Entscheidungsstichwort (Thema)
versuchter Mord
Tenor
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankenthal vom 14. November 2000 werden verworfen.
Es wird davon abgesehen, den Beschwerdeführern die Kosten und Auslagen des Revisionsverfahrens aufzuerlegen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagten unter anderem „des versuchten Mordes in fünf tateinheitlich zusammentreffenden Fällen, in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in drei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen, in weiterer Tateinheit mit versuchter besonders schwerer Brandstiftung” schuldig gesprochen und sie zu Jugendstrafen verurteilt, den Angeklagten S. zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten F. zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten.
Nach den Feststellungen unternahmen die Angeklagten in der Tatnacht gemeinschaftlich mit den früheren Mitangeklagten W. und Sch. einen Brandanschlag auf ein Ausländerwohnheim. Sie warfen Molotow-Cocktails in Richtung eines beleuchteten Fensters dieses Heims. „Allen war klar, daß in dem beleuchteten Wohnraum mit Menschen zu rechnen war, die dort eng beisammen lebten. Ihnen war weiter klar, daß wenigstens eine der Brandflaschen die Fensterscheibe treffen und durchschlagen könne, daß es zur Explosion der Benzingase mit der Folge tödlicher Brandverletzungen der Bewohner kommen könne und daß wesentliche Teile der Wohnung … in Brand geraten könnten. Solche Folgen waren ihnen aber gleichgültig, weil sie ihr Mütchen auch um einen solchen Preis kühlen wollten”. Tatsächlich durchschlug eine der geworfenen Flaschen einen Fensterflügel. Sie traf auf den Tisch der Wohnküche, in der sich zur Tatzeit zwei Erwachsene und drei Kinder aufhielten, geriet anschließend auf den Schoß eines der Kinder und rollte dann mit dem weiter brennenden Benzin auf den Teppichboden. Die Kleidung des Kindes fing Feuer. Obwohl seine Mutter und eine Mitbewohnerin des Heims die Flammen sofort erstickten, zog es sich am Bauch und an den Innenseiten der Oberschenkel Brandwunden zweiten und dritten Grades zu, die eine dreiwöchige stationäre Behandlung erforderlich machten. Zwei weitere Personen erlitten leichtere Verletzungen. Das Feuer konnte gelöscht werden, bevor weiterer Schaden entstand.
Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung materiellen Rechts; außerdem beanstanden sie das Verfahren. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
1. Die Verfahrensrügen sind nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
2. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrügen hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
a) Soweit sich die Revisionen gegen den Schuldspruch richten, sind sie aus den zutreffenden Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
b) Auch die Strafaussprüche halten der rechtlichen Überprüfung stand. Der Erörterung bedarf nur, ob die Feststellungen der Jugendkammer zum Vorliegen schädlicher Neigungen, die eine Jugendstrafe erfordern, bei den Angeklagten – anders als bei den früheren Mitangeklagten – nicht ausreichend sind und die jeweils verhängten Jugendstrafen auf einer etwa fehlerhaften Annahme schädlicher Neigungen beruhen. Das ist nicht der Fall.
Unter schädlichen Neigungen sind erhebliche – seien es anlagebedingte, seien es durch unzulängliche Erziehung oder Umwelteinflüsse bedingte – Mängel zu verstehen, die ohne längere Gesamterziehung die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten in sich bergen, die nicht nur gemeinlästig sind oder den Charakter von Bagatelldelikten haben (st. Rspr., vgl. BGHR JGG § 17 Abs. 2 schädliche Neigungen 5 m.w.N; Eisenberg, JGG, 8. Aufl. Rdn. 18a). Sie können sich auch schon in der ersten Straftat des Jugendlichen zeigen. Es bedarf dann aber regelmäßig der Feststellung von Persönlichkeitsmängeln, die – wenn auch verborgen – schon vor der Tat entwickelt waren, auf sie Einfluß gehabt haben und weitere Taten befürchten lassen (vgl. BGHR JGG § 17 Abs. 2 schädliche Neigungen 3, 7).
Bei einer derart schwer wiegenden Tat wie der von den Angeklagten begangenen sind die Anforderungen an die schon vor der Tatbegehung entwickelten Persönlichkeitsmängel, auch dann, wenn es sich um die erste Straftat handelt, nicht zu hoch anzusetzen. Wer die hohe Hemmschwelle bei Tötungsdelikten überwindet, wird in aller Regel, wenn die Tat nicht durch außergewöhnliche Umstände geprägt ist, erhebliche Persönlichkeitsmängel aufweisen, die Anlaß zu der Befürchtung weiterer gravierender Straftaten geben und – unabhängig davon, daß auch die Schwere der Schuld Jugendstrafe rechtfertigt – die Ahndung nur mit Zuchtmitteln als nicht ausreichend und verfehlt erscheinen ließen. Solche Umstände sind dem Urteil nicht zu entnehmen und auch sonst nicht ersichtlich. Im Gegenteil sprechen gewichtige zusätzliche Indizien für das Vorliegen schädlicher Neigungen bei beiden Angeklagten:
So sind beide Angeklagten dem erzieherischen Einfluß ihrer Eltern weitgehend entglitten. Der zur Tatzeit 16jährige Angeklagte S. war nach den Feststellungen aus der Hauptschule ohne Abschlußzeugnis entlassen worden, nachdem er immer öfter unentschuldigt gefehlt hatte. Bei dem zur Tatzeit noch 14jährigen Angeklagten F. hatte häufiges unentschuldigtes Fernbleiben vom Unterricht dazu geführt, daß er von der Realschule in die Hauptschule umgeschult werden mußte. Beide Angeklagten konsumierten – der Angeklagte S. unter anderem in Gesellschaft des früheren Mitangeklagten W., der die treibende Kraft bei dem Brandanschlag war – häufig Haschisch und Bier in nicht unbeträchtlichen Mengen. Sie mußten in der Untersuchungshaft disziplinarisch gemaßregelt werden; der Angeklagte F. deshalb, weil er einen Mitgefangenen getreten und geschlagen hat.
Dafür, daß der Brandanschlag Ausdruck schädlicher Neigungen ist, die bei beiden Angeklagten schon vor der Tat angelegt waren, spricht auch, daß sie am Nachmittag vor der Tatnacht ohne Zögern und Bedenken einem Vorschlag des früheren Mitangeklagten W. zustimmten, der vorhatte, gemeinsam „nach Art des ‚Ku-Klux-Klan’ gegen einen farbigen US-Amerikaner vorzugehen,” der ihm – W. – „unsympathisch (war), weil er immer so blöd guckte”. Nach W. s Vorstellung sollte in dem Garten „des Negers” ein Kreuz aufgestellt, mit Benzin übergossen und dann angezündet werden. Als am Abend Bedenken aufkamen, daß das Entdeckungsrisiko beim Transport, Aufstellen und Inbrandsetzen des Kreuzes zu hoch sei, und die früheren Mitangeklagten W. und Sch. die Vorstellung entwickelten, es sollten statt dessen Brandflaschen gegen die Fenster und gegen die Haustür „des Farbigen” geworfen werden, waren die Angeklagten S. und F. zwar zunächst „dagegen und sagten, daß sie ‚nicht zu Mördern werden’ wollten”. Als W. und Sch. sie darauf „als Feiglinge beschimpften und äußerten, sie sollten ‚nicht so herumpiensen’”, war dies für die Angeklagten hinreichender Grund, ihre Bedenken sofort zurückzustellen und bei der Vorbereitung dieser Tat, die schließlich wegen zu hohen Entdeckungsrisikos doch nicht durchgeführt wurde, mitzumachen. Auch dies belegt – ebenso wie die später ausgeführte Tat – die schon vorher angelegten Persönlichkeitsmängel. Nur mit solchen Mängeln läßt es sich regelmäßig erklären, wenn ein Jugendlicher, nur um nicht als feige zu gelten und einen dahingehenden Vorwurf sofort zu entkräften, ohne jedes Zögern sogar zu einer Handlung bereit ist, die er selbst zutreffend als Mord erkannt hat.
Hiernach hat die Jugendkammer, auch wenn sie sich mit der Frage schädlicher Neigungen der Angeklagten nur knapp auseinandergesetzt hat, diese Voraussetzung auf der Grundlage der von ihr getroffenen Feststellungen im Ergebnis zu Recht bejaht. Im übrigen hat sie die Verhängung von Jugendstrafe in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auch unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Schuld bejaht. Auch die Bemessung der Höhe der Strafen begegnet keinen rechtlichen Bedenken; insbesondere hat das Landgericht dem Erziehungsgedanken Rechnung getragen. Daneben hat es auch den Strafzweck des gerechten Schuldausgleichs beachtet (vgl. BGH NStZ 1998, 39; BGH NStZ-RR 1996, 120; BGH StV 1994, 598; BGH NJW 1992, 380; BGHR JGG § 18 Abs. 2 Strafzwecke 4). Würde der von den Angeklagten mittäterschaftlich begangene Mordversuch in fünf tateinheitlich zusammentreffenden Fällen, wie sie es mit ihren Revisionen anstreben, nur mit einer bewährungsfähigen Jugendstrafe geahndet, so würde dies – unter Berücksichtigung aller von der Strafkammer festgestellten Umstände – eine unangemessene und erziehungsschädliche Verharmlosung des verwirklichten Unrechts und der Schwere ihrer Schuld bedeuten.
Unterschriften
Maatz, Kuckein, Athing, Solin-Stojanovi[cacute], Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 634790 |
NStZ 2002, 89 |
NStZ-RR 2002, 20 |