Verfahrensgang
LG Hechingen (Urteil vom 13.12.2004) |
Tenor
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 13. Dezember 2004 werden verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last. Der Nebenkläger hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung aus rechtlichen Gründen freigesprochen, weil die Tathandlung durch Notwehr gerechtfertigt sei. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers richten sich mit der Sachbeschwerde gegen den Freispruch und beanstanden die Bewertung der Verteidigungshandlung als erforderlich.
Die im Ergebnis auch vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen haben keinen Erfolg. Die Verfahrensrüge des Nebenklägers hinsichtlich der fehlenden Aufhebung des Unterbringungsbeschlusses ist unzulässig nach § 400 Abs. 1 StPO (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 305).
1. Das Landgericht hat festgestellt:
- Am 20. Februar 2004 gegen Mitternacht suchten der Angeklagte und sein Freund T. eine Mc Donald's-Filiale in A. auf, um dort etwas zu essen. Aus Furcht vor tätlichen Angriffen bewaffneten sie sich zuvor. Der Angeklagte hatte zwei Bajonette mit einer Klingenlänge von je 24 cm in die Seitentaschen seiner Military-Hose gesteckt, während der Freund vier Wurfmesser am Gürtel an seiner Rückenseite trug. Als beide in dem Lokal ihre Mahlzeiten verzehrten, trafen zwei junge Männer ein, die Zeugen U. und K.. Sie nahmen ihr Essen an einem nicht weit entfernt stehenden Tisch ein. Zwischen den vier Personen, den alleinigen Gästen, gab es immer wieder Blickkontakt. Als der Angeklagte mit der flachen Hand eine Verpackung zusammenschlug, bezog U. dies auf sich, ging zum Tisch der beiden anderen und fragte wutentbrannt, ob sie Stress suchten. Diese antworteten, dass sie in Ruhe essen wollten. U. entgegnete, man werde die Sache nachher draußen klären. U. und K. verließen das Lokal. Die beiden anderen aßen in Ruhe zu Ende und hofften, dass U. und K. sich entfernt hätten. Diese warteten jedoch draußen. Als der Angeklagte und sein Freund sie beim Verlassen des Lokals erblickten, zückten sie ihre Messer und hielten sie in Abwehrhaltung vor sich, um sich einer drohenden Schlägerei zu entziehen. U., der nach wie vor auf eine gewaltsame Auseinandersetzung aus war, forderte seine Kontrahenten wiederholt auf, die Messer wegzulegen. Diese erwiderten, dass sie sich wohl „die Falschen” ausgesucht hätten, sie sollten ihres Weges gehen, dann sei die Sache vergessen. Erst als aus den Reihen der Bediensteten des Lokals das Wort „Polizei” fiel, zogen U. und K. sich in Richtung Parkplatz zurück. Der Angeklagte und sein Freund steckten die Messer wieder ein und begaben sich auf den Weg zur Wohnung des Angeklagten. Für sie war der Vorfall erledigt.
- U. dagegen, der wegen Körperverletzungsdelikten mehrfach verurteilt worden war und der zur Tatzeit wegen eines solchen Deliktes unter Bewährung stand, wollte das Vorgefallene nicht auf sich sitzen lassen, sondern eine tätliche Auseinandersetzung herbeiführen. Er verfolgte mit dem nur widerwillig ihn begleitenden K. die beiden Kontrahenten schnellen Schrittes – teils in leichtem Lauf –, um sie einzuholen. An einer ca. 150 m von Mc Donald's entfernt liegenden Total-Tankstelle erblickte er drei Bekannte, die Zeugen F., Ko. und R.. Diesen erklärte er, dass eben zwei vorbeigegangen seien, die Messer hätten und mit denen er „Stress habe”. Seinen Bekannten war klar, dass U. eine Schlägerei beabsichtigte und sie waren bereit, ohne weitere Nachfrage ihm beizustehen. F. fand die Aussicht auf eine Schlägerei attraktiver als sofort zum Tanz zu gehen. Sie kamen überein, dass Ko. und R. zunächst das Fahrzeug betanken und dann den beiden Personen mit dem Fahrzeug den Weg abschneiden sollten. Ko. und R. waren auch bereit, unterstützend zur Hilfe zu kommen. F. nahm sofort mit U. die Verfolgung auf. K. zog sich zurück, weil seine Hilfe nicht mehr erforderlich war.
F. wollte für den bevorstehenden Kampf Waffengleichheit herstellen. Als er im Hofbereich einer Firma Baumaterialien erblickte, ergriff er eine ca. 1,60 m lange Holzlatte und U. eine deutlich kürzere Eisenstange. Mit diesen Schlagwerkzeugen bewaffnet rannten sie ihren Kontrahenten hinterher. U. rief ihnen zu, sie sollten stehen bleiben und ihre Messer wegwerfen. Diese drehten sich um, zogen ihre Messer heraus und hielten sie in Abwehrhaltung vor sich, um deren Einsatz anzudrohen. Da U. nun eine weitere Person bei sich hatte und beide mit Schlagwerkzeugen bewaffnet auf sie zueilten, befürchteten sie für den Fall des Weglegens ihrer Waffen Schläge. U. hieb auch sofort mit einer Eisenstange mehrfach auf T. ein, wobei beide sich im Bereich des Gehweges befanden. Der Angeklagte bewegte sich vom Gehweg weg auf die Straße und wurde von F. verfolgt. Zwischen ihnen und den beiden anderen Kämpfern befand sich ein abgestellter Lkw, so dass sie diese nicht mehr sehen konnten. Der Angeklagte stellte sich seinem Verfolger. F. beabsichtigte, mit der Holzlatte dem Angeklagten die Bajonette aus den Händen zu schlagen. Er ging auf ihn los, schlug mit der Latte zu und traf ihn am linken Oberschenkel. Dann glitt F. auf der nassen und rutschigen Fahrbahn aus und fiel zu Boden, wobei ihm auch die Holzlatte entglitt. Als er sich wieder aufrichtete, um sich erneut zu bewaffnen und weiter auf den Angeklagten einzudringen, stieß dieser zur Abwehr mit Wucht das Bajonett in den linken oberen Brustbereich seines Angreifers. Der Angeklagte rechnete damit, dass er ihn tödlich verletzen konnte und nahm dies zur Unterbindung weiterer Angriffe in Kauf. Der mit heftiger Wucht geführte Stoß durchdrang das Revers und den darunter befindlichen Stoff einer dicken Winterjacke aus Lammfellimitat und führte zu einer rund 10 cm tiefen Stichverletzung unterhalb des Schlüsselbeins parallel zur Thoraxwand. Dadurch wurden eine aus der Aorta kommende Arterie und die Lunge verletzt.
Nach Beibringung dieser konkret lebensgefährlichen Verletzung ließ der Angeklagte von seinem Angreifer ab. F. bewegte sich rückwärts in Richtung Gehweg. Ko. und R. waren mittlerweile mit dem Fahrzeug eingetroffen, nahmen U. und F. auf und brachten den nun schon deutlich blutenden F. ins Krankenhaus. In einer zweistündigen Notoperation konnte er außer Lebensgefahr gebracht werden. Als Verletzungsfolgen klagt er lediglich über gelegentliche Schmerzen an der Narbe und geringere Ausdauer bei körperlicher Betätigung.
2. Zu Recht geht der Tatrichter davon aus, dass die vom Angeklagten gewählte Verteidigungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB erforderlich war.
a) Die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger sind der Auffassung, diese Bewertung des Landgerichts stütze sich auf widersprüchliche und lückenhafte Feststellungen zur Beschaffenheit, insbesondere Gefährlichkeit der vom Angreifer F. verwendeten Holzlatte und zur andauernden Notwehrlage. Die Urteilsgründe ließen nicht erkennen, wie F. sich nach dem Sturz hätte erneut bewaffnen können, wenn nicht festgestellt ist, wo die Latte gelegen habe.
Die Urteilsfeststellungen weisen weder Widersprüche noch Lücken auf.
Bei der Beurteilung der Gefährlichkeit der gegnerischen Bewaffnung kommt es nicht auf den bisherigen Einsatz der Holzlatte in Richtung Hand des Angegriffenen zur Entwaffnung an – wie die Revisionsführer meinen – sondern auf einen möglichen Einsatz – z.B. nach Entwaffnung –. Die Einstufung der Holzlatte durch den Tatrichter als gefährliches Werkzeug, welches bei einem Schlag auf den ungeschützten Kopf eines Kontrahenten schwere bis hin zu tödliche Verletzungen herbeiführen kann (UA S. 17, 18), erfolgte zu Recht und ohne Widersprüche. Eine sachlich-rechtliche Pflicht, eine zwar theoretisch mögliche, jedoch fern liegende Fallgestaltung zu erörtern, dass der Angreifer F. sich etwa mit einer morschen Latte bewaffnet haben könnte, besteht nicht (BGH, Urteil vom 5. November 2003 – 1 StR 287/03). Es liegt vielmehr nahe, dass die vom Angreifer verwendete Holzlatte geeignet ist, die dargestellten Verletzungen herbeizuführen. Eine Aufklärungsrüge hinsichtlich der Beschaffenheit der Holzlatte ist nicht erhoben.
Das Landgericht geht ohne Rechtsfehler von einer andauernden Notwehrlage aus. Dabei verkennt es nicht, dass F. zum Zeitpunkt der Zufügung des Stiches die Holzlatte verloren hatte (UA S. 17). Einer Erörterung oder Feststellung, wo die Latte konkret gelegen hat, bedurfte es nicht. Der Angriff dauert so lange an, wie eine Wiederholung unmittelbar zu befürchten ist. Entscheidend sind die Absichten des Angreifers (BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 5). Das Landgericht hat festgestellt, dass F. nach seinen eigenen Äußerungen den Angriff fortgesetzt hätte und der Angeklagte schon aus dem gesamten Geschehensablauf davon ausgehen musste, dass F. sich sofort wieder mit der Holzlatte bewaffnen und den Angriff fortsetzen werde. Das genügt.
b) Die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger meinen, der Tatrichter hätte sich bei der Erörterung milderer Verteidigungsmittel damit auseinandersetzen müssen, ob es nicht ausreichend gewesen wäre, wenn der Angeklagte dem Angreifer die Spitze seines Bajonettes auf den Körper aufgesetzt hätte. Der Generalbundesanwalt vermisst Erörterungen zum Einsatz der Stichwaffe als Schlagwerkzeug. Mit dem Griff des Bajonettes hätte der Angeklagte nach Auffassung des Generalbundesanwalts wuchtige Schläge zur Abwehr ausführen können.
Auch insoweit weist das Urteil keinen Rechtsfehler auf.
Ob die Verteidigungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB erforderlich ist, hängt im Wesentlichen von Art und Maß des Angriffs ab. Dabei darf sich der Angegriffene grundsätzlich des Abwehrmittels bedienen, das er zur Hand hat und das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten lässt. Das schließt auch den Einsatz lebensgefährlicher Mittel ein. Zwar kann dieser nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen und darf auch nur das letzte Mittel der Verteidigung sein; doch ist der Angegriffene nicht genötigt, auf die Anwendung weniger gefährlicher Verteidigungsmittel zurückzugreifen, wenn deren Wirkung für die Abwehr zweifelhaft ist. Auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang braucht er sich nicht einzulassen (st. Rspr., vgl. BGH NStZ 2002, 140 m.w.N.).
Nach diesen Maßstäben durfte der Angeklagte sich mit einem wuchtigen Messerstich verteidigen. Das Aufsetzen einer oder beider Bajonettspitzen auf den Körper des sich wieder aufrichtenden – wenn auch zu diesem Zeitpunkt unbewaffneten – Angreifers hätte nach den getroffenen Feststellungen den Angriff nicht zweifelsfrei endgültig beendet. Die Kampflage wird hier bestimmt durch das Vortatgeschehen, die andauernde Intensität, mit der die tätliche Auseinandersetzung gesucht wurde, das Nebentatgeschehen – der Kampf zwischen U. und T. – und das mögliche jederzeitige Eintreffen von Verstärkung für F.. Dieser war ohne eigene Veranlassung dem streitsüchtigen U., der bereits bei Mc Donald's aus nichtigem, missdeutetem Anlass die Schlägerei gesucht hatte, zu Hilfe geeilt und beide waren mit Schlagwerkzeugen bewaffnet in den Kampf gegangen. Der Einsatz des Messers war dem Angreifer durch Vorhalten angedroht worden, was ihn aber nicht vom Angriff abhielt. Das endgültige Ausscheiden des K., des früheren Kampfgefährten des U., war dem Angeklagten zur Zeit der Verteidigungshandlung nicht bekannt. Auch kannte er die Kampflage zwischen U. und T. nicht. Er wusste also nicht, ob er von U. weitere Bedrohung bzw. Verstärkung für F. befürchten musste. Bei dieser Bedrohungslage konnte er nicht erwarten, dass ein Aufsetzen von Bajonettspitzen auf den Körper die Gefahr endgültig beseitigt hätte. Ein solches Aufsetzen wäre im Übrigen, wie der Tatrichter es für einen gezielten Stich in andere Körperteile ausgeführt hat, auch aus tatsächlichen Gründen nicht möglich gewesen. F. war dabei, sich wieder aufzurichten, er und der Angeklagte befanden sich in einem bewegten Geschehensablauf und die Lichtverhältnisse bei Dunkelheit – Beleuchtung nur durch Straßenlaternen – ermöglichten lediglich eine eingeschränkte Sicht.
Auf den Einsatz der Stichwaffe als Schlagwerkzeug muss der Angeklagte sich nicht verweisen lassen.
Bei mehreren Einsatzmöglichkeiten des vorhandenen Abwehrmittels hat der Verteidigende nur dann das für den Angreifer am wenigsten gefährliche zu wählen, wenn ihm Zeit zum Überlegen zur Verfügung steht und durch die weniger gefährliche Abwehr dieselbe, oben beschriebene Wirkung erzielt wird (BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 5). Beides trifft hier nicht zu. Das eigentliche Tatgeschehen spielte sich innerhalb weniger Sekunden ab (UA S. 12). Als F. ausrutschte, blieb dem Angeklagten keine Zeit, sich Gedanken über verschiedene Einsatzmöglichkeiten seiner Bajonette zu machen und diese – wie auch immer – als Schlagwerkzeuge zu ergreifen. Er musste angesichts der Bedrohungslage sofort reagieren.
Aus seiner und auch objektiver Sicht konnte er die Gefahrenlage durch wuchtige Schläge mit dem Griff eines Bajonettes auch nicht ohne Zweifel endgültig beenden. Die Gesamtlänge des Bajonettes mit einer Klingenlänge von 24 cm ist zwar nicht bekannt, aber bei einer Verwendung als Schlagwerkzeug auf den Körper des Angreifers wäre der Angeklagte in eine solche Nähe seines Kontrahenten gelangt, dass dieser ihn mit Faustschlägen hätte attackieren können.
Mit möglichen anderen Einschränkungen des Notwehrrechts hat das Landgericht sich auseinandergesetzt (UA S. 18) und diese rechtsfehlerfrei verneint.
Unterschriften
Nack, Wahl, Kolz, Hebenstreit, Elf
Fundstellen
Haufe-Index 2556170 |
NStZ 2006, 152 |
Kriminalistik 2006, 115 |