoßen.
2. Eine Mittäterschaft des Angeklagten (§ 25 Abs. 2 StGB) hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei angenommen. Artikel VIII MRG Nr. 53 stellt – ebenso wie § 34 AWG (vgl. BGH NJW 1992, 3114) – kein Sonderdelikt dar; und die festgestellten Tatbeiträge des Beschwerdeführers (etwa UA S. 8, 19 und 25) rechtfertigen die Annahme seiner Tatherrschaft ohne weiteres.
3. Eine nach § 16 StGB oder § 17 StGB relevante Fehlvorstellung des Angeklagten ist ausgeschlossen. Aus der „konspirativen Art der Beschaffung” und der „Zahlung sehr hoher Preise” sowie aufgrund der Funktion und Stellung des Beschwerdeführers als Leiter der „KoKo” und als Staatssekretär im Ministerium für Außenhandel der DDR durfte die Strafkammer schließen, daß er sichere Kenntnis davon hatte, „welche Waren dem westlichen Embargo unterlagen und welche nicht” (UA S. 29). Diese Würdigung stellt keine bloße Vermutung dar; sie liegt vielmehr auf der Hand.
4. Anhaltspunkte für eine rechtfertigende oder entschuldigende Pflichtenkollision oder gar einen Notstand (§ 34 oder § 35 StGB) bietet das Urteil nicht; auch die Revision zeigt solches nicht auf. Namentlich ist nicht ersichtlich, daß dem „im staatlichen Auftrag” handelnden Angeklagten im Falle einer Verweigerung seiner Mitwirkung an den festgestellten Embargoverstößen tatsächlich ernsthafte Nachteile gedroht hätten.
5. Einzelne Passagen des Urteils zur Strafzumessung stellen den Bestand des Rechtsfolgenausspruchs letztlich nicht in Frage. Die Erwägung, jeweils zwei Strafgesetze seien verletzt, ist fehlerhaft. Es ist fraglich, ob die „Gemeinschaftlichkeit der Tatausführung” hätte strafschärfend herangezogen werden dürfen (UA S. 38). Der Senat schließt angesichts der Höhe der Einzelstrafen und der schließlich gefundenen Gesamtstrafe aus, daß der Tatrichter ohne diese problematischen Erwägungen zu einer dem Angeklagten günstigeren Rechtsfolge gelangt wäre. Bestimmend waren ersichtlich „der große Umfang der ungenehmigten Geschäfte und Lieferungen …, der große personelle Aufwand sowie die mehrjährige Dauer des von einem starken Willen zum Rechtsbruch geprägten deliktischen Handelns”.
Unterschriften
Laufhütte, Harms, Häger, Nack, Pfister
Fundstellen
Haufe-Index 1622220 |
BGHSt |
BGHSt, 129 |
Nachschlagewerk BGH |
wistra 1997, 303 |