Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermessensfehlerhaftigkeit der Nichtzulassung verspäteten Zeugenbeweises
Leitsatz (amtlich)
Die Nichtzulassung verspäteten Zeugenbeweises ist ermessensfehlerhaft, wenn die Verzögerung des Verfahrensabschlusses damit begründet wird, der Verhandlungstermin sei bereits durch eine Parteivernehmung zum selben Beweisthema ausgelastet.
Normenkette
ZPO §§ 296, 528, 445, 448, 296 Abs. 2, § 528 Abs. 2, § 282 Abs. 1, § 445 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Celle (Urteil vom 19.05.1989) |
LG Lüneburg |
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 19. Mai 1989 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Kläger kauften am 8. Juli 1986 von dem Beklagten ein Hausgrundstück unter Ausschluß der Gewährleistung für Sachmängel. Im Kaufvertrag „sicherte” der Beklagte „zu”, daß ihm keine Mängel an dem Objekt bekannt seien. Tatsächlich waren der gesamte Dachstuhl sowie die Balken im Bereich des ausgebauten Dachgeschosses vom Hausbock befallen.
Die Kläger haben die in einem Beweissicherungsgutachten über die Schadensentwicklung und Schadenshöhe von dem Sachverständigen veranschlagten Reparaturkosten von 41.261,05 DM zunächst als Kaufpreisminderung, dann als Schadensersatz wegen Nichterfüllung geltend gemacht. Sie haben behauptet, der Beklagte sei von dem Hausbockbefall unterrichtet gewesen.
Die Klage ist in beiden Instanzen erfolglos geblieben.
Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Der Beklagte beantragt Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht führt aus, das Beweissicherungsgutachten lasse nicht den Schluß zu, daß dem Beklagten bei Vertragsabschluß der Hausbockbefall bekannt gewesen sei oder er mit diesem zumindest gerechnet habe. Hiergegen sprächen die seinerzeitigen Lichtverhältnisse auf dem Dachboden und der Umstand, daß der Beklagte, wie ihm nicht zu widerlegen sei, diesen über Jahre hinweg nur einmal betreten habe.
Der in der Berufungsbegründung gestellte Antrag, die Zeugen Wa. und We. zum Beweis der 1978 erfolgten Mitteilung über Hausbockbefall zu hören, sei nach §§ 528 Abs. 2, 282 Abs. 1 ZPO „als verspätet zurückzuweisen”. Der Beweisantritt sei im ersten Rechtszug aus grober Nachlässigkeit unterblieben, denn er hätte bereits damals ohne weiteres erfolgen können. Daran ändere es nichts, daß die Kläger den Beweis möglicherweise zunächst deshalb nicht angetreten hätten, weil sie davon ausgegangen seien, daß die Zeugen im gegnerischen Lager stünden. Eine Verzögerung des Rechtsstreits hätte auch durch vorbereitende Maßnahmen des Gerichts nicht ausgeglichen werden können. Eine Vernehmung der Zeugen hätte mindestens 45 bis 60 Minuten in Anspruch genommen. Dies hätte in die übrige Terminsplanung am Verhandlungstag nicht mehr hineingepaßt. Abgesehen davon hätten sich vorbereitende Maßnahmen nicht in der Ladung der beiden Zeugen erschöpfen können. Vielmehr sei auch die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Beklagten erforderlich gewesen, weil es nahe gelegen habe, mit diesem einzelne Punkte zu erörtern und auch dessen Vernehmung als Partei in Betracht gekommen sei.
Aus gleichem Grunde sei auch die Behauptung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, We. habe den Beklagten 1983/1984 anläßlich einer Dachreparatur wiederum über Holzbockbefall unterrichtet, „zurückzuweisen” gewesen. Es liege auf der Hand, daß der Kläger die Information schon wesentlich früher hätte einholen können.
II.
1. Als Anspruchsgrund für die verlangte Zahlung kommt, wovon auch das Berufungsgericht ausgeht, nur der Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung des § 463 Satz 2 BGB in Frage. Die Erklärung des Beklagten im Kaufvertrag, er sichere zu, daß ihm keine Mängel an dem Objekt bekannt seien, enthält keine Zusicherung im Sinne des § 463 Satz 1 BGB, Hausbockbefall liege nicht vor (BGH Urt. v. 21. November 1952, V ZR 158/51, LM BGB § 463 Nr. 1).
Für den Schadensersatzanspruch wegen arglistigen Verschweigens eines Fehlers, der von dem vereinbarten Gewährleistungsausschluß nicht berührt wird (§ 476 BGB), ist die Behauptung des Klägers, der Beklagte sei zweimal, nämlich 1978 und 1983/1984 über den Hausbockbefall unterrichtet worden, entscheidungserheblich. Dies sieht auch das Berufungsgericht so. Der Verkäufer eines Hauses, dessen Dachgebälk vom Hausbockkäfer befallen ist, darf dies mindestens dann nicht verschweigen, wenn die durch den Schädlingsbefall angerichteten Schäden einen erheblichen Umfang erreicht haben (BGH Urt. v. 9. Oktober 1964, V ZR 109/62, NJW 1965, 34). Dies hat der Kläger behauptet. Das Berufungsgericht hat zu dem Schadensbild in den Zeitpunkten, in denen der Beklagte nach der Beweisbehauptung Mitteilung von dem Befall erhielt, im einzelnen keine Feststellungen getroffen. Für die Revision ist daher von einer erheblichen Schädigung auszugehen.
2. a) Die Nichtzulassung des Antrags, Wa. und We. als Zeugen dazu zu hören, daß der Beklagte bereits 1978 über den Holzbockbefall unterrichtet worden sei, verstößt gegen § 528 Abs. 2 ZPO. Hierbei kann dahin stehen, ob der Beweisantritt im zweiten Rechtszug verspätet war (§ 282 Abs. 1 ZPO) und ob die Verspätung auf grobe Nachlässigkeit der Kläger zurückging. Eine Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits hätte jedenfalls vermieden werden können, wenn das Berufungsgericht die ihm zumutbaren prozeßleitenden Maßnahmen (§ 273 Abs. 2 ZPO) zum Ausgleich der Verspätung ergriffen hätte.
Zumutbar sind vorbereitende Maßnahmen stets, wenn es sich um einfache und klar abgegrenzte Streitpunkte handelt, die sich im Rahmen der mündlichen Verhandlung ohne unangemessenen zeitlichen Aufwand klären lassen (st. Rspr. vgl. BGH Urt. v. 30. Mai 1984, VIII ZR 20/83, WM 1984, 1158 f). Die dazu erforderliche Vernehmung eines oder mehrerer greifbarer Zeugen stellt keinen unzumutbaren Zeitaufwand dar (BGH Urt. v. 26. Juni 1975, VII ZR 279/74, NJW 1975, 1744, 1746; BGH Urt. v. 7. Oktober 1986, VI ZR 262/85, BGHR ZPO § 528 – Verzögerung 1: vier bzw. sechs statt eines Zeugen). Das Berufungsgericht hätte daher spätestens bei Vorliegen der Berufungserwiderung am 30. Juni 1988 Anlaß gehabt, auf den in der Berufungsbegründung gestellten Antrag die Zeugen Wa. und We. zu dem auf den 28. April 1989 angesetzten Verhandlungstermin zu laden. Von dieser Verpflichtung war das Berufungsgericht auch nicht deshalb entbunden, weil es glaubte, den Beklagten nach § 141 ZPO anhören zu sollen. Das Berufungsgericht trifft keine Feststellungen dazu, daß die Beweisaufnahme und die Anhörung insgesamt zu einem über das Regelmäßige hinausgehenden zeitlichen Aufwand geführt hätte. Entsprechendes gilt auch, soweit das Berufungsgericht die Vernehmung des Beklagten als Partei zu anderen als den mit dem Beweisantrag behaupteten Tatsachen ins Auge gefaßt haben sollte.
b) Soweit das Berufungsgericht von der Ladung der Zeugen im Hinblick auf eine beabsichtigte Vernehmung des Beklagten zu den gleichen Beweispunkten abgesehen hat, ist seine Ermessensausübung auch aus einem anderen Gesichtspunkt fehlerhaft. Die von den Klägern beantragte Vernehmung des Gegners als Partei kam nach § 445 Abs. 1 BGB erst in Betracht, wenn der Zeugenbeweis zur Feststellung der Behauptung nicht hinreichte. Auch eine Parteivernehmung von Amts wegen nach § 448 ZPO setzte im Streitfalle die Vernehmung der von den Klägern angebotenen Zeugen voraus. Anders konnte eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Beweisbehauptung nicht begründet werden (BGH Urt. v. 5. Juli 1989, VIII ZR 334/88, NJW 1989, 3222).
c) Von der Pflicht, vorbereitende Maßnahmen zu ergreifen, war das Berufungsgericht auch nicht entbunden, wenn es den in Frage kommenden Sitzungstag bereits so ausgelastet hatte, daß für die Vernehmung der Zeugen keine Zeit mehr blieb. Ob dem so war, erscheint bereits vom Tatsächlichen her zweifelhaft, denn das Berufungsgericht hat gleichzeitig mit der Anordnung des persönlichen Erscheinens des Beklagten die Terminsstunde zu verlegen vermocht. Im übrigen hält sich ein Gericht nicht im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens, wenn es die Sitzungstage allgemein so belastet und die Zeit für die Verhandlung der einzelnen Sachen so eng bemißt, daß es sich damit die Vernehmung eines Zeugen von vornherein unmöglich macht und alsdann mit dieser Verfahrensweise die Nichtzulassung des Beweismittels begründet (BGH Urt. v. 16. Mai 1974, II ZR 36/73, NJW 1974, 1512). Die Zumutbarkeit des mit einer Zeugenvernehmung verbundenen Aufwandes richtet sich unter anderem nach der Zeit, welche für die Terminsvorbereitung zur Verfügung steht. Bei langfristiger Terminsbestimmung kann und muß auch eine Verhandlungsdauer eingeplant werden, die die Vernehmung mehrerer Zeugen zuläßt (BVerfGE 81, 264; BGH Urt. v. 7. März 1985, VII ZR 401/83, WM 1985, 819). So liegen die Dinge hier, wo der Verhandlungstermin auf mehr als ein Jahr hinaus angesetzt worden war und vom Eingang der Berufungserwiderung bis zum Verhandlungstag noch ca. 10 Monate verblieben.
3. a) Auch die Nichtzulassung des in der mündlichen Verhandlung in das Wissen des Zeugen We. gestellten Vorbringens verstieß gegen § 528 Abs. 2 ZPO. Die Erhebung des beantragten Beweises hätte allerdings zu einer Vertagung der Verhandlung genötigt. Dies hätte aber keine Verzögerung im Rechtssinne bedeutet, denn verspäteter Vortrag verzögert den Rechtsstreit dann nicht, wenn dieser weder bei Zulassung des Vorbringens noch bei Nichtzulassung entscheidungsreif ist (BGH, Urt. v. 24. November 1988, VII ZR 313/87, BGHR ZPO § 296 Abs. 1 – Verzögerung 2). Der Rechtsstreit der Parteien war nicht entscheidungsreif, weil das Berufungsgericht den in der Berufungsbegründung gestellten Beweisantrag zu Unrecht unberücksichtigt gelassen hatte (vorstehend 2).
b) Auch die Gründe, aus denen das Berufungsgericht den Klägern grobe Nachlässigkeit vorwirft, reichen nicht zu. Das Berufungsgericht stellt die Behauptung, mit der die Kläger die späte Erweiterung des Beweisthemas begründet haben, nicht in Zweifel. Es ist somit davon auszugehen, daß den Klägern die behaupteten Vorgänge aus den Jahren 1983/1984 bis zum Morgen des Terminstages unbekannt geblieben waren. Die in erster Linie auf die Fälle zugeschnittenen Präklusionsvorschriften, daß die Partei von einem ihr bekannten Angriffs- oder Verteidigungsmittel keinen Gebrauch gemacht hat, können zwar auch Anwendung finden, wenn eine Partei unschwer in der Lage gewesen wäre, sich durch Erkundigungen bei Dritten über eine für die Entscheidung des Rechtsstreits wesentliche Frage Gewißheit zu verschaffen (BGH Urt. v. 25. März 1987, IVa ZR 224/85, BGHR ZPO § 296 Abs. 2, Nachlässigkeit, grobe 3). Diese Voraussetzungen legt das Berufungsgericht aber nicht dar. Von der Dachreparatur in den Jahren 1983/1984 war im bisherigen Prozeßverlauf nicht die Rede gewesen. Es kann den Klägern nicht als grobe Nachlässigkeit angelastet werden, daß sie bei dem Zeugen keine Erkundigungen eingezogen haben, ob er auch bei einer anderen, bisher außerhalb des Streits liegenden Gelegenheit, einen Schädlingsbefall festgestellt und dies dem Beklagten mitgeteilt hat.
III.
Auf die gerügten Mängel ist das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben. Die Sache ist zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 564, 565 ZPO).
Unterschriften
Hagen, Vogt, Lambert-Lang, Wenzel, Tropf
Fundstellen
Haufe-Index 947874 |
NJW 1991, 1181 |
BGHR |
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