Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine unlautere geschäftliche Handlung bei Verstoß gegen Verhaltenskodex
Leitsatz (amtlich)
Ein Verhalten, das gegen einen Verhaltenskodex eines Unternehmensverbandes verstößt, stellt nicht bereits deshalb eine unlautere geschäftliche Handlung i.S.v. § 3 Abs. 1 UWG dar.
Normenkette
UWG § 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 29. Zivilsenats des OLG München vom 7.8.2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin, die Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie, ist ein von den Mitgliedern des Verbands forschender Arzneimittelhersteller gegründeter eingetragener Verein. Zu ihren Aufgaben gehören insb. die Förderung der gewerblichen Interessen ihrer Mitglieder sowie die Überwachung und Durchsetzung lauteren Geschäftsgebarens in Bezug auf die Kooperation der pharmazeutischen Industrie mit Angehörigen der Fachkreise.
Rz. 2
Die Beklagte, die nicht Mitglied der Klägerin ist, stellt her und vertreibt generische Arzneimittel. Sie bot im Zeitraum vom 1.1.2007 bis zum 24.11.2007 unter dem Titel "Arzt-Seminare 2007" jeweils etwa dreistündige, für die Teilnehmer kostenlose Veranstaltungen zu gebührenrechtlichen Fragen an, die sich an Ärzte und deren mit der Gebührenabrechnung befasste Mitarbeiter richteten.
Rz. 3
Die Klägerin hat dieses Verhalten der Beklagten als wettbewerbswidrig beanstandet. Es stehe insb. in Widerspruch zu dem von ihr beschlossenen "FS Arzneimittelindustrie-Kodex" (im Folgenden: FSA-Kodex). Dieser Kodex sehe in § 21 Abs. 2 unter der Überschrift "Geschenke" vor, dass im Rahmen einer nicht produktbezogenen Werbung Geschenke nur zu besonderen Anlässen (z.B. Praxiseröffnung, Jubiläen) gewährt werden dürften, wenn sie sich in einem sozialadäquaten Rahmen hielten und zur Verwendung in der beruflichen Praxis bestimmt seien.
Rz. 4
Die Klägerin hat die Beklagte deshalb auf Unterlassung in Anspruch genommen. Das LG hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin begehrt.
Entscheidungsgründe
Rz. 5
I. Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat die Beklagte das von der Klägerin beanstandete Verhalten zu unterlassen, weil sie gegen § 21 des FSA-Kodexes der Klägerin verstoßen habe. Zur näheren Begründung hat es ausgeführt:
Rz. 6
Die Klägerin sei nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG klagebefugt. Sie verfüge über eine erhebliche Zahl von Mitgliedern, die Waren gleicher oder verwandter Art auf dem Markt anböten, und sei aufgrund ihrer personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung auch in der Lage, ihre satzungsgemäßen Aufgaben zu erfüllen. Die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs, den die Klägerin aus § 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 3, 4 Nr. 1 und 11 UWG herleite, gehöre zu ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich.
Rz. 7
Die Beklagte habe gegen § 21 des FSA-Kodexes verstoßen, weil keiner der Ausnahmefälle des § 21 Abs. 2 des FSA-Kodexes vorliege, in denen unentgeltliche Zuwendungen der Pharmaindustrie im Rahmen ihrer Imagewerbung ggü. den Fachkreisen als zulässig anzusehen seien. Die Zulässigkeit der Bewerbung der Fortbildungsseminare folge auch nicht aus § 20 Abs. 1 des FSA-Kodexes. Danach dürften Mitgliedsunternehmen Angehörige der Fachkreise zu eigenen berufsbezogenen Fortbildungsveranstaltungen einladen, die sich insb. mit ihren Forschungsgebieten, Arzneien und deren Indikationen befassten. Einen solchen pharmakologischen Bezug weise ein Seminar nicht auf, das sich mit der Organisation der ärztlichen Praxis im Rahmen des Gebührenwesens befasse.
Rz. 8
Die beanstandete Bewerbung unentgeltlicher Fortbildungsveranstaltungen zum Gebührenrecht sei auch unlauter i.S.v. § 3 UWG. Bei der Würdigung des angegriffenen Verhaltens der Beklagten sei dem festgestellten Kodexverstoß eine indizielle Bedeutung für die Frage beizumessen, was in den einschlägigen Verkehrskreisen als lauter oder unlauter angesehen werde. Auf die Frage, ob sich das Verhalten der Beklagten darüber hinaus als unangemessene unsachliche Einflussnahme i.S.v. § 4 Nr. 1 UWG darstelle und auch aus diesem Grund unlauter i.S.v. § 3 UWG sei, komme es somit nicht an.
Rz. 9
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg. Die bislang getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts tragen seine Annahme nicht, der Klägerin stehe der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte zu.
Rz. 10
1. Das Berufungsgericht hat es dahinstehen lassen, ob das Verhalten der Beklagten, wie die Klägerin geltend gemacht hat, nach § 4 Nr. 1 UWG als unlauter anzusehen ist. Es hat sich auch nicht ausdrücklich auf § 4 Nr. 11 UWG bezogen, sondern sein Unlauterkeitsurteil unmittelbar auf § 3 UWG 2004 gestützt. Das ist schon deshalb rechtlich bedenklich, weil sich die Generalklausel des § 3 UWG 2004 bzw. des § 3 Abs. 1 UWG 2008 nicht ohne Weiteres als Auffangtatbestand für von den Beispielstatbeständen der §§ 4 bis 6 UWG nicht erfasste Verhaltensweisen heranziehen lässt.
Rz. 11
Eine Anwendung des § 4 Nr. 11 UWG scheidet offensichtlich aus, weil es sich bei der vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Bestimmung des § 21 des FSA-Kodexes der Klägerin nicht um eine gesetzliche Vorschrift i.S.v. § 4 Nr. 11 UWG handelt. Nach dem mit der Vorschrift des § 4 Nr. 11 UWG verfolgten Gesetzeszweck kann ein Verstoß gegen eine Bestimmung, die nicht die besonderen Voraussetzungen einer gesetzlichen Marktverhaltensregelung i.S.v. § 4 Nr. 11 UWG erfüllt, nicht ohne Weiteres nach § 3 UWG 2004 bzw. § 3 Abs. 1 UWG 2008 als unlauter angesehen werden (vgl. BGH, Urt. v. 2.12.2009 - I ZR 152/07, GRUR 2010, 654 Rz. 25 = WRP 2010, 876 - Zweckbetrieb). Auch im Übrigen kommt ein Rückgriff auf die Generalklausel des § 3 UWG nur in Betracht, wenn das betreffende Verhalten von seinem Unlauterkeitsgehalt her den in den Beispielsfällen der §§ 4 ff. UWG geregelten Verhaltensweisen entspricht (BGH, Urt. v. 22.4.2009 - I ZR 176/06, GRUR 2009, 1080 Rz. 12 = WRP 2009, 1369 - Auskunft der IHK).
Rz. 12
2. Diesen rechtlichen Anforderungen an eine unmittelbare Anwendung der Generalklausel des § 3 UWG 2004 bzw. des § 3 Abs. 1 UWG 2008 genügt die vom Berufungsgericht vorgenommene Beurteilung nicht. Sie stellt lediglich darauf ab, dass dem festgestellten Verstoß gegen § 21 des FSA-Kodexes der Klägerin eine indizielle Bedeutung für die Frage beizumessen sei, welche Verhaltensweisen in der betreffenden Branche bzw. von den einschlägigen Verkehrskreisen als lauter oder unlauter angesehen werde. Damit kann eine Unlauterkeit des Verhaltens der Beklagten i.S.v. § 3 UWG 2004 bzw. § 3 Abs. 1 UWG 2008 nicht begründet werden.
Rz. 13
a) Für die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten als unlauter i.S.v. § 3 UWG 2004 bzw. § 3 Abs. 1 UWG 2008 zu beurteilen ist, haben Regeln, die sich ein Verband oder ein sonstiger Zusammenschluss von Verkehrsbeteiligten gegeben hat, nur eine begrenzte Bedeutung. Ihnen kann zwar unter Umständen entnommen werden, ob innerhalb der in Rede stehenden Verkehrskreise eine bestimmte tatsächliche Übung herrscht. Aus dem Bestehen einer tatsächlichen Übung folgt aber noch nicht, dass ein von dieser Übung abweichendes Verhalten ohne Weiteres als unlauter anzusehen ist. Der Wettbewerb würde in bedenklicher Weise beschränkt, wenn das Übliche zur Norm erhoben würde. Regelwerken von (Wettbewerbs-)Verbänden kann daher allenfalls eine indizielle Bedeutung für die Frage der Unlauterkeit zukommen, die aber eine abschließende Beurteilung anhand der sich aus den Bestimmungen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb ergebenden Wertungen nicht ersetzen kann (BGH, Urt. v. 7.2.2006 - KZR 33/04, BGHZ 166, 154 Rz. 19 - Probeabonnement).
Rz. 14
Eine an den Vorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb ausgerichtete Bestimmung der Unlauterkeit ist zudem deshalb geboten, weil es verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen würde, wenn zur Ausfüllung der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel des § 3 UWG Wettbewerbsregeln oder andere Regelwerke herangezogen würden, denen keine Gesetzesqualität zukommt (BGHZ 166, 154 Rz. 21 - Probeabonnement). Im Übrigen kommt auch die Annahme einer (lediglich) indiziellen Bedeutung eines Verstoßes gegen selbst gesetzte Regeln eines Verbands für die Frage der Unlauterkeit nur dann in Betracht, wenn sich die aus dem festgestellten Kodexverstoß abgeleitete Regelwidrigkeit des betreffenden Verhaltens gerade auch als eine wettbewerbsbezogene, d.h. von den Schutzzwecken des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (vgl. § 1 UWG) erfasste Unzulässigkeit erweist. Denn es ist nicht Aufgabe des Lauterkeitsrechts, alle nur denkbaren Regelverstöße im Zusammenhang mit geschäftlichen Handlungen auch lauterkeitsrechtlich zu sanktionieren (vgl. BGH GRUR 2010, 654 Rz. 25 - Zweckbetrieb).
Rz. 15
Auch nach Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken sind Verstöße gegen einen Verhaltenskodex, zu dem sich Verkehrsbeteiligte verpflichtet haben (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 5 UWG 2008), oder Verstöße gegen die fachliche Sorgfalt (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG 2008) nicht bereits als solche unlauter (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1, § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6, Anhang zu § 3 Abs. 3 Nr. 1 und 3 UWG 2008; vgl. dazu ferner Erdmann in Gloy/Loschelder/Erdmann, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 4. Aufl., § 37 Rz. 7 ff.; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Aufl., § 2 Rz. 115; Harte/Henning/Keller, UWG, 2. Aufl., § 2 Rz. 152; Schmidhuber WRP 2010, 593 [596]). Auch die Richtlinie zieht diesen Schluss nicht, sondern sieht nur bestimmte Fälle des Nichteinhaltens von Verhaltenskodizes als unlauter an (vgl. Art. 2 Buchst. f und 5 Abs. 2, Art. 6 Abs. 2 Buchst. b, Anhang I Nr. 1 und 3; vgl. auch Art. 10 sowie Erwägungsgrund 20 der Richtlinie; vgl. dazu ferner Bornkamm in Köhler/Bornkamm, a.a.O., § 5 Rz. 5.164).
Rz. 16
b) Das Berufungsgericht durfte sich bei seiner Beurteilung daher nicht darauf beschränken, dem Verstoß gegen den Kodex der Klägerin sei eine indizielle Bedeutung für die Frage der Unlauterkeit des beanstandeten Verhaltens der Beklagten beizumessen. Mit der nach den vorstehenden Ausführungen gebotenen Prüfung, ob der Verstoß von seinem Unlauterkeitsgehalt her den gesetzlichen Unlauterkeitstatbeständen entspricht, hat es sich dagegen nicht befasst. Insbesondere hat es offen gelassen, ob durch das Angebot der unentgeltlichen Teilnahme an den gebührenrechtlichen Seminaren - unter Berücksichtigung einer damit verbundenen geldwerten Zuwendung sowie des von der Beklagten angeführten besonderen Anlasses einer mit der Gesundheitsreform verbundenen Umstellung der Abrechnungspraxis und vergleichbarer kostenfreier Angebote der Kassenärztlichen Vereinigung - ein unangemessener unsachlicher Einfluss i.S.v. § 4 Nr. 1 UWG (vgl. dazu BGH, Urt. v. 30.1.2003 - I ZR 142/00, GRUR 2003, 624 = WRP 2003, 886 - Kleidersack; Urt. v. 21.4.2005 - I ZR 201/02, GRUR 2005, 1059 = WRP 2005, 1508 - Quersubventionierung von Laborgemeinschaften I) auf die angesprochenen Teilnehmer ausgeübt worden ist.
Rz. 17
III. Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 2643658 |
BB 2011, 642 |
DB 2011, 649 |
EBE/BGH 2011 |
EWiR 2011, 397 |
GRUR 2011, 431 |
GRUR 2011, 6 |
ZIP 2011, 590 |
AnwBl 2011, 395 |
MDR 2011, 439 |
WRP 2011, 444 |
GRUR-Prax 2011, 153 |
GuT 2011, 188 |
PharmaR 2011, 138 |
A&R 2011, 85 |
Mitt. 2011, 200 |