Leitsatz (amtlich)
Zum Schutzbereich eines amtlichen Verkehrszeichens, das eine Straße nur für den Anliegerverkehr freigibt.
Normenkette
StVO § 3; BGB § 823
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 15. März 1968 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision hat der Kläger zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Am Samstag, den 11. April 1964 kam es gegen 8.50 Uhr in der G…straße in S… bei B… zu einem Verkehrsunfall, bei dem der Personenkraftwagen des Beklagten (Opel Rekord) und der Personenkraftwagen des Vertreters Peter K… (Opel Kadett) frontal stießen. Dabei wurde der Kläger, der als Fahrgast in dem Wagen des Beklagten mitfuhr, erheblich verletzt. Ihm drangen Splitter der zertrümmerten Windschutzscheibe in die Augen. Er mußte mehrmals operiert werden und ist auf einem Auge erblindet. Die Sehkraft des Auges ist stark herabgesetzt.
Der Beklagte war aus der H…straße kommend in die G…straße eingefahren, die in seiner Fahrtrichtung nur für den Anliegerverkehr freigegeben war. Er war weder Anlieger noch wollte er einen der Anlieger aufsuchen.
Die G…straße ist 5 m breit und verläuft auf einer Strecke von 250 m völlig gerade. Am Ende der Straße liegt – in der Fahrtrichtung des Beklagten gesehen – auf der linken Seite ein größerer Platz, der damals als Parkplatz benutzt wurde. Auf ihm hatte der Vertreter K…seinen Wagen abgestellt. Die zur H… Straße gelegene Seite dieses Platzes grenzt an ein Hausgrundstück, das an der Grenze mit hohen Bäumen und Strauchwerk bepflanzt war. K… fuhr nicht weit von der Ecke entfernt, an der Platz und Grundstück zusammenstoßen, mit seinem Kraftwagen Iangsam von dem Parkplatz herunter auf die G…straße, um auf ihr nach rechts in Richtung H…straße weiterzufahren. Wegen eines Renault-Personenkraftwagens, der auf der rechten Seite – in Richtung H…straße gesehen – in einem Abstand von 1,40 m von der Ecke Parkplatz und Hausgrundstück dicht am Bürgersteig abgestellt war, benutzte K… beim Einbiegen in die G…straße auch die von ihm aus gesehene linke Fahrbahn der Straße. Dort stieß er mit dem ihm entgegenkommenden Wagen des Beklagten zusammen. Der Beklagte hatte noch versucht, sein Fahrzeug abzubremsen. Dabei war eine Bremsspur von etwa 7 m entstanden.
Der Kläger hat für seinen Schaden den Beklagten und K… verantwortlich gemacht.
Er hat vorgetragen: K… habe sich beim Ausfahren aus dem Grundstück grob verkehrswidrig verhalten, denn er sei in die G…straße eingebogen, obwohl er diese Straße wegen der Bäume und Sträucher am Rande des Parkplatzes und wegen des an der Ausfahrt des Parkplatzes parkenden Wagens (Renault) nicht habe einsehen können. Dem Beklagten sei vorzuwerfen, daß er mit einer zu hohen Geschwindigkeit gefahren sei. Das ergebe sich schon daraus, daß er sein Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig habe anhalten können. Eine erheblich geringere Geschwindigkeit sei auch erforderlich gewesen, weil wegen der in der G…straße parkenden Autos ein Engpaß bestanden habe. Hinzu komme, daß der Beklagte die nur für den Anliegerverkehr freigegebene G…straße befahren habe, obwohl er kein Anlieger gewesen sei.
Mit der Klage hat der Kläger von dem Beklagten und K… als Gesamtschuldnern 15.650,75 DM nebst Zinsen abzüglich 15.000 DM, die der Haftpflichtversicherer des Peter K… bereits gezahlt hat, und ein Schmerzensgeld verlangt, dessen Höhe er in das Ermessen des Gerichts stellt. Ferner hat er beantragt, festzustellen, daß der Beklagte und K… verpflichtet seien, ihm allen in Zukunft entstehenden Schaden aus dem Unfall zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht von anderen Kostenträgern übernommen werden.
Der Beklagte hat ebenso wie K… gebeten, die Klage abzuweisen.
Er hat erwidert: Der Unfall sei allein von K… verschuldet worden. Dieser sei plötzlich hinter dem parkenden Renault hervorgekommen und über die Fahrbahnmitte hinaus in seine, des Beklagten, Fahrbahnhälfte gekommen. Da er in diesem Zeitpunkt schon auf 10 – 15 m herangekommen sei, habe er den Zusammenstoß nicht mehr vermeiden können. Seine Geschwindigkeit beim Befahren der G…straße habe 30 km/st betragen.
Das Landgericht hat die Klageansprüche gegen K… dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und der Feststellungsklage, soweit sie gegen K… gerichtet war, stattgegeben. Dagegen hat es die gegen den Beklagten erhobene Klage abgewiesen.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt, soweit seine Klage gegen den Beklagten abgewiesen worden ist. Sein Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.
Mit der Revision verfolgt der Kläger die Klageansprüche gegen den Beklagten weiter.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Parteien sind sich einig darüber, daß die §§ 7 und 18 StVG als Anspruchsgrundlage ausscheiden. Dem Insassen eines Kraftfahrzeuges, der bei einem Unfall verletzt wird, haften der Halter und der Fahrer dieses Fahrzeugs nur dann nach dem Straßenverkehrsgesetz, wenn es sich um eine entgeltliche, geschäftsmäßige Beförderung gehandelt hat (§ 8 a StVG). Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben, denn es ist unstreitig, daß der Beklagte den Kläger aus Gefälligkeit in seinem Wagen mitgenommen hat.
II.
Gegen den Beklagten können daher Schadensersatzansprüche nur erhoben werden, wenn nicht nur K… sondern auch er den Unfall schuldhaft mit herbeigeführt hat (§ 823 BGB).
1. Die Revision will eine Ersatzpflicht des Beklagten unabhängig davon, ob er sich bei dem Entstehen des Unfalls selbst schuldhaft verkehrswidrig verhalten hat, allein schon daraus herleiten, daß er die G…straße befahren hat, obwohl sie für ihn als Nichtanlieger gesperrt war. Sie meint, das Verkehrsverbot, gegen das der Beklagte damit verstoßen habe, sei ein Schutzgesetz, das auch zugunsten des Klägers erlassen sei.
Damit kann die Revision keinen Erfolg haben. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, daß der Kläger unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt keine Ansprüche gegen den Beklagten herleiten kann.
Allerdings hat der Beklagte durch das Nichtbefolgen des amtlichen Verkehrszeichens schuldhaft gegen § 3 Abs. 1 StVO verstoßen. Der Revision ist auch zuzugeben, daß es bei Beachtung des durch das Verkehrszeichen ausgesprochenen Verbots nicht zu dem Unfall gekommen wäre. Das allein kann aber nicht die Annahme rechtfertigen, daß der Beklagte nach § 823 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB für den Schaden des Klägers einzustehen habe. Im Rahmen beider Vorschriften ist Voraussetzung der Ersatzpflicht, daß der geltend gemachte Schaden in den Schutzbereich der verletzten Rechtsnorm fällt. Die Tatfolgen, für die Ersatz begehrt wird, müssen also zu den Gefahren gehören, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen wurde (BGHZ 12, 213, 217; 19, 114, 126; 27, 137; 30, 154, 156 und Urteil des BGH vom 7. Juni 1968 – VI ZR 1/67 – NJW 1968, 2287 = JZ 1969, 703 = VersR 1968, 800; vgl. hierzu Huber in JZ 1969, 677 und das von ihm angeführte Schrifttum). An dieser Voraussetzung fehlt es hier. Die behördliche Anordnung, die das Befahren der G…straße aus Richtung H…straße nur den Anliegern und ihren Besuchern erlaubte, ist in erster Linie aus verkehrspolizeilichen Gründen erlassen worden. Ersichtlich sollte der Verkehr auf der nur 5 m breiten G…straße eingeschränkt werden. Gewiß dient diese Maßnahme auch der Sicherheit des Verkehrs, denn durch sie sollen Unfälle vermieden werden, die bei einer Massierung des Verkehrs in dieser Straße entstehen können. Diese Gefahr, die durch die behördliche Anordnung (Verkehrsverbot für Nichtanlieger) hintangehalten werden sollte, hat sich aber hier nicht verwirklicht, denn es ist unstreitig, daß die G…straße zur Zeit des Unfalls nur von dem Beklagten und dem aus dem Parkplatz ausbiegenden Peter K… befahren wurde. Der Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts darauf zurückzuführen, daß beim Verlassen des Parkplatzes seine Pflichten aus § 17 StVO gröblich verletzt hat. Das Verbot für Nichtanlieger, die G…straße in dieser Richtung zu befahren, ist dazu bestimmt, die Straßenbenutzer und deren Begleiter (hier der Begleiter des Beklagten) vor den Folgen einer solchen Pflichtverletzung zu schützen. Sind aber durch den Unfall keine Gefahren verwirklicht worden, die die behördliche Anordnung verhüten will, so kann der Beklagte nicht allein wegen des Verstoßes gegen diese Anordnung (§ 3 Abs. 1 StVO) für den Schaden des Klägers haftbar gemacht werden.
Die Revision kann sich für ihre gegenteilige Meinung nicht mit Erfolg auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. Januar 1955 – VI ZR 251/53 – VersR 1955, 183 = VRS 8, 109 berufen. In dem damals entschiedenen Falle war eine Straße durch ein amtliches Verkehrszeichen für den Durchgangsverkehr gesperrt, um den Verkehr vor der dort liegenden Großmarkthalle nicht zu beeinträchtigen. Der damalige Beklagte hatte die Straße entgegen dem Verbot mit seinem Lastkraftwagen befahren und dabei einen Marktarbeiter, der zusammen mit zwei anderen Arbeitern damit beschäftigt war, einen mit Kisten beladenen Anhänger auf der Straße fortzubewegen, tödlich verletzt. Da die Sperrung dazu diente, die Marktteilnehmer vor dem Durchgangsverkehr zu schützen, war gerade der Erfolg eingetreten, der durch die Sperrung vermieden wurde. Anders als in der jetzt zu entscheidenden Sache fiel der Schaden also in den Schutzbereich der Rechtsnorm, die zu beachten der Schädiger verpflichtet war.
2. Hiernach kann die Klage gegen den Beklagten nur Erfolg haben, wenn dieser sich in anderer Weise schuldhaft verkehrswidrig verhalten und dadurch zum Entstehen des Unfalls beigetragen hat. Insoweit traf den Kläger die Beweislast dafür, daß den Beklagten ein Verschulden an dem Unfall trifft. Diesen Beweis sieht das Berufungsgericht nicht als geführt an. Die Gründe, aus denen es zu diesem Ergebnis gekommen ist, sind rechtlich nicht zu beanstanden.
a) Das Berufungsgericht hält ebenso wie das Landgericht nicht für bewiesen, daß der Beklagte die G…straße schneller als mit einer Geschwindigkeit von 40 km/st befahren hat. Auch der Kläger geht jetzt davon aus, daß die Geschwindigkeit des Beklagten nicht höher war.
Eine Fahrgeschwindigkeit von 40 km/st ist aber bei einer Verkehrslage, wie sie das Berufungsgericht unangefochten festgestellt hat, nicht zu beanstanden. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bestand kein Engpaß im eigentlichen Sinne. Zwar parkten in der Fahrtrichtung des Beklagten etwa 8 bis 10 m vor der Unfallstelle auf der rechten und auf der linken Straßenseite einander gegenüber je ein Kraftfahrzeug. Diese Fahrzeuge standen aber zum Teil auf dem Bürgersteig und ließen auf der Fahrbahn einen Zwischenraum von 3m für die Durchfahrt. Da der Wagen des Beklagten nur 1,50 bis 1,60 m breit ist und aus der Gegenrichtung keine Fahrzeuge kamen, verblieb dem Beklagten genügend Raum mit einer Geschwindigkeit von 40 km/st gefahrlos zwischen den beiden abgestellten Fahrzeugen hindurchzufahren.
Die Tatsache, daß die G…straße in der Fahrtrichtung des Beklagten nur von Anliegern befahren werden durfte, verpflichtete den Beklagten nicht, eine geringere Fahrgeschwindigkeit einzuhalten, wenn die örtlichen Verhältnisse und die Verkehrslage eine Geschwindigkeit von 40 km/st erlaubten. Daß dies hier der Fall war, hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen.
b) Bei der Annäherung an den links gelegenen Parkplatz durfte der Beklagte darauf vertrauen, daß die Benutzer dieses Platzes beim Herausfahren auf die Straße ihre Pflichten aus § 17 StVO erfüllen und sein Vorrecht beachten werden (Urteil des BGH vom 5. Januar 1962 – VI ZR 155/61 – VersR 1962, 283). Auch als Nichtanlieger brauchte er nicht damit zu rechnen, daß K… ohne sorgfältig auf den Straßenverkehr zu achten, pflichtwidrig in die G…straße einbiegen und in seine, des Beklagten, Fahrbahn gelangen werde. Dem Beklagten könnte ein Vorwurf nur gemacht werden, wenn er das verkehrswidrige Verhalten K…'s in einem Zeitpunkt hätte erkennen können, in dem der Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge noch zu vermeiden war. Das aber ist nicht festgestellt. Das Berufungsgericht hat sich nicht davon überzeugen können, daß der Beklagte den Kraftwagen des K… früher als 10 bis 15 m vor der Unfallstelle hinter dem auf der linken Seite parkenden Renault-Personenkraftwagen auf die Fahrbahn fahren sah. Diese Beurteilung hält sich im Rahmen der dem Tatrichter zukommenden freien Würdigung des Prozeßstoffes (§ 286 ZPO). Die Verfahrensrügen, die von der Revision hiergegen erhoben werden, greifen nicht durch (Art. 1 Nr. 4 des Entlastungsgesetzes vom 15. August 1969, BGBl. I 1141).
c) Auch im übrigen gibt, das Berufungsurteil keinen Anlaß zu rechtlichen Bedenken. Landgericht und Berufungsgericht haben vielmehr mit Recht angenommen, daß der Kläger Schadensersatzansprüche nur gegen K… nicht aber auch gegen den Beklagten erheben kann.
Fundstellen
Haufe-Index 609591 |
VerwRspr 1970, 339 |
VerwRspr 1970, 80 |